OGH 7Ob554/95

OGH7Ob554/956.9.1995

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Warta als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Kodek, Dr.Schalich, Dr.Schinko und Dr.I.Huber als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1.) Roswitha S***** und 2.) Philipp S*****, beide vertreten durch Dr.Gerhard Deinhofer, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei M***** AG, ***** vertreten durch Dr.Gerhard Benn-Ibler, Rechtsanwalt in Wien, wegen Aufkündigung, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien vom 17.Jänner 1995, GZ 48 R 1052/94-12, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Bezirksgerichtes Innere Stadt Wien vom 29.Juli 1994, GZ 42 C 610/93-8, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit S 3.573,50 (darin enthalten S 595,58 USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Kläger sind Hauptmieter der ca 62 m2 großen Wohnung Top Nr 25-28 in ***** Wien, *****. Die Wohnung ist an die beklagte Partei untervermietet. Die beklagte Partei bezahlte bis Juli 1993 den vereinbarten und infolge einer Wertsicherungsvereinbarung auf ca S 5.400,-- monatlich angestiegenen Mietzins. Seit Einleitung eines Schlichtungsstellenverfahrens leistete die beklagte Partei jedoch nur mehr S 444,--. Der Hauptmietzins beträgt ca S 1.000,--.

Der Zweitkläger studiert seit Herbst 1992 Rechtswissenschaften. Er wohnt gemeinsam mit der Erstklägerin - seiner Stiefmutter -, seinem Vater und seiner 6jährigen Schwester in einer Eigentumswohnung seiner Eltern. Tagsüber hält sich auch der 24jährige Bruder des Zweitklägers, der im selben Haus über eine eigene, etwa halb so große Eigentumswohnung verfügt, in der elterlichen Wohnung auf. Die Wohnung besteht aus fünf Zimmern. Der Zweitkläger hat ein eigenes Zimmer zur Verfügung, das aber von allen Seiten her zugänglich ist. Der Zweitkläger ist deshalb beim Lernen verschiedenen Belästigungen, die vor allem von seiner 6jährigen Schwester ausgehen, ausgesetzt. Nach der Schule spielt sie oder sieht fern, wodurch Lärm entsteht. Sie kommt auch öfters ins Zimmer des Zweitklägers, um ihn etwas zu fragen oder mit ihm zu spielen. Es ist für den Zweitkläger schwierig, Besuche zu empfangen.

Die Kläger sind Hauptmieter von weiteren Bestandobjekten im Haus *****, die jedoch teils aufgrund der baulichen Verhältnisse als Wohnung ungeeignet und teils unbefristet untervermietet sind.

Die Kläger kündigten der beklagten Partei die untervermietete Wohnung auf, weil der Zweitkläger die Wohnung dringend für sich selbst benötige. Er werde beim Studieren von seiner kleinen Schwester gestört. Die selbständige Wohnungsnahme sei auch deshalb erforderlich, um sich entsprechend seinem Alter vom elterlichen Haushalt lösen zu können.

Die beklagte Partei erhob Einwendungen und beantragte die Aufhebung der Aufkündigung unter anderem mit der noch aktuellen Begründung, daß der geltend gemachte Kündigungsgrund des Eigenbedarfes nicht vorliege.

Das Erstgericht erklärte die Aufkündigung für rechtswirksam und trug der beklagten Partei die Räumung und Übergabe der Wohnung auf. Es bejahte das Vorliegen des Kündigungsgrundes des § 30 Abs 2 Z 12 MRG. Dem Zweitkläger sei ein wichtiges Interesse an der untervermieteten Wohnung zuzubilligen, weil er diese zum ungestörten Studium sowie für seine Persönlichkeitsentwicklung benötige.

Das Gericht zweiter Instanz bestätigte dieses Urteil und sprach aus, daß die ordentliche Revision zulässig sei. Es teilte die Auffassung des Erstgerichtes, daß der Kündigungsgrund des § 30 Abs 2 Z 12 MRG vorliege und bejahte die Zulässigkeit der Revision, weil eine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes zur Frage des Eigenbedarfes eines im Familienverband der Eltern lebenden Studenten fehle.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist aus dem vom Gericht zweiter Instanz angeführten Grund zulässig, sie ist aber nicht berechtigt.

Wie schon die Untergerichte zutreffend ausgeführt haben, sind nach ständiger Rechtsprechung unter den in § 30 Abs 2 Z 12 MRG genannten wichtigen Interessen des Untervermieters alle Momente zu verstehen, die für den Untervermieter vom Standpunkt seiner Familieninteressen oder seiner geschäftlichen Bedürfnisse von maßgeblicher Bedeutung sind, ohne daß es sich geradezu um Lebensnotwendigkeiten handeln muß. Zu diesen Interessen gehört auch der Eigenbedarf, aber unter Anlegung eines weniger strengen Maßstabes als bei der Aufkündigung einer Hauptmiete und ohne Interessenabwägung oder Ersatzbeistellung (MietSlg 18.455 uva, zuletzt etwa 1 Ob 519/91 = ecolex 1991, 455).

Aus einigen älteren Entscheidungen des Obersten Gerichtshofes zu § 19 Abs 2 Z 12 MRG, wonach der Bedarf eines Ehepaares nach eigenem Wohnraum nicht mit dem Bedarf eines im Verband der Eltern lebenden unverheirateten Kindes verglichen werden könne, sondern darüber hinausgehe (MietSlg 5224, MietSlg 6620, MietSlg 9721), läßt sich zwar die damalige Einstellung ableiten, daß unverheirateten Kindern kein besonderer Bedarf nach einer eigenen Wohnmöglichkeit zuzugestehen sei. Diese Entscheidungen liegen aber über 30 Jahre zurück und stammen aus einer Zeit, in der die Wohnverhältnisse im allgemeinen wesentlich beengter und unkomfortabler und die finanziellen Möglichkeiten, einem Studenten eine eigene Wohnung zu unterhalten, wesentlich eingeschränkter waren. Aus der in der Revision zitierten Entscheidung MietSlg 26.294 geht diese Ansicht im Gegensatz zu den Revisionsausführungen nicht mehr hervor. Heute ist es nichts Ungewöhnliches, daß sich Kinder etwa im Volljährigkeitsalter vom Haushalt der Eltern lösen und einen eigenen Hausstand gründen, mögen sie nun bereits ins Berufsleben eingetreten sein oder eine weitere Ausbildung anstreben. Der Weiterverbleib eines Studenten in der von seiner übrigen Familie bewohnten Wohnung, in der er ein eigenes Zimmer besitzt und die am Ort des Studiums liegt, ist zwar nicht gerade als existenzgefährdend anzusehen. Auch ein gewichtiges Interesse nach eigener Wohnungsnahme ist nicht generell und ohne Bedachtnahme auf die konkreten Umstände zu bejahen, wenn auch das Streben nach Selbständigkeit mit zunehmendem Alter unabhängig davon, ob bereits eine eigene Familie gegründet wurde, ob schon eine dauerhafte Partnerschaft besteht oder nicht, üblicherweise immer größer wird.

Im vorliegenden Fall spricht jedoch die Tatsache, daß der Zweitkläger in der Wohnung seiner Eltern auf ein Durchgangszimmer angewiesen ist, wodurch er auf der Hand liegenden Beeinträchtigungen ausgesetzt ist und es ihm nicht möglich ist, sich einen eigenen persönlichen Bereich zu schaffen, für seinen dringenden Bedarf an einer eigenen Wohnung im Sinn des § 30 Abs 2 Z 12 MRG. Es ist dem Kläger bei der festgestellten derzeitigen Wohnsituation zuzugestehen, daß es ihm kaum möglich ist, sich gegen "Störaktionen" seiner kleinen Schwester abzusichern, und daß es schwierig für ihn ist, Besuche zu empfangen. Daß die Wohnsituation entsprechend umgestaltet werden könnte, wurde von der beklagten Partei nicht behauptet. Den Klägern ist somit der Nachweis gelungen, daß es dem Zweitkläger auf Grund der konkreten Umstände nicht zumutbar ist, weiterhin im Wohnverband mit seiner Familie zu verbleiben.

Dem Argument der Revision, die Eltern des Zweitklägers könnten diesen auch in der von seinem Bruder bewohnten Wohnung unterbringen, ist entgegenzuhalten, daß nach den Feststellungen der Untergerichte der volljährige Bruder in seiner eigenen Wohnung wohnt und daher weder von den Eltern noch vom Zweitkläger dazu verhalten werden kann, den Zweitkläger in seinen Wohnverband aufzunehmen. Es liegt insoweit auch kein sekundärer Feststellungsmangel vor.

Die Entscheidungen der Untergerichte waren daher zu bestätigen.

Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens gründet sich auf die §§ 41 und 50 ZPO.

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