OGH 3Ob152/12t

OGH3Ob152/12t17.10.2012

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Prückner als Vorsitzenden sowie den Hofrat Hon.‑Prof. Dr. Neumayr, die Hofrätin Dr. Lovrek und die Hofräte Dr. Jensik und Dr. Roch als weitere Richter in der Rechtssache der betreibenden Partei Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch die Republik Österreich, diese vertreten durch die Finanzprokuratur in Wien, gegen die verpflichtete Partei D*****, vertreten durch Mag. Ralf Staindl, Rechtsanwalt in Salzburg, wegen 17.033.201,88 EUR sA, über den Revisionsrekurs der betreibenden Partei gegen den Beschluss des Landesgerichts Salzburg als Rekursgericht vom 6. Juni 2012, GZ 53 R 53/12v‑27, womit über Rekurs der verpflichteten Partei der Beschluss des Bezirksgerichts Salzburg vom 24. Jänner 2012, GZ 7 E 2824/11f‑21, abgeändert wurde, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die angefochtene Entscheidung wird dahin abgeändert, dass der Beschluss des Erstgerichts im Umfang der Exekutionsbewilligung wiederhergestellt wird.

Die Kosten der betreibenden Partei im Revisionsrekursverfahren werden mit 144.832,05 EUR (darin enthalten 123.708 EUR Barauslagen) als weitere Exekutionskosten bestimmt.

Text

Begründung

Die von der Republik Österreich vertretene betreibende Partei beantragte mit dem beim Erstgericht am 27. Mai 2011 eingelangten Antrag aufgrund der (jeweils im Original vorgelegten) vollstreckbaren, aber nicht rechtskräftigen Rückstandsanzeige des Finanzamts München vom 3. Mai 2011 über 17.033.201,88 EUR und des dazu ergangenen Anerkennungsbescheids des Finanzamts Salzburg‑Stadt mit Vollstreckbarkeitsbestätigung vom 11. Mai 2011 die Exekution zur Sicherstellung a. durch Pfändung der dem Verpflichteten als Stifter gegenüber einer näher genannten Stiftung zustehenden Gesamtrechte, insbesondere des Änderungsrechts, des Forderungsrechts gegen die Stiftung sowie des Rechts auf Übertragung des Liquidationserlöses aus der Stiftungserklärung und der Stiftungszusatzurkunde Nr 1 vom 12. Mai 2009 und b. durch Pfändung der dem Verpflichteten als Treugeber gegenüber einer bestimmten GmbH als Treunehmerin zustehenden Gesamtrechte aus der treuhändigen Vereinnahmung und Verwaltung der Beratungshonorare und Zahlungen von zwei genannten Gesellschaften (Ltd) aus Vereinbarungen im Zusammenhang mit dem Verkauf von Anteilen in Höhe von insgesamt 43,9 Mio USD für Leistungen des Verpflichteten, insbesondere des Anspruchs auf Herausgabe des Treuguts und auf Beendigung der Treuhandschaft. In beiden Fällen wurde dazu auch die Erlassung eines entsprechenden Zahlungs- und Verfügungsverbots begehrt. Zu b. wurde ein Eventualbegehren, gerichtet auf die Pfändung des Anspruchs auf Herausgabe des Treuguts, gestellt. Die betreibende Partei erstattete auch weiteres Vorbringen ua im Hinblick auf die Exekution nach § 371 EO, aber auch nach § 370 EO und legte dem Exekutionsantrag auch noch weitere Urkunden bei.

Im zweiten Rechtsgang bewilligte das Erstgericht der betreibenden Partei (neuerlich) die beantragte Sicherstellungsexekution (mit dem Hauptbegehren) und erließ jeweils ein Verfügungsverbot an den Verpflichteten und ein Drittverbot an die beiden Drittschuldner. Die Entscheidung über die Kosten des Rekurses des Verpflichteten im ersten Rechtsgang behielt das Erstgericht hingegen einer gesondert zu ergehenden Entscheidung vor. Die Rückstandsanzeige des Finanzamts München bilde einen Titel für die Bewilligung der Sicherungsexekution nach § 370 EO und sei durch den auf der Grundlage des Vertrags zwischen der Republik Österreich und der Bundesrepublik Deutschland über Rechtsschutz und Rechtshilfe in Abgabensachen 1954, BGBl 1955/249, im Weiteren nur kurz RHV BRD 1954, ergangenen Anerkennungsbescheid einem inländischen Titel gleichgestellt. Die betreibenden Partei habe eine objektive Gefährdung/drohende Vereitelung der Einbringung ihrer Forderung dargetan und bescheinigt. Der Verpflichtete befinde sich derzeit in Untersuchungshaft wegen des Verdachts der Bestechlichkeit im geschäftlichen Verkehr und der Untreue. Laut dem vorliegenden Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe sei ein dinglicher Rest über das gesamte gegenwärtige und zukünftige Vermögen des Verpflichteten zur Sicherung einer Forderung über mehr als 31 Mio EUR angeordnet und sämtliches relevantes Vermögen arrestiert worden (ON 21).

Dagegen erhob der Verpflichtete Rekurs (ON 22) und ergänzte diesen mit einem weiteren Schriftsatz (ON 23). Die betreibende Partei reagierte darauf ‑ unaufgefordert ‑ mit einem als Rekursbeantwortung aufzufassenden Schriftsatz (ON 26).

Das Rekursgericht änderte den Beschluss des Erstgerichts in eine Antragsabweisung ab, wies den ergänzenden Schriftsatz des Verpflichteten ON 23 zurück und erklärte den ordentlichen Revisionsrekurs für zulässig.

Die deshalb unzulässige Ergänzung des Rekurses des Verpflichteten widerspreche dem Grundsatz der Einmaligkeit des Rechtsmittels. Obwohl das Rechtsmittelverfahren nach der EO grundsätzlich einseitig sei, müsse aber der betreibenden Partei vor allem zur in erster Instanz nicht relevierten Frage, ob sich aus dem vorgelegten Exekutionstitel ein Anspruch der die Exekution betreibenden Bundesrepublik Deutschland ergibt, nachträglich Gehör gewährt werden. In der Sache führte das Rekursgericht im Wesentlichen aus: Werde im Exekutionsantrag der berechtigte Rechtsträger aus dem Exekutionstitel genannt, so sei grundsätzlich die Übereinstimmung mit dem Exekutionstitel zu prüfen. Scheine dieser Rechtsträger im Exekutionstitel nicht auf, so sei bei verwaltungsbehördlichen Exekutionstiteln durch das Gericht grundsätzlich zu prüfen, für welchen Berechtigten als betreibenden Gläubiger die Vollstreckungsbehörde aufgrund bestehender Kompetenzbestimmungen einschreite. Dies müsse hier nach den maßgeblichen Bestimmungen des deutschen Rechts erfolgen. Aus diesen (Art 32, 106 und 108 GG, §§ 3 und 252 AO) ergebe sich, dass die Einkommenssteuer samt Zinsen, Solidaritäts- und Säumniszuschlägen als Berechtigtem dem Freistaat Bayern zustünden. Die Bundesrepublik Deutschland könne daher nicht als betreibende Partei auftreten. Eine Berichtigung der Parteienbezeichnung oder ein Verbesserungsauftrag komme aus näher genannten Gründen nicht in Betracht. Der ordentliche Revisionsrekurs wurde zugelassen, weil eine gesicherte oberstgerichtliche Rechtsprechung zur Parteistellung in einem Exekutionsverfahren zur Hereinbringung von Abgaben im Rechtshilfeweg und der Person des Berechtigten aus einer von einem deutschen Finanzamt ausgestellten Rückstandsanzeige fehle.

Dagegen richtet sich der Revisionsrekurs der betreibenden Partei mit dem Antrag auf Abänderung im Sinne der Wiederherstellung der Exekutionsbewilligung, hilfsweise Aufhebung. Die Bundesrepublik Deutschland sei zur Durchsetzung betriebener Abgabenansprüche nach dem RHV BRD 1954 legitimiert. Jedenfalls hätte das Rekursgericht der betreibenden Partei eine Rechtsmittelgegenschrift einräumen und Gelegenheit zur Richtigstellung der Parteienbezeichnung geben müssen. Einer ohnehin gelungenen Gefahrenbescheinigung bedürfe es gar nicht.

Der Verpflichtete erstattete ‑ unaufgefordert ‑ eine Revisionsrekursbeantwortung mit dem Antrag, dem Rechtsmittel keine Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist zulässig, weil es der Klärung der Frage bedarf, welchem deutschen Rechtsträger die Stellung des betreibenden Gläubigers zukommt, wenn eine deutsche Abgabenforderung durch gerichtliche Exekution in Österreich auf der Grundlage des RHV BRD 1954 betrieben werden soll. Da zu dieser im ersten Rechtsgang nicht thematisierten, komplexen Frage bisher vom Verpflichteten nicht (wirksam) Stellung genommen wurde, erachtet der Oberste Gerichtshof hier eine Rechtsmittelbeantwortung für geboten (RIS‑Justiz RS0118686). Der Revisionsrekurs ist auch berechtigt.

1. Zur Legitimation der betreibenden Partei:

1.1. Den Gegenstand des vorliegenden Antrags auf Exekution zur Sicherstellung bildet eine Forderung an Einkommenssteuer für 2006 und 2007 sowie Zinsen, Säumniszuschlägen und Solidaritätszuschlägen des Finanzamts München gegen den Verpflichteten. Regelungen für die Durchführung der Vollstreckung von derartigen Abgabenansprüchen, die in der Bundesrepublik Deutschland entstanden sind, in Österreich finden sich in zwei - unabhängig voneinander bestehenden ‑ Rechtsquellen, und zwar im Bundesgesetz zur Durchführung der EG‑Betreibungsrichtlinie (EG‑Vollstreckungsamtshilfegesetz EG-VAHG), BGBl 1994/658, das zwar mit 1. Jänner 2012 außer Kraft trat, aber für Amtshilfeersuchen, die vor dem 1. Jänner 2012 gestellt wurden, weiter anzuwenden ist (§ 22 EU‑VAHG, BGBl I 2011/112); in dessen § 1 Abs 2 ist vorgesehen, dass die Amtshilfe zur Vollstreckung ua der Steuern vom Einkommen und Nebenansprüchen nur nach Maßgabe der Richtlinie 76/308/EWG des Rates vom 15. März 1976 (= EG‑Betreibungsrichtlinie) oder nach Maßgabe völkerrechtlicher Vereinbarungen geleistet wird. Eine solche Vereinbarung besteht im RHV BRD 1954, dessen Gegenstand nach Art 1 öffentliche Abgaben sind, soweit sie in den Vertragsstaaten für den Bund, die Länder, die Gemeinden oder die Gemeindeverbände erhoben werden, ausgenommen die vom Bund verwalteten Verbrauchssteuern sowie die Zölle und Monopolabgaben. In einem integrierenden Teil des Vertrags bildenden Schlussprotokoll ist zu Art 1 Abs 1 festgehalten: „Öffentliche Abgaben im Sinne dieses Vertrags sind Geldleistungen steuerlichen Charakters, auch wenn sie unter der Bezeichnung 'Gebühr' oder 'Beitrag' oder wenn sie für Sondervermögen des Bundes, der Länder, der Gemeinden oder Gemeindeverbände im Verwaltungswege erhoben werden. Die Bestimmungen des Vertrages finden auch auf die steuerlichen Nebenleistungen, insbesondere auf die im Verwaltungsstrafverfahren verhängten Geldstrafen, auf Säumniszuschläge und Kosten Anwendung.“ Nach Art 106 Abs 3 und 4 des deutschen Grundgesetzes (GG) steht das Aufkommen der ua Einkommenssteuer grundsätzlich dem Bund und den Ländern gemeinsam zu (Gemeinschaftssteuern), sodass die Einkommenssteuer samt Nebenleistungen auch vom RHV BRD 1954 erfasst ist (vgl 3 Ob 169/88; VwGH 21. September 2009 2009/16/0113). Der Solidaritätszuschlag ist Ergänzungsabgabe ua zur Einkommenssteuer und steht deshalb nach Art 106 Abs 1 Z 6 GG ausschließlich dem Bund zu (Grashoff, Steuerrecht 20128 Rz 229; Kube in BeckOK GG Art 106 Rz 14).

1.2. Sowohl § 4 Abs 3 EG-VAHG als auch Art 11 Abs 2 (iVm Art 12) RHV BRD 1954 sehen die Anerkennung und Vollstreckbarerklärung der ausländischen Exekutionstitel vor. Diese ist im vorliegenden Fall nach dem Spruch und der Begründung des Bescheids des Finanzamts Salzburg-Stadt vom 11. Mai 2011 nach dem RHV BRD 1954 erfolgt, sodass die weiteren Überlegungen auf Basis dieser Rechtsquelle zu erfolgen haben.

1.3. Mit diesem Staatsvertrag verpflichteten sich die Republik Österreich und die Bundesrepublik Deutschland, einander ua in allen Vollstreckungsverfahren Rechtshilfe zu leisten (Art 3 RHV BRD 1954), wobei für die Abwicklung der Rechtshilfe primär die Finanzämter beider Staaten vorgesehen wurden (Art 4 und 13 RHV BRD 1954) und sich die Art und Weise der Erledigung nach den Gesetzen des ersuchten Staats richtet; für das Verfahren sind die Vorschriften anzuwenden, die für die von dem Finanzamt verwalteten Abgaben gelten (Art 5 Abs 1 RHV BRD 1954). Die Vollstreckung wird von denselben Organen und mit denselben Mitteln des Verfahrens durchgeführt, die für die von den Finanzämtern verwalteten Abgaben bestimmt sind (Schlussprotokoll zu Art 11 RHV BRD 1954).

Für die Rechtshilfe bei der Vollstreckung gilt nach Art 11 Abs 1 RHV BRD 1954, dass dem Ersuchen um Vollstreckung von Verfügungen, die unanfechtbar und vollstreckbar sind, eine Erklärung der zuständigen Behörde des ersuchenden Staats beizufügen ist, in der die Unanfechtbarkeit bestätigt wird; die Zuständigkeit dieser Behörde ist zu bescheinigen. Als Grundlage der Vollstreckung können an die Stelle der im ersten Satz bezeichneten Verfügungen auch Rückstandsausweise treten. Die Verfügungen (Rückstandsausweise) sind von den jeweils zuständigen Oberfinanzdirektionen oder Finanzlandesdirektionen des ersuchten Staats anzuerkennen und für vollstreckbar zu erklären (Art 11 Abs 2 RHV BRD 1954) und werden durch die Finanzämter oder Gerichte gemäß der Gesetzgebung des ersuchten Staats vollstreckt (Art 11 Abs 3 RHV BRD 1954). Gemäß § 31 Abs 1 des Bundesgesetzes über den Aufbau und die Zuständigkeitsregelung der Abgabenverwaltung des Bundes BGBl I 2010/9 (Abgabenverwaltungsorganistionsgesetz 2010 ‑ AVOG 2010) ist ua diese früher der Finanzlandesdirektion zukommende Aufgabe von den Finanzämtern mit allgemeinem Aufgabenkreis wahrzunehmen.

Aufgrund von vollstreckbaren, jedoch noch nicht unanfechtbaren Verfügungen, einschließlich der Sicherstellungsanordnungen (Arrestanordnungen) kann nur um die Vornahme von Sicherungsmaßnahmen ersucht werden, deren „Durchführung“, auf die Art 11 sinngemäß Anwendung findet, in der Republik Österreich nach den Vorschriften über die Exekution zur Sicherstellung geschieht (Art 12 RHV BRD 1954). Der Antrag auf Bewilligung der gerichtlichen Exekution wird in der Republik Österreich von der Finanzprokuratur oder dem an ihrer Stelle zuständigen Finanzamt gestellt (Schlussprotokoll zu Art 11 RHV BRD 1954).

1.4. Nach dieser Rechtslage stellt die hier als Exekutionstitel bezeichnete Rückstandsanzeige eine taugliche Grundlage für die Vollstreckung in Österreich nach dem RHV BRD 1954 dar (vgl VwGH 21. September 2009 2009/16/0113 uva). Der Umstand, dass nur deren Vollstreckbarkeit von der deutschen Behörde bestätigt ist, nicht jedoch der Unanfechtbarkeit, schadet nicht, weil ‑ wie den Anerkennungs- und Vollstreckbarerklärungsbescheid des Finanzamts Salzburg‑Stadt zu entnehmen ist ‑ nur ein nach Art 12 RHV BRD 1954 zulässiges Sicherungsersuchen gestellt wurde und die Rückstandsanzeige ohnehin nur zu Sicherungszwecken für vollstreckbar erklärt wurde (vgl VwGH 4. Juni 2003 2002/13/0110).

1.5. Die Anordnung, dass der Exekutionsantrag bei Gericht in Österreich von der Finanzprokuratur oder dem an ihrer Stelle zuständigen Finanzamt zu stellen ist, knüpft erkennbar an das (frühere) Prokuraturgesetz StGBl 1945/172 an, das in § 3 vorsah, dass die Finanzämter zur Sicherung und Einbringung von ua Steuern ermächtigt sind, in Vertretung der Finanzprokuratur bei den Gerichten einzuschreiten, soweit Anwaltszwang nicht besteht; die Prokuratur konnte aber die Vertretung jederzeit für sich in Anspruch nehmen. Eine Regelung mit gleichem Inhalt findet sich nunmehr in § 6 Abs 5 des am 1. Jänner 2009 in Kraft getretenen Finanzprokuraturgesetzes (ProkG) BGBl I 2008/110. Im Hinblick auf § 3 Abs 1 ProkG, nach dem die Finanzprokuratur zur ausschließlichen Vertretung der Republik Österreich (des Bundes) berufen ist, folgt aus dem Einschreiten der Finanzprokuratur, dass sie dabei die Republik Österreich vertritt. Dies ist im vorliegenden Exekutionsverfahren ohnehin unstrittig und stimmt mit dem Rubrum des Exekutionsantrags überein.

Unstrittig ist weiters, dass die Republik Österreich in Vertretung eines deutschen Rechtsträgers tätig wird, Uneinigkeit besteht allerdings, ob es sich dabei um die Bundesrepublik Deutschland oder den Freistaat Bayern handelt.

1.6. Nach der hier zu beurteilenden Rechtsgrundlage für die Vollstreckung eines deutschen Abgabetitels durch ein österreichisches Exekutionsgericht, dem RHV BRD 1954, haben sich die beiden Staaten verpflichtet, einander ua in allen Vollstreckungsverfahren betreffend öffentliche Abgaben, soweit sie in den Vertragsstaaten für den Bund, die Länder, die Gemeinden oder die Gemeindeverbände erhoben werden, Rechtshilfe zu leisten. Demnach ist klargestellt, dass die Rechtshilfe ‑ bezogen auf den vorliegenden Fall ‑ stets der Bundesrepublik Deutschland gewährt wird, und zwar unabhängig davon, welchem Rechtsträger in Deutschland das Aufkommen der Steuer/n, die den Gegenstand der zu vollstreckenden Abgabenschuld bildet/bilden, zusteht und welcher Rechtsträger sie verwaltet. Wenn weiters vorgesehen ist, dass in einem Exekutionsverfahren in Österreich, das aufgrund eines Rechtshilfeersuchens der Bundesrepublik Deutschland nach dem RHV BRD 1954 eingeleitet wird, die Republik Österreich, vertreten ‑ wie sich aus der Anordnung im Schlussprotokoll zu Art 11 RHV BRD 1954 in Übereinstimmung mit § 6 Abs 5 ProkG abzuleiten ist ‑ durch die Finanzprokuratur, diese allenfalls in erster Instanz vertreten durch das zuständige Finanzamt, einzuschreiten hat (vgl Punkt 1.5.), so geschieht dies konsequenterweise für die Bundesrepublik Deutschland. Dieser kommt deshalb die Aktivlegitimation und damit die Stellung als betreibende Gläubigerin zu.

Diese Rechtsansicht stimmt mit dem Ergebnis zu 3 Ob 9/92 überein. Darin wurde die Aktivlegitimation der Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch die Republik Österreich, diese vertreten durch die Finanzprokuratur, auf der Grundlage des RHV BRD 1954 für die Einbringung einer Forderungsanmeldung im Verteilungsverfahren (implizit) bejaht, wobei aber nur geprüft wurde, ob das in erster Instanz einschreitende österreichische Finanzamt zur (damals unterbliebenen) Nennung des Rechtsträgers, für den es einschreitet, verpflichtet war, was verneint wurde.

Dem gegenüber wurde der Bundesrepublik Deutschland als betreibender Partei, vertreten durch die Republik Österreich, diese vertreten durch die Finanzprokuratur, in der E 3 Ob 169/88 die Bewilligung einer auf der Grundlage des RHV BRD 1954 beantragten Exekution zur Sicherstellung aufgrund einer Arrestanordnung eines deutschen Finanzamts betreffend ua Einkommenssteuer nur sekundär mit dem ‑ wohl deshalb in keiner Weise begründeten ‑ Argument verweigert, aus dem vorgelegten Exekutionstitel ergebe sich ein Anspruch des Freistaats Bayern. Vermutlich steht dahinter die auch vom Rekursgericht angesprochene Bundesauftragsverwaltung der Länder für die Einkommenssteuer nach Art 108 Abs 2 GG. Die darauf aufbauende Argumentation ist aber verfehlt, weil - wie bereits dargelegt - die Auslegung des RHV BRD 1954 ergibt, dass die Frage, wem das Steueraufkommen zusteht und wer es zu verwalten hat, für die Beurteilung der Aktivlegitimation der Bundesrepublik Deutschland für einen nach diesem Staatsvertrag gestellten Exekutionsantrag irrelevant ist.

Im Übrigen kann auch nicht der vom Rekursgericht herangezogene § 252 der deutschen Abgabenordnung (AO) über die Fingierung der Körperschaft als Gläubigerin der zu vollstreckenden Ansprüche, der die Vollstreckungsbehörde angehört, zur Anwendung kommen, weil die Rechtsgrundlage des vorliegenden Exekutionsantrags der RHV BRD 1954 ist, der für die Erledigung des Rechtshilfeersuchens auf die Gesetze des ersuchten Staats verweist (Art 5 Abs 1).

1.7. Das Auftreten der Bundesrepublik Deutschland als betreibende Gläubigerin ist somit nicht zu beanstanden und der vom Rekursgericht angenommene Abweisungsgrund zu verneinen. Überlegungen zur Möglichkeit einer Berichtigung der Parteienbezeichnung sowie allfälligen Mängeln des Rekursverfahrens in diesem Zusammenhang erübrigen sich daher.

2. Zur Frage, ob die Sicherstellungsexekution nur nach Gefahrenbescheinigung bewilligt werden kann:

2.1. Der ‑ anerkannte und für vollstreckbar erklärte ‑ Exekutionstitel ist eine „Rückstandsanzeige“ des Finanzamts München, Abteilung Erhebung, vom 3. Mai 2011. Bei der ‑ im § 276 Abs 5 AO erwähnten ‑ Rückstandsanzeige handelt es sich um die finanzamtsinterne Mitteilung der Finanzkasse an die Vollstreckungsstelle, dass der Steuerschuldner den fälligen und gemahnten Betrag innerhalb der gesetzten Frist nicht gezahlt hat (Zöllner in Pahlke/Koenig AO² § 276 Rz 9). Die Vollstreckung gilt mit der Ausfertigung der Rückstandsanzeige als eingeleitet (§ 276 Abs 5 AO).

2.2. Sie entspricht damit in Österreich im Wesentlichen einem Rückstandsausweis nach § 229 BAO, der ‑ ebenso ‑ als Grundlage für die Einbringung über die vollstreckbar gewordenen Abgabenschuldigkeiten auszufertigen ist; er hat Namen und Anschrift des Abgabepflichtigen, den Betrag der Abgabenschuld, zergliedert nach Abgabenschuldigkeiten, und den Vermerk zu enthalten, dass die Abgabenschuld vollstreckbar geworden ist (Vollstreckbarkeitsklausel). Der Rückstandsausweis ist Exekutionstitel ua für das gerichtliche Vollstreckungsverfahren (§ 1 Z 13 EO), obwohl er keinen Leistungsbefehl enthält.

Von der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs werden Rückstandsausweise, die ua auch in Sozialversicherungsgesetzen vorgesehen sind, als Auszüge aus den Rechnungsbehelfen, mit denen die Behörde den Stand der offenen Zahlungsverbindlichkeiten eines Beitragsschuldners bekannt gibt, definiert (10 ObS 164/06z = SZ 2006/167 = RIS‑Justiz RS0053380 [T3]; RS0084049). Es kommt ihnen keine Bescheidqualität zu, sodass auch keine Rechtskraft eintreten kann (RIS‑Justiz RS0053380; RS0037038). Bei der Bewilligung der Exekution aufgrund eines Exekutionstitels iSd § 1 Z 13 EO hat das Exekutionsgericht die Ordnungsmäßigkeit der Zustellung des Exekutionstitels nicht zu überprüfen (RIS‑Justiz RS0000210). Es ist auch nicht Sache des Exekutionsgerichts, die Gesetzmäßigkeit und Richtigkeit eines von der Finanzbehörde erlassenen Rückstandsausweises zu überprüfen, soferne dieser den formellen Erfordernissen entspricht (RIS‑Justiz RS0000082; RS0000192). Wohl hat aber das Gericht zu prüfen, ob der betreibende Gläubiger zur Ausstellung eines Rückstandsausweises für die betriebene Forderung berechtigt ist und ob der Rückstandsausweis neben den allgemeinen Anforderungen an einen Exekutionstitel (§ 7 Abs 1 EO) auch den nach der für diesen Rückstandsausweis in Betracht kommenden Norm vorgeschriebenen Inhalt hat (3 Ob 255/01y mwN; Jakusch in Angst² § 1 Rz 79 mwN). Das Erfordernis der Zergliederung der Abgabenschuld verlangt eine Aufschlüsselung der einzelnen Abgabenforderungen nach Jahren (RIS‑Justiz RS0002106; RS0002089 = 3 Ob 39/79).

2.3. Die mit dem Exekutionsantrag im Original vorgelegte Rückstandsanzeige entspricht all diesen Erfordernissen jedenfalls, weil der Steuerschuldner entsprechend angeführt ist, die einzelnen Abgabenforderungen nach Art, Zeitabschnitt, Fälligkeit und Höhe aufgegliedert und die Bestätigungen enthalten sind, dass der darin ausgewiesene Anspruch vollstreckbar ist und ausreichende Vollstreckungsmöglichkeiten in der Bundesrepublik Deutschland nicht bestehen. Darüber hinaus findet sich auf der Rückseite die von Art 11 Abs 1 RHV BRD 1954 geforderte Bescheinigung der Zuständigkeit des Finanzamts München, Abteilung Erhebung, zur Ausstellung der Rückstandsanzeige.

Zweifel an der Eignung der Rückstandsanzeige vom 3. Mai 2011, als Exekutionstitel vergleichbar einem solchen nach § 1 Z 13 EO sind daher nicht angebracht, letzterer ermöglichte sogar die Exekution zur Befriedigung, die über eine Exekution zur Sicherstellung, deren Vollzugsverfahren in der Regel auf den Pfändungsabschnitt beschränkt ist (vgl § 374 EO), entscheidend hinausgeht.

2.4. Art 12 RHV BRD 1954 ermöglicht für die vorliegende Rückstandsanzeige, die in Österreich anerkannt und für vollstreckbar erklärt wurde, als vollstreckbare, aber noch nicht unanfechtbare Verfügung, nur die Exekution zur Sicherstellung; diese Regelung unterlässt aber eine Beantwortung der Frage, ob deren Bewilligung iSd § 370 EO eine Bescheinigung der Gefahr der Vereitelung oder der erheblichen Erschwerung der Einbringung der Abgabenforderung erfordert, oder ‑ wie dies in § 371 EO (für bestimmte gerichtliche Entscheidungen) und ua § 233 Abs 2 BAO (für finanzbehördliche Sicherstellungsaufträge) vorgesehen ist ‑ einer solchen Gefahrenbescheinigung nicht bedarf (ebenso für gerichtliche Entscheidungen Art 47 Abs 2 EuGVVO).

Bei der Auslegung des Art 12 RHV BRD 1954 ist zwar zuzugestehen, dass Art 5 Abs 1 RHV BRD 1954 im Rahmen der allgemeinen Bestimmungen die Erledigung der Rechtshilfeersuchen nach den Gesetzen des ersuchten Staats vorsieht, was für den Fall einer gerichtlichen Exekution den generellen Verweis auf die Bestimmungen der EO, der auch die §§ 370 ff EO umfasst, bedeutet. Die Sonderregelung für vollstreckbare, noch nicht rechtskräftige Verfügungen im Art 12 RHV BRD 1954, die nur Sicherungsmaßnahmen für zulässig erklärt, verweist aber zu deren „Durchführung“ auf die Exekution zur Sicherstellung. Damit wird im Sinn einer speziellen Norm für die Sicherungsexekution nur auf § 374 EO verwiesen, der nur die möglichen Vollzugsschritte nennt. Ein Verweis auf die besonderen Vorschriften für die Bewilligung der Sicherungsexekution ist darin aber schon begrifflich nicht zu sehen, sodass eine Gefahrenbescheinigung keine (weitere) Bewilligungsvoraussetzung darstellt. Der gegenteiligen, zu 3 Ob 169/88 vertretenen Ansicht ist nicht beizutreten, weil deren Begründung, das verwendete Wort „Durchführung“ entspreche der Eigenheit der Zwangsvollstreckung in der Bundesrepublik Deutschland, die eine gesonderte Bewilligung nicht vorsehe, nicht überzeugt. Zum einen muss angenommen werden, dass in einem bilateralen Staatsvertrag auf die Eigenheiten der Rechtsordnungen beider Staaten Bedacht genommen wird, zum anderen stellt die Passage keine allgemeine, sondern gerade eine solche Regelung dar, die auf die unterschiedliche Rechtslage in beiden Staaten Bedacht nimmt. Im Übrigen ist schon durch den bereits erwähnten allgemeinen Verweis in Art 5 Abs 1 RHV BRD 1954 auch auf die EO klargestellt, dass auch eine Exekution zur Sicherstellung nach dem RHV BRD 1954 in Österreich einer Bewilligung bedarf.

Hält man sich schließlich vor Augen, dass die betreibende Partei über einen (vergleichbaren) Exekutionstitel verfügt, der ‑ würde er von einer österreichischen Abgabenbehörde stammen ‑ in Österreich eine Exekution zur Hereinbringung (Befriedigung) erlauben würde, sie dennoch aber trotz Anerkennung und Vollstreckbarerklärung auf eine Sicherungsexekution beschränkt ist, wäre es nicht nachvollziehbar, deren Bewilligung auch noch von einer Gefahrenbescheinigung abhängig zu machen (arg maiori ad minus).

Daher ist für die Bewilligung einer Exekution zur Sicherstellung nach dem RHV BRD 1954 aufgrund einer formell korrekten Rückstandsanzeige eines deutschen Finanzamts die Bescheinigung, dass ohne diese die Einbringung der Abgabenforderung vereitelt oder erheblich erschwert werden würde, nicht erforderlich.

3. Die im Rekurs des Verpflichteten aufgeworfenen Fragen zum Gelingen der Gefahrenbescheinigung stellen sich daher gar nicht, sodass die Exekutionssache im Sinn einer Wiederherstellung des erstgerichtlichen Bewilligungsbeschlusses entscheidungsreif ist.

4. Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 41 und 50 ZPO iVm § 78 EO. Kosten für den Schriftsatz ON 26 wurden von der betreibenden Partei nicht verzeichnet.

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