European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0040OB00044.24K.1022.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Fachgebiet: Wohnungseigentumsrecht
Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage
Spruch:
Die Revision wird zurückgewiesen.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 2.544,30 EUR bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung (darin 424,05 EUR an USt) binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Begründung:
[1] Der Kläger begehrt (sinngemäß) festzustellen, dass dem Beklagten kein Recht zur Benützung oder Verfügung, insbesondere Vermietung, des Wohnungseigentumsobjekts W 34 einer näher bezeichneten Liegenschaft oder von Teilen davon zukomme, insbesondere nicht an einem abgetrennten, von ihm als Top 35 bezeichneten Teil dieses Wohnungseigentumsobjekts.
[2] Hintergrund ist ein langjähriger Streit über das rechtliche Schicksal des Wohnungseigentumsobjekts W 34 (s dazu auch 5 Ob 38/14w).
[3] Im Jahr 1993 erwarb zunächst Ing. S* (idF: der Ersterwerber) vom damaligen Alleineigentümer der Liegenschaft 1/27stel‑Anteile mit dem Recht, den Dachboden auszubauen, um dort fünf Wohnungen zu errichten (Top W 30 bis W 34). Im selben Jahr wurde Wohnungseigentum begründet, und der Ersterwerber wurde Wohnungseigentümer ua von Top W 34 (alt) mit 121/960stel‑Anteilen. In Abänderung der ursprünglichen Pläne teilte der Ersterwerber Top W 34 (alt) jedoch in zwei baulich getrennte Wohnungen mit gesonderten Eingängen, nämlich Top W 34 (neu) mit ca 35 m² (zzgl ca 7,5 m² Terrasse) und Top W 35 mit ca 66 m² (zzgl 10,35 m² Terrasse).
[4] Im Jahr 1996 verkaufte der Ersterwerber sodann „jene im noch einzuleitenden Nachtragsparifizierungsverfahren zu ermittelnden Anteile an der gegenständlichen Liegenschaft, auf die sich in natura die Wohnung Top 34 (neu) im Ausmaß von 35 m², bestehend aus Wohnraum und Nebenräumen (zuzüglich einer Terrasse von ca. 7,5 m²) bezieht“, an A*.
[5] Nachdem über das Vermögen des Ersterwerbers der Konkurs eröffnet worden war, verkaufte sodann der Masseverwalter mit (gerichtlich genehmigtem) Kaufvertrag vom 16. 9. 1997 an den Beklagten „jene Liegenschaftsanteile, die erforderlich sein werden, um Wohnungseigentum an der von dem Verkäufer errichteten, im angeschlossenen Plan Beilage ./1 schwarz schraffierten Wohnung W 35 im Ausmaß von ca 66,83 m² samt im angeschlossenen Plan Beilage ./2 schwarz schraffierten Terrasse im Ausmaß von ca. 10,35 m² zu begründen“.
[6] Beide Verträge enthalten wechselseitige Pflichten im Zusammenhang mit der beabsichtigten Neuparifizierung und Wohnungseigentumsbegründung. So verpflichtete sich auch A* als Erwerber von Top W 34, in die unentgeltliche Berichtigung der Eigentumsanteile aufgrund der neuen Nutzwertfeststellung einzuwilligen und sämtliche notwendigen Erklärungen abzugeben und Unterschriften zu leisten (Beilage ./C S 5; zur Verwertbarkeit unstrittigen Urkundeninhalts RS0121557, RS0040083 [T1]).
[7] In der Folge wurden die Planänderungen baubehördlich bewilligt und die Nutzwerte neu festgesetzt, jedoch nicht im Grundbuch einverleibt. Der Abschluss eines neuen Wohnungseigentumsvertrags scheiterte damals an der Zustimmung eines dritten Wohnungseigentümers.
[8] Die Wohnung W 35 wurde dem Beklagten noch im Jahr 1996 übergeben und von ihm 1997 zu Wohnzwecken bezogen. Seit dem Jahr 2005 vermietet er diese. Er überweist monatlich Betriebskosten, spätestens seit dem Jahr 2010 werden diese aber von der Hausverwaltung an ihn rücküberwiesen. Bis dato wurde weder ein Wohnungseigentumsvertrag unterzeichnet, der ein Wohnungseigentumsobjekt W 35 vorsieht, noch der Beklagte im Grundbuch einverleibt [als Eigentümer oder sonst Berechtigter].
[9] Top W 34 wurde von A* im Jahr 2004 an Ing. W* weiterveräußert, und zwar als W 34 (neu) ausdrücklich im Ausmaß von ca 35 m² bzw der neu ermittelten 30/979stel Anteile. Mangels wirksamer Nutzwertänderung waren dessen ungeachtet aber beide im Grundbuch als Eigentümer von Top W 34 (alt) im Ausmaß von 121/960stel-Anteilen einverleibt.
[10] Der Kläger kaufte zunächst im April 2009 37/960stel‑Anteile verbunden mit Wohnungseigentum an Top 28/89, einer Wohnung im zweiten Stock mit 30 bis 40 m², um 65.000 EUR. Mit Kaufvertrag vom 9. 10. 2009 erwarb er sodann den Anteil von Ing. W*, sohin 121/960stel‑Anteile bzw ca 100 m² (Top W 34 [alt]) laut Grundbuch bzw realiter Top W 34 (neu) mit 30/979stel‑Anteile bzw ca 35 m², um 48.500 EUR.
[11] Der – laut 5 Ob 38/14w vom Kläger verfasste – Kaufvertrag bezieht sich auf 121/960stel‑Anteile und beinhaltet weder einen Plan der Wohnung noch eine nähere Beschreibung oder Spezifikation von Top W 34. Nach den Feststellungen war dem Kläger damals aber bekannt, dass der Grundbuchstand von den tatsächlichen baulichen Verhältnissen im Dachgeschoss abwich. Ihm war auch bekannt, dass die Wohnung W 34 (alt) nicht wie ursprünglich geplant ausgeführt wurde, sondern baulich als zwei getrennte Einheiten mit zwei getrennten Eingängen, nämlich W 34 (neu) und W 35 (neu), errichtet worden war. Er nahm keine nach Außen wahrnehmbaren Nachforschungen betreffend die Wohnung W 34 (alt) vor. Insbesondere verzichtete er auf eine Besichtigung der Wohnungen W 34 (neu) und W 35 (neu) vor Unterfertigung des Kaufvertrags.
[12] Das Erstgericht wies die (negative) Feststellungsklage des Klägers ab. Zwar habe der Oberste Gerichtshof im Vorprozess zu 5 Ob 38/14w bereits klargestellt, dass es kein außerbücherliches Wohnungseigentum und hier mangels Einverleibung auch kein Wohnungseigentumsobjekt Top W 35 gebe. Der Ersterwerber habe sich aber wirksam ein einem Fruchtgenussrecht gleichzuhaltendes Nutzungs- und Verfügungsrecht an dieser Einheit vorbehalten und an den Beklagten übertragen können. Mangels Verbücherung handle es sich zwar bloß um ein obligatorisches und damit grundsätzlich nur inter partes wirkendes Recht, das hier aber offenkundig gewesen und nie erloschen sei. Die verschiedenen grundbücherlichen Eigentümer von Top W 34 hätten weder derivativ, noch gutgläubig unbelastetes Eigentum an 121/960stel‑Anteilen erworben. Dies gelte auch für den Kläger, den man angesichts seiner Kenntnis von den tatsächlichen Gegebenheiten, seiner unterlassenen Einsichtnahme in die vorherigen Kaufverträge sowie des geringen Kaufpreises nicht als gutgläubig qualifizieren könne.
[13] Das Berufungsgericht bestätigte die Klagsabweisung und ließ die Revision zur Frage zu, ob im Wege einer ergänzenden Vertragsauslegung die Begründung eines anderen als des ursprünglich von den Parteien gewollten dinglichen Rechts möglich sei, was bislang nur zu 1 Ob 14/97h bejaht worden sei.
Rechtliche Beurteilung
[14] Die – vom Beklagten beantwortete – Revision des Klägers ist ungeachtet des den Obersten Gerichtshof gemäß § 508a Abs 1 ZPO nicht bindenden Ausspruchs des Berufungsgerichts mangels Aufzeigens einer erheblichen Rechtsfrage im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig und daher zurückzuweisen.
[15] 1. Das Klagebegehren ist darauf gerichtet festzustellen, dass dem Beklagten kein Recht auf Benützung oder Verfügung hinsichtlich der faktischen Wohnung W 35 als Teil des Wohnungseigentumsobjekts Top W 34 (alt) zukomme. Dass der Beklagte ein solches Recht vom Ersterwerber wirksam ableiten konnte und auch nie verloren hat, wurde aber von den Vorinstanzen ausgehend vom festgestellten Sachverhalt im Einzelfall vertretbar bejaht, und dessen nähere rechtliche Qualifikation kann für das konkrete Begehren dahingestellt bleiben.
2. Daher ist auf die Revision nur ergänzend zu erwidern (§ 510 Abs 3 ZPO):
[16] 2.1 Gegen die Wertung, dass zwischen dem (Masseverwalter über das Vermögen des) Ersterwerber(s) und dem Beklagten ein wirksamer Kaufvertrag zustande kam, und nicht bloß ein aufschiebend bedingter (Vor-)Vertrag oder eine schlichte Verwendungszusage, wie vom Kläger argumentiert, bestehen schon angesichts des eindeutigen Wortlauts keine Bedenken. Naturgemäß können auch noch nicht existente Sachen verkauft werden (vgl RS0023320), und Kaufgegenstand ist hier nach der Intention der Vertragsparteien kein Anteil eines – gemäß § 12 Abs 1 WEG grundsätzlich unteilbaren – Mindestanteils, sondern ein wohnungseigentumstaugliches Objekt, das vom Kaufvertrag über Top W 34 (neu) gerade nicht umfasst war, und an dem bloß noch kein selbständiges Wohnungseigentum begründet worden war. (Die vom Kläger vertretene Ansicht zur „Untauglichkeit“ der Vertragskonstruktion würde im Übrigen dazu führen, dass auch er nie derivativ oder originär Eigentum erworben hätte.)
[17] 2.2 Vertretbar ist ebenso der Schluss, dass dem Beklagten – neben seinem Forderungsrecht – sofort ein unbedingtes, umfassendes und ausschließliches Nutzungs- und Verwertungsrecht an der zwar noch nicht rechtlich, aber bereits faktisch existenten Wohnung W 35 zukommen sollte. Ungeachtet der (in beiden Kaufverträgen geregelten) wechselseitigen Pflichten in Bezug auf die geplante Wohnungseigentumsbegründung, wurde die Wohnung W 35 an den Beklagten sogleich übergeben, womit laut Kaufvertrag sämtlicher Nutzen und Vorteil sowie alle Lasten und Gefahren übergehen sollten.
[18] Die Vorinstanzen legten bereits dar, dass nach ständiger Rechtsprechung auch an (Teilen von) Wohnungen und Wohnungseigentumsobjekten sowohl obligatorische als auch dingliche Rechte Dritter wirksam begründet werden können (vgl RS0106354, RS0042537, RS0011876 [T2, T6]); dem kann die Revision nichts Stichhaltiges entgegengesetzen.
[19] 2.3 Ebensowenig kann die Revision aufzeigen, warum der Beklagte in der Folge seine Rechte verloren haben sollte. Soweit sie mit einem derivativen oder originären (weil gutgläubigen) Erwerb lastenfreien Eigentums an 121/960stel Anteilen in der Vertragskette zu Top W 34 argumentiert, geht sie nicht vom festgestellten Sachverhalt aus und ist damit nicht gesetzmäßig ausgeführt (vgl RS0043603).
[20] 2.4 Schließlich führt der Kläger ins Treffen, dass die Erfüllung des Kaufvertrags zwischen dem Masseverwalter und dem Beklagten endgültig unmöglich geworden sei, weil der Konkurs abgeschlossen und der Masseverwalter mit seiner Klage auf Umsetzung der Neuparifizierung gescheitert sei, sowie die Voraussetzungen des § 10 WEG nicht vorlägen, und macht dazu sekundäre Feststellungsmängel geltend.
[21] Selbst wenn man aber mit dem Kläger – und dem Berufungsgericht – eine endgültige nachträgliche Unmöglichkeit unterstellt, würde diese nicht zwangsläufig zu einer Anwendbarkeit von § 1447 ABGB und einer Rückabwicklung des Kaufvertrags (nur auf Seiten des Beklagten) führen.
[22] Das Berufungsgericht nahm für diesen Fall eine ergänzende Vertragsauslegung vor, die vor allem dann angebracht ist, wenn die Parteien die Anwendung von Dispositivrecht nicht wollten, dennoch aber keine Regelung trafen, oder wenn sich die vorhandene gesetzliche Regelung für den konkreten Fall als unangemessen oder nicht sachgerecht erweist (vgl RS0017890). Als Mittel kommen etwa der hypothetische Parteiwille und der von den Parteien verfolgte Zweck sowie die Übung des redlichen Verkehrs und der Grundsatz von Treu und Glauben in Betracht (vgl RS0017832, RS0017758, RS0017899). Auch eine ergänzende Vertragsauslegung begründet aber nur dann eine erhebliche Rechtsfrage, wenn infolge einer wesentlichen Verkennung der Rechtslage im Einzelfall ein unvertretbares Auslegungsergebnis erzielt wurde (vgl RS0042936 [T41]).
[23] Die Auslegung des Berufungsgerichts, dass der Vertragszweck hier nicht für eine Rückabwicklung, sondern für eine Umdeutung in ein (zumindest obligatorisches) Wohnungsfruchtgenussrecht spreche, ist aber gerade in diesem besonders gelagerten Fall, in dem bereits im Kaufvertrag ein von der Neuparifizierung unabhängiges Nutzungsrecht eingeräumt wurde, und die Einverleibung des Eigentums in der Folge nur an der unerwartet nicht erteilten Zustimmung Dritter scheiterte, jedenfalls vertretbar. Dies gilt gleichermaßen unter dem Gesichtspunkt ergänzender Vertragsauslegung wie in 1 Ob 14/97h (dingliches Wohnrecht statt Stockwerkseigentum) oder als Konversion wie in 3 Ob 109/22h (Superädifikat statt Baurecht).
[24] 2.5 Eine Unvertretbarkeit der Rechtsansicht der Vorinstanzen, dass dem Beklagten ungeachtet der fehlenden grundbücherlichen Eintragung ein Recht auf Nutzung und Vermietung der Wohnung W 35 zukomme und die negative Feststellungsklage daher abzuweisen sei, wird von der Revision sohin ebensowenig aufgezeigt wie sonst eine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO.
[25] Schließlich vermögen auch die unsubstantiierten Ausführungen zu einer Überraschungsentscheidung und (angeblich) fehlenden Feststellungen zur Parteienabsicht keine (noch dazu relevante) Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens oder Ergänzungsbedürftigkeit der Sachverhaltsgrundlage aufzuzeigen.
[26] 3. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41, 50 ZPO. Der Beklagte hat auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen.
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