Spruch:
Der Revision wird Folge gegeben.
Das Urteil des Berufungsgerichtes wird aufgehoben. Die Rechtssache wird an das Berufungsgericht zur neuerlichen Entscheidung zurückverwiesen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens bilden weitere Verfahrenskosten.
Text
Begründung
Die Vorinstanzen gingen von folgenden Sachverhaltsfeststellungen aus:
Die Klägerin ist aufgrund des Kaufvertrages vom 28. 5. 2004 Alleineigentümerin eines Hauses mit zwei Wohnungen in Bad Hofgastein. Die Beklagte ist Mieterin der im Obergeschoß gelegenen, 70 m2 großen Wohnung, die sie seit 1995 bewohnt. Die im Erdgeschoß gelegene, von der Klägerin benutzte Wohnung besteht aus Wohnraum (21 m2), Schlafzimmer (19 m2), Küche (7 m2), Bad, WC und Vorraum. Der Flur im Erdgeschoß führt zum Stiegenhaus, das einerseits zur Wohnung der Beklagten in das erste Obergeschoß und andererseits in den Keller (Souterrain) führt. Vom Flur im Souterrain rechts gelegen befinden sich der rund 14 m2 große Heizraum sowie ein Zimmer, in dem - vom übrigen Raum abgetrennt - eine Dusche und ein WC vorhanden sind. Ohne die Fläche unmittelbar vor dem Eingang zu Dusche und WC hat der Raum insgesamt 14 m2. In diesem als Bügel- und Abstellraum benützten Raum sind ein Küchenblock, zwei Sofas und eine Ablage aufgestellt. Er dient der Aufbewahrung von Bettwäsche/Wäsche, Koffer, Schulsachen etc. Die ältere, 20-jährige Tochter der Klägerin, die Flugbegleiterin ist und über eine eigene Wohnung in Wien verfügt, nächtigt bei ihren durchschnittlich alle drei Wochen oder einmal im Monat stattfindenden Besuchen in diesem Raum. Links vom Flur liegen das 9 m2 große Zimmer des 19-jährigen Sohnes der Klägerin, sowie direkt daneben das von der jüngeren, 1989 geborenen Tochter der Klägerin bewohnte, 13 m2 große Zimmer. Der Sohn der Klägerin ist Koch- und Kellnerlehrling, wird Ende 2006 seine Ausbildung beenden und anschließend Präsenzdienst leisten. Er verdient monatlich EUR 600 und plant, im Tourismus im Bereich seines derzeitigen Wohnortes zu arbeiten. Seit etwa drei Jahren hat er eine Beziehung zu einer 18-jährigen, der in der 90 m2 großen Wohnung ihres Vaters ein eigenes Schlafzimmer mit Einzelbett zur Verfügung steht. Der Vater seiner Freundin lehnt gemeinsame Übernachtungen in seiner Wohnung ab, weshalb das Paar früher öfters im Zimmer des Sohnes der Klägerin, das mit einem Doppelbett ausgestattet ist, nächtigte. Zuletzt hielt sich die Freundin des Sohnes längere Zeiten nicht bei ihm auf, weil die Klägerin und die jüngere Tochter Anna es nicht wünschten. Insbesondere Anna fühlt sich aufgrund der sehr hellhörigen Wand zwischen den beiden Zimmern durch ihren Bruder gestört, wenn dieser öfters erst nach 23.00 Uhr nach Hause kommt, fernsieht, oder mit seiner Freundin geschlechtlich verkehrt. Die jüngere Tochter besucht eine Hotelfachschule und steht an Schultagen bereits um 6.00 Uhr morgens auf. Der Sohn der Klägerin hat derzeit keine konkreten Pläne mit seiner Freundin zusammenzuziehen. Ein konkretes Vorhaben, bei Freiwerden die Wohnung der Beklagten mit seiner Freundin zu beziehen, ist nicht feststellbar. Eine ständige Aufnahme der jüngeren Tochter in die im Erdgeschoß gelegene Wohnung hält die Klägerin für nicht realisierbar, weil sie selbst einen Freund hat und aufgrund ihrer Tätigkeit an einer Hotelbar regelmäßig nach Mitternacht nach Hause kommt. Die jüngere Tochter, die nur auf der Couch im Wohnzimmer schlafen könnte, wäre in ihrer Nachtruhe gestört. Das „Bügelzimmer" im Souterrain hält die Klägerin für Wohnzwecke des Sohnes für ungeeignet und das derzeitige Zimmer des Sohnes für einen Lager-/Bügelraum für zu klein. Die beiden jüngeren Kinder der Klägerin benützen gemeinsam den Dusch- und WC-Raum im Souterrain. Die Reinigung dieses Sanitärraumes übernimmt die jüngere Tochter, die deshalb die Benützung durch Freunde ihres Bruders wegen möglicher Verschmutzung ablehnt. Der Sohn der Klägerin verfügt im Gegensatz zu seiner jüngeren Schwester nicht über einen Schreibtisch in seinem Zimmer, weshalb er Schreibarbeiten in der Küche seiner Mutter erledigt.
Nach ihrem Einzug im Herbst 1995 stellte die Beklagte einige ihrer Möbel außerhalb der Wohnung ab, darunter mit der Zustimmung des Voreigentümers drei Kästchen auf dem Stiegenabsatz zwischen der oberen und unteren Stiege des Treppenhauses zwischen dem Erd- und Obergeschoß. Wegen der anderen, „überall im Haus stehenden" Gegenstände der Beklagten gab es zwischen der Mieterin und dem Voreigentümer etwa ein Jahr lang ernste Differenzen. Nachdem die Beklagte den Aufforderungen des damaligen Vermieters zur Entfernung ihrer Gegenstände, nicht nachgekommen war, stellte der Voreigentümer Gegenstände entweder unmittelbar vor die Wohnungstüre oder in eine Scheune. Nach Beendigung dieser Differenzen duldete der Voreigentümer das Abstellen von Gegenständen am Zwischenpodest, am oberen Stufenaufgang und vor der Wohnungstüre der Beklagten ebenso wie die Lagerung von Lebensmitteln im Stiegenhaus vor der Eingangstüre zu der vermieteten Wohnung. Bei der Besichtigung des Hauses vor dem Kauf bemerkte die Klägerin die drei Kästchen am Zwischenpodest, einige Schuhe am oberen Stiegenaufgang, sowie den Kühlschrank und den Kasten vor der Wohnungseingangstüre der Beklagten. Mehrfache Aufforderungen der Klägerin, diese Gegenstände wegzuräumen, blieben ergebnislos. Dass der Voreigentümer das Abstellen von Gegenständen bloß auf jederzeitigen Widerruf duldete, ist nicht feststellbar. Einmal stellte die Beklagte eine Krautsuppe in einem Kochtopf mit Deckel in das Vorhaus. Den daraufhin im Flur entstehenden Geruch empfanden die Klägerin und ihre Kinder als unangenehm.
Die Klägerin stützte die Aufkündigung auf die Kündigungsgründe des § 30 Abs 2 Z 3 und Z 9 MRG. Die alleinstehende Mieterin, die eine Wohnung von ca 70 m2 bewohne und eine Scheune im Ausmaß von 10 m2 mitbenützen könne, „breite sich mehr und mehr im Haus aus", indem sie im Stiegenhaus Gegenstände abstelle und sogar den Zugang zum Dachboden insbesondere für den Rauchfangkehrer verhindere. Durch das Deponieren von Lebensmitteln (wie Zwiebel und Kochtopf mit Krautsuppe) komme es zu einer Geruchsbelästigung im gesamten Haus. Das Verhalten der Mieterin führe dazu, dass der Klägerin und ihren Kindern immer weniger Platz zur Verfügung stehe. Die aufgekündigte Wohnung werde für den Sohn der Klägerin benötigt. Im Fall der Bejahung des Eigenbedarfes bot die Klägerin der Beklagten die Beschaffung einer Ersatzwohnung an.
Die Beklagte hielt der Kündigung im Wesentlichen die bereits seit 1995, mit der Zustimmung des Voreigentümers erfolgte Nutzung der Flächen im Stiegenhaus, die den Zutritt des Rauchfangkehrers zum Dachboden nicht hindere und für die Klägerin keinerlei Platzbeschränkung bedeute, und die mögliche Neuverteilung der Räume im Souterrain durch Einzug des Sohnes in das „Bügelzimmer" entgegen. Das Erstgericht hob die Kündigung auf und wies das Klagebegehren ab. Die stillschweigende Duldung des Abstellens von Gegenständen im Stiegenhaus durch den Voreigentümer berechtige die Mieterin zu einer derartigen Nutzung auch nach dem Wechsel des Eigentümers. Eine notstandsartige Wohnsituation des Sohnes der Vermieterin sei nicht gegeben, zumal die Möglichkeit bestehe, entweder die hellhörige Wand zwischen den beiden Kinderzimmern schalldicht auszuführen oder den derzeitigen „Bügelraum" in einen Schlaf- und Aufenthaltsraum des Sohnes umzugestalten, dies ohne umfangreiche Baumaßnahmen. Das von der Klägerin angerufene Berufungsgericht bestätigte dieses Urteil in der Hauptsache. Es übernahm die Feststellungen des Erstgerichtes und teilte dessen Rechtsauffassung zu der möglichen Neuverteilung der Räume im Souterrain und der stillschweigenden Duldung der Erweiterung des Nutzungsrechtes durch den Voreigentümer. Bei Beurteilung des Wohnbedürfnisses sei insbesondere die Negativfeststellung zum beabsichtigten Bezug der aufgekündigten Wohnung durch den erst 19-jährigen Sohn der Klägerin zu berücksichtigen, der sich noch in Ausbildung befinde und nur über geringe finanzielle Mittel verfüge.
Die Klägerin bekämpft in ihrer außerordentlichen Revision dieses Urteil wegen Aktenwidrigkeit, Mangelhaftigkeit des Verfahrens und unrichtiger rechtlicher Beurteilung und begehrt die Abänderung im Sinn einer Stattgebung des Klagebegehrens; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Die Beklagte beantragt in der ihr freigestellten Revisionsbeantwortung, der Revision nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist zulässig und berechtigt, weil dem Berufungsgericht bei Erledigung der Berufung eine wesentliche Aktenwidrigkeit unterlaufen ist.
Der Kündigungsgrund des § 30 Abs 2 Z 9 MRG liegt vor, wenn der Vermieter den Mietgegenstand für sich selbst oder für Verwandte in gerader Linie dringend benötigt und dem Mieter Ersatz beschafft wird. Die strenge Judikaturlinie, die bei Beurteilung des dringenden Eigenbedarfes der geschützten Person einen Notstand verlangt (RIS-Justiz RS0070482; RS0068227; vgl RS0107875; RS0070619; RS0067285; weitere Nachweise bei T. Hausmann in Hausmann/Vonkilch, Österreichisches Wohnrecht § 30 MRG Rz 71 f) und bei der Beurteilung der unerträglichen Wohnsituation auf Wohnverhältnisse der Nachkriegszeit abstellt (Nachweise in 4 Ob 105/98i = SZ 71/70, sowie T. Hausmann aaO Rz 71 und Oberhofer in Schwimann2 § 30 MRG Rz 42) wurde bereits als nicht mehr zeitgemäß kritisiert (RIS-Justiz RS0067660 [T1]; RS0067285 [T1]; 7 Ob 554/95; 6 Ob 135/04b; weitere Nachweise bei T. Hausmann aaO Rz 74, 76 und bei Oberhofer aaO). Der Oberste Gerichtshof hat etwa in dem zu 7 Ob 554/95 entschiedenen Fall den dringenden Wohnbedarf eines 20-jährigen Studenten, der in der elterlichen Wohnung nur ein Durchgangszimmer hatte und ständig durch seine 6-jährige Schwester gestört wurde, bejaht und die Kündigung eines Untermietverhältnisses, bei dem allerdings ein weniger strenger Maßstab anzulegen ist (RIS-Justiz RS0070689), für gerechtfertigt erachtet. Eine ähnliche Auffassung zur Unzumutbarkeit wurde zu 4 Ob 105/98i vertreten: Ein 24-jähriger Student verfügte nur über ein 12 m2 großes Zimmer in einem Studentenheim mit gemeinschaftlich zu nutzender Küche und Sanitärräumen und beabsichtigte, mit seiner Lebensgefährtin einen Hausstand zu gründen.
Grundsätzlich sind zwar vage, in nicht absehbarer Zeit eintretende Umstände bei Beurteilung des dringenden Wohnbedarfes außer Acht zu lassen (Nachweise bei T. Hausmann aaO Rz 73); hier ist aber nicht die Wohnsituation des volljährigen, am Ende seiner derzeitigen Ausbildung stehenden Sohnes der Vermieterin isoliert zu betrachten; vielmehr kann der allfällig geplanten Aufnahme einer Wohngemeinschaft zwischen dem Sohn der Vermieterin und seiner Freundin eine erhebliche Bedeutung für die zukünftige Lebensplanung nicht abgesprochen werden. Die zu dem eben genannten Thema getroffenen Feststellungen hat die Klägerin in der Beweisrüge ihrer Berufung ausdrücklich bekämpft und Feststellungen über die Absicht des Sohnes der Vermieterin, bei Freiwerden der aufgekündigten Wohnung mit seiner Freundin zusammenzuziehen, begehrt. Bei Erledigung dieses Punktes der Beweisrüge pflichtete das Berufungsgericht dem Erstgericht darin bei, dass insbesondere die Freundin (des Sohnes) im Rahmen ihrer Einvernahme nicht den Eindruck ihres Wunsches, mit dem Sohn der Klägerin zusammenzuziehen, vermittelt hätte, obwohl die Freundin des Sohnes im gesamten erstinstanzlichen Verfahren nicht vernommen wurde. Tatsächlich hatte das Erstgericht keineswegs die Zeugenaussage einer gar nicht vernommenen Zeugin gewürdigt, sondern nur erhebliche Zweifel an der strittigen Absicht des Sohnes der Klägerin geäußert und zwar mit dem Argument, dass Beweise für eine entsprechende Absicht auch der Freundin fehlten (ON 9, S 22).
Die Vorgangsweise des Berufungsgerichtes, die Übernahme der bekämpften Feststellungen im Wesentlichen nur auf einen gar nicht aufgenommenen Beweis zu stützen, verwirklicht aufgrund der bereits dargelegten Entscheidungsrelevanz der zukünftigen Lebensplanung des Sohnes der Vermieterin den Revisionsgrund der Aktenwidrigkeit iSd § 503 Z 3 ZPO (vgl RIS-Justiz RS0043347 [T9]), was im konkreten Fall zur Wahrung der Rechtssicherheit die Aufhebung des Berufungsurteils und die Zurückverweisung der Rechtssache an die zweite Instanz erfordert (vgl RIS-Justiz RS0042762 [T3, T5]). Sollte das Berufungsgericht den erwähnten, nicht aufgenommenen Beweis weiterhin für wesentlich halten, wird es eine Beweisergänzung vorzunehmen haben.
Der gerügte Mangel des Berufungsverfahrens wurde geprüft. Er liegt nicht vor (§ 510 Abs 3 ZPO).
Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 52 ZPO.
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