European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2019:0030OB00115.19M.0626.000
Spruch:
Dem Revisionsrekurs wird teilweise Folge gegeben.
Der angefochtene Beschluss wird dahin abgeändert, dass die Zurückweisung der Klage im Umfang der begehrten Feststellung einer der klagenden Partei und ihren Rechtsnachfolgern im Eigentum des Grundstücks Nr 9/15 der EZ ***** Grundbuch ***** zustehenden Dienstbarkeit gegenüber den jeweiligen Eigentümern des Grundstücks Nr 11/7 der EZ ***** Grundbuch ***** als dienendem Grundstück bestätigt wird.
Im Übrigen wird der Beschluss auf Zurückweisung der Klage aufgehoben und dem Erstgericht die Fortsetzung des Verfahrens über die Klage unter Abstandnahme vom gebrauchten Zurückweisungsgrund aufgetragen.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 1.812,13 EUR (hierin enthalten 302,02 EUR USt) bestimmten Kosten des Zwischenstreits binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Begründung:
Die Beklagte brachte am 16. November 2018 beim Erstgericht zu 26 Cg 93/18g gegen den Kläger eine Klage auf Feststellung ein, dass ihm als Eigentümer des Grundstücks Nr 9/15 weder die Dienstbarkeit des Gehrechts noch des Fahrrechts an dem im Eigentum der Beklagten stehenden Grundstück Nr 11/7 zustehe.
Mit seiner am 30. November 2018 eingebrachten Klage begehrt der Kläger
1.) die Feststellung eines ihm als Eigentümer der Grundstücke Nr 9/15, .6, 9/2, 10 und 11/1 (jeweils inneliegend derselben EZ) und sämtlichen künftigen Eigentümern dieser Grundstücke zustehenden Geh- und Fahrrechts auf einem näher umschriebenen „Weg A“ gegenüber der Beklagten als Eigentümerin der dienenden Grundstücke Nr 11/7 und 454/7,
2.) die Feststellung eines ihm als Eigentümer des Grundstücks Nr 9/15 und den künftigen Eigentümern dieses Grundstücks zustehenden Gehrechts auf einem näher umschriebenen „Weg B“ gegenüber der Beklagten als Eigentümerin des dienenden Grundstücks Nr 11/7, und
3.) die Einwilligung der Beklagten in die Einverleibung des Geh‑ und Fahrrechts gemäß Punkt 1.) und des Gehrechts gemäß Punkt 2.).
Die Beklagte wendete insbesondere ein, das Feststellungsbegehren laut Punkt 1. und 2. der Klage sei im Hinblick auf die von ihr eingebrachte negative Feststellungsklage wegen Streitanhängigkeit zurückzuweisen.
Das Erstgericht wies die gesamte Klage wegen Streitanhängigkeit zurück. Beiden Klagen liege derselbe rechtserzeugende Sachverhalt zugrunde; sie beträfen beide dieselben (behaupteten bzw verneinten) Geh- und Fahrrechte auf dem Grundstück Nr 11/7. Auch die weiteren in der zweiten Klage angeführten Grundstücke stünden im Eigentum entweder des Klägers oder der Beklagten. Die Beklagte argumentiere in beiden Verfahren, sie habe ihre Liegenschaft lastenfrei erworben und die Einräumung einer Dienstbarkeit sei außerdem nicht erforderlich. Damit seien die vorgebrachten Tatsachen im Kern ident. Es schade auch nicht, dass das erste Klagebegehren nur allgemein auf die Feststellung des Nichtbestehens von Dienstbarkeiten auf dem Grundstück Nr 11/7 gerichtet sei, während es im zweiten Verfahren um die Feststellung des Bestehens konkreter Dienstbarkeiten gehe. Allein entscheidend sei nämlich, dass beide Parteien das gleiche Rechtsschutzziel verfolgten, das durch die Identität des rechtserzeugenden Sachverhalts gegeben sei. Ein abweisendes Urteil im ersten Verfahren– also die Feststellung, dass doch Dienstbarkeiten zugunsten des (hier) Klägers bestünden – wäre zwar mangels ausreichender Bestimmtheit nicht exekutierbar. Im Fall der Stattgebung der ersten (negativen) Feststellungsklage fehlte dem Kläger aber das Rechtsschutzbedürfnis für eine meritorische Entscheidung über seine Klage.
Das Rekursgericht gab dem Rekurs der Klägerin teilweise Folge. Es bestätigte die Zurückweisung der Klage auf Feststellung von Wegerechten über das Grundstück Nr 11/7; hingegen hob es den erstgerichtlichen Beschluss im Umfang der Zurückweisung des Begehrens auf Einwilligung in die Einverleibung (Punkt 3. des Urteilsbegehrens) und auf Feststellung eines Wegerechts über das Grundstück Nr 454/7 sowie im Kostenpunkt auf und trug dem Erstgericht insoweit die Fortsetzung des Verfahrens unter Abstandnahme vom gebrauchten Zurückweisungsgrund auf.
Hinsichtlich des Begehrens auf Feststellung eines Wegerechts über das Grundstück Nr 454/7 bestehe keine Streitanhängigkeit, weil dieses Grundstück von der actio negatoria der Beklagten nicht erfasst sei.
Auch der Rekurs zum Einverleibungsbegehren sei berechtigt, weil der Oberste Gerichtshof zu 3 Ob 138/18t ausgesprochen habe, dass das Prozesshindernis der Streitanhängigkeit einem Klagebegehren auf Einwilligung in die Einverleibung des behaupteten Rechts nicht entgegenstehe, wenn der Beklagte zuvor eine negative Feststellungsklage erhoben habe; durch eine abweisende Entscheidung im bereits anhängigen Verfahren über die negative Feststellungsklage erhielte die Klägerin für die von ihr angestrebte Einverleibung einer Servitut nämlich keinen Exekutionstitel. Die Erwägung, dass durch eine stattgebende Entscheidung über die actio negatoria das Rechtsschutzbedürfnis für das Einverleibungsbegehren wegfiele, habe der Oberste Gerichtshof in dieser Entscheidung nicht angestellt. Im Übrigen müsste selbst in diesem Fall das Einverleibungsbegehren abgewiesen und der Prozess damit beendet werden. Das Rekursgericht sehe sich nicht veranlasst, von der aktuellen Entscheidung 3 Ob 138/18t abzuweichen. Zudem vertrete selbst die Beklagte nicht den Standpunkt, dass auch das Einverleibungsbegehren wegen Streitanhängigkeit zurückgewiesen werden müsste.
Hinsichtlich der beiden Feststellungsbegehren bezüglich des Grundstücks Nr 11/7 sei der angefochtene Beschluss hingegen frei von Rechtsirrtum. Der Rechtssatz RS0015027 sei seit 1 Ob 60/97 SZ 70/261 überholt. Aus der konkreten Ausgestaltung der Feststellungsbegehren in der actio confessoria folge nicht das Fehlen der Streitanhängigkeit; hätte der Kläger bei erfolgreicher actio negatoria doch gar kein Wegerecht, also auch kein konkret ausgestaltetes. Der Erwägung, dass nur eine früher eingebrachte actio confessoria gegenüber einer später eingebrachten actio negatoria Streitanhängigkeit begründe und nicht auch umgekehrt, sei durch RS0013459 („… und umgekehrt“) der Boden entzogen.
Das Rekursgericht ließ den ordentlichen Revisionsrekurs zu, weil die höchstgerichtliche Rechtsprechung zur Frage, ob actio negatoria und actio confessoria Streitanhängigkeit begründeten, nicht einheitlich sei. Ein Fall, in dem im Verhältnis zwischen einer zuerst eingebrachten actio negatoria und einer später eingebrachten actio confessoria – zumal bei drei behaupteten Wegerechten über zwei Grundstücke – Streitanhängigkeit nur hinsichtlich eines Teils des Klagebegehrens bestehe, finde sich bisher überhaupt nicht.
Mit seinem Revisionsrekurs gegen den bestätigenden Teil der Rekursentscheidung strebt der Kläger die gänzliche Aufhebung des erstgerichtlichen Zurückweisungsbeschlusses an.
Die Beklagte beantragt in ihrer Revisionsrekursbeantwortung, den Revisionsrekurs zurückzuweisen, hilfsweise ihm nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Der Revisionsrekurs ist wegen einer vom Obersten Gerichtshof aufzugreifenden Fehlbeurteilung des Rekursgerichts zulässig und teilweise berechtigt.
1.
Die
Streitanhängigkeit ist die Vorläuferin der Einmaligkeitswirkung (ne bis in idem) der materiellen Rechtskraft und deckt sich in ihren Auswirkungen mit dieser vollständig (RIS‑Justiz RS0109015 [T5]). Das Prozesshindernis der Streitanhängigkeit liegt – ebenso wie jenes der Rechtskraft – nach herrschender Lehre und Rechtsprechung erst dann vor, wenn nicht nur die Identität (Nämlichkeit) der Parteien, sondern auch Identität der Ansprüche besteht. Ob idente Ansprüche vorliegen, ist nach den Streitgegenständen der beiden Verfahren zu beurteilen (RS0044453 [T1, T2]).
2. Das Begehren auf
Feststellung einer bestimmten Servitut ist das begriffliche Gegenteil des Begehrens auf
Feststellung des Nichtbestehens einer solchen Servitut, sodass insoweit die frühere Klage für die spätere das Prozesshindernis der Streitanhängigkeit begründet (RS0109015; RS0013459 [T2]; RS0015027 [T1]). Zwischen einer Feststellungsklage und einer nachfolgenden Leistungsklage besteht hingegen keine Identität, weil das Rechtsschutzziel der Leistungsklage über jenes der Feststellungsklage hinausgeht (Mayr in Fasching/Konecny 3 III/1 § 233 ZPO Rz 9). Demgemäß hat der erkennende Senat bereits in der auch vom Rekursgericht zitierten Entscheidung 3 Ob 138/18t (=
RS0039246 [T4]) erst jüngst Streitanhängigkeit zwischen
einer auf Einwilligung in die Einverleibung einer Dienstbarkeit und einer zuvor eingebrachten negativen Feststellungsklage verneint.
3. Dem Rekursgericht ist grundsätzlich dahin zuzustimmen, dass die früher erhobene negative Feststellungsklage der Beklagten prinzipiell das Prozesshindernis der Streitanhängigkeit (nur) für das positive Feststellungsbegehren des Klägers (nicht aber auch für sein Einverleibungsbegehren) begründet. Das Rekursgericht hat allerdings übersehen, dass die Klage der Beklagten nur auf das herrschende Grundstück Nr 9/15 abstellt, während sich das erste Feststellungsbegehren des Klägers auf insgesamt fünf herrschende Grundstücke bezieht. Die erste Klage ist daher nur insoweit das begriffliche Gegenteil der zweiten, als Letztere Dienstbarkeiten zu Gunsten dieses Grundstücks behauptet. Das Prozesshindernis der Streitanhängigkeit steht der zweiten Feststellungsklage somit nicht entgegen, soweit sich diese auf die herrschenden Grundstücke .6, 9/2, 10 und 11/1 bezieht. An diesem Ergebnis kann auch der Umstand nichts ändern, dass alle fünf Grundstücke Bestandteil ein und derselben EZ sind, weil sich Grunddienstbarkeiten nicht immer auf ganze Grundbuchskörper beziehen müssen; dies trifft nicht nur auf das dienende, sondern auch auf das herrschende Gut zu (K. Binder in G. Kodek, Grundbuchsrecht2 § 3a LiegTeilG Rz 17 mwN).
4. Das Erstgericht wird daher auch über dieses Feststellungsbegehren des Klägers zu verhandeln und zu entscheiden haben.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 50 ZPO iVm § 52 Abs 1 und § 43 Abs 1 ZPO. Mit ihrer Einrede der Streitanhängigkeit (bezüglich der Feststellungsbegehren) hat die Beklagte einen („echten“) Zwischenstreit ausgelöst, der mit dieser Entscheidung vollständig erledigt wurde; dies führt zum sofortigen Kostenzuspruch unabhängig vom Ausgang des Hauptverfahrens (vgl
RS0035955). Soweit das Erstgericht die Klage allerdings – über die Einrede der Beklagten hinausgehend – auch im Umfang des Einverleibungsbegehrens zurückwies, lag kein echter Zwischenstreit vor, sodass die darauf entfallenden Rechtsmittelkosten nicht unabhängig vom Ausgang des Hauptverfahrens zu ersetzen sind (Obermaier, Kostenhandbuch3 Rz 1.334), weil die Beklagte in ihrer Rekursbeantwortung dem Rekurs gegen die Zurückweisung des Einverleibungsbegehrens nicht entgegengetreten ist.
In erster Instanz sind allein auf die Behandlung des
Prozesshindernisses entfallende Kosten erster Instanz nicht ersichtlich; das Erstgericht schränkte zwar in der Tagsatzung vom 13. Februar 2019 die Verhandlung auf die Frage der Streitanhängigkeit ein, zuvor wurde allerdings zur Sache verhandelt. Sämtliche Prozesshandlungen dieser Verhandlung können daher im fortgesetzten (Haupt-)Verfahren verwertet werden (3 Ob 157/14f mwN). Ein sofortiger Kostenzuspruch aufgrund des Zwischenstreits kommt daher nur für das Rechtsmittelverfahren in Betracht.
Der Kläger bewertete sein Begehren mit insgesamt 50.000 EUR und schlüsselte es (nur) dahin auf, dass auf das Feststellungsbegehren betreffend „Weg A“ 45.000 EUR und auf jenes betreffend „Weg B“ 5.000 EUR entfielen. Mangels gesonderter Bewertung des Einverleibungsbegehrens ist im Zweifel davon auszugehen, dass die angegebenen Werte je zur Hälfte auf das Feststellungs- und das entsprechende Einverleibungsbegehren entfallen. Daraus folgt ein – vom Kläger korrektangegebenes – Revisionsrekursinteresse von 25.000 EUR, nämlich 22.500 EUR für das erste und 2.500 EUR für das zweite Feststellungsbegehren.
Die Beklagte ist mit ihrer Einrede hinsichtlich des zweiten Feststellungsbegehrens zur Gänze, hinsichtlich des ersten Feststellungsbegehrens aber nur in Bezug auf eines von insgesamt fünf (potenziell) herrschenden und eines von zwei (potenziell) dienenden Grundstücken – und damit insoweit zu einem Zehntel – durchgedrungen. Demgemäß hat der Kläger im (echten) Zwischenstreit zu rund 80 % obsiegt, sodass die Beklagte ihm 60 % der Kosten des Revisionsrekurses zu ersetzen hat.
Gegenstand des Rekursverfahrens war das gesamte vom Erstgericht zurückgewiesene Klagebegehren, weshalb der Kläger die Rekurskosten – an sich richtig – auf Basis einer Bemessungsgrundlage von 50.000 EUR verzeichnete. Da hinsichtlich des Eventualbegehrens aber, wie bereits ausgeführt, kein echter Zwischenstreit vorlag, sind ihm derzeit nur 60 % der Rekurskosten auf Basis einer Bemessungsgrundlage von 25.000 EUR zuzusprechen.
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)