European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2017:0020OB00003.17F.0223.000
Spruch:
Die Revision wird zurückgewiesen.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen die mit 418,78 EUR bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung (darin 69,80 EUR Umsatzsteuer) zu ersetzen.
Begründung:
Die beklagte Liftbetreiberin hatte eine Sonderschulklasse eingeladen, einen Tag in ihrem Schigebiet zu verbringen; die Klägerin begleitete die Klasse als Lehrerin. Bei einer Bergfahrt blieb eine geistig behinderte Schülerin aus nicht feststellbaren Gründen an der Ausstiegsstelle sitzen, worauf sie die neben ihr mitfahrende, aber bereits vor dem Mädchen ausgestiegene Klägerin aus dem Sessel zog. Dabei verletzte sich die Klägerin. Sie begehrt von der Beklagten Schadenersatz von 7.468,96 EUR sA und die Feststellung von deren Haftung für zukünftige Schäden.
Das Erstgericht wies die Klage ab.
Das Berufungsgericht gab der Klage im Ausmaß eines Viertels statt und ließ die Revision zunächst nicht zu. Es verneinte zwar ein Verschulden auf Seiten der Beklagten, bejahte aber deren Haftung nach dem EKHG, wobei sie ein Mitverschulden der Klägerin von drei Vierteln annahm. Der Beklagten sei der Entlastungsbeweis nach § 9 EKHG nicht gelungen: Zwar habe der Liftwart nicht erkennen können, dass es beim Aussteigen der Schülerin Probleme geben könnte, und er habe auch unverzüglich reagiert. Allerdings habe es die Beklagte verabsäumt, bereits im Vorfeld abzuklären, ob die Schüler besondere Unterstützung benötigten, etwa durch Verlangsamung des Lifts beim Ein‑ und Aussteigen.
Gegen diese Entscheidung richtet sich die mit einem Zulassungsantrag verbundene Revison der Beklagten, mit der sie die vollständige Abweisung der Klage anstrebt.
Das Berufungsgericht ließ die Revision nachträglich zu, weil keine höchstgerichtliche Rechtsprechung zur nach § 9 EKHG gebotenen Sorgfalt bei Einladung von Sonderschulgruppen vorliege und auch der in der Revison behauptete Gehörverstoß einer Prüfung durch den Obersten Gerichtshof unterliege.
Die Klägerin beantragt in der Revisionsbeantwortung, die Revision zurückzuweisen, hilfsweise ihr nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Ausspruch des Berufungsgerichts (§ 508a Abs 1 ZPO) nicht zulässig.
Der Umfang der nach § 9 Abs 2 EKHG gebotenen Sorgfalt hängt von den Umständen des Einzelfalls ab (RIS‑Justiz RS0111708). Vom Obersten Gerichtshof wäre daher nur eine auffallende und damit korrekturbedürftige Fehlbeurteilung des Berufungsgerichts aufzugreifen. Eine solche liegt hier nicht vor: Die Sorgfalt im Sinn des § 9 Abs 2 EKHG ist nicht die gewöhnliche Verkehrssorgfalt, sondern die äußerste, nach den Umständen des Falls mögliche Sorgfalt (RIS‑Justiz RS0058317; RS0058326). Diese darf zwar nicht überspannt werden; an den Betriebsunternehmer einer Eisenbahn (Seilbahn) und die mit seinem Willen beim Betrieb tätigen Personen dürfen keine unzumutbaren, praktisch unmöglichen Anforderungen gestellt werden (RIS‑Justiz RS0058326 [T1]). Im Rahmen des Zumutbaren muss aber alles vermieden werden, was zur Entstehung einer gefahrenträchtigen Situation führen könnte (2 Ob 210/09k; RIS‑Justiz RS0058326 [T6]).
Auf dieser Grundlage ist die Auffassung des Berufungsgerichts vertretbar, die Beklagte hätte vorweg mit den Verantwortlichen der Sonderschulgruppe abklären müssen, ob besondere Maßnahmen – insbesondere eine technisch mögliche Verlangsamung der Fahrt beim Aussteigen nach Ankündigung im jeweiligen Einzelfall – erforderlich sein könnten. Unklarheiten, ob dies zur Vermeidung des Unfalls geführt hätte, fallen der für das Vorliegen eines unabwendbaren Ereignisses beweispflichtigen Beklagten zur Last (2 Ob 262/06b mwN; RIS‑Justiz RS0058926, RS0058979, RS0058992). Eine Sorgfaltspflicht wird damit nicht überspannt, weil der Beklagten das mit dem Besuch einer Sonderschulklasse verbundene erhöhte Risiko bekannt war. Dadurch unterscheidet sich der vorliegende Sachverhalt von Situationen, in denen die besondere Unterstützungsbedürftigkeit von Liftbenützern im konkreten Fall nicht erkennbar ist.
Einen Mangel des Berufungsverfahrens macht die Revision, anders als vom Berufungsgericht angenommen, nicht geltend.
Aus diesen Gründen ist die Revision zurückzuweisen. Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO. Die klagende Partei hat auf die Unzulässigkeit des Rechtsmittels hingewiesen.
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