European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2017:0020OB00090.16Y.0427.000
Spruch:
Die Revision wird zurückgewiesen.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 252,31 EUR (darin 42,05 EUR USt) bestimmten Kosten ihrer Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Begründung:
Am 18. 12. 1997 kam es auf der F*****straße in Tirol zu einem Verkehrsunfall, an dem ein vom Vater der Klägerin gelenktes (offenbar in Deutschland zum Verkehr zugelassenes) Fahrzeug und ein von M***** L***** gelenktes Fahrzeug mit slowakischem Kennzeichen beteiligt waren. Das Alleinverschulden traf den Lenker des slowakischen Fahrzeugs, der bei dem Unfall ums Leben kam.
Die damals 15-jährige Klägerin war Mitfahrerin im Fahrzeug ihres Vaters. Sie erlitt bei dem Unfall schwerste Verletzungen, die vorübergehend zu einer Querschnittlähmung führten. Seit dem Jahr 2002 kann sie mit Hilfe zweier Stützkrücken wieder gehen. Kurze Strecken (50 bis 100 m) kann sie mittlerweile auch ohne Stützkrücken bewältigen. Es entwickelte sich ein „Steppergang“, ein wankendes Gangbild mit deutlichen Ausweichbewegungen von Oberkörper und Armen. Die Klägerin leidet als Dauerfolge sowohl aus orthopädischer als auch aus neurologischer Sicht unter anhaltenden Schmerzen. Aufgrund des unnatürlichen Gangbildes sind weitere gesundheitliche Schäden mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten.
Der slowakische Haftpflichtversicherer haftet für den Schaden der Klägerin der Höhe nach unbegrenzt.
Die beklagte Partei erklärte mit Schreiben vom 9. 3. 1999 den damaligen Rechtsvertretern der Klägerin:
„Wir beziehen uns auf die zwischen Ihnen und der Fa A***** geführte Vorkorrespondenz und geben die Erklärung ab, hinsichtlich der zukünftigen unfallkausalen Ansprüche von […] mit der Wirkung eines Feststellungsurteiles die Einrede der Verjährung nicht zu erheben.
Festgehalten wird in dem Zusammenhang, dass vom Alleinverschulden des […] an gegenständlichem Verkehrsunfall ausgegangen wird und unsere Haftung der Höhe nach mit den im Unfallzeitpunkt in Geltung gestandenen gesetzlichen Mindestdeckungssummen begrenzt ist.“
Die beklagte Partei hat der Klägerin ein Schmerzengeld von 1,5 Mio S bezahlt.
Die Klägerin begehrte mit der am 3. 5. 2013 eingebrachten Klage Zahlung einer Verunstaltungsentschädigung in Höhe von 18.000 EUR sA sowie die Feststellung, dass die beklagte Partei für alle ihre zukünftigen Schäden aus dem Unfall vom 18. 12. 1997 haftet. Da der slowakische Haftpflichtversicherer unbeschränkt hafte, gelte dies auch für die beklagte Partei.
Die beklagte Partei erhob diverse Einwände gegen das Zahlungsbegehren und hielt dem Feststellungsbegehren entgegen, dass sie lediglich bis zu der am Unfallstag in Österreich geltenden Mindestdeckungssumme von 15 Mio S (1.090.092,50 EUR) hafte, wie dies ihrer Erklärung vom 9. 3. 1999 zu entnehmen sei.
Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt.
Zum Feststellungsinteresse der Klägerin vertrat es die Ansicht, die beklagte Partei habe ihre Haftung mit der Wirkung eines Feststellungsurteils anerkannt. Zwar nehme ein konstitutives Anerkenntnis der vollen Haftpflicht für alle künftigen Schäden dem Verletzten grundsätzlich das rechtliche Interesse an einer gerichtlichen Feststellung, nicht jedoch bei einem Anerkenntnis mit einem Haftungshöchstbetrag. Aufgrund der Beschränkung der Ansprüche mit der gesetzlichen Mindestdeckungssumme bestehe daher ein rechtliches Interesse der Klägerin auf Feststellung der unbeschränkten Haftung der beklagten Partei. Dass die Haftung der beklagten Partei über die in Österreich zum Unfallszeitpunkt geltende Mindestdeckungssumme hinaus bestehe, folge aus Art 3 lit d des Multilateralen Garantieabkommens zwischen den Nationalen Versicherungsbüros vom 15. 3. 1991, auf welches § 62 Abs 1 KFG in der zum Unfallszeitpunkt geltenden Fassung verweise.
Dieses Urteil erwuchs in seinem dem Zahlungsbegehren stattgebenden Ausspruch unangefochten in Rechtskraft.
Das von der beklagten Partei im Übrigen, hinsichtlich der Stattgebung des Feststellungsbegehrens, angerufene Berufungsgericht änderte die erstinstanzliche Entscheidung im Sinne der Abweisung dieses Begehrens ab. Es bewertete den Entscheidungsgegenstand mit 5.000 EUR, nicht jedoch auch 30.000 EUR übersteigend und sprach zunächst aus, dass die ordentliche Revision nicht zulässig sei.
Das Berufungsgericht stützte sich auf die Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zum System der Grünen Karte, wonach die Deckungsgarantie der als behandelndes Büro in Anspruch genommenen beklagten Partei lediglich die Schadensabwicklung nach den in Österreich geltenden gesetzlichen Mindestversicherungssummen umfasse. In diesem Umfang habe die beklagte Partei jedoch mit dem Schreiben vom 3. 9. 1999 ihre Haftung anerkannt und auf die Einrede der Verjährung verzichtet, sodass der Klägerin ein darüber hinausgehendes Feststellungsinteresse fehle.
Aufgrund eines Abänderungsantrags der Klägerin ließ das Berufungsgericht die Revision nachträglich doch zu. Gerade in Fällen, in denen durch hohe Schadenersatzansprüche des Geschädigten die in Österreich geltende Mindestversicherungssumme rasch ausgeschöpft sein könne, wäre der Geschädigte zur Vermeidung der Verjährung seiner Ansprüche gezwungen, diese auch unmittelbar gegenüber dem ausländischen Versicherungsunternehmen geltend zu machen und zum selben Sachverhalt zwei Verfahren zu führen. Zu dieser Argumentation liege noch keine höchstgerichtliche Rechtsprechung vor.
Rechtliche Beurteilung
Die gegen das Berufungsurteil erhobene Revision der Klägerin ist jedoch entgegen diesem den Obersten Gerichtshof gemäß § 508a Abs 1 ZPO nicht bindenden Ausspruch des Berufungsgerichts nicht zulässig. Weder in der zweitinstanzlichen Zulassungsbegründung noch im Rechtsmittel wird eine erhebliche, für die Entscheidung auch präjudizielle Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO dargetan:
1. Zwischen den Parteien ist im Rechtsmittelverfahren unstrittig, dass die beklagte Partei von der Klägerin als „behandelndes Büro“ im Sinne des Grüne-Karte-Systems in Anspruch genommen wurde und sie als solches den Schaden der Klägerin reguliert. Es bedarf daher keiner weiteren Überlegungen, ob dies bei einem Unfall zweier ausländischer Fahrzeuge im Inland der zum Unfallszeitpunkt geltenden Rechtslage entsprach.
2. Beide Parteien ließen im Rechtsmittelverfahren die Rechtsansicht der Vorinstanzen unbeanstandet, wonach die Erklärung der beklagten Partei vom 9. 3. 1999 als konstitutives Anerkenntnis aufzufassen sei. Die klagende Partei hat dazu schon in erster Instanz die Meinung vertreten, dass aufgrund des Verjährungsverzichts mit der Wirkung eines Feststellungsurteils (sogar) „mehr als bloß ein konstitutives Anerkenntnis“ vorliege (AS 34). Erwägungen, wie sie der Oberste Gerichtshof in der Entscheidung 2 Ob 4/94 ZVR 1995/134 zu einer (fast) gleichlautenden Erklärung anstellte (vgl auch 2 Ob 149/05h ZVR 2008/4 [Huber]), können hier daher auf sich beruhen.
3. Ein konstitutives Anerkenntnis der vollen Haftpflicht für alle künftigen unfallsbedingten Schäden nimmt dem Verletzten aber das rechtliche Interesse an einer gerichtlichen Feststellung (RIS-Justiz RS0034315). Diese Rechtsfolge tritt zwar nicht ein, wenn das Anerkenntnis des Haftpflichtversicherers mit gesetzlichen Haftungshöchstbeträgen begrenzt ist; das gilt allerdings – was das Erstgericht verkannt hat – nur im Verhältnis zwischen dem Geschädigten und dem schuldhaft handelnden Schädiger, für den die Haftungsbegrenzung nicht zum Tragen kommt (2 Ob 157/00b ZVR 2001/23; 7 Ob 144/05k; 2 Ob 132/07m mwN; RIS-Justiz RS0034315 [T1]). Gegenüber dem beklagten Verband ist das Feststellungsinteresse demnach davon abhängig, ob ein Anspruch der Klägerin auf eine über die Mindestversicherungssumme hinausreichende Haftung der beklagten Partei besteht.
4. Der Oberste Gerichtshof vertritt in ständiger Rechtsprechung die Rechtsansicht, dass der Geschädigte nach dem System der Grünen Karte so gestellt werden soll, als ob ihm der Schaden von einem inländischen, zu den gesetzlichen Mindestversicherungssummen versicherten Kraftfahrer zugefügt worden wäre (zuletzt 2 Ob 35/15h ZVR 2016/174 [Rudolf] = EvBl 2016/66 [Rubin]; RIS-Justiz RS0045431, RS0065673). Es wird ein Versicherungsverhältnis fingiert, in dem das behandelnde Büro gleichsam als Versicherungsunternehmen und der Inhaber der Grünen Karte als Versicherungsnehmer gilt. Dieses fingierte Versicherungsverhältnis richtet sich nach dem Recht des Besuchslands (2 Ob 35/15h; RIS-Justiz RS0065697), hier also nach österreichischem Recht.
5. Diese Rechtsprechung hatte während der Geltung des auf der UNO-Empfehlung Nr 5 vom 25. 1. 1949 beruhenden Londoner Abkommens (vgl 7 Ob 15/78 SZ 51/105 = ZVR 1979/167; 8 Ob 59/87 SZ 61/112 = ZVR 1989/84; 7 Ob 13/89 SZ 62/91) und des Multilateralen Garantieabkommens vom 15. 3. 1991 (vgl 2 Ob 271/97k ZVR 1998/113; 2 Ob 139/98z; 7 Ob 48/11a ZVR 2012/105 [Reisinger]) ebenso Bestand, wie es nunmehr aufgrund der diese Abkommen ohne grundsätzliche Änderungen ersetzenden und seit dem 1. 7. 2003 in Kraft getretenen Internal Regulations der Fall ist (vgl 2 Ob 35/15h; zur Historie zB Lemor in Feyock/Jacobsen/Lemor, Kraftfahrtversicherung³ [2009], Grenzversicherung/System der grünen Versicherungskarte, Rn 21 ff). Sie steht auch mit der herrschenden Lehre im Einklang (vgl Reisinger in Fucik/Hartl/Schlosser, Handbuch des Verkehrsunfalls III³ [2016] Rz 91; Thiede, Straßenverkehrsunfall mit Auslandsbezug [Teil 2] – Direktklage, Vierte KH-Richtlinie und Grüne-Karte-System, Zak 2014/202, 103 [107 f]; Schauer, Versicherungsvertragsrecht³ [1995] 417).
6. Die Rechtsansicht des Berufungsgerichts stimmt mit der zitierten Rechtsprechung überein. Der Oberste Gerichtshof hat zudem mehrfach betont, dass der Geschädigte seinen Anspruch – zusätzlich oder wahlweise – auch gegen den Haftpflichtversicherer des Schädigers im Rahmen des im Herkunftsland bestehenden Haftpflichtversicherungsvertrags geltend machen kann (2 Ob 271/97k; 2 Ob 139/98z; vgl auch Huber, Bericht über die 13. Europäischen Verkehrsrechtstage, ZVR 2013/6, 21 [23]). Das erscheint aus Sicht des Geschädigten vor allem dann geboten, wenn – wie der Oberste Gerichtshof ebenfalls bereits aussprach – sein Schaden durch den Versicherungsschutz der Grünen Karte nicht zur Gänze oder gar nicht gedeckt ist (vgl 2 Ob 67/70 SZ 43/64; 7 Ob 15/78 SZ 51/105; aus dem aktuellen Schrifttum vgl etwa Jahnke in Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke/Janker, Straßenverkehrsrecht24 [2016], AuslPflVG § 2 Rn 7 f; Rümenapp in Terbille/Höra, Münchener Anwaltshandbuch Versicherungsrecht³ [2013] § 13 Rn 128; Huber in ZVR 2008/4 [Glosse zu 2 Ob 149/05h]). Es trifft daher nicht zu, dass sich der Oberste Gerichtshof zu der in der Zulassungsfrage angesprochenen Problematik noch nicht geäußert hat.
7. Die Klägerin versucht in ihrem Rechtsmittel darzulegen, warum sich ungeachtet der erörterten Rechtsprechung in der vorliegenden Konstellation aufgrund diverser Bestimmungen des Multilateralen Garantieabkommens vom 15. 3. 1991 bzw der dieses zum Stichtag 1. 7. 2003 ersetzenden Internal Regulations die Verpflichtung der beklagten Partei zur unbeschränkten Haftung für die Schäden der Klägerin ergeben soll. Dabei lässt sie allerdings unbeachtet, dass die nun maßgeblichen Internal Regulations nach deren Art 1 nur die gegenseitigen Beziehungen zwischen den nationalen Versicherungsbüros regeln. Daraus folgt jedoch, dass sie anderen Personen, insbesondere auch den Geschädigten gegenüber, weder Rechte noch Pflichten begründen. Geschädigte eines Verkehrsunfalls, wie hier die Klägerin, können aus den Bestimmungen der Internal Regulations daher keine Rechte für sich herleiten (so auch Junker in MüKoBGB6 [2015] Art 18Rom II-VO Rn 23; Lemor in Feyock/Jacobsen/Lemor, Kraftfahrtversicherung³ [2009], Grenzversicherung/System der grünen Versicherungskarte, Rn 27), somit auch nicht das Recht auf eine betraglich unbegrenzte Haftung der beklagten Partei.
8. Das Berufungsgericht hat eine über die Mindestversicherungssumme hinausgehende Deckungspflicht der beklagten Partei und damit das Feststellungsinteresse der Klägerin in Übereinstimmung mit der höchstgerichtlichen Rechtsprechung verneint. Da es der Lösung von Rechtsfragen iSd § 502 Abs 1 ZPO nicht bedarf, ist die Revision zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO. Die beklagte Partei hat auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen.
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