OGH 2Ob75/23b

OGH2Ob75/23b16.5.2023

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Grohmann als Vorsitzende sowie die Hofräte Dr. Nowotny, Hon.‑Prof. PD Dr. Rassi, MMag. Sloboda und Dr. Kikinger als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei I*, vertreten durch Dr. Wolfgang Grogger, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagten Parteien 1. D*, und 2. M*, beide vertreten durch Mag. Dr. Maria Lisa Aidin, MAS, LL.M., Rechtsanwältin in Salzburg, wegen 33.662,17 EUR sA, über die Revision der beklagten Parteien (Revisionsinteresse: 12.888,24 EUR sA) gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 28. Dezember 2022, GZ 11 R 209/22v‑102, womit infolge Berufungen sämtlicher Streitteile das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom 25. August 2022, GZ 57 Cg 109/19x‑93, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0020OB00075.23B.0516.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Insolvenzrecht

Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die beklagten Parteien haben die Kosten ihres erfolglosen Rechtsmittels selbst zu tragen.

 

Begründung:

[1] Der Kläger verkaufte im Jahr 2013 Liegenschaftsanteile an eine OG, deren Gesellschafterinnen (unter anderem) die Beklagten sind. Die Übergabe der Liegenschaft erfolgte am 31. 3. 2013, eine Einverleibung des Eigentumsrechts der OG allerdings erst im Juni 2015, wobei diese Verzögerung auf Umstände in der Sphäre der OG zurückzuführen war. Über das Vermögen der OG wurde im Dezember 2018 das Insolvenzverfahren eröffnet, ein Sanierungsplan wurde nicht abgeschlossen.

[2] Die Vorinstanzen gaben dem vom Kläger erhobenen, auf § 128 UGB gestützten Zahlungsbegehren im Umfang von 12.888,24 EUR sA statt. Sie verpflichteten die Beklagten zum Ersatz der vom Kläger im Juli 2016 gezahlten, nach dem Kaufvertrag aber von der OG zu tragenden gerichtlichen Eintragungsgebühr von 8.279 EUR. Darüber hinaus bejahten die Vorinstanzen einen Anspruch auf Zahlung von 2.209,24 EUR, weil der Kläger aufgrund seiner Stellung als grundbücherlicher Eigentümer in (zumindest) diesem Umfang von der OG verweigerte Zahlungen auf Betriebskosten für April bis Juni 2015 geleistet habe. Schließlich verurteilten sie die Beklagten zur Zahlung von Schadenersatz im Umfang von 2.400 EUR, weil der Kläger diesen Betrag für Anwaltskosten aufwenden habe müssen, um einen gegen ihn als grundbücherlichen Eigentümer von der Baubehörde erlassenen Strafbescheid, dem von der OG ohne entsprechende Baubewilligung vorgenommene Umbauarbeiten im Frühjahr 2014 zu Grunde gelegen seien, (erfolgreich) zu bekämpfen.

[3] Das Berufungsgericht ließ die ordentliche Revision nachträglich mit der Begründung zu, dass höchstgerichtliche Rechtsprechung zur Frage fehle, ob für im Insolvenzverfahren nicht angemeldete Gesellschaftsverbindlichkeiten der insolvenzrechtliche „Zinsstopp“ gemäß § 58 Z 1 IO auch gegenüber Gesellschaftern einer OG gelte.

[4] Gegen den Zuspruch von 12.888,24 EUR sA richtet sich die Revision der Beklagten mit dem Antrag, das Berufungsurteil als nichtig aufzuheben; hilfsweise werden die Abänderung im gänzlich klagsabweisenden Sinn und die Aufhebung begehrt.

[5] Der Klägerhat keine Revisionsbeantwortung erstattet.

Rechtliche Beurteilung

[6] Die Revision ist – entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§ 508a Abs 1 ZPO) Ausspruch des Berufungsgerichts – nicht zulässig, weil keine Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO zu beantworten ist.

[7] 1. Die gerügte Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens wurde vom Obersten Gerichtshof geprüft; sie liegt nicht vor (§ 510 Abs 3 ZPO).

[8] 2. Wenn die Beklagten argumentieren, dass das Berufungsgericht zu Unrecht davon ausgegangen sei, dass die Voraussetzungen für die Präklusion eines Zeugenbeweises vorgelegen hätten, machen sie im Ergebnis einen Mangel des erstinstanzlichen Verfahrens geltend, dessen Vorliegen das Berufungsgericht bereits – ebenso wie eine darauf gestützte angebliche Nichtigkeit des erstinstanzlichen Verfahrens – verneint hat. Dem Obersten Gerichtshof ist damit ein Eingehen auf diese Frage nach ständiger Rechtsprechung verwehrt (RS0042963 [verneinter erstinstanzlicher Verfahrensmangel]; RS0042981 [verneinte Nichtigkeit des erstinstanzlichen Verfahrens]).

[9] 3. Wenn die Beklagten eine Nichtigkeit des erstinstanzlichen Verfahrens darin erblicken, dass ihnen die in der letzten, in Abwesenheit der Beklagten und ihrer Rechtsanwältin abgehaltenen Tagsatzung gelegte Kostennote des Klägers nicht zugestellt worden sei, sind sie (erneut) darauf zu verweisen, dass dem Obersten Gerichtshof Ausführungen zum Vorliegen einer vom Berufungsgericht bereits verneinten Nichtigkeit des erstinstanzlichen Verfahrens verwehrt sind (RS0042981).

[10] 4. Nach § 128 UGB haften die Gesellschafter (einer OG) für die Verbindlichkeiten der Gesellschaft den Gläubigern als Gesamtschuldner unbeschränkt.

[11] 4.1. Der Oberste Gerichtshof hat für den hier zu beurteilenden Fall, in dem nur über das Vermögen der OG, nicht aber über das Vermögen der beklagten Gesellschafterinnen das Insolvenzverfahren eröffnet wurde, bereits ausgesprochen, dass die Gesellschafter den Gesellschaftsgläubigern bis zur Rechtskraft der Bestätigung eines allfällig abgeschlossenen Sanierungsplans (vgl § 164 Abs 2 IO) im Insolvenzverfahren über das Vermögen der OG unbeschränkt haften (3 Ob 32/09s). Da die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der OG damit keinen unmittelbaren Einfluss auf die – auch nach Insolvenzeröffnung nicht auf den Ausfall begrenzte und damit weiterhin primäre – Haftung der Gesellschafter nach § 128 UGB hat (so bereits 1 Ob 1019/53 SZ 27/45), setzt die Inanspruchnahme des Gesellschafters nach Insolvenzeröffnung über das Vermögen der OG entgegen den Revisionsausführungen keine vorhergehende Anmeldung der Forderung des Gesellschaftsgläubigers in diesem Insolvenzverfahren voraus.

[12] 4.2. Nach § 58 Z 1 IO können die seit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens laufenden Zinsen nicht als Insolvenzforderungen geltend gemacht werden. Die Bestimmung ändert jedoch weder den materiellen Bestand der Zinsenforderung noch ihre Fälligkeit, sondern schließt nur deren Geltendmachung als Insolvenzforderung aus. Möglich ist hingegen weiterhin die Geltendmachung in anderer Weise, etwa gegenüber dem Bürgen des Schuldners oder außerhalb des Insolvenzverfahrens durch persönliche Klage gegen den Schuldner (3 Ob 187/11p Punkt 5.3. mwN; RS0064684).

[13] Vor dem Hintergrund dieser Rechtsprechung hat das Berufungsgericht in nicht korrekturbedürftiger Weise angenommen, dass der Gesellschaftsgläubiger im Rahmen seines auf § 128 UGB gestützten Begehrens gegen den Gesellschafter der OG auch im Fall der Insolvenzeröffnung über das Vermögen der OG – solange kein Sanierungsplan angenommen wird – Anspruch auf die nach Insolvenzeröffnung auflaufenden Zinsen hat (vgl Mohr in Konecny/Schubert, Insolvenzgesetze § 164 KO Rz 7).

[14] 5. Die Rechtsansicht der Vorinstanzen, dass die Klage beim zuerst angerufenen Gericht jedenfalls innerhalb von drei Jahren nach Beginn der Verjährung der einzelnen noch revisionsgegenständlichen Forderungen eingelangt ist, lassen die Beklagten in der Revision unbeanstandet. Sie argumentieren jedoch, dass der Kläger das Verfahren nicht gehörig fortgesetzt habe und damit Verjährung eingetreten sei.

[15] Nach der Rechtsprechung ist im Fall eines Überweisungsbeschlusses nach § 261 Abs 6 ZPO oder § 230a ZPO der Tag des Einlangens der Klage beim zuerst angerufenen Gericht für die Prüfung der Frage maßgeblich, ob Unterbrechung der Verjährung durch Klageerhebung im Sinn des § 1497 ABGB eingetreten ist (RS0034610; vgl auch RS0034682). Dabei ist nicht maßgeblich, ob die Einbringung der Klage beim unzuständigen Gericht auf einem entschuldbaren oder nicht entschuldbaren Irrtum oder gar auf Absicht beruht (RS0034720 [T2]).

[16] Auf Grundlage dieser Rechtsprechung hat das Berufungsgericht in nicht korrekturbedürftiger Weise die Verjährung der noch revisionsgegenständlichen Ansprüche verneint. Dass es im Anlassfall insgesamt zwei Mal zu einer Überweisung gekommen ist, ändert nichts daran, dass die Gerichtsanhängigkeit durch die jeweilige Überweisung der Rechtssache gewahrt blieb. Die in der Revision zitierte Entscheidung 10 Ob 113/07a betrifft den Fall der Verjährungsunterbrechung durch eine wegen Unzuständigkeit des im Ausland angerufenen Gerichts zurückgewiesene Klage und ist damit nicht unmittelbar einschlägig.

[17] Anhaltspunkte dafür, dass es dem Kläger am nötigen Ernst zur Verfolgung seines Prozessziels gefehlt hätte (vgl RS0034805), lassen sich weder dem festgestellten Sachverhalt noch der Aktenlage entnehmen.

[18] 6. Sollten sich die schwer verständlichen Ausführungen zum angeblichen Mitverschulden des Klägers auf die eingewendete Gegenforderung von 6.000 EUR beziehen, ist den Beklagten zu erwidern, dass bereits das Erstgericht diese Gegenforderung als unschlüssig angesehen und das Berufungsgericht das Vorliegen einer unzulässigen Überraschungsentscheidung in diesem Zusammenhang verneint hat.

[19] Im Übrigen sind die Beklagten darauf zu verweisen, dass die dem Kläger entstandenen Kosten für die Vertretung im Verwaltungsstrafverfahren nach den getroffenen Feststellungen auf von der OG ohne Baubewilligung veranlasste Umbauarbeiten zurückzuführen sind und Anhaltspunkte für ein Mitverschulden des Klägers in diesem Zusammenhang fehlen.

[20] 7. Insgesamt war die Revision damit zurückzuweisen.

[21] 8. Die Kostenentscheidung beruht auf § 40 iVm § 50 ZPO.

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