European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0030OB00073.23S.0719.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)
Spruch:
Der Revision wird teilweise Folge gegeben.
Das angefochtene Urteil wird dahin abgeändert, dass es unter Einschluss des unbekämpft in Rechtskraft erwachsenen und des bestätigten Teiles lautet:
„1. Die Klagsforderung besteht mit 5.425 EUR zu Recht.
Die eingewendete Gegenforderung besteht mit 1.800 EUR zu Recht.
Die beklagte Partei ist daher schuldig, der klagenden Partei 3.625 EUR samt 4 % Zinsen seit 21. März 2022 binnen 14 Tagen zu bezahlen.
Das Mehrbegehren von 6.075 EUR sA wird abgewiesen.
Die Kostenentscheidung bleibt der Endentscheidung vorbehalten.“
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 426,72 EUR (darin enthalten 71,11 EUR USt) bestimmten Kosten des zweit- und des drittinstanzlichen Verfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 466,14 EUR bestimmten Pauschalgebühren für die Berufung und die Revision binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Entscheidungsgründe:
[1] Die Beklagte schloss als Bestandnehmerin mit dem Kläger als Bestandgeber (und Eigentümer des Hauses) mündliche Bestandverträge über ein Geschäftslokal und eine Mietwohnung ab. Der monatliche Bestandzins wurde mit brutto 600 EUR für das Geschäftslokal und mit brutto 350 EUR für die Wohnung vereinbart. Hinsichtlich der Mietwohnung besteht rechnerisch ein offener Bestandzins in Höhe von insgesamt 5.600 EUR, hinsichtlich des Geschäftslokals ein solcher in Höhe von 3.600 EUR. Pandemiebedingt gab es in der Gastronomie behördliche Betriebsschließungen in den Zeiträumen vom 16. März 2020 bis 14. Mai 2020, vom 3. November 2020 bis 18. Mai 2021 und vom 22. November 2021 bis 16. Dezember 2021. Die Beklagte hat die Bestandzinse für das Geschäftslokal im März, April und Mai 2020 vorbehaltlos geleistet. In den Monaten November 2020 bis April 2021 leistete sie keine Zinszahlungen.
[2] Mit Klage vom 11. März 2022 machte der Kläger an Bestandzinsrückständen und Mahnspesen (500 EUR) eine Gesamtforderung von 9.700 EUR geltend.
[3] Die Beklagte entgegnete, dass die behaupteten Zinsrückstände, die mehr als drei Jahre vor Klagseinbringung zurückreichten, verjährt seien. Außerdem habe es in den Jahren 2018 und 2019 aufgrund von Umbauarbeiten Beeinträchtigungen bei der Wasserzufuhr und der Heizung in der Wohnung gegeben. Die für das Geschäftslokal nicht gezahlten bzw zurückgeforderten Bestandzinse beträfen Zeiträume pandemiebedingter Betriebsschließungen. Da während dieser Zeit keine Betriebsführung möglich gewesen sei, schulde sie auch keine Bestandzinse.
[4] Das Erstgericht erkannte die Beklagte mit Teilurteil schuldig, dem Kläger 5.425 EUR sA zu zahlen; das Mehrbegehren von 4.275 EUR wies es ab; die Kostenentscheidung behielt es der Endentscheidung vor. Für den Heizungs- und Warmwasserausfall im Jänner 2020 und Oktober 2020 sei eine Mietreduktion in Höhe von insgesamt 175 EUR gerechtfertigt. Der Verjährungseinwand der Beklagten sei nicht berechtigt, weil es sich – unter Berücksichtigung der Tilgungsreihenfolge nach §§ 1415 f ABGB – bei den klagsgegenständlichen Mietzinszahlungs-zeiträumen um solche handle, die nicht von der dreijährigen Verjährungsfrist betroffen seien. Für Zeiträume, in denen das Geschäftslokal pandemiebedingt geschlossen und daher unbenützbar gewesen sei, müsse die Beklagte keine Bestandzinse entrichten. Die Bestandzinse für die Monate November 2020 bis April 2021 könne der Kläger daher nicht geltend machen. Die von der Beklagten für die Monate März bis Mai 2020 gezahlten Bestandzinse könne diese jedoch nicht zurückfordern, weil sie die Zahlungen ohne Vorbehalt geleistet habe. Davon ausgehend ergebe sich für die Mietwohnung ein Bestandzinsrückstand von 5.425 EUR; für das Geschäftslokal bestehe aufgrund der sechsmonatigen Zinsbefreiung kein Rückstand.
[5] Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten nicht Folge und bestätigte das erstgerichtliche Urteil unter Hinweis auf § 500a ZPO mit der Maßgabe, dass es (im Sinn eines dreigliedrigen Urteilsspruchs) die Klagsforderung mit 5.425 EUR als zu Recht bestehend, die eingewendete Gegenforderung hingegen als nicht zu Recht bestehend feststellte und die Beklagte daher schuldig erkannte, dem Kläger 5.425 EUR sA zu bezahlen; das Mehrbegehren wies es ab. Die ordentliche Revision erklärte es mangels erheblicher Rechtsfrage für nicht zulässig. Das Erstgericht habe sowohl von den gesetzlichen Tilgungsregeln der §§ 1415 f ABGB richtig Gebrauch gemacht als auch zutreffend beurteilt, dass der Schuldner, der Zweifel über den Bestand der Schuld habe und dennoch vorbehaltlos leiste, keinen Rückforderungsanspruch habe.
[6] Gegen den stattgebenden Teil dieser Entscheidung (soweit die Klagsforderung den Betrag von 2.100 EUR übersteige und die Gegenforderung nicht im Betrag von 1.950 EUR berücksichtigt worden sei) richtet sich die Revision der Beklagten, die auf einen Zuspruch an den Kläger lediglich in Höhe von 150 EUR abzielt.
[7] Mit seiner – vom Obersten Gerichtshof freigestellten – Revisionsbeantwortung beantragt der Kläger, das Rechtsmittel der Gegenseite zurückzuweisen, in eventu, diesem den Erfolg zu versagen.
[8] Die Revision ist entgegen dem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden – Ausspruch des Berufungsgerichts zulässig, weil das Berufungsgericht von den Rechtsgrundsätzen zur Rückforderung nicht geschuldeter Mietzinszahlungen abgewichen ist. Dementsprechend ist die Revision auch teilweise berechtigt.
Rechtliche Beurteilung
[9] 1. Ob es sich hinsichtlich der beiden Bestandobjekte um einen einheitlichen Bestandvertrag handelt oder getrennte Verträge vorliegen (vgl dazu 4 Ob 178/22p), muss hier nicht geklärt werden. Der Kläger machte sowohl außergerichtlich als auch im vorliegenden Verfahren eine Gesamtforderung geltend. Die Vorinstanzen nahmen ebenfalls eine einheitliche Abrechnung vor und die Beklagte trat dieser Vorgangsweise bis zuletzt nicht entgegen.
[10] 2. Im Revisionsverfahren ist nur mehr die Frage der Verjährung der offenen Mietzinsforderungen für die Wohnung und die Rückforderbarkeit der Zinszahlungen für das Geschäftslokal während der pandemiebedingten Betriebsschließung in den Monaten März bis Mai 2020 zu klären.
[11] 3.1 Zur Klagsforderung beharrt die Beklagte auf ihrem Standpunkt, dass die geltend gemachten offenen Mietzinsforderungen verjährt seien, soweit sie den Betrag von 2.100 EUR überstiegen. Der Kläger habe nie eine Erklärung dahin abgegeben, dass er geleistete Mietzinszahlungen auf die älteste Schuld anrechne. Daraus sei der rechtliche Schluss zu ziehen, dass sämtliche Zinsrückstände verjährt seien, die mehr als drei Jahre vor Klagseinbringung zurückreichten.
[12] Damit verkennt die Beklagte die Regelungen zur Tilgung mehrerer offener Schuldposten.
[13] 3.2 Sofern Schuldner und Gläubiger keine Vereinbarung getroffen haben, welche von mehreren Schuldposten getilgt werden soll, gilt gemäß § 1415 ABGB jene Schuld als abgetragen, die der Schuldner bezeichnet, es sei denn, der Gläubiger hat dagegen Widerspruch erhoben. Die (Widmungs-)Erklärung des Schuldners kann ausdrücklich oder schlüssig erfolgen (RS0034703); sie muss spätestens mit der Leistung zugehen. Erfolgt bis zu diesem Zeitpunkt keine Erklärung, so gilt die Willensmeinung des Schuldners als zweifelhaft, sodass – wie beim Widerspruch des Gläubigers – die gesetzliche Tilgungsreihenfolge gemäß § 1416 ABGB eintritt (9 Ob 129/03s). Danach sind Zahlungen zuerst auf Zinsen, dann auf das Kapital, von mehreren Kapitalien aber auf dasjenige anzurechnen, das schon eingefordert oder wenigstens fällig ist, und nach diesem auf dasjenige, welches schuldig zu bleiben dem Schuldner am meisten beschwerlich fällt (RS0105482; RS0115761; 3 Ob 2004/96v). Diese Tilgungsregeln gelten auch für die Verrechnung von Zahlungen auf Mietzinsrückstände. Dies bedeutet, dass ungewidmete Mietzinszahlungen zunächst auf die der jeweils ältesten offenen Mietzinsforderung zuzuordnenden Zinsen und dann auf die älteste Mietzinsforderung anzurechnen sind (9 Ob 129/03s).
[14] Die Vorinstanzen sind von diesen Grundsätzen ausgegangen und haben diese ausgehend von den im Detail festgestellten Mietzinszahlungen der Beklagten zutreffend angewandt.
[15] 4.1 Zur Gegenforderung (Rückforderung nach § 1104 ABGB nicht geschuldeter Mietzinse für die Monate März bis Mai 2020) führt die Beklagte in der Revision aus, dass die während einer pandemiebedingten Betriebsschließung gezahlten Mietzinse auch dann zurückgefordert werden könnten, wenn diese ohne Vorbehalt geleistet worden seien. Die höchstgerichtliche Judikatur zur fraglichen Mietzinsminderung sei erst im Laufe des Jahres 2022 entwickelt worden.
[16] Damit ist die Beklagte im Recht.
[17] 4.2 Nach mittlerweile gefestigter Rechtsprechung ist die COVID‑19-Pandemie als „Seuche“ im Sinn des § 1104 ABGB zu werten (RS0133812). Führen aufgrund dieser Pandemie durch Gesetz oder Verordnung angeordnete Betretungsverbote für Geschäftsräume in Bestandobjekten zu deren gänzlichen Unbenützbarkeit für den vereinbarten Geschäftszweck, so ist sowohl auf Miet- als auch auf Pachtverträge § 1104 ABGB anzuwenden (3 Ob 78/21y; 3 Ob 36/22y; 1 Ob 178/22s).
[18] Nach den bindenden Feststellungen bestand für den in der Revision der Beklagten beanspruchten Zeitraum vom 16. März 2020 bis 14. Mai 2020 für Gastronomiebetriebe eine behördliche Betriebsschließung, was dazu führte, dass die Beklagte das Geschäftslokal in dieser Zeit nicht in der vereinbarten Weise nutzen konnte. Sie war daher gemäß § 1104 ABGB von der Verpflichtung zur Zahlung des Bestandzinses befreit.
[19] 4.3 Die Ansicht der Vorinstanzen, dass die Beklagte die nicht geschuldeten Mietzinse nicht zurückfordern könne, weil sie die Zahlungen ohne Vorbehalt vorgenommen habe, lässt sich nicht aufrechterhalten.
[20] Richtig ist, dass die Rückforderung gemäß § 1431 ABGB (vgl RS0021337 [T2]) nach der Rechtsprechung ausgeschlossen ist, wenn der Schuldner über den Bestand der Schuld begründete Zweifel hatte und dennoch ohne Vorbehalt leistete, sofern die Zahlung den rechtsgeschäftlichen Zweck hatte, einen zwischen Gläubiger und Schuldner bestehenden Streit endgültig zu erledigen (RS0033612). Die Begründung für diese rechtliche Konsequenz findet sich darin, dass der Gläubiger in einem solchen Fall das Erklärungsverhalten des Schuldners im Sinn des § 863 ABGB als Verzicht auf die Zinsbefreiung werten darf. Dies bedeutet für den Anlassfall, dass nur eine ohne Irrtum – und daher bei Kenntnis oder begründeter Annahme der Zinsbefreiung – vorbehaltlos erfolgte Zahlung des Bestandzinses als konkludenter Verzicht auf den Bestandzinsbefreiungsanspruch gewertet werden könnte (vgl 1 Ob 55/21a). Ein Vorbehalt ist daher nur dann erforderlich, wenn der Gläubiger berechtigt unterstellen darf, der Schuldner habe begründete Zweifel an der Zahlungspflicht, und er nach dem objektiven Verständnis eines redlichen Erklärungsempfängers von einem Rückforderungsverzicht des Schuldners ausgehen darf.
[21] Anfang 2020 bestand über die rechtlichen Auswirkungen der pandemiebedingten behördlichen Maßnahmen auf Bestandverhältnisse noch völlige Unklarheit, weshalb die vorbehaltlos erfolgten Zahlungen der Beklagten für die Monate März bis Mai 2020 nicht als Verzicht auf deren Rückforderung gewertet werden können. Der Beklagten steht für die genannten drei Monate daher der geltend gemachte Rückforderungsanspruch zu, was dazu führt, dass die eingewendeten Gegenforderungen im Betrag von 1.800 EUR zu Recht bestehen. In diesem Sinn war in Stattgebung der Revision der Beklagten die angefochtene Entscheidung teilweise abzuändern.
[22] 5. Die Kostenentscheidung gründet sich hinsichtlich des erstinstanzlichen Verfahrens auf § 52 ZPO und im Übrigen auf § 43 Abs 1 iVm § 50 ZPO (vgl RS0035972).
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