European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0030OB00031.24S.0523.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Fachgebiet: Zivilverfahrensrecht
Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)
Spruch:
Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.
Der angefochtene Beschluss wird dahin abgeändert, dass die Entscheidung des Erstgerichts wiederhergestellt wird.
Die Kosten des Revisionsrekursverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.
Begründung:
[1] Die Klägerinnen sind Vermieterinnen und der Beklagte ist Mieter einer im ersten Stock eines Bauernhauses gelegenen 2-Zimmer-Wohnung.
[2] Mit der am 15. Juli 2022 beim Erstgericht eingebrachten Klage begehrten die Klägerinnen vom Beklagten die Räumung dieser Wohnung. Am 12. August 2022 erging über Antrag der Klägerinnen ein Versäumungsurteil, weil für den Beklagten bei der Tagsatzung niemand anwesend war. Am 29. September 2022 wurde die Rechtskraft‑ und Vollstreckbarkeitsbestätigung erteilt.
[3] Am 4. November 2022 beantragte der Beklagte die Aufhebung der Vollstreckbarkeitsbestätigung. Er habe die Ladung zur Tagsatzung und das Versäumungsurteil nicht zugestellt erhalten und erst durch seinen Dienstgeber vom Exekutionsverfahren erfahren. Zwischen 5. Juli und 9. August 2022 sei er auf Urlaub im Ausland gewesen. Er habe keine Hinterlegungsmitteilungen erhalten.
[4] Das Erstgericht hob – nach Durchführung eines Bescheinigungsverfahrens – die Bestätigung der Vollstreckbarkeit (sowie das Versäumungsurteil) auf.
[5] Klage und Ladung zur Tagsatzung vom 12. August 2022 seien dem Beklagten am 21. Juli 2022 durch Hinterlegung zugestellt worden. Da jedoch nicht feststellbar gewesen sei, ob in das Postfach des Beklagten eine Hinterlegungsanzeige eingelegt wurde, sei von einem gesetzwidrigen Zustellvorgang auszugehen. Klage und Ladung seien dem Beklagten nach dem Sachverhalt auch nicht tatsächlich zugekommen, weshalb eine Heilung des Zustellmangels ebenfalls ausgeschlossen sei.
[6] Das Rekursgericht änderte die Entscheidung dahin ab, dass es den Antrag auf Aufhebung der Bestätigung der Vollstreckbarkeit für das Versäumungsurteil abwies und den Beklagten zum Ersatz der Kosten des Zwischenstreits verpflichtete.
[7] Bei einem Rückschein handle es sich um eine öffentliche Urkunde; der Zustellnachweis begründe den vollen Beweis des darin angeführten Tages der Zustellung. Die bloße Behauptung des Empfängers, dass er keine Hinterlegungsanzeige erhalten habe, sei keine ausreichende Tatsachenbehauptung für einen Zustellfehler. Dem Beklagten sei der Gegenbeweis der behaupteten Vorschriftswidrigkeit der Zustellung nicht gelungen, weil das Erstgericht nur Negativfeststellungen (zur Frage der eingelegten Hinterlegungsanzeigen sowie der vorherigen Überprüfung der Ortsanwesenheit durch das Zustellorgan) getroffen habe. Da schon aus diesem Grund von einer gesetzmäßigen Zustellung sowohl der Klage samt Ladung als auch des Versäumungsurteils auszugehen sei, erübrige sich ein Eingehen auf die weiteren Rekursgründe und der Antrag sei abzuweisen.
[8] Gegen diese Entscheidung richtet sich der außerordentliche Revisionsrekurs des Beklagten wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, die Entscheidung des Erstgerichts wiederherzustellen; hilfsweise wird die Aufhebung des Beschlusses begehrt.
[9] Die Klägerinnen beantragen in der ihnen freigestellten Revisionsrekursbeantwortung, das Rechtsmittel zurückzuweisen, hilfsweise, ihm nicht Folge zu geben.
[10] Der Revisionsrekurs ist zulässig und berechtigt.
Rechtliche Beurteilung
[11] 1. Nach § 22 Abs 1 ZustG ist die Zustellung vom Zusteller auf dem Zustellnachweis (Zustellschein) zu beurkunden (RS0006957 [T5]; vgl auch RS0036420). Die vom Zusteller erstellten Zustellnachweise sind – wie das Rekursgericht zutreffend ausführte – nach § 292 Abs 1 ZPO öffentliche Urkunden, die, wenn sie die gehörige äußere Form aufweisen, den vollen Beweis dafür erbringen, dass die Zustellung vorschriftsmäßig erfolgt ist (RS0040473; RS0006957 [T5]; RS0036458). Allerdings kann eine Partei Umstände vorbringen, die geeignet sind, das Gegenteil zu beweisen oder „zumindest berechtigte Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Zustellvorgangs aufkommen zu lassen“ (5 Ob 261/05a mwN). Bei nicht offenkundigen Mängeln des Zustellvorgangs müssen solche Umstände vom Adressaten behauptet und zumindest glaubhaft gemacht werden (vgl RS0040471 [T2, T9]).
[12] 1.2 Vor der Erteilung einer Vollstreckbarkeits-bestätigung für ein Versäumungsurteil hat das Gericht selbständig im Rahmen der amtswegigen Überwachung des Zustellwesens (§ 87 Abs 1 ZPO) die gesetzmäßige Zustellung zu überprüfen (RS0111270). Weichen bei der gebotenen Prüfung des Zustellvorgangs Beweisergebnisse voneinander ab und kann der Sachverhalt auch nicht im Wege der Beweiswürdigung geklärt werden, so ist im Zweifel keine wirksame Zustellung anzunehmen (Stumvoll in Fasching/Konecny 3 § 22 ZustG Rz 8; Gitschthaler in Rechberger/Klicka, ZPO5 § 87 [§ 22 ZustG] Rz 5/1). In der Rechtsprechung wird daher grundsätzlich davon ausgegangen, dass verbleibende Zweifel an der Rechtswirksamkeit einer Zustellung „zu Lasten der Behörde“ gehen (4 Ob 90/21w mwN; RS0040471 [T4]; für die vergleichbare Frage der Rechtzeitigkeit eines Rechtsmittels: RS0006965). Beim Zustellnachweis begnügt sich die Rechtsprechung daher – auch wenn § 292 Abs 2 ZPO zur Widerlegung der beurkundeten Tatsachen an sich den Beweis des Gegenteils erfordert – mit dem Gegenbeweis. Für die Annahme der Unwirksamkeit der Zustellung reicht es demnach aus, dass letztlich Zweifel an der Wirksamkeit der Zustellung verbleiben (3 Ob 225/21s mwN; vgl auch 3 Ob 134/23m mwN).
[13] 1.3 Die Partei, die sich darauf beruft, dass – ungeachtet eines vom Zusteller erstellten Zustellnachweises – keine wirksame Zustellung an sie erfolgt und beispielsweise keine Mitteilung über die Hinterlegung in das Postfach eingeworfen worden ist, muss – entgegen der Rechtsansicht des Rekursgerichts – nicht den „positiven“ Gegenbeweis führen, dass das Zustellorgan entgegen seiner Beurkundung tatsächlich keine Hinterlegungsanzeige eingelegt hat. Es reicht vielmehr aus, dass letztlich Zweifel an der Wirksamkeit der Zustellung verbleiben (5 Ob 261/05a mwN; 4 Ob 90/21w mwN; ebenso auch 3 Ob 134/23m).
[14] 2.1 Das Erstgericht ist auf der Grundlage des von ihm durchgeführten Beweisverfahrens zu dem Schluss gekommen, dass es nicht feststellbar sei, ob/dass eine Hinterlegungsmitteilung über die Zustellung der Räumungsklage mit Ladung zur Tagsatzung vom jeweiligen Zusteller in das Postfach des Beklagten eingelegt wurde. Ebenso konnte auch nicht festgestellt werden, ob eine Hinterlegungsmitteilung über die Zustellung des Versäumungsurteils in das Postfach des Beklagten eingelegt wurde. Die Überlegungen des Erstgerichts zur – mit einem anlässlich des Lokalaugenscheins angefertigten Lichtbild dokumentierten – Ausgestaltung der Postfächer sowie zu den Aussagen der vernommenen Personen zeigen, dass diese Formulierung im Sinn eines „non liquet“ gemeint ist, dass also zur Frage des Einwurfs der entsprechenden Mitteilungen über die Hinterlegung in das Postfach des Beklagten keine Feststellung getroffen werden kann. Entgegen der Rechtsansicht der Klägerinnen hatte das Erstgericht an einem erfolgten (richtigen) Einwurf der Mitteilungen über die Hinterlegung die in der Beweiswürdigung seiner Entscheidungsbegründung ausgeführten Zweifel.
[15] 2.2 Die Klägerinnen haben diese Feststellungen in ihrem Rekurs zwar ausdrücklich beanstandet, allerdings ist nach ständiger Rechtsprechung die aufgrund unmittelbarer Beweisaufnahme erfolgte Beweiswürdigung im Rekursverfahren nicht bekämpfbar (RS0044018 [T5, T6]; dazu auch Sloboda in Fasching/Konecny 3 § 514 Rz 82 mwN). Die im Rekurs der Klägerinnen als „Mangelhaftigkeit des Verfahrens“ betitelten Ausführungen betreffen inhaltlich ausschließlich die Beweiswürdigung, weshalb sich auch dazu eine Aufhebung des angefochtenen Beschlusses zum Nachtrag einer Begründung durch das Rekursgericht erübrigt.
[16] 3. Der angefochtene Beschluss des Rekursgerichts ist daher aufzuheben und die zutreffende Entscheidung des Erstgerichts, mit der die Bestätigung der Vollstreckbarkeit für das Versäumungsurteil aufgehoben wurde, wiederherzustellen.
[17] 4. Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 52 ZPO.
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