OGH 4Ob218/23x

OGH4Ob218/23x23.5.2024

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Schwarzenbacher als Vorsitzenden sowie den Vizepräsidenten Hon.‑Prof. PD Dr. Rassi, die Hofrätinnen Mag. Istjan, LL.M., und Mag. Waldstätten und den Hofrat Dr. Stiefsohn als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei *, vertreten durch die Poduschka Partner Anwaltsgesellschaft mbH in Linz, gegen die beklagte Partei * AG, *, Deutschland, vertreten durch die Pressl Endl Heinrich Bamberger Rechtsanwälte GmbH in Salzburg, wegen 15.389,34 EUR sA, über den Rekurs der beklagten Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 20. September 2023, GZ 6 R 94/23w‑30, mit dem das Urteil des Landesgerichts Linz vom 17. März 2023, GZ 38 Cg 102/21v‑23, aufgehoben wurde, zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0040OB00218.23X.0523.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)

 

Spruch:

 

Dem Rekurs wird Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben und in der Sache selbst zu Recht erkannt, sodass die Entscheidung lautet:

„Die Klagebegehren,

werden abgewiesen.“

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 9.309,28 EUR (darin 1.048,08 EUR 19%ige Umsatzsteuer und 2.745 EUR Barauslagen) bestimmten Kosten des Verfahrens aller drei Instanzen zu ersetzen.

 

Entscheidungsgründe:

[1] Der Kläger schloss 2012 mit einer Fahrzeughändlerin einen Kaufvertrag über einen (gebrauchten) Pkw * um 21.500 EUR. Im Wege eines Finanzierungsleasings trat am selben Tag (echte Beilage ./AQ) eine Leasinggeberin in diesen Kaufvertrag ein.

[2] Nach Ende der 60‑monatigen Laufzeit schloss der Kläger als Leasingnehmer mit der Leasinggeberin für dasselbe Fahrzeug einen Leasingvertrag über weitere 18 Monate ab.

[3] Die Leasingverträge zielten darauf ab, dass der Kläger nach Ende der Laufzeit Eigentum am Fahrzeug erwirbt. Tatsächlich kaufte der Kläger nach Ablauf des zweiten Leasingvertrags Ende Jänner 2019 den Pkw um den vereinbarten Restwert von nun 2.000 EUR von der Leasinggeberin.

[4] Der Pkw war mit einem Dieselmotor des Typs EA189 ausgestattet, der von der Beklagten entwickelt und hergestellt worden war. Er sollte der Abgasnorm Euro 5 entsprechen, war aber tatsächlich mit einer sogenannten Umschaltlogik ausgestattet. Diese Software erkannte, ob sich ein Fahrzeug auf einem Motorprüfstand befand, und aktivierte dort den „NOx‑optimierten“ Modus 1. Im normalen Straßenverkehr dagegen war die Abgasrückführungsrate des Pkws niedriger („partikeloptimierter“ Modus 0), womit der Grenzwert für den NOx‑Ausstoß nicht eingehalten werden konnte.

[5] Das Kraftfahrt-Bundesamt forderte die Beklagte im Oktober 2015 auf, diese „unzulässigen Abschalteinrichtungen“ zu entfernen.

[6] Auf Aufforderung der Verkäuferin ließ der Kläger 2017 deshalb ein Software-Update vornehmen, das die Steuerung der Abgasrückführung um ein sogenanntes Thermofenster ergänzt, die Abgasrückführung also in Abhängigkeit von der Umgebungstemperatur verändert.

[7] Erst nach der Entscheidung des EuGH im Dezember 2020 zum Software‑Update war der Kläger überzeugt, dass sein Pkw trotz des Software‑Updates nicht den gesetzlichen Anforderungen entspricht.

[8] DerKläger begehrte die schadenersatzrechtliche Rückabwicklung des Kaufvertrags aus dem Jahr 2012 im Wege der Naturalrestitution unter Anrechnung eines Benützungsentgelts von 6.110,66 EUR auf den damaligen Kaufpreis, konkret die Zahlung von 15.389,34 EUR samt Zinsen Zug um Zug gegen Rückgabe des Pkw. Hilfsweise soll ein Vermögensschaden von 6.450 EURan 30%iger Preisminderung ersetzt und mit Blick auf den nicht auszuschließenden Zulassungsentzug die Haftung der Beklagten für künftige Folgeschäden festgestellt werden.

[9] Die Klage sei entgegen der Ansicht der Beklagten schlüssig, weil der Kläger den Pkw durch Leasing im Eintrittsmodell finanziert habe. Er habe also zuerst einen Kaufvertrag mit der Händlerin geschlossen und erst danach einen Leasingantrag gestellt. Der Kläger mache somit einen eigenen Schaden geltend.

[10] Die Beklagtewendete unter anderem ein, der Kläger als Leasingnehmer habe keinen Schaden aus dem Kaufvertrag aus dem Jahr 2012, da er als Leasingnehmer weder den Kaufpreis bezahlt habe noch das Risiko eines Zulassungsentzugs trage. Selbst bei einem Restwertleasing, das auf Eigentumsverschaffung abziele, sei als Schaden allenfalls eine Differenz zwischen dem vereinbarten und dem tatsächlichen Restwert am Ende des Leasingverhältnisses denkbar (vSS ON 10 Pkt 3).

[11] DasErstgerichtgab dem Hauptbegehren zur Gänze statt. Der Kläger sei 2012 wirtschaftlicher Eigentümer des Pkw geworden, nicht anders als bei einer Finanzierung durch Kredit. Die Beklagte habe durch den Einbau der Umschaltlogik das Schutzgesetz VO (EG) 715/2007 vorsätzlich verletzt.

[12] Das Berufungsgerichthob das Ersturteil auf und verwies die Rechtssache zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurück. Es verneinte die von der Beklagten eingewandte Unschlüssigkeit ebenfalls, und zwar unter Verweis auf 8 Ob 22/22a. Für eine Klagsstattgebung bedürfe es aber noch weiterer Feststellungen, insbesondere zu Schaden, Kausalität, Verschulden und Verjährung.

[13] Den Rekurs an den Obersten Gerichtshof ließ das Berufungsgericht mit Blick auf die Vielzahl an gerichtsanhängigen ähnlichen Fällen zu, insbesondere weil es an höchstgerichtlicher Rechtsprechung zur Haftung eines Komponentenzulieferers (Motorherstellers) fehle.

[14] Der Rekurs der Beklagten strebt die vollständige Klagsabweisung an. Er kommt unter anderem auf die Unschlüssigkeit der Klage zurück.

[15] DerKläger beantragt, den Rekurs zurückzuweisen oder ihm nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

[16] Die Revisionist zulässig und berechtigt.

[17] 1.1. Zu der vom Berufungsgericht genannten Zulassungsfrage gibt es mittlerweile gefestigte Rechtsprechung: Ein individueller Fahrzeugkäufer kann nur die Person oder Stelle für einen deliktischen Schadenersatzanspruch aus der (bloß schuldhaften) Verletzung des als Schutzgesetz zu qualifizierenden Art 5 Abs 2 VO 715/2007/EG in Anspruch nehmen, die im Typengenehmigungsverfahren als Herstellerin des Fahrzeugs auftrat und die Übereinstimmungsbescheinigung ausstellte (RS0134616).

[18] 1.2. Eine unmittelbare Haftung der Beklagten als Herstellerin (nur) des Motors in Bezug auf Schäden durch die Abschaltvorrichtung wäre aber nach den vom Kläger ebenfalls geltend gemachten Anspruchsgrundlagen § 1295 Abs 2 und § 874 ABGB denkbar (6 Ob 16/23f Rz 21; 6 Ob 84/23f Rz 23 ff; 6 Ob 161/22b Rz 30 ff; 3 Ob 40/23p Rz 34; 10 Ob 31/23s Rz 50; 6 Ob 153/23b Rz 13).

[19] 2. Jedoch lässt sich der konkret geltend gemachte Schaden nicht aus dem Vorbringen des Klägers ableiten:

[20] 2.1. Der Kläger leitet den von ihm geltend gemachten Schaden aus einem im Jahr 2012 – zeitgleich mit einem Leasingvertrag – geschlossenen Kaufvertrag ab.

[21] Da die Leasinggeberin jedoch aufgrund des Leasingvertrags in den Kaufvertrag anstelle des Klägers eintrat, war (schon ursprünglich) nur diese – und nicht der Kläger – zur Zahlung des Kaufpreises aus diesem Kaufvertrag verpflichtet. Der Kläger erwarb 2012 auch nicht Eigentum am Pkw, sodass der vom Kläger behauptete Schaden – die Leistung des Kaufpreises gegen Übereignung eines Pkws mit unzulässiger Abschalteinrichtung – gerade nicht in seinem Vermögen eintrat (vgl 10 Ob 53/23a Rz 13; 7 Ob 88/23a; 7 Ob 128/23h; 6 Ob 153/23b).

[22] 2.2. Das Finanzierungsleasing ist nämlich eine Form der Investitionsfinanzierung, bei dem an die Stelle des Eigentumserwerbs an den Anlagegütern die bloße Gebrauchsüberlassung tritt. Der Leasinggeber erwirbt eine den Wünschen des Leasingnehmers, der das Leasinggut seinerseits bei einem Dritten (Lieferanten, Hersteller, Händler) ausgesucht hat, entsprechende Sache, um sie diesem für bestimmte Zeit zum Gebrauch zu überlassen. Nach ständiger Rechtsprechung gehört beim Finanzierungsleasing jedenfalls die erstmalige Verschaffung des ordnungsgemäßen Gebrauchs des Leasingobjekts zur unabdingbaren Verpflichtung des Leasingebers im Austausch zu den Leasingraten (RS0020739). Wenngleich sich der Leasinggeber ähnlich dem drittfinanzierten Kauf wirtschaftlich der Rolle des Kreditgebers annähert, schließt der Leasingnehmer gerade keinen Kaufvertrag mit dem Lieferanten ab. Ihm stehen daher gegenüber dem Lieferanten weder Eigentumsverschaffungsansprüche noch eigene vertragliche Gewährleistungsansprüche oder ein Anspruch auf Gebrauchsüberlassung zu. Aber auch eine Kredit- oder Darlehensgewährung durch den Leasinggeber erfolgt nicht. Vielmehr besteht die vertragliche Hauptverpflichtung des Leasinggebers darin, dem Leasingnehmer ein zum vereinbarten Gebrauch taugliches Leasinggut zur Verfügung zu stellen. Auch die Auswahl des Lieferanten durch den Leasingnehmer ändert nichts an der Pflicht des Leasinggebers, dem Leasingnehmer die Gebrauchsmöglichkeit zu verschaffen (7 Ob 88/23a [ErwGr 1.]; 7 Ob 128/23h [ErwGr 2.]; 4 Ob 142/22v [ErwGr 1.2.]).

[23] 2.3. Die vom Kläger zitierte Entscheidung 2 Ob 172/22s betraf eine völlig andere Rechtsfrage, nämlich die Geltendmachung offener Umsatzsteuer aus einer Totalschadensabrechnung nach einem Verkehrsunfall gegenüber Lenker und Halter, die die dortige Klägerin an die Leasinggeberin zu zahlen hatte (vgl 6 Ob 153/23b Rz 19).

[24] Auch die vom Kläger und vom Berufungsgericht ins Treffen geführte Entscheidung 8 Ob 22/22a betrifft eine hier nicht einschlägige Sachverhaltskonstellation: Damals erwarb die Klägerin ein Fahrzeug, wobei sie eine Anzahlung leistete, ihren Gebrauchtwagen eintauschte und nachträglich den restlichen Kaufpreis über eine Leasingkonstruktion finanzierte (ähnlich auch 8 Ob 109/23x; 6 Ob 153/23b Rz 19).

[25] Wird demgegenüber – wie hier – die Finanzierung des Erwerbs des Fahrzeugs über einen gleichzeitig mit dem Kaufvertrag abgeschlossenen (und mit diesem daher eine vertragliche Einheit bildenden) Leasingvertrag behauptet und bleibt somit nach dem klägerischen Vorbringen die Möglichkeit, dass die Leasinggeberin in den ursprünglichen, ausschließlich der Spezifikation des Fahrzeugs dienenden Kaufvertrag eintrat, kann nach mittlerweile gefestigter Rechtsprechung der Leasingnehmer einen Schaden aus diesem Kaufvertrag nicht geltend machen (5 Ob 118/23y Rz 10 f; 7 Ob 88/23a Rz 11, 15; 7 Ob 128/23h Rz 12, 17; 10 Ob 53/23a Rz 17; 6 Ob 153/23b Rz 16).

[26] 2.4. Einen Schaden aus dem Leasingvertrag, etwa aus überhöhten Leasingraten, macht der Kläger nicht geltend.

[27] Der Kläger brachte zwar vor, dass er sich 2019 für den Ankauf des Fahrzeugs zum vereinbarten Restwert entschied – also bevor der EuGH 2020 aussprach, dass durch das Software‑Update die Abschalteinrichtung nicht behoben worden war. Er macht jedoch auch keinen Schaden aus dem Ankauf des Fahrzeugs zum vereinbarten Restwert im Jahr 2019 geltend.

[28] Vielmehr vertrat er auch nach dem Unschlüssigkeitseinwand der Beklagten ausdrücklich die Ansicht, einen eigenen Schaden [aus dem Vertrag aus dem Jahr 2012] geltend machen zu können, weil er zuerst einen Kaufvertrag mit der Händlerin geschlossen und erst danach einen Leasingantrag gestellt habe.

[29] Damit beschränkte er sowohl das Naturalrestitutions- als auch die in eventu erhobenen Begehren auf Preisminderung und Feststellung der Haftung für künftige Schäden eindeutig auf Ansprüche aus dem 2012 geschlossenen Kaufvertrag, in den die Leasinggeberin eintrat (vgl 7 Ob 88/23a; 7 Ob 128/23h).

[30] 3. Die Beklagte wies bereits in erster Instanz ausdrücklich auf die Unschlüssigkeit des Klagebegehrens hin (vSS 24. 11. 2021 Pkt 3), sodass eine Aufhebung zur Erörterung nicht erforderlich ist (vgl RS0122365 [T1] zum Nichtvorliegen einer Überraschungsentscheidung).

[31] Der Oberste Gerichtshof kann deshalb wegen Spruchreife in der Sache selbst erkennen und die Klage abweisen.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41, 50 ZPO. Dabei waren die zutreffenden Einwendungen gegen die für die erste Instanz verzeichneten Kosten zu berücksichtigen.

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