Spruch:
Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.
Der angefochtene Beschluss wird dahin abgeändert, dass der Antrag des Klägers, der beklagten Partei mit einstweiliger Verfügung zu untersagen, Abbildungen des Klägers ohne dessen Einwilligung zu veröffentlichen, wenn gleichzeitig über das gegen ihn geführte Strafverfahren berichtet werde und dadurch seine berechtigten Interessen verletzt würden, abgewiesen wird.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 4.642,06 EUR bestimmten Kosten des Sicherungsverfahrens aller drei Instanzen (darin 2.200 EUR Barauslagen, 407,01 EUR Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Begründung
Der Kläger ist Stellvertreter des Sicherheitsdirektors von Tirol und Leiter des Tiroler Landesamts für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung. Sein Aussehen ist in Tirol nicht allgemein bekannt. Die Beklagte ist Medieninhaberin einer österreichweit erscheinenden Tageszeitung, der in Tirol eine regionale Mutationsausgabe beigelegt ist.
Im November 2009 führten die Staatsanwaltschaft Feldkirch und das Büro für interne Angelegenheiten im Bundesministerium für Inneres gegen den Kläger Ermittlungen wegen des Verdachts der Vergewaltigung und der geschlechtlichen Nötigung. Dies führte Mitte November zu seiner Suspendierung. Am 20. November 2009 bewilligte das Landesgericht Feldkirch aus dem Haftgrund der Verdunkelungsgefahr seine Festnahme, den Antrag auf Verhängung der Untersuchungshaft wies es drei Tage später ab. Der Kläger wurde daraufhin aus der Haft entlassen; die gegen ihn geführten Ermittlungen sind noch nicht abgeschlossen.
Die Beklagte berichtete in den Mutationsausgaben ihrer Tageszeitung am 18., 19. und 20. November 2009 über die gegen den Kläger erhobenen Vorwürfe, die darüber geführten Ermittlungen und die Suspendierung. Sie nannte seinen Namen nicht, sondern bezeichnete ihn unter anderem als „hochrangigen Beamten der Sicherheitsdirektion Tirol“ und „Tiroler Top-Polizisten“. In den Überschriften der Artikel war zunächst von einem „Sex-Skandal“ und dann zweimal von „Sex-Vorwürfen“ die Rede; im Text der Artikel zitierte die Beklagte Stellungnahmen der Staatsanwaltschaft, des Büros für interne Angelegenheiten und der Dienstbehörde; weiters verwies sie auf die laufenden Ermittlungen und die Suspendierung des Klägers. Sie stellte klar, dass es sich bei den betroffenen Frauen nicht um Mitarbeiterinnen der Sicherheitsdirektion handle. Die Ermittlungen dauerten noch an, über eine Fortsetzung der Suspendierung und eine allfällige Anklage werde nach deren Abschluss entschieden. Der Kläger beteuere seine Unschuld und wolle keine (weitere) Stellungnahme abgeben.
Die Beklagte illustrierte alle drei Berichte mit einem Foto, das den Kläger in Uniform vor einem Polizeigebäude stehend zeigt. In zwei Ausgaben war sein Gesicht teilweise ausgepixelt, in der dritten nicht. Immer erkennbar waren aber seine Dienstgradabzeichen, die ihn als hohen Polizeioffizier auswiesen. Über den gleichen Dienstgrad verfügt in Tirol nur eine weitere Person.
Zur Sicherung seines inhaltsgleichen Unterlassungsbegehrens beantragt der Kläger, der Beklagten mit einstweiliger Verfügung zu verbieten,
Abbildungen des Klägers wie in den Ausgaben der Tageszeitung „Österreich“ vom 18. 11. 2009, vom 19. 11. 2009 und vom 20. 11. 2009 ohne dessen Einwilligung zu veröffentlichen, wenn im begleitenden Text über das gegen den Kläger eingeleitete Strafverfahren berichtet werde und hiedurch die berechtigten Interessen des Klägers verletzt würden.
In Zusammenhang mit dem jeweiligen Begleittext verstoße die Veröffentlichung des Fotos gegen § 78 UrhG. Die Berichterstattung sei wegen der stark hervorgehobenen Vorwürfe tendenziös und vorverurteilend. Ein Verweis auf die Unschuldsvermutung fehle; dem Kläger werde unmissverständlich die Begehung einer oder mehrerer Straftaten gegen die sexuelle Integrität mehrerer Frauen unterstellt. Dies sei ehrenrührig und kreditschädigend. Beim Kläger handle es sich um eine nicht allgemein bekannte Person des öffentlichen Lebens. Erst durch die Veröffentlichung des Fotos werde sein Aussehen einem großen Personenkreis bekannt.
Die Beklagte wendet ein, sie habe nur über eine tatsächlich bestehende Verdachtslage berichtet. Die beanstandeten Artikel seien nicht tatbildlich iSd § 1330 ABGB, weshalb auch keine Ansprüche nach § 78 Abs 1 UrhG bestünden. Der Kläger sei ein hoher Polizeibeamter und eine in Tirol allgemein bekannte Person. An der Preisgabe seiner Identität bestehe daher ein überwiegendes öffentliches Interesse.
Das Erstgericht erließ die einstweilige Verfügung. Identitätsschutz nach § 7a MedienG komme dem Betroffenen dann zu, wenn durch die Veröffentlichung sein Fortkommen unverhältnismäßig beeinträchtigt werden könnte. Das sei hier der Fall, weil dieser Aspekt gerade bei einem hochrangigen Polizeibeamten mehr Gewicht habe als in anderen Bereichen. Der Begleittext sei geeignet, das Publikum gegen den Kläger aufzubringen und ihn in der Öffentlichkeit herabzusetzen. Damit sei auch die Bildnisveröffentlichung unzulässig.
Das Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung und sprach zunächst aus, dass der Revisionsrekurs nicht zulässig sei.
Die Unschuldsvermutung werde nicht verletzt, weil es sich bei allen drei Artikeln um eine im Kern zutreffende Berichterstattung über die gegen den Kläger bestehende Verdachtslage gehandelt habe. Allerdings seien nach ständiger Rechtsprechung die Wertungen der §§ 7a ff MedienG in die nach § 78 UrhG erforderliche Abwägung einzubeziehen. Bei einem im Kern wahren Sachverhalt falle diese Abwägung zwar gewöhnlich zugunsten des Mediums aus. Allerdings sei auch der Identitätsschutz nach § 7a MedienG zu beachten. Die identifizierende Berichterstattung gefährde das berufliche Fortkommen des Klägers. Ein überwiegendes Interesse der Öffentlichkeit an der Preisgabe der Identität bestehe nicht. Der Kläger sei zwar aufgrund seiner Stellung als ranghoher Polizeibeamter eine (allerdings nicht allgemein bekannte) Person des öffentlichen Lebens, doch sei er weder eine Person von allgemeinem öffentlichen Interesse im Sinn einer „public figure“, noch stünden die gegen ihn geführten Ermittlungen in einem Zusammenhang mit seiner beruflichen Stellung. Die Preisgabe der Identität des Klägers durch die Veröffentlichung seines Bildnisses habe daher nur die Neugierde und Sensationslust des Publikums befriedigt. Ein überwiegendes Interesse der Öffentlichkeit, in einem Frühstadium der Ermittlungen die Identität des Klägers zu erfahren, habe jedoch mangels eines Zusammenhangs des gegen den Kläger bestehenden Verdachts mit seiner Stellung im öffentlichen Leben nicht bestanden.
Nachträglich ließ das Rekursgericht den Revisionsrekurs mit der Begründung zu, dass Rechtsprechung zur Frage fehle, ob ein nicht allgemein bekannter Träger eines hohen Amts über eine Stellung in der Öffentlichkeit verfüge, die wegen des damit begründeten öffentlichen Interesses auch dann eine identifizierende Berichterstattung über den Verdacht einer strafbaren Handlung erlaube, wenn diese nicht im Zusammenhang mit der Ausübung des öffentlichen Amts stehe.
Rechtliche Beurteilung
Der Revisionsrekurs der Beklagten ist aus dem vom Rekursgericht genannten Grund zulässig, er ist auch berechtigt.
1. Nach § 78 UrhG dürfen Bildnisse von Personen nicht veröffentlicht werden, wenn dadurch berechtigte Interessen der Abgebildeten verletzt würden. Bei der danach gebotenen Interessenabwägung zwischen dem Persönlichkeitsschutz des Abgebildeten und dem Veröffentlichungsinteresse des Mediums ist auch der Begleittext der Veröffentlichung zu beachten. Bei einem Bericht über einen im Kern wahren Sachverhalt fällt die Interessenabwägung gewöhnlich zugunsten des Mediums aus (4 Ob 142/99g = SZ 72/97 - miserabler Verleumder; 6 Ob 249/01p = SZ 74/204 - Schönheitschirurgie; 4 Ob 105/07f = MR 2007, 309 - ahnungsloser Anleger). Daneben sind bei Berichten über den Verdacht einer strafbaren Handlung oder über eine strafgerichtliche Verurteilung auch die Wertungen des § 7a MedienG zu berücksichtigen, nach denen ein - hier zweifellos verletzter - Identitätsschutz bestehen kann (RIS-Justiz RS0122587). Allerdings ist die Identität von Erwachsenen, die eines Verbrechens verdächtig sind oder wegen eines solchen verurteilt wurden, nur dann geschützt, wenn die Veröffentlichung ihr Fortkommen unverhältnismäßig beeinträchtigen kann (RIS-Justiz RS0108482; zuletzt etwa 4 Ob 169/07t = MR 2007, 372 - Rieger Bank, und 6 Ob 248/08a). Dabei wird nicht danach unterschieden, ob die Identität durch Wort- oder durch Bildberichterstattung verletzt wird, der Schutz der Identität wird somit in beiden Fällen gleich beurteilt (4 Ob 216/00v = MR 2001, 92 - bedingte Haftentlassung mwN). Erforderlich ist daher eine Abwägung zwischen den jeweils grundrechtlich geschützten Interessen des Mediums an einer identifizierenden Berichterstattung (Art 10 EMRK) und des Betroffenen an der Wahrung seiner Anonymität (Art 8 EMRK).
2. Im vorliegenden Fall verfügt der Kläger als stellvertretender Sicherheitsdirektor und Leiter des Landesamts für Verfassungsschutz über eine hervorgehobene Stellung im öffentlichen Leben seines Bundeslands. Zwar stellen die Artikel keinen Zusammenhang zwischen dieser Stellung und den Vorwürfen her, und ein solcher Zusammenhang ist auch nicht bescheinigt. Unabhängig davon stünde aber das Verhalten des Klägers bei Zutreffen des Verdachts in einem diametralen Gegensatz zu jenem, das die Öffentlichkeit von einem hochrangigen Vertreter des Staates erwartet, der mit der Verfolgung strafbarer Handlungen betraut ist. Damit ist ein öffentliches Interesse an der Offenlegung der Person des Verdächtigen begründet. Denn zum einen wird dadurch ein Generalverdacht zu Lasten anderer Polizeibeamter vermieden, der durch eine nicht identifizierende Berichterstattung - die jedenfalls zulässig wäre - verursacht würde. Zum anderen besteht die durch Art 10 EMRK geschützte Rolle der Medien als „public watchdog“ (RIS-Justiz RS0123667; zuletzt auch 6 Ob 266/06w, 6 Ob 248/08a und 6 Ob 256/08b, jeweils mwN) auch und gerade gegenüber den Strafverfolgungsbehörden. Eine über das zur Wahrung anderer Grundrechte Erforderliche hinausgehende Beschränkung der Verdachtsberichterstattung hinderte die Medien daran, auf möglicherweise unsachliche Erwägungen bei der Einstellung von Strafverfahren hinzuweisen und so ihre auch in diesem Zusammenhang grundrechtlich geschützte Kontrollfunktion wahrzunehmen.
Soweit sich solche Verfahren gegen Träger öffentlicher Ämter richten, hat diese Aufgabe der Medien besonderes Gewicht. Denn in der Öffentlichkeit besteht - wegen der Weisungsgebundenheit der Staatsanwaltschaft und der an sich sinnvollen Nichtöffentlichkeit des Verfahrens - der allgemeine Verdacht, dass es sich Politiker und hohe Beamte (auch) in Strafverfahren „richten“ könnten. Das wird zwar in der weit überwiegenden Zahl der Fälle tatsächlich nicht zutreffen. Es liegt jedoch im Interesse einer funktionierenden Rechtspflege, dass Medien hier Nachforschungen anstellen und durch identifizierende Berichterstattung eine präventive Funktion erfüllen.
Gegenüber diesem Interesse an einer identifizierenden Verdachtsberichterstattung muss das Anonymitätsinteresse des Betroffenen jedenfalls dann zurücktreten, wenn der beanstandete Bericht klarstellt, dass es sich um einen bloßen Verdacht handelt, und wenn dem Betroffenen Gelegenheit zu einer Äußerung gegeben wurde. Beides war hier der Fall. Eine Verletzung der Unschuldsvermutung liegt nicht vor, weil - auch in den Überschriften zweier Artikel - durchwegs nur von „Vorwürfen“ und einem „Verdacht“ die Rede ist. Reißerisch ist zwar die Formulierung „Sexskandal“ in der Überschrift des ersten Artikels. Schon im Untertitel und im fett gedruckten ersten Absatz wird aber deutlich, dass es sich nur um eine „Anzeige“ und um „Vorwürfe“ handelt. In weiterer Folge schließt es der Hinweis auf das anhängige Verfahren aus, den Artikel als Vorwurf einer tatsächlich begangenen strafbaren Handlung zu verstehen. Damit ist die Überschrift ausreichend relativiert (6 Ob 248/08a). Im Übrigen geben die Artikel objektiv gehaltene Stellungnahmen von Ermittlungs- und Dienstbehörden wieder und verweisen auf die Weigerung des Klägers, sich dazu zu äußern. Dass Letzteres nicht zuträfe, hat er nicht behauptet.
3. Auf dieser Grundlage hat das von der Beklagten in Anspruch genommene Grundrecht der freien Meinungsäußerung im konkreten Fall ein höheres Gewicht als das Recht des Klägers auf Achtung seines Privat- und Familienlebens. Die identifizierende Berichterstattung war wegen
- der herausragenden Stellung des Klägers als Träger öffentlicher Gewalt,
- der durch seine Suspendierung objektivierten Verdachtslage,
- der insgesamt die Unschuldsvermutung nicht verletzenden Fassung der beanstandeten Artikel, und
- der dem Kläger eingeräumten Möglichkeit zur Stellungnahme
medienrechtlich zulässig. Wegen der Parallelität der maßgebenden Wertungen gilt das auch für die Veröffentlichung der an sich unbedenklichen Lichtbilder.
Die vom Rekursgericht zitierte Entscheidung 15 Os 95/09y steht diesem Ergebnis nicht entgegen. Sie betraf einen Bericht über das angebliche Fehlverhalten eines Abteilungsleiters einer notverstaatlichten Bank. Damit bestand zwar ein Zusammenhang zwischen dem dargestellten Sachverhalt und dem öffentlichen Leben. Anders als hier handelte es sich beim Betroffenen aber um einen Bankangestellten der zweiten Ebene, der als solcher nicht in der Öffentlichkeit stand. Auf dieser Grundlage war tatsächlich kein schwerwiegendes Interesse der Öffentlichkeit an einer identifizierenden Berichterstattung zu erkennen. Der gegen einen hochrangigen Polizeibeamten gerichtete Verdacht eines Verbrechens hat in der Abwägung der beiderseitigen Interessen aus den oben angeführten Gründen ein entscheidend höheres Gewicht.
4. Aus diesen Gründen ist der angefochtene Beschluss dahin abzuändern, dass der Sicherungsantrag des Klägers abgewiesen wird.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 393 Abs 1 EO iVm §§ 41, 50 ZPO.
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)