OGH 15Os95/09y

OGH15Os95/09y17.3.2010

Der Oberste Gerichtshof hat am 17. März 2010 durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Dr. Schmucker als Vorsitzende sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Danek, Dr. T. Solé und Mag. Lendl sowie die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner-Foregger als weitere Richter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Stuhl als Schriftführerin in der Medienrechtssache des Antragstellers Christian R***** gegen die Antragsgegnerin V***** GmbH wegen § 7a MedienG, AZ 095 Hv 63/06i des Landesgerichts für Strafsachen Wien, über den Antrag der Antragsgegnerin auf Erneuerung des Strafverfahrens gemäß § 363a StPO nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Der Antrag wird zurückgewiesen.

Text

Begründung

In der (einen in der Ausgabe der Wochenzeitschrift „p*****“ Nr 15 vom 10. April 2006 auf den Seiten 36 bis 44 unter dem Titel „Schwere Hypothek“ veröffentlichten Artikel betreffenden) Medienrechtssache des Antragstellers Christian R***** gegen die Antragsgegnerin V***** GmbH wurde mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 19. August 2008, GZ 095 Hv 63/06i-25, der Antrag des Antragstellers auf Zuerkennung einer Entschädigung nach § 7a Abs 1 MedienG abgewiesen.

Der dagegen erhobenen Berufung des Antragstellers wegen Nichtigkeit gab das Oberlandesgericht Wien als Berufungsgericht mit Urteil vom 20. April 2009, AZ 18 Bs 18/09t (ON 33 des Hv-Akts), Folge, hob das angefochtene Urteil auf und erkannte in der Sache selbst dahin, dass durch die in Rede stehende Veröffentlichung, in der mehrmals der Name des Antragstellers Christian R***** als einer gerichtlich strafbaren Handlung Verdächtiger im Zusammenhang mit Spekulationsverlusten der H*****-Bank genannt wurde, Angaben über die Identität des Antragstellers veröffentlicht wurden, die geeignet sind, in einem nicht unmittelbar informierten größeren Personenkreis zum Bekanntwerden seiner Identität zu führen, wodurch seine schutzwürdigen Interessen verletzt wurden, ohne dass wegen seiner Stellung in der Öffentlichkeit, wegen eines sonstigen Zusammenhangs mit dem öffentlichen Leben oder aus anderen Gründen ein überwiegendes Interesse der Öffentlichkeit an der Veröffentlichung dieser Angaben bestanden hat. Die Antragsgegnerin wurde gemäß § 7a Abs 1 MedienG zur Zahlung einer Entschädigung von 3.000 Euro an den Antragsteller verpflichtet.

Gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht richtet sich, gestützt auf die Behauptung einer Verletzung im Grundrecht auf Freiheit der Meinungsäußerung nach Art 10 MRK, der Antrag der Antragsgegnerin V***** GmbH auf Erneuerung des Strafverfahrens nach § 363a StPO per analogiam (RIS-Justiz RS0122228) iVm § 41 Abs 1 MedienG. Dazu wird - zusammengefasst - vorgebracht, dass entgegen der Interessenabwägung durch das Berufungsgericht ein überwiegendes öffentliches Interesse an der Veröffentlichung des Namens des Antragstellers vorgelegen habe.

Rechtliche Beurteilung

Dem Antrag kommt keine Berechtigung zu.

Mit dem in Rede stehenden Artikel vom 10. April 2006 wurde nach den - der rechtlichen Beurteilung des Oberlandesgerichts Wien unverändert zu Grunde gelegten - Feststellungen des Erstgerichts aus der Sicht des konkret angesprochenen Leserkreises (US 3 ff) über gegen den namentlich genannten Antragsteller Christian R***** als Leiter der Treasury-Abteilung der (zu annähernd 50 % im Eigentum des Landes Kärnten stehenden) H*****-Bank in Klagenfurt geführte gerichtliche Vorerhebungen wegen des Verdachts der Untreue mit Beziehung auf in seinem Verantwortungsbereich entstandene Spekulationsverluste in Höhe von 328 Mio Euro berichtet. Tatsächlich war die von der Finanzmarktaufsicht (FMA) erstattete Anzeige (erst) am 5. April 2006 bei der Staatsanwaltschaft Klagenfurt eingelangt und wurden gerichtliche Vorerhebungen (die im Juni 2008 zur gänzlichen Verfahrenseinstellung führten) erst ab dem 24. Mai 2006 geführt.

Nach den Begründungserwägungen des Oberlandesgerichts Wien (US 6 ff) habe im Hinblick auf die annähernd 50%ige Beteiligung des Landes Kärnten (mithin der öffentlichen Hand) an der bezeichneten Bank bei exorbitant hohen Verlustgeschäften zwar ein öffentliches Informationsinteresse an der Bekanntgabe der Funktion des dafür Verantwortlichen bestanden, womit aber die Identität des Antragstellers keinem größeren (über den Bereich der über die Verdachtslage ohnehin bankintern Informierten hinausreichenden) Personenkreis bekanntgeworden wäre. Über die Benennung der Funktion des Antragstellers hinaus sei aber der Nennung dessen Namens kein eigener Informationswert zugekommen, der zum Verständnis der Tat oder deren Umstände von Nöten gewesen wäre. Zu diesem Schluss gelangte das Oberlandesgericht in Abwägung des Interesses des Antragstellers an der Geheimhaltung seiner Identität einerseits und des auf Bekanntgabe - etwa zu effektiver Nutzung der Stellung der Medien als „öffentlicher Wachhund“ - gerichteten öffentlichen Interesses andererseits. Solcherart hätte (vor dem Hintergrund eines berechtigten öffentlichen Interesses an Kriminalberichterstattung) schon allein die Schilderung des (Verdachts-)Sachverhalts samt Funktionsbezeichnung des dafür verantwortlichen Antragstellers ohne aber dessen Namensnennung dem Informationsbedürfnis der Öffentlichkeit hinreichend Rechnung getragen. Bedenke man überdies die - nicht führende - Stellung des Antragstellers in der Bankhierarchie als dem Vorstand bloß untergeordnete Position eines Managers der (wenn auch bankintern bedeutsamen) Treasury-Abteilung einerseits und das zwar durch die Anzeige der Finanzmarktaufsicht eingeleitete, gerade aber erst im frühesten Erhebungsstadium befindliche Strafverfahren andererseits, so habe insgesamt ein überwiegendes öffentliches Interesse an der inkriminierten identifizierenden Berichterstattung zum Zeitpunkt der in Rede stehenden Veröffentlichung nicht bestanden.

Der Erneuerungswerber vermag eine das Recht auf freie Meinungsäußerung (Art 10 MRK) verletzende Fehlerhaftigkeit dieser rechtlichen Beurteilung durch das Berufungsgericht nicht aufzuzeigen:

Der im Fall konfligierender Grundrechte von der MRK geforderte faire Ausgleich (vgl Art 10 Abs 2) zwischen - hier - dem (auf den Schutz von Persönlichkeitsrechten gerichteten) Anspruch auf Achtung des Privat- und Familienlebens (Art 8 MRK) und dem Recht auf freie Meinungsäußerung (Art 10 MRK) wird im hier interessierenden Zusammenhang auf innerstaatlicher Ebene durch die von § 7a Abs 1 MedienG - für den Bereich des Schutzes „vor Bekanntgabe der Identität in besonderen Fällen“ - geforderte Abwägung schutzwürdiger Interessen des von der Berichterstattung Betroffenen gegenüber spezifischen Interessen der Öffentlichkeit an der Veröffentlichung von zur Identifizierung geeigneten Angaben gewährleistet (vgl zu § 7 MedienG zuletzt 15 Os 42/09d).

Der Entschädigungsanspruch nach § 7a Abs 1 (hier: Z 2) MedienG setzt voraus, dass durch eine identifizierende Berichterstattung über eine Person, die einer gerichtlich strafbaren Handlung verdächtig ist, schutzwürdige Interessen derselben verletzt werden, ohne dass wegen deren Stellung in der Öffentlichkeit, wegen eines sonstigen Zusammenhangs mit dem öffentlichen Leben oder aus anderen Gründen ein überwiegendes Interesse der Öffentlichkeit an der Veröffentlichung dieser Angaben bestanden hat. Damit wird klargestellt, dass sich die durch die bezeichneten spezifischen Sachzusammenhänge begründeten Veröffentlichungsinteressen - gerade - auf die Identität des Betroffenen beziehen müssen. Zum einen ist daher das allgemeine öffentliche Interesse an einer sachgerechten Kriminalberichterstattung für sich nicht ausreichend, zum anderen ist demnach eine identifizierende Berichterstattung nur zulässig, wenn und soweit dem Namen bzw sonstigen Identitätsmerkmalen des (hier:) Verdächtigen ein eigenständiger Informations- oder Nachrichtenwert zukommt. Dieser Informationswert muss, um die Zulässigkeit einer identifizierenden Berichterstattung zu begründen, das schutzwürdige Anonymitätsinteresse des Betroffenen überwiegen (Berka in Berka/Höhne/Noll/Polley, MedienG² § 7a Rz 26 f; Rami in WK² § 7a MedienG Rz 6).

Daraus folgt entgegen dem Standpunkt der Erneuerungswerberin, dass der bloße Zusammenhang eines Verdachtssachverhalts (§ 7a Abs 1 Z 2 MedienG) mit dem öffentlichen Leben für sich - ohne spezifisches öffentliches Informationsinteresse gerade auch am Namen des Verdächtigen - für ein nach § 7a Abs 1 MedienG in Rechnung zu stellendes öffentliches Informationsinteresse nicht hinreicht. Dem Antragsvorbringen zuwider wird auch im Erkenntnis des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 14. Dezember 2006, V***** GmbH gegen Österreich (Nr 2), Beschwerdenummer 10520/02 (das die Veröffentlichung des Fotos eines „Wirtschaftsmagnaten, der eines der angesehensten Unternehmen des Landes besitzt“ [Z 36, „a public figure“], zum Gegenstand hatte), keineswegs ausgesprochen, dass ein Sachzusammenhang mit dem öffentlichen Leben als solcher ein öffentliches Informationsinteresse per se begründe, sondern vielmehr - eben im Sinn der Relevanz eines spezifischen eigenständigen Informationswerts der Identitätsmerkmale des Betroffenen - „auf den Beitrag abgestellt, den die veröffentlichten Fotos oder Artikel [und damit die konkrete identifizierende Berichterstattung] zu einer Debatte von allgemeinem Interesse leisten“ (Z 40).

Aus einer vom Oberlandesgericht Wien für zulässig erachteten - nur - auf die Funktion des für die mitgeteilten Spekulationsverluste Verantwortlichen bezogenen identifizierenden Berichterstattung folgt entgegen der Ansicht der Erneuerungswerberin keineswegs die Zulässigkeit auch der Namensnennung des Antragstellers, weil - worauf das Berufungsgericht zutreffend hingewiesen hat - mit letzterer (gerade auch in der thematisch nicht begründeten Konnexierung mit dem politisch tätig gewesenen Vater des Antragstellers) ein ungleich größerer Publizitätsgrad verbunden ist.

Das Antragsvorbringen, zum Zeitpunkt der inkriminierten Veröffentlichung sei „keine frühe Verdachtslage“ mehr vorgelegen, behauptet urteilsfremd die erst „nach Einleitung der Vorerhebungen“ erfolgte Berichterstattung, wurden doch - wie bereits dargelegt - gerichtliche Vorerhebungen gegen den Antragsteller erst ab 24. Mai 2006 (somit sechs Wochen nach Veröffentlichung des Artikels) geführt und wurde bereits fünf Tage nach Einlangen der Anzeige der Finanzmarktaufsicht - die keine Strafverfolgungsbehörde ist - bei der Staatsanwaltschaft berichtet. Solcherart hat das Berufungsgericht dem - unter dem Gesichtspunkt der Schutzwürdigkeit der Anonymitätsinteressen des Betroffenen bedeutsamen (Berka aaO § 7a Rz 32) - Umstand einer in einem erst (sehr) frühen Stadium anhängigen Strafverfolgung bei der nach § 7a Abs 1 MedienG vorzunehmenden Interessensabwägung Rechnung getragen. Diesem Aspekt misst auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte bei der Abwägung von Veröffentlichungs- gegen Anonymitätsinteressen ein bedeutsames Gewicht bei („to protect him against a trial by media“: EGMR 14. November 2002, Wirtschafts-Trend Zeitschriften-Verlagsgesellschaft mbH gegen Österreich, ÖJZ 2003/6 [MRK]; In diesem Zusammenhang sei auch daran erinnert, dass das Strafverfahren gegen den Antragsteller in der Folge zur Gänze eingestellt wurde).

Ob allenfalls der Name des Antragstellers bereits durch Politiker oder den Vorstandsvorsitzenden der H*****-Bank genannt worden war, vermag ein - berechtigtes - öffentliches Interesse an der Person des Antragstellers ebenso wenig zu begründen wie es für das Tatbestandsmerkmal der Eignung identifizierender Berichterstattung, „zum Bekanntwerden der Identität einer Person zu führen“ (§ 7a Abs 1 MedienG), irrelevant ist, ob die Identität bereits in einer früheren Veröffentlichung aufgedeckt wurde, zumal auch wiederholte Namensnennungen den Tatbestand erfüllen (Berka aaO § 7a Rz 15; Brandstetter/Schmid MedienG² § 7a Rz 9, jeweils unter Hinweis auf die EBRV zur Mediengesetznovelle 1992, 503 BlgNR 18. GP 12). Dem Standpunkt der Erneuerungswerberin zuwider bedurfte es daher entsprechender Urteilsfeststellungen nicht.

Zusammenfassend hat das Oberlandesgericht Wien einerseits das unzweifelhaft vorliegende öffentliche Interesse an einer freien Berichterstattung über massive Spekulationsverluste einer landesnahen Bank und die damit verbundenen strafrechtlichen Implikationen anerkannt, dieses aber andererseits mit der Möglichkeit einer zwar investigativen, jedoch anonymitätswahrenden Reportage, dem Zeitpunkt der Veröffentlichung (frühes Verfahrensstadium) und dem Umstand, dass die Offenlegung des vollen Namens der „bereits gebotenen Information nichts von öffentlichem Interesse hinzugefügt“ hat (vgl neuerlich EGMR 14. November 2002, Wirtschafts-Trend Zeitschriften-Verlagsgesellschaft mbH gegen Österreich, ÖJZ 2003/6 [MRK]), abgewogen und ist so zur Tatbestandsmäßigkeit der inkriminierten Veröffentlichung iSd § 7a Abs 1 Z 2 MedienG gelangt.

Es hat damit ausreichende und maßgebende Gründe für eine Einschränkung des Grundrechts auf Freiheit der Meinungsäußerung angegeben, dabei darauf Bedacht genommen, dass die Medien in ihrer Funktion als „public watchdog“ nicht behindert werden, und schließlich unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes (Art 10 Abs 2 MRK) die Zahlung eines moderaten Entschädigungsbetrags angeordnet. Eine Verletzung des Art 10 MRK wurde demnach von der Antragswerberin nicht dargetan.

Der Erneuerungsantrag war daher - in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur, jedoch entgegen der hierzu erstatteten Äußerung der Antragstellerin - gemäß § 363b Abs 2 Z 3 StPO zurückzuweisen.

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