OGH 3Ob170/23f

OGH3Ob170/23f28.2.2024

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Höllwerth als Vorsitzenden sowie den Hofrat Hon.‑Prof. Dr. Brenn, die Hofrätinnen Dr. Weixelbraun‑Mohr und Dr. Kodek und den Hofrat Dr. Stefula als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei M* M*, vertreten durch Mag. Martin J. Moser, Rechtsanwalt in Innsbruck, gegen die beklagten Parteien 1. S* S.p.A., *, vertreten durch die bpv Hügel Rechtsanwälte GmbH in Wien, und 2. F* S.p.A., *, vertreten durch die Thurnher Witwer Pfefferkorn und Partner Rechtsanwälte GmbH in Dornbirn, und der Nebenintervenientinnen auf Seite der beklagten Parteien 1. S* GmbH, *, vertreten durch die Hochleitner Rechtsanwälte GmbH in Eferding, und 2. C* GmbH, *, vertreten durch Mag. Klaus Ferdinand Lughofer, LL.M., und andere Rechtsanwälte in Linz, wegen 72.817 EUR sA, in eventu Feststellung, über die Rekurse der erstbeklagten Partei und der Zweitnebenintervenientin gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 17. Mai 2023, GZ 4 R 105/22x, 4 R 106/22v‑74, mit welchem das Urteil des Landesgerichts Wels vom 10. Mai 2022, GZ 8 Cg 13/22s‑56, aufgehoben und die Rechtssache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0030OB00170.23F.0228.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage

 

Spruch:

Die Rekurse werden zurückgewiesen.

Die erstbeklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 3.284,81 EUR (darin enthalten 547,47 EUR USt) bestimmten Kosten derRekursbeantwortung ON 87 binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Die beklagten Parteiensind zur ungeteilten Hand schuldig, der klagenden Partei die mit 3.284,81 EUR (darin enthalten 547,47 EUR USt) bestimmten Kosten derRekursbeantwortung ON 83 binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Begründung:

[1] Der Kläger erwarb ein Wohnmobil, dessen Basisfahrzeug von der Erstbeklagten hergestellt wurde und für welches die Zweitbeklagte – zumindest nach dem Vorbringen des Klägers – den Motor herstellte.

[2] Der Kläger begehrt mit dem Vorbringen, das Fahrzeug weise unzulässige Abschalteinrichtungen auf, die Beklagten zur ungeteilten Hand zur Zahlung von 72.817 EUR samt 4 % Zinsen seit 2. 5. 2019 Zug um Zug gegen Rückstellung des Fahrzeugs zu verurteilen.

[3] Das Erstgericht wies die Klage mit der wesentlichen Begründung ab, der Kläger habe keinen Schaden nachzuweisen vermocht.

[4] Das Berufungsgericht hob dieses Urteil auf und verwies die Rechtssache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurück.

[5] Das Fahrzeug weise eine unzulässige Abschalteinrichtung auf, weil nach 22 Minuten die Abgasrückführung erheblich reduziert oder überhaupt unterbunden werde. Das Fahrzeug sei hierdurch latent mit einer Unsicherheit hinsichtlich der rechtlichen Nutzungsmöglichkeit behaftet. Damit liege sehr wohl grundsätzlich ein Schaden vor. Für die unzulässige Abschalteinrichtung habe die Zweitbeklagte als Fahrzeugherstellerin aufgrund der von ihr ausgestellten, objektiv unrichtigen Übereinstimmungsbescheinigung einzustehen. Das Erstgericht werde im fortgesetzten Verfahren Feststellungen zur Frage zu treffen haben, ob das mit der unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestattete Fahrzeug dennoch den konkreten Erwartungen des Klägers entsprochen habe. Für den Fall der Bejahung des geltend gemachten Schadenersatzanspruchs seien auch Feststellungen zu treffen, die eine Ausmittlung des Benützungsentgelts, das sich der Kläger anrechnen lassen müsse, ermöglichen.

[6] Hinsichtlich der Zweitbeklagten erkannte das Berufungsgericht sowohl einen Erörterungsbedarf iSd §§ 182, 182a ZPO – es fehle Tatsachenvorbringen zu ihrer behaupteten Haftung – als auch sekundäre Feststellungsmängel.

[7] Das Berufungsgericht ließ den Rekurs gegen den Aufhebungsbeschluss nach § 519 Abs 1 Z 2 ZPO mit der Begründung zu, es fehle höchstgerichtliche Rechtsprechung zur Frage der Zulässigkeit einer zeitlichen Abschaltfunktion wie der hier vorliegenden sowie zur Haftung eines Komponentenzulieferers (Motorherstellers), der keine Übereinstimmungsbescheinigung ausgestellt habe, aber im COC als Hersteller der Antriebsmaschine aufscheine.

[8] Gegen den Aufhebungsbeschluss richten sich die Rekurse der Erstbeklagten und der Zweitnebenintervenientin mit einem jeweils auf Klageabweisung gerichteten Abänderungsantrag.

[9] Der Kläger beantragt in seinen Rekursbeantwortungen die Zurückweisung der Rechtsmittel, hilfsweise die angefochtene Entscheidung zu bestätigen.

Rechtliche Beurteilung

[10] Die Rekurse sind ungeachtet des – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden – Ausspruchs des Berufungsgerichts mangels einer Rechtsfrage von der in § 519 Abs 2 ZPO geforderten Qualität nicht zulässig.

[11] 1. Vorauszuschicken ist, dass das Vorliegen einer erheblichen Rechtsfrage nach dem Zeitpunkt der Entscheidung über das Rechtsmittel durch den Obersten Gerichtshof zu beurteilen ist. Eine im Zeitpunkt der Einbringung eines Rechtsmittels tatsächlich vorliegende erhebliche Rechtsfrage fällt somit weg, wenn sie durch eine andere Entscheidung des Obersten Gerichtshofs in der Zwischenzeit geklärt wird (RS0112769 [T9, T11, T12]).

[12] 2. Nach den Feststellungen ist das streitgegenständliche Fahrzeug „mit einer Abgas‑ bzw NOx‑Reduktionsstrategie (Verringerung/Abschaltung) ausgestattet, welche die Abgasrückführung nach einer Fahrt‑ und Betriebszeit des Motors von 22 Minuten erheblich reduziert oder überhaupt unterbindet“. An dieser Sachlage vermögen die Ausführungen im Rekurs der Erstbeklagten nichts zu ändern; der Oberste Gerichtshof ist keine Tatsacheninstanz.

[13] 3. Der Oberste Gerichtshof hat bereits wiederholt entschieden, dass Mechanismen, die die Abgasrückführung im normalen Fahrbetrieb, der in der Regel länger als 22 Minuten dauert, nach 22 Minuten oder dergleichen drastisch reduzieren oder sogar gänzlich aussetzen, unzulässige Abschalteinrichtungen iSd Art 5 der Verordnung (EG) Nr 715/2007 sind (4 Ob 119/23p [Rz 16]; 7 Ob 83/23s [Rz 14]; 8 Ob 70/23m [Rz 23 f]). Die vom Berufungsgericht vermisste höchstgerichtliche Rechtsprechung liegt daher im maßgeblichen Zeitpunkt der Fassung dieses Beschlusses bereits vor.

[14] 4. Nur derjenigen Person oder Stelle kann eine Verletzung des Art 5 VO 715/2007/EG zur Last gelegt werden, die im Typengenehmigungsverfahren als Herstellerin des Fahrzeugs auftrat und die Übereinstimmungsbescheinigung ausstellte (RS0134616; 3 Ob 40/23p [Rz 33]). Der vom Fahrzeughersteller verschiedene Motorenhersteller ist folglich nicht Adressat dieses Schutzgesetzes (10 Ob 31/23s [Rz 48]). Eine (unmittelbare) Haftung des bloßen Motorenherstellers ist aber, wie vom Obersten Gerichtshof bereits mehrfach ausgesprochen, unter den Voraussetzungen des § 1295 Abs 2 und § 874 ABGB möglich (3 Ob 40/23p [Rz 34]; 6 Ob 16/23f [Rz 21] mwN).

[15] Auch die zweite vom Berufungsgericht als erheblich iSd § 519 Abs 2 ZPO angesehene Frage ist damit bereits geklärt.

[16] 5. Die Ausführungen der Erstbeklagten zur Frage, ob auch eine unzulässige Abschalteinrichtung wegen eines sogenannten Thermofensters vorliegt, sind nicht entscheidungsrelevant.

[17] 6. Die höchstgerichtliche Rechtsprechung sieht den Schaden schon im Erwerb eines mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung versehenen Fahrzeugs wegen der damit verbundenen latenten Unsicherheit hinsichtlich der rechtlichen Nutzungsmöglichkeiten (zB 5 Ob 159/23b [Rz 10 f, 15]; 6 Ob 84/23f [Rz 33] ua). Der angefochtene Beschluss steht hiermit im Einklang.

[18] 7. Die Zweitnebenintervenientin führt in ihrem Rekurs ins Treffen, die italienische Zulassungsbehörde MIT habe erklärt, die Abgasstrategie beim vorliegenden Fahrzeugtyp geprüft und für in Ordnung befunden zu haben, und dass diese Behörde keinen Anlass für einen Typengenehmigungsentzug sehe. Die Frage, ob aufgrund der Unzulässigkeit der Abschalteinrichtung latent die Gefahr einer Betriebsuntersagung des Fahrzeugs droht, ist aber an der objektiven Rechtslage zu messen (9 Ob 65/22g [Rz 47] mwN). Einschätzungen von Behördensind daher ohne Relevanz.

[19] Auf die Frage, ob nach der objektiven Rechtslage ein Entzug der EG‑Typengenehmigung bzw Betriebsbewilligung möglich ist, wird in den Rechtsmitteln nicht substantiiert eingegangen.

[20] 8. Die Erstbeklagte beruft sich auf einen unverschuldeten „Verbotsirrtum“ (gemeint wohl: Rechtsirrtum); sie treffe an der Schutzgesetzverletzung kein Verschulden. Weil „zu diesem Themenkomplex“ höchstgerichtliche Rechtsprechung fehle, sei der Rekurs zulässig. Die Zweitnebenintervenientin führt ergänzend ins Treffen, der Kläger habe nicht vorgebracht, mit welcher konkreten Handlung Mitarbeiter der beklagten Parteien einen objektiven Sorgfaltsverstoß begangen hätten.

[21] Nach ständiger Rechtsprechung trifft den Schädiger – nicht den Geschädigten, wie von der Zweitnebenintervenientin angenommen – die Behauptungs‑ und Beweislast dafür, dass ihn an der Übertretung eines Schutzgesetzes kein Verschulden trifft (RS0112234 [T1]). Dazu muss er auf Tatsachenebene konkrete und stichhaltige Umstände vortragen, die sein Verhalten als nicht einmal fahrlässig erscheinen lassen (3 Ob 121/23z [Rz 23]). Hieran fehlt es hier.

[22] Für die Annahme eines unverschuldeten Rechtsirrtums der Erstbeklagten über die Zulässigkeit der Abschalteinrichtung käme es darauf an, aufgrund welcher konkreten Prüfschritte und/oder Ereignisse welche der ihr zurechenbaren Personen darauf vertrauen durften und auch konkret darauf vertraut haben, dass und warum die verbaute Abschalteinrichtung nach den unionsrechtlichen Normen ausnahmsweise zulässig war (8 Ob 109/23x [Rz 29 f] mwN).

[23] 7. Die Kostenentscheidung beruht auf § 41 iVm § 50 Abs 1 ZPO. Im Zwischenstreit über die mangels erheblicher Rechtsfrage verneinte Zulässigkeit des Rechtsmittels gegen einen Aufhebungsbeschluss iSd § 519 Abs 1 Z 2 ZPO des Berufungsgerichts findet ein Kostenvorbehalt nach § 52 ZPO nicht statt (RS0123222 [T4]).

[24] Der Kläger hat in seinen Rekursbeantwortungen auf die mangelnde Zulässigkeit der Rechtsmittel hingewiesen und daher Anspruch auf Kostenersatz (RS0123222 [T8]). Kostenersatzpflichtig ist ihm für die Kosten der Beantwortung ihres eigenen Rekurses die Erstbeklagte. Für die Beantwortung des Rekurses der Zweitnebenintervenientin sind beide Beklagten – auf deren Seite die Zweitnebenintervenientin beitrat – zur ungeteilten Hand dem Kläger ersatzpflichtig (vgl allgemein RS0036057). Dass der Kläger zwei Rekursbeantwortungen erstattete, war wegen der zeitlich um viele Tage auseinanderfallenden Zustellung der beiden – inhaltlich auch nicht deckungsgleichen – Rekursean ihn gerechtfertigt (vgl RS0036116).

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