OGH 3Ob148/20s

OGH3Ob148/20s24.3.2021

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Präsidentin Hon.-Prof. Dr. Lovrek als Vorsitzende sowie den HofratHon.‑Prof. PD Dr. Rassi, die Hofrätinnen Dr. Weixelbraun‑Mohr und Dr. Kodek und den Hofrat Dr. Stefula als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei E*, vertreten durch Mag. Michael Medwed, Mag. Johann Sparowitz, Rechtsanwälte in Graz, gegen die beklagte Partei S* GmbH, *, vertreten durch Hopmeier Wagner Kirnbauer Rechtsanwälte OG in Wien, wegen 717.850 EUR sA, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 29. Juni 2020, GZ 2 R 20/20f‑43, mit dem das Urteil des Handelsgerichts Wien vom 30. Dezember 2019, GZ 63 Cg 84/17y‑39, bestätigt wurde, zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:E131447

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

 

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 3.559,32 EUR (darin 593,22 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Entscheidungsgründe:

[1] Der nunmehrigen Klägerin, die 2009 ihre Liegenschaft samt Wohnhaus an die Rechtsvorgängerin der Beklagten verkaufte, wurde im Kaufvertrag das Recht eingeräumt, nach Wohnungseigentumsbegründung die im Haus gelegene Wohnung top Nr 9 mit einer Nutzfläche von ca 250 m² zum Fixkaufpreis von 350.000 EUR von der Käuferin oder deren Rechtsnachfolgerin in ihr Eigentum übertragen zu erhalten. Dieses – nach einem Rechtsstreit zwischen der Klägerin und der Verkäuferin durch ein Urteil titulierte – Recht überband die Verkäuferin in dem mit der Beklagten geschlossenen Liegenschaftskaufvertrag vom 11. November 2016. Am 10. April 2017 einigten sich die Parteien mündlich darauf, dass die Beklagte der Klägerin 575.000 EUR für die Aufgabe ihrer Rechte an der Wohnung zahlen und damit eine „Generalbereinigung“ der Angelegenheit erreicht werden sollte. Zur Unterzeichnung einer schriftlichen Vereinbarung kam es nicht. Die Klägerin räumte die Wohnung vor dem 30. April 2017 von ihren Fahrnissen; seither steht die Wohnung leer. Der Verkehrswert der Wohnung betrug im Juni 2014 ebenso wie zum Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung 1.067.850 EUR.

[2] Mit ihrer am 18. August 2017 eingebrachten Klage begehrte die Klägerin zunächst, gestützt auf die Vereinbarung vom 10. April 2017, 575.000 EUR sA. Mit Kaufvertrag vom 1. Dezember 2017, also während des anhängigen Verfahrens, verkaufte die Beklagte das Haus und hielt im Kaufvertrag fest, dass die Wohnung, auf die die Klägerin ursprünglich Anspruch erhoben habe, „geräumt zurückgegeben“ und deren sämtliche Ansprüche befriedigt worden seien. In der Folge erklärte die Klägerin den Rücktritt von der Vereinbarung vom 10. April 2017 wegen Nichteinhaltung des vereinbarten Zahlungsziels.

[3] In der Folge änderte die Klägerin ihr Klagebegehren in ein Hauptbegehren auf Zahlung von 717.850 EUR sA. Durch den Rücktritt sei die ursprüngliche Verpflichtung zur Verschaffung von Wohnungseigentum gegen Zahlung von 350.000 EUR wieder aufgelebt. Die Durchsetzung dieser Verpflichtung sei nach dem Verkauf des Hauses rechtlich und tatsächlich nicht mehr möglich. Da die Beklagte zum Zeitpunkt des Verkaufs am 1. Dezember 2017 bereits seit siebeneinhalb Monaten mit der Erfüllung der Vereinbarung in Verzug gewesen sei, habe sie mit einem Rücktritt der Klägerin rechnen müssen und dennoch die Verpflichtung nicht an die Käuferin des Hauses überbunden. Die Klägerin habe daher gegen die Beklagte Anspruch auf Ersatz des Nichterfüllungsschadens (Differenz zwischen dem tatsächlichen Verkehrswert der Wohnung und der ursprünglich vereinbarten Zahlung dafür); dieser betrage 717.850 EUR. Für den Fall, dass die Verpflichtung zur Verschaffung von Wohnungseigentum nicht wieder aufgelebt sei, erhob die Klägerin ein auf die Vereinbarung vom 10. April 2017 gestütztes Eventualbegehren auf Zahlung von 629.769,20 EUR sA (575.000 EUR sA zuzüglich der durch die Verzögerungen entstandenen, näher aufgeschlüsselten Kosten).

[4] Die Beklagte wendete – soweit im Revisionsverfahren noch relevant – ein, die Klägerin könne nicht auf das ursprüngliche Rechtsverhältnis zurückgreifen, sondern ihr Rücktritt könne sich nur auf die am 10. April 2017 zustande gekommene Novation beziehen. Seit diesem Tag sei es aber zulässig gewesen, die Liegenschaft ohne Überbindung der ursprünglichen Verpflichtung aus dem Urteil auf Eigentumsübertragung an der Wohnung zu veräußern, weshalb die Beklagte kein Verschulden treffe. Jedenfalls sei aber die Klägerin Zug um Zug zur geräumten Übergabe der Wohnung verpflichtet.

[5] Das Erstgericht gab dem Hauptbegehren statt.

[6] Am 10. April 2017 sei ein gültiger Vertrag über die Bereinigung der Verpflichtung zustande gekommen; es handle sich um eine Novation. Der berechtigte Rücktritt der Klägerin habe die alte Verbindlichkeit wieder aufleben lassen. Da die Beklagte diesen Anspruch der Klägerin schuldhaft nicht an die nächste Käuferin des Hauses überbunden, sondern dieser die (bereits erfolgte) Befriedigung sämtlicher Ansprüche der Klägerin zugesichert habe, sei die Beklagte der Klägerin zum Schadenersatz verpflichtet. Der geltend gemachte Betrag entspreche dem festgestellten Wert der Wohnung (1.067.850 EUR) abzüglich des vereinbarten Kaufpreises von 350.000 EUR.

[7] Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten nicht Folge und erklärte die ordentliche Revision für nicht zulässig. Es billigte die Rechtsauffassung des Erstgerichts. Die Beklagte habe die Erfüllung der ihr von der Voreigentümerin überbundenen Verpflichtung vereitelt und die Klägerin habe daher Anspruch auf das „Austauschinteresse“ von 717.850 EUR.

[8] Mit ihrer außerordentlichen Revision wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung beantragt die Beklagte die Abänderung in eine Klageabweisung, hilfsweise in eine Zahlungsverpflichtung von (nur) 575.000 EUR sA Zug um Zug gegen Übergabe der Wohnung; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

[9] Die Klägerin beantragt in der ihr freigestellten Revisionsbeantwortung, die Revision zurückzuweisen, hilfsweise, ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

[10] Die Revision ist zur Klarstellung der Rechtslage zulässig, sie ist jedoch nicht berechtigt.

[11] 1. Vorauszuschicken ist, dass der Beschluss des Erstgerichts, womit die Klageänderung für zulässig erklärt wurde, in Rechtskraft erwuchs. Infolge gänzlicher Berechtigung des Hauptbegehrens bedarf es keines Eingehens auf den Einwand der Unzulässigkeit des Rechtswegs in Bezug auf einen Teil des Eventualbegehrens.

[12] 2.1 Ein Neuerungsvertrag im Sinn der §§ 1376 ff ABGB kommt zustande, wenn nach dem Willen der vertragschließenden Parteien das ursprüngliche Schuldverhältnis durch Änderung des Rechtsgrundes oder des Hauptgegenstands durch ein neues ersetzt wird, indem sie mit der Begründung des neuen die Aufhebung des alten verknüpfen (RIS‑Justiz RS0032502; RS0032600). Kennzeichnend für eine Novation ist der aus den Erklärungen der Parteien hervorleuchtende Wille, an die Stelle einer früheren Verbindlichkeit eine andere zu setzen (RS0032411), also der Wille, dass auf das alte Schuldverhältnis nicht mehr zurückgegriffen werden soll (3 Ob 24/18b; RS0032330; RS0032417 [T1]).

[13] 2.2 Gemäß § 1380 ABGB gehört der Vergleich zu den Neuerungsverträgen. Ob durch den Abschluss eines Vergleichs immer ein neuer Rechtsgrund für die vormals strittige Forderung entsteht, oder ob es dazu einer besonderen Vereinbarung bedarf, ist zwar in Lehre und Rechtsprechung umstritten, doch billigt die Rechtsprechung dem Vergleich jedenfalls dann Novationswirkung zu, wenn er die ursprüngliche Obligation – als Ergebnis einer Auslegung des Parteiwillens – durch eine Änderung des Rechtsgrundes oder des Hauptgegenstands des Anspruchs ersetzen sollte, sodass ein Rückgriff auf das seinerzeitige Schuldverhältnis nicht mehr möglich ist (4 Ob 116/08z; RS0108086 [T1]; RS0032310 [T2]).

[14] 2.3 Mit ihrer Vereinbarung vom 10. April 2017 änderten die Parteien die ursprüngliche Verpflichtung der Beklagten zur Einräumung von Wohnungseigentum an einem bestimmten Objekt auf eine Zahlungspflicht ab, worin jedenfalls eine entscheidende Änderung des Hauptgegenstands des Vertrags liegt. Die Beurteilung der Vereinbarung der Streitteile vom 10. April 2017 durch die Vorinstanzen als Novation ist daher – entgegen der Rechtsansicht der Klägerin in ihrer Revisionsbeantwortung – zutreffend.

[15] 2.4 Obwohl durch die Novation eine neue Verbindlichkeit entsteht, sind das alte und das neue Schuldverhältnis voneinander nicht völlig unabhängig. Die Novation setzt voraus, dass das ursprüngliche Schuldverhältnis wirksam begründet wurde. Andererseits erlischt die alte Schuld nur, wenn die neue Verbindlichkeit gültig zustande gekommen ist. Fällt diese etwa durch Anfechtung weg, lebt das alte Rechtsverhältnis wieder auf und ist so zu behandeln, als ob es niemals untergegangen wäre (2 Ob 210/13s; RS0032445). Dieser Fall liegt hier unstrittig nicht vor, weil die alte Verbindlichkeit, also die Verpflichtung, der Klägerin gegen Zahlung des vereinbarten Betrags Wohnungseigentum an der Wohnung zu verschaffen, wirksam begründet und ebenso wirksam auf die Beklagte überbunden wurde. Die Vereinbarung vom 10. April 2017 ist auch nicht durch Anfechtung, etwa wegen eines Willensmangels, weggefallen.

[16] 3. Damit stellt sich die Frage nach den Rechtsfolgen des – hier unstrittig berechtigten – Rücktritts der Klägerin gemäß § 918 ABGB von der Novationsvereinbarung. In Lehre und Rechtsprechung finden sich dazu folgende Aussagen:

[17] 3.1 Nach dem von den Vorinstanzen zur Begründung ihrer Entscheidung herangezogenen Rechtssatz RS0032325 lebt bei begründetem Rücktritt vom Neuerungsvertrag das ursprüngliche Vertragsverhältnis wieder auf. In der Entscheidung 3 Ob 487/25 SZ 7/215, auf die der Rechtssatz RS0032325 zurückgeht, qualifizierte der Senat einen Vergleich als Novation; nach dem damals zu beurteilenden Sachverhalt sollten zur Abgeltung einer Ausgedinge-Verpflichtung ein Geldbetrag und ein Grundstück geleistet werden. Der Oberste Gerichtshof entschied, dass der Rücktritt vom Neuerungsvertrag diesen beseitige, und argumentierte, die unterbliebene sofortige beiderseitige Erfüllung und die Möglichkeit eines Rücktritts schaffe einen Schwebezustand, bis zu dessen Beendigung unsicher sei, ob das alte Rechtsverhältnis fortbestehen werde, oder das neue an seine Stelle trete. Erst wenn der Vertrag beiderseits vollständig erfüllt sei, könne von einem Rücktritt keine Rede mehr sein und auch von einem Wiederaufleben eines früheren Vertragsverhältnisses nicht mehr gesprochen werden. Werde ein begründeter Rücktritt erklärt, dann sei die Rechtslage so, als wäre die Umänderung des Rechtsverhältnisses überhaupt nicht erfolgt.

[18] 3.2 Zu den weiteren zu RS0032325 indizierten Entscheidungen ist wie folgt auszuführen:

[19] In der Entscheidung 1 Ob 741/77 kam der Senat zu dem Ergebnis, dass die besonderen Umstände des Falls nur den Schluss zuließen, dass der ursprüngliche Vertrag, aus dem ein Wandlungsanspruch entstand, nicht aufrecht erhalten werden sollte.

[20] Die Entscheidung 4 Ob 559/81 betraf einen Rücktritt vom Neuerungsvertrag gemäß § 3 KSchG, zu dem ausgesprochen wurde, dass die rückwirkende Beseitigung der Novation das Wiederaufleben des ursprünglichen Rechtsverhältnisses zur Folge habe. Eine Aussage zu den Auswirkungen eines Rücktritts gemäß § 918 ABGB von der neuen Vereinbarung auf das ursprüngliche Rechtsverhältnis enthält diese Entscheidung nicht.

[21] In den ebenfalls zu RS0032325 indizierten Entscheidungen 1 Ob 2342/96k und 2 Ob 210/13s (jeweils Anfechtung wegen Irrtums und Verkürzung über die Hälfte) wurde lediglich auf den allgemeinen und auch von der Revision nicht in Zweifel gezogenen Grundsatz (vgl 2.4) verwiesen, wonach bei Wegfall der neuen Verbindlichkeit etwa durch Anfechtung das alte Rechtsverhältnis wieder auflebt (ebenso RS0032445 [T1]: Die Nichtigkeit oder Anfechtung des Neuerungsvertrags lässt die alte Verbindlichkeit wieder aufleben).

[22] 3.3 Zu 1 Ob 22/64 RZ 1964, 118 wurde – unter Bezugnahme auf SZ 7/215 – entschieden, dass auch beim Vergleich wie bei jedem anderen Vertrag der Rücktritt nach § 918 ABGB mit der „Wirkung der Wiederherstellung der Rechtslage quo ante zulässig“ sei, wenn eine solche Möglichkeit nicht etwa durch Vereinbarung ausgeschlossen worden sei. Ob dieser Auffassung zu folgen ist, ließ die Entscheidung 3 Ob 210/97x ausdrücklich offen. In einer weiteren Entscheidung (1 Ob 35/04k) bekräftigte der Oberste Gerichtshof jedoch ausdrücklich, dass bei berechtigtem Rücktritt vom Vergleich die Rechtslage quo ante wiederhergestellt wird.

[23] 3.4 In der Entscheidung 4 Ob 22/83 EvBl 1984/75 = RS0032442 erachtete es der Oberste Gerichtshof nicht für möglich, wegen der angeblich nicht vollständigen Erfüllung des Vergleichs auf die ursprünglichen Entgeltansprüche aus dem Arbeitsverhältnis zurückzugreifen.

[24] 3.5 In der Literatur findet sich überwiegend die – allerdings meist nicht näher bzw nur mit einem Verweis auf SZ 7/125 und RS0032325 begründete – Ansicht, dass im Fall eines (berechtigten) Rücktritts von einer Novation bzw einem Vergleich nach § 918 ABGB das frühere Schuldverhältnis wieder auflebt (Wolff in Klang, VI² [1951] 269; Ertl in Rummel, ABGB3 [2002] § 1377 Rz 2 und § 1380 Rz 5; Thöni in Fenyves/Kerschner/Vonkilch, Klang3 [2011] § 1377 Rz 6; Fucik in Fenyves/Kerschner/Vonkilch, Klang3 [2011] § 1385 Rz 9; Kajaba in Kletečka/Schauer, ABGB-ON1.04 [Stand 1. 1. 2018] § 1377 Rz 5 und § 1385 Rz 14; Neumayr in KBB6 [2020] § 1385 Rz 10; Kogler in Schwimann/Neumayr, ABGB‑Taschenkommentar5 [2020] § 1377 Rz 10).

[25] Reischauer (in Rummel/Lukas, ABGB4 [2018] § 918 Rz 194 f) differenziert hingegen: Bei einer Anfechtung werde der Vergleich mit sachenrechtlicher Wirkung beseitigt; diese Wirkung lasse den status quo ante wieder aufleben. Anderes gelte für einen Rücktritt vom Vergleich gemäß § 918 ABGB (bzw für die Wandlung), weil dadurch die einstige Willenseinigung nicht beseitigt werde. In diesem Fall stehe Schadenersatz wegen Nichterfüllung des Vergleichs zu.

[26] Schumacher (Der Rücktritt vom gerichtlichen Vergleich, JBl 1996, 627 [629 f]) vertritt für den privatrechtlichen Vergleich, dass die durch die Vergleichsabrede neu begründeten Verpflichtungen von den bereits mit dem Vergleichsabschluss „vollzogenen“ zu unterscheiden seien. Ein Rücktritt mit der Wirkung des Wiederauflebens der strittigen oder zweifelhaften Rechtsverhältnisse sei nur möglich, solange eine Vergleichspartei die Verpflichtung aus der Vergleichsabrede nicht erfülle. Dieser Rücktrittsanlass bestehe allerdings in den meisten Fällen nicht: Herrsche zwischen den Parteien Willensübereinstimmung über Gegenstand und Ausmaß ihres gegenseitigen Nachgebens, sei der Vergleich bereits in diesem Zeitpunkt zustande gekommen. Ein Rücktritt wegen Verzugs mit der Erfüllung der neu begründeten Verpflichtungen mit der Wirkung, dass das verglichene Rechtsverhältnis wieder auflebe, komme daher nur bei (ausdrücklich oder stillschweigend getroffener) Vereinbarung einer Rücktrittsmöglichkeit in Betracht.

[27] 4.1 Der Oberste Gerichtshof sieht keinen Anlass, von der ständigen Rechtsprechung und der ganz überwiegenden Lehre abzugehen, wonach auf Vergleiche die Bestimmungen der §§ 917 ff ABGB anwendbar sind und damit bei Vorliegen der entsprechenden Voraussetzungen auch ein Rücktrittsrecht nach § 918 ABGB besteht (3 Ob 210/97x; 1 Ob 35/04k mwN; RS0024252; Reischauer in Rummel/Lukas, ABGB4 § 918 Rz 196; vgl auch Schumacher, JBl 1996, 630).

[28] 4.2 Die Beklagte hat im Verfahren nicht angezweifelt, dass die Voraussetzungen für einen Rücktritt von der Vereinbarung vom 10. April 2017 gemäß § 918 ABGB vorlagen. Die Klägerin hat durch ihre Rücktrittserklärung die neue Vereinbarung mit Wirkung ex tunc beseitigt (vgl RS0018414; RS0018273).

[29] 4.3 Ein wesentlicher Unterschied zwischen der „Beseitigung“ der neuen Vereinbarung etwa durch Irrtumsanfechtung mit Wirkung ex tunc und einem Rücktritt nach § 918 ABGB mit derselben Wirkung besteht für die hier zu beurteilende Frage nicht: Auch der Rücktritt nach § 918 ABGB führt zum Wegfall des Vertrags. Richtig ist zwar, dass der Rücktritt die ursprüngliche Willenseinigung nicht berührt. Dieses Argument ändert aber nichts daran, dass der berechtigte Rücktritt den Vertrag als solchen beseitigt. Dass diese Wirkung bloß schuldrechtlicher Natur ist, hat für die Beseitigungswirkung keine Bedeutung.

[30] 4.4 Anderes könnte lediglich dann gelten, wenn die Auslegung des konkreten Vertrags zum Ergebnis führt, dass die Parteien unbedingt, also auch bei Auftreten von Leistungsstörungen, einen Rückgriff auf die ursprüngliche Vereinbarung ausschließen wollten. Dafür bestehen im Anlassfall keine Anhaltspunkte.

[31] 4.5 Mit diesem Ergebnis stehen die Entscheidungen 1 Ob 741/77 und 4 Ob 22/83 nicht in Widerspruch, weil jeweils die besonderen Umstände des Falls eine andere Beurteilung rechtfertigten: Der Entscheidung 1 Ob 741/77 lag ein in zwei selbständige Teile zerfallender Vergleich zugrunde, der einerseits die Bereinigung von Gewährleistungsansprüchen, andererseits den Abschluss eines Kaufvertrags über eine andere Eismaschine umfasste. Diese besonderen Umstände ließen nach Auffassung des 1.Senats nur den Schluss zu, dass der ursprüngliche Vertrag mit dem der Klägerin zustehenden Wandlungsanspruch keinesfalls aufrecht erhalten werden sollte. Die Entscheidung 4 Ob 22/83 EvBl 1984/75 = RS0032442 betraf Lohnforderungen, die außergerichtlich durch einen Vergleich (Zurverfügungstellen eines Autobusses für zwei Jugoslawienfahrten zur Abgeltung offener Forderungen) bereinigt wurden. Der Oberste Gerichtshof erachtete es nicht für möglich, wegen der nicht vollständigen Erfüllung des Vergleichs auf die ursprünglichen Entgeltansprüche aus dem Arbeitsverhältnis zurückzugreifen. Wesentlich war dabei, dass der Vergleich bereits in das Abwicklungsstadium getreten war, hatte doch der Arbeitgeber den Autobus für die erste Fahrt vereinbarungsgemäß zur Verfügung gestellt und der Arbeitnehmer diese Fahrt auch angetreten.

[32] 4.6 Daraus folgt zusammengefasst, dass ein Rücktritt nach § 918 ABGB von einem noch nicht in das Erfüllungsstadium getretenen Vergleich mit Novationswirkung die ursprüngliche Verpflichtung wieder aufleben lässt, sofern die konkrete Absicht der Vertragsparteien nicht das Gegenteil ergibt.

[33] 4.7 Das Wiederaufleben der ursprünglichen Verpflichtung ist unmittelbare Folge des Rücktritts vom Neuerungsvertrag. Der Rücktritt lässt gemäß § 921 Satz 1 ABGB „den Anspruch auf Ersatz des durch verschuldete Nichterfüllung verursachten Schadens unberührt“ (also hier des durch die Nichterfüllung des Neuerungsvertrags entstandenen Schadens). Sowohl der Rücktritt als auch der Schadenersatzanspruch sind Rechtsfolgen der Nichterfüllung des (Neuerungs‑)Vertrags, die nach dem Gesetz nebeneinander eintreten (HHB 78 BlgHH 21. Session 167; eingehend Reischauer in Rummel/Lukas, ABGB4 § 921 Rz 8 f). Aus der Existenz eines Schadenersatzanspruchs nach § 921 Satz 1 ABGB wegen Nichterfüllung des Neuerungsvertrags kann daher nicht abgeleitet werden, dass das alte Vertragsverhältnis durch den Rücktritt vom Neuerungsvertrag nicht wieder voll und ganz zur Geltung gelange. Dass Ansprüche aus der Nichterfüllung des Neuerungsvertrags und Ansprüche aus dem alten Vertragsverhältnis bestehen, ist Folge des Abschlusses zweier Verträge iVm der Nichterfüllung des Neuerungsvertrags.

[34] 4.8 Ob es möglich ist, gleichzeitig Rechte aus dem alten Vertrag (bzw im – hier gegebenen – Fall der nachträglichen Unmöglichkeit seiner Erfüllung einen Schadenersatzanspruch nach § 920 ABGB bzw im – hier nicht gegebenen – Fall eines berechtigten Rücktritts von diesem Vertrag einen Schadenersatzanspruch nach § 921 Satz 1 ABGB) und Schadenersatz wegen Nichterfüllung des Neuerungsvertrags wegen berechtigten Rücktritts von diesem nach § 921 Satz 1 ABGB geltend zu machen, ist hier nicht zu erörtern. Die Klägerin gründet ihr Hauptbegehren allein auf den alten Vertrag bzw den sich aus seiner nachträglichen Unmöglichkeit ergebenen Schadenersatzanspruch nach § 920 ABGB. Eine – hier gegebene – Verletzung sowohl des alten Vertrags (welche zum von der Klägerin geltend gemachten Schadenersatzanspruch nach § 920 ABGB führt) als auch des Neuerungsvertrags (aufgrund welcher hier die Klägerin wegen ihres berechtigten Rücktritts einen Schadenersatzanspruch nach § 921 Satz 1 ABGB erheben könnte) hat jedenfalls zur Folge, dass zwischen der Geltendmachung des einen und anderen Anspruchs gewählt werden kann.

[35] 5. Die Klägerin kann sich daher auf die frühere Verpflichtung der Beklagten zur Einräumung/Verschaffung des Eigentums an der näher bezeichneten Wohnung stützen. Dass die Beklagte zur Erfüllung dieser Verpflichtung nach der Weiterveräußerung des Hauses nicht (mehr) in der Lage war, blieb im Verfahren unbestritten. Damit besteht der geltend gemachte Anspruch auf Ersatz des – der Höhe nach nicht in Frage gestellten – Wertes dieser Wohnung abzüglich des Betrags, zu dessen Zahlung sich die Klägerin verpflichtete, zu Recht.

[36] Soweit die Beklagte ihr fehlendes Verschulden einwendet, ist ihr zu erwidern, dass sie selbst die Vereinbarung vom 10. April 2017 nicht erfüllte und trotz bereits eingetretenen Verzugs die Liegenschaft ohne Überbindung der ursprünglichen Verpflichtung zur Wohnungseigentumsverschaffung weiterveräußerte. Dafür, dass sie daran kein Verschulden getroffen hätte, hat die gemäß § 1298 ABGB behauptungs- und beweispflichtige Beklagte kein taugliches Vorbringen erstattet.

[37] 6. Für eine Zug-um-Zug‑Verpflichtung der Klägerin zur „Übergabe der Wohnung an die Beklagte“ besteht auf der Grundlage der – für den Obersten Gerichtshof bindenden – Feststellungen keine Rechtsgrundlage: Die Klägerin räumte die Wohnung schon vor dem 30. April 2017; die Beklagte sicherte dementsprechend auch der nunmehrigen Eigentümerin des Hauses im Kaufvertrag vom 1. Dezember 2017 zu, dass diese Wohnung zurückgegeben und „bestandsfrei“ sei.

[38] 7. Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 41 und 50 ZPO.

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