European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0030OB00156.23X.0906.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Fachgebiet: Unterhaltsrecht inkl. UVG
Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage
Spruch:
Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.
Begründung:
[1] Das Rekursgericht bestätigte die erstgerichtliche Abweisung des Antrags des nunmehr wieder in seine Heimat Rumänien zurückgekehrten und hier – nach seiner eigenen Angabe – derzeit umgerechnet rund 287 EUR ins Verdienen bringenden Vaters, seine Unterhaltspflicht gegenüber den 2011 bzw 2015 geborenen, weiterhin in Österreich bei der Mutter wohnhaften Kindern von derzeit (auf einer Anspannung zur Erzielung eines Einkommens von monatlich 1.100 EUR beruhend – rk Beschluss vom 20. 5. 2022, ON 84) rund 210 EUR (= 19 % der Bemessungsgrundlage) bzw 180 EUR (= 16 % der Bemessungsgrundlage) auf 46 EUR bzw 38 EUR herabzusetzen. Es übernahm insbesondere die Feststellung des Erstgerichts, dass der Antragsteller – kurz vor seiner Rückkehr nach Rumänien – aus dem Verkauf einer Wohnung in Österreich 122.500 EUR ausbezahlt erhielt und ging ergänzend davon aus, dass die Lebenserhaltungskosten in Rumänien etwa halb so hoch wie in Österreich sind. Rechtlich ging das Rekursgericht – wie aus seiner in diesem Verfahren zuvor ergangenen Entscheidung vom 31. 10. 2022, ON 89, ersichtlich – davon aus, dass dem Antragsteller die Rückkehr in sein Heimatland Rumänien nach Scheitern seiner Ehe in Österreich nicht als Unterhaltsflucht vorzuwerfen sei und somit bei der Unterhaltsbemessung grundsätzlich nur das von ihm im Ausland erzielte bzw erzielbare Einkommen zugrunde zu legen wäre. Der aus dem Wohnungsverkauf erzielte Erlös dürfe aber nicht unberücksichtigt bleiben, weil der Regelbedarf der beiden Minderjährigen aktuell 410 EUR bzw 500 EUR betrage und der ihnen zuerkannte Unterhalt, dessen Herabsetzung der Antragsteller anstrebe, ohnehin nur etwa die Hälfte dessen sei. Der Verkaufserlös für die Wohnung müsse in die Bemessungsgrundlage einbezogen werden, und zwar auch soweit, als der Antragsteller damit notwendige Ausgaben abgedeckt habe. Es komme darauf an, wie sich ein pflichtbewusster, mit den Kindern zusammenlebender Vater verhalten würde. Ein solcher würde die Minderjährigen an seinem Vermögen teilhaben lassen, indem er ihnen den laufenden Unterhalt, der ohnehin nicht einmal die Hälfte des Regelbedarfs ausmache, weiter zahle. Rechnerisch wies das Rekursgericht darauf hin, dass bei Hinzuzählung von monatlich 813 EUR aus dem Wohnungserlös zum monatlichen Einkommen des Antragstellers von 287 EUR sich die bisherige Bemessungsgrundlage von 1.100 EUR ergebe und es damit sogar ohne Berücksichtigung fiktiver Zinsen dem Antragsteller möglich gewesen wäre, rund 150 Monate lang (813 x 150 = rund 122.500) den Antragsgegnern den bisherigen, ohnehin nur etwa die Hälfte des Regelbedarfs betragenden Unterhalt weiter auszuzahlen. Der Antragsteller habe deshalb (derzeit) kein Recht auf Unterhaltsherabsetzung.
[2] Das Rekursgericht ließ den ordentlichen Revisionsrekurs „wegen der Besonderheiten des Einzelfalls (geringes Einkommen des Vaters, der aber zuvor in Österreich zu einem nicht unbeträchtlichen Vermögen gekommen ist)“ zu.
[3] Entgegen dem den Obersten Gerichtshof nach § 71 Abs 1 AußStrG nicht bindenden Ausspruch des Rekursgerichts ist der Revisionsrekurs des Antragstellers mangels Darstellung einer erheblichen Rechtsfrage im Sinne des § 62 Abs 1 AußStrG nicht zulässig.
Rechtliche Beurteilung
[4] 1. Die Anwendbarkeit materiellen österreichischen Unterhaltsrechts zur Entscheidung dieses Rechtsstreits wird im Revisionsrekurs zu Recht nicht in Zweifel gezogen. Dies gilt insbesondere auch für die Frage, ob und inwieweit der Antragsteller nicht nur sein Einkommen, sondern auch sein Vermögen zur Unterhaltsleistung verwenden muss (Huter in Geroldinger/Neumayr, Praxiskommentar Internationales Zivilverfahrensrecht III [2022] Art 11 HUntP Rz 23 und 25).
[5] 2. Der Unterhaltsbedarf von Kindern richtet sich nach ihrem gewöhnlichen Aufenthaltsort. Dies schließt nicht aus, bei der Bemessung ihres Unterhaltsanspruchs auch das Lohnniveau und die Lebenshaltungskosten des Unterhaltspflichtigen an dessen gewöhnlichem Aufenthaltsort zu berücksichtigen (vgl RS0106532 [T5]). Lebt der Unterhaltspflichtige im Ausland, ist die Belastungsgrenze (§ 231 ABGB) nicht nach österreichischen Verhältnissen, sondern anhand der Lebenshaltungskosten in seinem Wohnsitzstaat festzusetzen (10 Ob 26/18y [Pkt 4.2.]). Dem Unterhaltspflichtigen muss nach Abzug aller von ihm zu leistenden Unterhaltsbeträge noch so viel von seinem Einkommen verbleiben, dass seine wirtschaftliche Existenz nicht gefährdet wird (vgl RS0008667), wenngleich er grundsätzlich alle Kräfte anzuspannen hat, um seiner Verpflichtung nachkommen zu können. Im Falle der Notwendigkeit hat er sich hiezu auch strengen finanziellen Einschränkungen zu unterziehen (RS0047686 [T2, T7, T30]).
[6] Diese Rechtslage kann in Fällen, in denen die Kinder in Österreich, der Geldunterhaltspflichtige hingegen in Rumänien lebt, aufgrund des dortigen geringeren Lohnniveaus dazu führen, dass die Kinder aufgrund der dem Unterhaltspflichtigen zugutekommenden Belastungsgrenze einen sehr geringen Unterhaltsanspruch besitzen (vgl 10 Ob 26/18y: 45 EUR).
[7] 3. Das Rekursgericht hat aber zutreffend erkannt, dass anderes gilt, wenn der Unterhaltspflichtige zwar nur ein sehr geringes Einkommen hat, aber über Vermögen verfügt und dessen Verwendung für den Unterhalt ihm zumutbar ist:
[8] 3.1. Der Vermögensstamm des Unterhaltspflichtigen ist nach herrschender Auffassung für den Unterhalt regelmäßig ohne Belang. Er ist ausnahmsweise bei der Unterhaltsbemessung aber dann zu berücksichtigen, wenn – erster Ausnahmefall – die erforderlichen Unterhaltsleistungen nicht aus dem laufenden Einkommen bestritten werden können, wobei der Durchschnittsbedarfssatz („Regelbedarf“) einen Richtwert für den „erforderlichen“ Unterhalt darstellt, oder – zweiter Ausnahmefall – wenn der Unterhaltspflichtige selbst die Substanz seines Vermögens heranzieht, um damit die Kosten der von ihm gewählten Lebensführung zu decken und den für die Lebensführung verwendeten Beträgen im Ergebnis jeweils (zusätzliche) Einkommensfunktion für zuordenbare Perioden zukommt (8 Ob 33/20s [Pkt 2.1]; iglS 3 Ob 172/16i [Pkt 2.2 und 2.3]; zum ersten Ausnahmefall siehe RS0047494, zum zweiten RS0117850).
[9] 3.2. Im genannten ersten Ausnahmefall hängt die Heranziehung des Vermögensstamms zur Deckung des Unterhalts zudem davon ab, dass sie dem Unterhaltspflichtigen zumutbar ist (RS0047494). Bei der Beurteilung der Zumutbarkeit ist auf die Maßfigur eines pflichtbewussten Familienvaters abzustellen und zu beurteilen, ob dieser in der Lage des Unterhaltspflichtigen den Stamm seines Vermögens zur Deckung des Kindesunterhalts heranziehen würde (zB 6 Ob 106/11y; 3 Ob 65/15b [aE]; 9 Ob 56/18b [Pkt 1.3]). Ob und in welchem Umfang für Unterhaltsleistungen die Heranziehung des Vermögensstamms des Unterhaltspflichtigen, wozu auch der Verkaufserlös von Liegenschaften gehört, zumutbar ist, ist nach den besonderen Verhältnissen des Einzelfalls zu prüfen und daher nur dann vom Obersten Gerichtshof überprüfbar, wenn dem zweitinstanzlichen Gericht eine auffallende Fehlbeurteilung unterlief (9 Ob 56/18b [Pkt 1.2] mwN).
[10] 4.1. Die Entscheidung des Rekursgerichts zur Heranziehung des Verkaufserlöses findet prinzipiell bereits im genannten ersten Ausnahmefall Deckung, weshalb es auf die allein für den zweiten Ausnahmefall relevante Frage, ob die Verwendung des Vermögensstamms Einkommensfunktion für zuordenbare Perioden besitzt (3 Ob 172/16i [Pkt 2.3.a]; 6 Ob 89/17g [Pkt 1.2.]; 8 Ob 33/20s [Pkt 2.1.]), entgegen dem Revisionsrekurs nicht ankommt.
[11] 4.2. Der Revisionsrekurs lässt im Dunkeln, warum sich das Rekursgericht bei der Bestimmung des erforderlichen Unterhalts nicht am Regelbedarf hätte orientieren dürfen, ist dieser doch nach der Rechtsprechung insofern ein Richtwert (zB 3 Ob 172/16i [Pkt 2.2.]; 8 Ob 33/20s [Pkt 2.1.]). Entgegen dem Revisionsrekurs hat das Rekursgericht den erforderlichen Unterhalt auch nicht mit dem Regelbedarf gleichgesetzt, sondern letztlich im Ergebnis nur die Ansicht vertreten, der erforderliche Unterhalt könne nicht weniger als die Hälfte des Regelbedarfs sein und soweit die Einkünfte des Antragstellers – unter Berücksichtigung der ihm zugute kommenden Belastungsgrenze – zur Zahlung dessen nicht hinreichten, müsse dieser seinen Vermögensstamm angreifen.
[12] 4.3. Dass das Rekursgericht rechnerisch einen Betrag von monatlich 813 EUR aus dem Verkaufserlös in die Unterhaltsbemessungsgrundlage einbezog, entspricht gleichfalls der Rechtsprechung (4 Ob 43/20g [Pkt 4.]).
[13] 4.4. Der Antragsteller zieht im Revisionsrekurs in Zweifel, dass ihm die Heranziehung des Erlöses aus dem Verkauf der Wohnung zur Begleichung des Kindesunterhalts zumutbar gewesen wäre. Selbst wenn man grundsätzlich seine Ansicht teilen wollte, die auf den Seiten 4 und 5 des erstgerichtlichen Beschlusses aufgelisteten, aus dem Verkaufserlös getätigten Ausgaben seien sachlich gerechtfertigt und es wäre ihm daher unzumutbar gewesen, das Geld aus dem Wohnungsverkauf insofern für den Unterhalt der Kinder zurückzubehalten, so kann dies doch jedenfalls nicht auch für den sich in dieser Auflistung findenden Betrag von 60.600 EUR gesagt werden, den der Antragsteller aus dem Verkaufserlös nach eigenen Angaben zur Begleichung von Schulden bei Verwandten verwendete. Unterhaltsverpflichtungen gehen grundsätzlich allen anderen Verbindlichkeiten des Unterhaltspflichtigen vor (3 Ob 19/97h; 10 Ob 57/11x; Stefula in KBB7 [2023] § 231 ABGB Rz 15). Der Antragsteller hat zu keinem Zeitpunkt behauptet, dass die Verwandten die Begleichung dieses Betrags aus dem Verkauf der Wohnung von ihm verlangt oder dass sie ihre Forderungen gar gerichtlich betrieben haben. Ein pflichtbewusster Familienvater hätte in seiner Lage jedenfalls den Betrag von 60.600 EUR aus dem Wohnungsverkauf zurückbehalten, um seinen Kindern den bereits bestimmten, ohnehin nur rund die Hälfte des Regelbedarfs betragenden Unterhalt zumindest in den nächsten Jahren gesichert zukommen zu lassen. Dies reicht hin, um den jetzt gestellten Unterhaltsherabsetzungsantrag abzuweisen.
[14] 5. Weil der angefochtene Beschluss aus den genannten Gründen in der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs Deckung findet und keine erhebliche Rechtsfrage von der in § 62 Abs 1 AußStrG geforderten Qualität geltend gemacht wird, ist der Revisionsrekurs ungeachtet des Zulässigkeitsausspruchs des Rekursgerichts zurückzuweisen.
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)