European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2016:0020OB00065.16X.0525.000
Spruch:
Der Revision wird Folge gegeben.
Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden aufgehoben und es wird die Rechtssache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.
Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.
Begründung:
Am 18. 8. 2013 ereignete sich in W***** unmittelbar nach dem Kreisverkehr der B ***** ein Verkehrsunfall, an dem ein von H***** B***** gelenkter und gehaltener und auf ihn zugelassener PKW mit einem deutschen Kennzeichen (im Folgenden: Klagsfahrzeug) und ein von H***** Z***** gelenkter und bei einem Schweizer Versicherer haftpflichtversicherter PKW mit einem Schweizer Kennzeichen (im Folgenden: Beklagtenfahrzeug) beteiligt waren. Die klagende Partei, eine in Deutschland ansässige Gesellschaft mit beschränkter Haftung, ist Haftpflicht-, Kaskoversicherer und Leasinggeber des Klagsfahrzeugs, der genannte Lenker des Klagsfahrzeugs ist Leasingnehmer.
Gemäß Punkt VIII. der Leasingbedingungen ist der Leasinggeber Eigentümer des Fahrzeugs, gemäß Punkt IX. trägt der Leasingnehmer sämtliche Aufwendungen, die mit dem Betrieb und der Haltung des Fahrzeugs verbunden sind, insbesondere Steuern, Versicherungsbeiträge, Wartungs‑ und Reparaturkosten. Gemäß Punkt X.3 der Leasingbedingungen hat der Leasingnehmer die notwendigen Reparaturarbeiten unverzüglich im eigenen Namen und auf eigene Rechnung durchführen zu lassen, bei Versicherung über den Leasinggeber trifft den Leasingnehmer die gleiche Verpflichtung, jedoch mit der Maßgabe, die Reparatur unter Vorlage des Leasingausweises im Namen und für Rechnung des Leasinggebers durchführen zu lassen.
Der Lenker des Klagsfahrzeugs mietete nach dem Unfall ein Ersatzfahrzeug. Die Rechnung dafür wurde an die klagende Partei unter dem Hinweis Kaskoschutz übersandt. Die Rechnung für die Gutachtenserstellung bzw Kalkulation wurde ebenfalls an die klagende Partei übersandt. Die Einholung eines Gutachtens über die merkantile Wertminderung wurde von der klagenden Partei in Auftrag gegeben.
Der Lenker des Klagsfahrzeugs hat alle Schadenersatzansprüche aus dem Unfall am 16./19. 11. 2014 an die klagende Partei zum Inkasso abgetreten.
Die Klägerin begehrte 7.257,13 EUR sA (Reparaturkosten, Abschleppkosten, Wertminderung, Mietwagenkosten und pauschale Unkosten). Die klagende Partei sei Eigentümerin des Klagsfahrzeugs, sie sei auch als Kaskoversicherer tätig, ihr seien alle Schadenersatzansprüche aus dem Unfall zum Inkasso abgetreten worden, weshalb „die Forderung“ jedenfalls auf die klagende Partei übergegangen und daher die Aktivlegitimation der klagenden Partei gegeben sei. Der Schaden habe insgesamt 14.514,47 EUR betragen, wovon „aus prozessualer Vorsicht bzw unter Hinweis auf EKHG“ 50 % geltend gemacht würden. Die Klägerin erstattete Vorbringen zum Unfallshergang und folgerte daraus das Alleinverschulden des Lenkers des Beklagtenfahrzeugs.
Der beklagte Verband der Versicherungsunternehmen Österreichs wendete ein, aufgrund des (näher beschriebenen) Unfallhergangs treffe den Lenker des Klagsfahrzeugs das Alleinverschulden. Auch die Höhe des Klagebegehrens wurde bestritten. Der Beklagte bestritt weiters die aktive und passive Klagslegitimation. Die Klägerin falle nicht in den Kreis der schutzwürdigen Personen.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es traf die eingangs wiedergegebenen Feststellungen; Feststellungen zum Unfallhergang und zu den entstandenen Schäden traf es nicht. Rechtlich vertrat es die Ansicht, nach der Entscheidung 7 Ob 48/11a seien juristische Personen (wie etwa auch die klagende Partei), zum Beispiel andere Versicherungsunternehmen oder Einrichtungen der sozialen Sicherheit, nicht berechtigt, auf sie übergangene Ansprüche des Geschädigten gegen den Unfallverursacher oder gegen dessen Versicherungsunternehmen gegenüber der Entschädigungsstelle geltend zu machen.
Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung. Die Klägerin sei als Leasinggeberin Eigentümerin des Klagsfahrzeugs. Der Klägerin stünden somit unabhängig von einer vertraglichen oder gesetzlichen Zession Schadenersatzansprüche zu. Dennoch sei die Haftung des Beklagten zu verneinen: § 62 Abs 1 KFG regle die Haftung des Beklagten für Kraftfahrzeuge und Anhänger mit ausländischem Kennzeichen, nicht jedoch, wer die Geschädigten seien, die Ansprüche gegen ihn geltend machen könnten. Um die Regulierung von KFZ-Schäden innerhalb der Europäischen Union, des Europäischen Wirtschaftsraums sowie der Schweiz zu vereinfachen, sei die Richtlinie 2000/26/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. 5. 2000 (4. Kraftfahrzeughaftpflicht‑Richtlinie, in der Folge 4. KH-RL) verabschiedet worden. Nach Art 2 lit d der 4. KH‑RL sei Geschädigter jede Person, die ein Recht auf Ersatz eines von einem Fahrzeug verursachten Schadens habe. In der Entscheidung 7 Ob 48/11a habe der Oberste Gerichtshof ausgesprochen, dass diese an sich sehr weite Definition des Geschädigten im Zusammenhang mit dem Erwägungsgrund 27 der genannten Richtlinie gesehen werden müsse. Danach sollten juristische Personen, auf die die Ansprüche des Geschädigten gegen den Unfallverursacher oder dessen Versicherungsunternehmen gesetzlich übergegangen seien (zB andere Versicherungsunternehmen oder Einrichtungen der sozialen Sicherheit) nicht berechtigt sein, den betreffenden Anspruch gegenüber der Entschädigungsstelle geltend zu machen. Auch die Richtlinie 2009/103/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. 9. 2009 über die Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung und die Kontrolle der entsprechenden Versicherungspflicht (6. Kraftfahrzeughaftpflicht-Richtlinie, in der Folge 6. KH‑RL) entspreche in ihrem Erwägungsgrund 49 dem Erwägungsgrund 27 der 4. KH‑RL. Daraus ergebe sich, dass der Versicherer, auf den der Anspruch des Geschädigten im Wege der Legalzession übergehe, insoweit nicht vom Schutzzweck der Richtlinie umfasst sei, als ein Anspruch gegen die Entschädigungsstelle geltend gemacht werde. § 62 Abs 1 KFG müsse daher iSd Erwägungsgrundes 27 der 4. KH-RL bzw Art 28 Abs 1 der 6. KH‑RL dahin ausgelegt werden, dass juristische Personen nicht berechtigt seien, auf sie übergegangene Ansprüche des Geschädigten gegen den Unfallverursacher oder gegen dessen Versicherungsunternehmen gegenüber der Entschädigungsstelle geltend zu machen (7 Ob 48/11a). Die Klägerin sei Leasinggeberin und eine juristische Person; ihr stünden als geschädigter Eigentümerin Schadenersatzansprüche zu. Unfallopfer, dessen Schutz im Sinn der oben genannten Richtlinien und des § 62 KFG erhöht werden solle, sei aber der Leasingnehmer, der aufgrund der vertraglichen Vereinbarung für den Schaden gegenüber der Klägerin hafte. Die Klägerin sei daher – insoweit sie Ansprüche gegen den Beklagten geltend mache – nicht vom Schutzzweck der Richtlinie umfasst.
Das Berufungsgericht ließ die Revision zu, weil zur Frage, ob die Leasinggeberin als Geschädigte iSd Art 2 lit d der 4. KH-RL zu qualifizieren sei, keine oberstgerichtliche Judikatur bestehe.
Mit ihrer Revision strebt die klagende Partei die Abänderung der vorinstanzlichen Entscheidungen im Sinn der Klagsstattgebung an.
Der beklagte Verband beantragt in der Revisionsbeantwortung, die Revision mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückzuweisen, hilfsweise ihr nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist zur Klarstellung der Rechtslage zulässig und im Sinn des im Abänderungsantrag hilfsweise enthaltenen Aufhebungsantrags (RIS‑Justiz RS0041774; 5 Ob 234/10p SZ 2011/66) auch berechtigt.
Die klagende Partei bringt in der Revision vor, nach der Entscheidung 7 Ob 48/11a seien juristische Personen, auf die die Ansprüche des Geschädigten gegen den Unfallverursacher oder dessen Versicherer gesetzlich übergegangen seien, nicht berechtigt, den betreffenden Anspruch gegenüber der Entschädigungsstelle geltend zu machen. Im vorliegenden Fall mache aber die klagende Partei Ansprüche einerseits als Eigentümerin des Klagsfahrzeugs und andererseits als Zessionarin aufgrund einer rechtsgeschäftlichen Zession durch das eigentliche Unfallopfer, den Leasingnehmer, als Zedenten geltend.
Hierzu wurde erwogen:
1. Prüfungsumfang:
Die Klägerin stützt ihre Aktivlegitimation einerseits auf die festgestellte (rechtsgeschäftliche) Zession der Ansprüche des Leasingnehmers vom 16./19. 11. 2014 an sie. Andererseits hat sie in erster Instanz sinngemäß vorgebracht, Kaskoversicherer (des Klagsfahrzeugs) zu sein; dies wurde ebenso festgestellt wie der Umstand, dass (zumindest) eine Rechnung für unfallursächliche Aufwendungen (Mietwagenkosten) an die klagende Partei mit dem Hinweis „Kaskoschutz“ übersandt wurde.
Die klagende Partei behauptete in der Berufung (ON 10), an den Leasingnehmer sei keine Zahlung (aus der Kaskoversicherung) geleistet worden, es liege daher kein Fall einer Legalzession vor; diese Behauptung verstieß allerdings gegen das Neuerungsverbot (§ 482 Abs 2 ZPO) und hat auch nicht in die Feststellungen Eingang gefunden.
Der vorliegende Fall ist daher nicht nur unter dem Blickwinkel der festgestellten rechtsgeschäftlichen Abtretung, sondern auch der gesetzlichen Zession aus dem Kaskoversicherungsvertrag zu prüfen.
2. Kollisionsrechtliche Überlegungen:
2.1. Das Haager Straßenverkehrsübereinkommen (HStVÜ), dem in Österreich grundsätzlich der Vorrang vor der Rom II-VO zukommt (vgl N. Reisinger, Internationale Verkehrsunfälle [2011] 4 f; Neumayr in KBB4 Art 28 Rom II‑VO Rz 2; Rudolf, Das Haager Straßenverkehrsübereinkommen und die Rom II‑VO, ZVR 2008/261, 528 [531]; Ofner in Fucik/Hartl/Schlosser, Verkehrsunfall VI² [2012] Rz 994; Thiede, Straßenverkehrsunfall mit Auslandsbezug – Internationale Zuständigkeit und anwendbares Recht, Zak 2013/751, 407 [408]), gilt zufolge dessen Art 2 Z 4 und 5 nicht für Rückgriffsansprüche zwischen haftpflichtigen Personen und für Rückgriffsansprüche und den Übergang von Ansprüchen, soweit Versicherer betroffen sind (8 Ob 291/81 SZ 55/9; 2 Ob 35/15h; RIS‑Justiz RS0074389). Die in Art 8 Z 5 HStVÜ erwähnte Übertragbarkeit von Ersatzansprüchen bezieht sich nur auf rechtsgeschäftliche Abtretungen, nicht aber auf Fälle der Legalzession (2 Ob 27/12b mwN SZ 2012/95 = ZVR 2013/220; 2 Ob 35/15h).
2.2. Soweit das HStVÜ keine Vorschriften enthält, ist die Rom II-VO beachtlich, so auch für die Legalzession und die Ausgleichsansprüche bei Haftung mehrerer Personen (N. Reisinger, Internationale Verkehrsunfälle [2011] 61 und 88; Neumayr in KBB4 Art 28 Rom II-VO Rz 2; vgl auch Rudolf, Das Haager Straßenverkehrsübereinkommen und die Rom II-VO, ZVR 2008/261, 528 [529]; Ofner in Fucik/Hartl/Schlosser, Verkehrsunfall VI² [2012] Rz 1044). Die Beteiligung eines Schweizer Kraftfahrzeugs am gegenständlichen Unfall steht der Anwendung der Rom II‑VO nicht entgegen. Die VO verlangt nicht, dass der Sachverhalt einen Bezug zu mehreren Mitgliedstaaten aufweist, sondern gilt ua auch dann, wenn ein Bezug zu nur einem Mitgliedstaat und einem Drittstaat vorhanden ist (3 Ob 8/14v mwN; 3 Ob 42/14v; RIS‑Justiz RS0129416; 2 Ob 35/15h).
2.3. Art 19 Rom II‑VO regelt den (auch hier vorliegenden, vgl Neumayr in KBB4 Art 19 Rom II‑VO Rz 1) gesetzlichen Forderungsübergang: Hat eine Person („der Gläubiger“: hier nach den sogleich folgenden Ausführungen der Leasingnehmer) aufgrund eines außervertraglichen Schuldverhältnisses (hier: Schädigung durch Verkehrsunfall) eine Forderung gegen eine andere Person („den Schuldner“: hier entsprechend den Ausführungen unter Punkt 4.2. der beklagte Versicherungsverband) und hat ein Dritter (hier der klagende Kaskoversicherer) die Verpflichtung, den Gläubiger zu befriedigen, oder befriedigt er den Gläubiger aufgrund dieser Verpflichtung, so bestimmt nach Art 19 Rom II‑VO das für die Verpflichtung des Dritten gegenüber dem Gläubiger maßgebende Recht, ob und in welchem Umfang der Dritte die Forderung des Gläubigers gegen den Schuldner nach dem für deren Beziehungen maßgebende Recht geltend zu machen berechtigt ist.
2.4. Der Kaskoversicherungsvertrag und der Leasingvertrag wurden zwischen der klagenden Partei mit Sitz in Deutschland und dem Leasingnehmer, der nach der Aktenlage seinen Wohnsitz in Deutschland hat, abgeschlossen. Da somit diese vertraglichen Schuldverhältnisse nur eine Verbindung zum deutschen Recht, hingegen keine (ersichtliche) Verbindung zum Recht verschiedener Staaten aufweisen, ist nach Art 1 Abs 1 Rom I‑VO diese Verordnung auf den Kasko‑ und Leasingvertrag nicht anzuwenden. Maßgeblich ist daher deutsches Recht.
3. Deutsches Recht:
3.1. § 86 Abs 1 Satz 1 dVVG ordnet Folgendes an:
„Steht dem Versicherungsnehmer ein Ersatzanspruch gegen einen Dritten zu, geht dieser Anspruch auf den Versicherer über, soweit der Versicherer den Schaden ersetzt.“
Voraussetzung für den Anspruchsübergang nach dieser Bestimmung ist die tatsächliche (Geld‑, Sach‑ oder Rechtsschutz‑)Leistung an den Versicherungsnehmer (Prölss/Martin, Versicherungsvertragsgesetz29 [2015] § 86 Rn 32).
Nach deutschem Recht kann bei Beschädigung eines geleasten Fahrzeugs der Leasingnehmer vom Schädiger den Wiederbeschaffungswert eines gleichwertigen Fahrzeugs bzw die Reparaturkosten sowie steuerliche Nachteile und den Gewinnausfall bzw die Mietkosten für ein Ersatzfahrzeug für die Zeit bis zur Wiederbeschaffung ersetzt verlangen (Oetker in MünchKomm7 [2016] § 249 Rn 452; BGH 5. 11. 1991 – VI ZR 145/91 = NJW 1992, 553; vgl auch Staudinger/Schiemann [2005] Vorbem zu §§ 249 ff Rn 77).
3.2. Es steht nicht fest, ob die klagende Partei vor oder nach der festgestellten rechtsgeschäftlichen Zession (16./19. 11. 2014) Leistungen an den Versicherungsnehmer aus dem Kaskoversicherungsvertrag erbracht hat. Es steht somit nicht fest, ob und in welchem Ausmaß die klageweise geltend gemachte Forderung rechtsgeschäftlich oder im Weg der Legalzession nach § 86 Abs 1 Satz 1 dVVG auf die klagende Partei übergegangen ist. Dies kann aber aus den folgenden Erwägungen dahingestellt bleiben.
4. Grundlagen der Haftung:
4.1. Nach herrschender Auffassung muss bei der Schadensregulierung nach einem „internationalen Verkehrsunfall“ zwischen einem Inlandsunfall mit ausländischer Beteiligung und einem Auslandsunfall eines Inländers unterschieden werden (vgl Thiede, Straßenverkehrsunfall mit Auslandsbezug [Teil 2] – Direktklage, Vierte KH-Richtlinie und Grüne-Karte-System, Zak 2014/202, 103 [105 ff]; Haag in Geigel, Der Haftpflichtprozess27 [2015] Kap 43 Rn 69 ff; Bachmeier, Regulierung von Auslandsunfällen [2013] Rn 55 ff; 2 Ob 35/15h; 2 Ob 227/15v).
4.2. Bei einem Inlandsunfall mit ausländischer Beteiligung erfolgt die Schadensregulierung nach dem Grüne‑Karte‑System bzw den seit 1. 7. 2003 wirksamen Internal Regulations (Anhang 1 [Geschäftsordnung des Rates des Büros] des Übereinkommens zwischen den nationalen Versicherungsbüros der Mitgliedstaaten des Europäischen Wirtschaftsraums und anderen assoziierten Staaten vom 30. 5. 2002; abgedruckt bei Grubmann, KHVG³ III.3.2), womit die zuvor bestehenden Übereinkommen zusammengefasst worden sind (vgl die Präambel des Übereinkommens). Die Mitgliedsländer sind verpflichtet, zentrale Regulierungsstellen einzurichten, sogenannte „Grüne-Karte-Büros“. Das Büro, in dessen Land ein Ausländer einen Unfall verursacht hat, ist danach verpflichtet, dem Geschädigten vollständigen Schadenersatz zu leisten („behandelndes Büro“). Es kann abschließend vom Büro des Landes, aus dem das Fahrzeug des Verursachers stammt, seine Aufwendungen erstattet verlangen. Scheitert die Regulierung, ist das behandelnde Büro für die Klage des Geschädigten passiv legitimiert (vgl Thiede, Straßenverkehrsunfall mit Auslandsbezug [Teil 2] – Direktklage, Vierte KH-Richtlinie und Grüne‑Karte‑System, Zak 2014/202, 103 [107 f]; W. Reisinger in Fucik/Hartl/Schlosser, Verkehrsunfall III² [2010] Rz 90 f; Haag in Geigel, Der Haftpflichtprozess27 [2015] Kap 43 Rn 72; Bachmeier, Regulierung von Auslandsunfällen [2013] Rn 57; 2 Ob 35/15h; 2 Ob 227/15v).
Diesem Haftungskonzept entspricht die innerstaatliche Haftungsregelung des § 62 Abs 1 KFG. Diese Bestimmung sieht die Haftung des hier beklagten Versicherungsverbands auf der Grundlage einer Grünen Karte oder auf der Grundlage einer unterstellten Versicherungsdeckung im Sinn des Übereinkommens zwischen den nationalen Versicherungsbüros der Mitgliedstaaten des Europäischen Wirtschaftsraums und anderen assoziierten Staaten vom 30. 5. 2002 oder aufgrund einer Grenzversicherung in Fällen vor, in denen Kraftfahrzeuge und Anhänger mit ausländischem Kennzeichen im Inland auf Straßen mit öffentlichem Verkehr verwendet werden. Der Regelungsgegenstand dieser Bestimmung ist demnach die Haftung des Versicherungsverbands für einen durch ein ausländisches Fahrzeug im Inland verursachten Verkehrsunfall (2 Ob 35/15h; 2 Ob 227/15v).
4.3. Bei einem Auslandsunfall eines Inländers kommt hingegen die Richtlinie 2009/103/EG vom 16. 9. 2009 (6. Kraftfahrzeughaftpflicht-Richtlinie [KH-RL]; abgedruckt bei Grubmann, KHVG4 [2015] III.1) zum Tragen, mit der alle früheren Richtlinien über die Kfz-Haftpflichtversicherung kodifiziert und zusammengefasst worden sind (W. Reisinger in Fucik/Hartl/Schlosser, Verkehrsunfall III² [2010] Rz 94b; Haag in Geigel, Der Haftpflichtprozess27 [2015] Kap 43 Rn 75; Bachmeier, Regulierung von Auslandsunfällen [2013] Rn 162; 2 Ob 35/15h).
Umfasst ist auch die 4. KH-RL, 2000/26/EG, vom 16. 5. 2000 (abgedruckt bei Grubmann, KHVG² [2005] III.1.4), deren Ziel die Verbesserung des Verkehrsopferschutzes bei unverschuldet im Ausland erlittenen Unfällen durch Verlagerung der Schadenerledigung in das Wohnsitzland des Geschädigten war (W. Reisinger in Fucik/Hartl/Schlosser, Verkehrsunfall III² [2010] Rz 94a; Thiede, Straßenverkehrsunfall mit Auslandsbezug [Teil 2] – Direktklage, Vierte KH-Richtlinie und Grüne‑Karte‑System, Zak 2014/202, 103 [105 f]). Art 1 Abs 1 der 4. KH-RL beschrieb den (in Abs 2 noch erweiterten) Anwendungsbereich der Richtlinie mit der Festlegung besonderer Vorschriften für Geschädigte, die ein Recht auf Entschädigung für einen Sach‑ oder Personenschaden haben, der bei einem Unfall entstanden ist, welcher sich in einem anderen Mitgliedstaat als dem Wohnsitzmitgliedstaat des Geschädigten ereignet hat und der durch die Nutzung eines Fahrzeugs verursacht wurde, das in einem Mitgliedstaat versichert ist und dort seinen gewöhnlichen Standort hat. Nach Art 2 lit d der 4. KH-RL iVm Art 1 Z 2 RL 72/166/EWG , nunmehr Art 1 Z 2 der 6. KH-RL, ist „Geschädigter“ jede Person, die ein Recht auf Ersatz eines von einem Fahrzeug verursachten Schadens hat. Laut ErwGr 27 zur 4. KH-RL, nunmehr ErwGr 49 der 6. KH-RL, sollten die juristischen Personen, auf die die Ansprüche des Geschädigten gegen den Unfallverursacher oder dessen Versicherungsunternehmen gesetzlich übergegangen sind (zB andere Versicherungsunternehmen oder Einrichtungen der sozialen Sicherheit) nicht berechtigt sein, den betreffenden Anspruch gegenüber der Entschädigungsstelle (vgl Art 6 der 4. KH-RL, nunmehr Art 24 der 6. KH-RL) geltend zu machen. Die 4. KH-RL wurde in Österreich ua durch die Einfügung der §§ 29a, 29b, 31a und 31b KHVG umgesetzt (2 Ob 35/15h).
4.4. Aus Sicht des deutschen Geschädigten – nach den Ausführungen unter Punkt 3.1. der Leasingnehmer – lag ein Auslandsunfall eines Inländers vor. Die klagende Partei stützt sich aber nicht auf die daraus erwachsende, unter Punkt 4.3. dargestellte Rechtsstellung, die im Wesentlichen in der Verlagerung der Schadenerledigung in das Wohnsitzland (Deutschland) des Geschädigten (Leasingnehmers, vgl Punkt 3.1.) besteht. Die klagende Partei macht ihre Ansprüche nicht in Deutschland, sondern in Österreich geltend. Sie nimmt die Rolle als Geschädigter für sich in Anspruch. Aus ihrer Sicht handelt es sich daher um einen Inlandsfall (Österreich) mit ausländischer Beteiligung (bei einem Schweizer Versicherer haftpflichtversicherter PKW mit einem Schweizer Kennzeichen).
4.5. Die Vorinstanzen haben auf den vorliegenden Sachverhalt die Entscheidung 7 Ob 48/11a SZ 2011/119 = ZVR 2012/105 (W. Reisinger) angewendet. In diesem Fall machte der deutsche Kaskoversicherer eines deutschen Kraftfahrzeugs, das in Österreich in einen Unfall mit einem rumänischen Kraftfahrzeug verwickelt war, Ansprüche gegen den auch hier beklagten Versicherungsverband geltend. Der Oberste Gerichtshof gelangte nach Darstellung wesentlicher Grundsätze des Grüne‑Karte‑Systems sowie der 4. und der 6. KH-RL zu der Auffassung, das in den Richtlinien genannte Ziel, den Schutz des Unfallopfers (selbst) zu erhöhen, sei auch die Grundlage der innerstaatlichen Regelungen. § 62 Abs 1 KFG müsse daher im Sinn des ErwGr 27 der 4. KH-RL ausgelegt werden. Demnach seien juristische Personen nicht berechtigt, auf sie übergegangene Ansprüche des Geschädigten, die diesem gegen den Unfallverursacher oder dessen Versicherer zustehen, gegenüber der Entschädigungsstelle geltend zu machen. Der klagende Kaskoversicherer könne sich auch nicht auf ein Direktklagerecht nach § 26 KHVG berufen, weil auf Seiten des Anspruchsgegners kein Haftpflichtversicherungs‑ verhältnis bestehe. Ein solches werde nur fingiert. Der Kaskoversicherer sei kein Unfallopfer und daher vom Schutzzweck der erörterten (Ausnahme‑)Bestimmungen nicht umfasst. Er sei nicht klagslegitimiert (vgl 2 Ob 35/15h).
4.6. Unter der (nicht feststehenden) Prämisse, dass der Forderungsübergang vom geschädigten Leasingnehmer auf die klagende Partei (zumindest teilweise) aufgrund von vor der rechtsgeschäftlichen Zession vom 19. 11. 2014 erfolgten Leistungen aus der Kaskoversicherung gemäß § 86 dVVG bewirkt wurde, wäre der vorliegende Sachverhalt gleich gelagert wie in der Entscheidung 7 Ob 48/11a. Die Anwendung dieser Entscheidung auf den vorliegenden Fall würde daher unter der besagten Prämisse zumindest im Ergebnis die Klagsabweisung durch die Vorinstanzen bestätigen.
4.7. Die Entscheidung 7 Ob 48/11a wurde jedoch im Schrifttum kritisch aufgenommen, wobei sich die Kritik sowohl gegen die Begründung (weil die eingangs dargestellten Haftungskonstellationen vermengend), aber auch das Ergebnis (weil angeblich ein „eingespieltes System“ ändernd) gerichtet war (so vor allem W. Reisinger in seiner Glosse, ZVR 2012/105, 196 [198 f]; vgl auch Ch. Huber, Glosse zu 2 Ob 76/12h, ZVR 2014/9, 27 [30]; ders, Bericht über die 13. Europäischen Verkehrsrechtstage, ZVR 2013/6, 21 [22 f]; Thiede, Straßenverkehrsunfall mit Auslandsbezug [Teil 2] – Direktklage, Vierte KH‑Richtlinie und Grüne‑Karte‑System, Zak 2014/202, 103 [107]; 2 Ob 35/15h).
4.8. Der Oberste Gerichtshof schließt sich dieser im Schrifttum geäußerten Kritik an, weil die Entscheidung 7 Ob 48/11a die oben (Punkte 4.2. und 4.3.) dargestellte Unterscheidung zwischen einem Inlandsunfall mit ausländischer Beteiligung und einem Auslandsunfall eines Inländers nicht beachtet. Wie oben ausgeführt, liegt hier (und lag auch im Fall 7 Ob 48/11a) ein Inlandsunfall mit ausländischer Beteiligung (siehe Punkt 4.4.) vor. In diesem Fall kommen aber die von den Vorinstanzen herangezogenen und vom Berufungsgericht auch als Begründung für die Zulassung der Revision genannten Richtlinien (Richtlinie 2000/26/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. 5. 2000 [4. KH-RL]; Richtlinie 2009/103/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. 9. 2009 [6. KH-RL]) nicht zum Tragen (2 Ob 35/15h; 2 Ob 227/15v).
5. Ergebnis
5.1. Die klagende Partei ist daher berechtigt, den unfallkausalen Schaden einzuklagen. Sie ist auch aktivlegitimiert, und zwar entweder aufgrund von Zahlungen an den Leasingnehmer aus der Kaskoversicherung oder (jedenfalls) aus der festgestellten rechtsgeschäftlichen Zession (vgl oben Punkt 3.2.).
5.2. Da die Vorinstanzen keine Feststellungen zum Unfallhergang und zu den eingetretenen Schäden getroffen haben, lässt sich die Berechtigung der Klageforderung weder dem Grunde noch der Höhe nach beurteilen. Die Aufhebung der vorinstanzlichen Urteile und die Zurückverweisung in die erste Instanz ist daher unumgänglich.
6. Zu beachtende Rechtslage im zweiten Rechtsgang:
6.1. Auf den Unfall ist das Recht des Unfallsorts, somit österreichisches Recht, anzuwenden (Art 3 HStVÜ; Ofner in Fucik/Hartl/Schlosser, Verkehrsunfall VI² [2012] Rz 1012).
6.2. Im Fall der Teileinklagung eines Schadens ohne Einräumung eines Mitverschuldens – wie hier – darf dann, wenn der Schadensanteil unter Berücksichtigung eines festgestellten Mitverschuldens des Klägers (hier: des Lenkers des Klagsfahrzeugs) zu ermitteln ist, über das Begehren des Klägers nicht hinausgegangen werden. In diesem Fall ist der eingeklagte Teilschaden vielmehr um die Mitverschuldensquote zu kürzen (RIS‑Justiz RS0027184). Auch eine Teileinklagung „aus Gründen prozessualer Vorsicht“ führt dazu, dass der eingeklagte Teilschaden um die Mitverschuldensquote zu kürzen ist (RIS‑Justiz RS0027184 [T5]; Danzl, Verfahrensrechtliche Durchsetzung [von Verkehrsunfallschäden] – worauf ist zu achten? ZVR 2014, 492 [494]).
7. Kostenentscheidung:
Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 52 ZPO.
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