Spruch:
Der Revision wird teilweise Folge gegeben.
Das angefochtene Urteil wird dahin abgeändert, dass es einschließlich des nicht bekämpften Zuspruches von EUR 4.833,48 sA lautet:
„Die beklagten Parteien sind zur ungeteilten Hand schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen EUR 9.333,48 samt 4 % Zinsen seit 29. Juni 2002 sowie die mit EUR 2.782,27 (darin enthalten EUR 264,81 USt und EUR 1.192,81 Barauslagen) bestimmten Verfahrenskosten zu bezahlen.
Das Mehrbegehren von EUR 3.813,50 samt 4 % Zinsen seit 29. Juni 2002 wird abgewiesen."
Die beklagten Parteien sind zur ungeteilten Hand schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen die mit EUR 719,91 (darin enthalten EUR 10,21 USt und EUR 658,91 Barauslagen) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Am 19. 1. 2002 ereignete sich zwischen 1:00 und 1:55 Uhr in H***** auf der L***** Straße auf Höhe des Hauses ***** ein Verkehrsunfall. Der vom Erstbeklagten gelenkte, von der Zweitbeklagten gehaltene und bei der Drittbeklagten haftpflichtversicherte LKW stieß mit einer Geschwindigkeit von ca 50 bis 60 km/h auf der rechten Fahrbahnhälfte gegen die damalige Lebensgefährtin des Klägers, die einen Blutalkoholgehalt von 2,34 %o hatte und durch den Anprall auf den Gehsteig geschleudert wurde. Der Erstbeklagte, dessen Blutalkoholgehalt jedenfalls über 2 %o betrug, nahm den Unfall nicht wahr und reagierte überhaupt nicht auf die Fußgängerin, die noch am Unfallsort an ihren Verletzungen starb. Die höchstzulässige Geschwindigkeit betrug 60 km/h. Die Unfallstelle war in der Nacht optimal ausgeleuchtet. Die Fußgängerin wäre für den Erstbeklagten auch erkennbar gewesen, wenn er nicht mit Fernlicht gefahren wäre. Seine Sicht auf den rechten Gehsteig und die Hauseinfahrt Nr. 67 betrug ca 80 m, jene auf den rechten Radfahrstreifen und die rechte Straßenhälfte 150 m. Wie und wann die Fußgängerin auf die Fahrbahn gelangte und ob sie dort gestanden oder gegangen ist, kann nicht festgestellt werden.
Aufgrund der Nachricht vom Tod seiner Lebensgefährtin und Verlobten entwickelte der Kläger eine akute Belastungsreaktion im Sinn eines eigenständigen psychiatrischen Krankheitsbildes als Reaktion auf schwere Belastungen. Die akuten Symptome besserten sich innerhalb von 2 Tagen. In der Folge entwickelte er über etwa 12 Tage Symptome von Anpassungsstörungen; diese gingen in eine physiologische Trauerreaktion über, die mit einer natürlichen Trauer und leichten Schlafstörungen verbunden sein kann. Die Aufgabe seiner Arbeitsstelle einen Monat nach dem Unfall geschehen steht nicht mit den Belastungs- und Anpassungsstörungen in Zusammenhang, sie ist vor allem auf die Persönlichkeitsstruktur des Klägers mit einer gewissen Gleichgültigkeit und mangelnden Motivation zurückzuführen. Die Aufgabe der Wohnung ist nicht alleine auf das Unfallgeschehen zurückzuführen. Der Kläger hatte komprimiert etwa zwei Tage psychische Schmerzen, die schweren körperlichen Schmerzen gleichgesetzt werden können, zwei Tage mittelstarke Schmerzen und zehn Tage leichte Schmerzen. Während dieser Perioden lag eine psychische Störung mit Krankheitswert vor, die über eine normale Trauerreaktion hinausging, welche unabhängig von der zugrunde liegenden Persönlichkeitsstörung aufgrund des schwer traumatisierenden Erlebnisses auftreten kann. Die depressiven Stimmungsschwankungen, Traurigkeit, gelegentliche Konzentrations/Schlafstörungen waren Folgen einer üblichen Trauerreaktion. Folgeschäden sind aus den traumatischen Erlebnissen nicht zu erwarten.
Der Kläger begehrte neben Generalunkosten/Todfallskosten ein Schockschmerzengeld/Trauerschmerzengeld (ON 1, ON 24, S 14) von EUR 11.000. Er habe den Tod seiner Lebensgefährtin bis heute nicht überwunden, leide zeitweise an Schlaf/Konzentrationsstörungen, Unausgeglichenheit sowie Depressionen und sei nicht in der Lage, eine neue Beziehung einzugehen, weil er eine allfällige neue Partnerin ständig mit der Verstorbenen vergleiche.
Die Beklagten wendeten - soweit noch relevant - ein Verschulden der Fußgängerin, die entweder knapp vor dem LKW die Fahrbahn betreten oder sich zu lange auf der Fahrbahn aufgehalten habe, sowie die Unangemessenheit des Schmerzengeldes ein.
Das Erstgericht teilte das Verschulden 3 : 1 zu Lasten der Beklagten und hielt ein Schmerzengeld von insgesamt EUR 2.000 für angemessen.
Das vom Kläger angerufene Berufungsgericht sprach dem Kläger insgesamt EUR 4.833,48 sA zu und wies das Mehrbegehren von EUR 8.313,50 sA ab. Es billigte die Verschuldensteilung des Erstgerichtes, nicht aber die Bemessung des Schmerzengeldes, das insgesamt mit EUR 5.000 angemessen zu berücksichtigen sei. Trotz der zum Verhalten der Fußgängerin getroffenen Negativfeststellungen habe diese jedenfalls gegen eine der Bestimmungen des § 76 StVO verstoßen. Entweder habe sie die Fahrbahn überraschend betreten (Abs 1), ohne sich bei fehlender Regelung durch Arm- oder Lichtzeichen bzw nicht vorhandenem Schutzweg zu vergewissern, dass sie dabei andere Straßenbenützer nicht gefährde (Abs 4 lit b), oder sie habe die Fahrbahn nicht in angemessener Eile, ohne den Fahrzeugverkehr zu behindern, überquert (Abs 5) oder die Verkehrslage habe ein sicheres Überqueren der Fahrbahn im Bereich der Unfallstelle, die sich nicht in unmittelbarer Nähe eines Schutzweges oder einer Kreuzung befinde, nicht zugelassen (Abs 6). Bei der Sichtweite von zumindest 80 m und der Annäherung des LKW mit einer die zulässige Höchstgeschwindigkeit von 60 km/h nicht überschreitenden Geschwindigkeit hätte die Fußgängerin den herannahenden LKW leicht und rechtzeitig erkennen können und hätte entweder die Fahrbahn nicht mehr betreten dürfen oder diese zumindest in angemessener Eile verlassen müssen. Da sie sich aber zum Kollisionszeitpunkt immer noch auf der Fahrbahn - stehend oder gehend - aufgehalten habe, habe sie gegen § 76 StVO verstoßen und den Unfall mitverschuldet. Bei der Bemessung des Schmerzengeldes seien die massiven Trauerreaktionen mit krankheitswertem Zustand in den ersten 14 Tagen, die zumindest auch mit dem Unfallgeschehen zusammenhängende Aufgabe der Wohnung und Arbeit sowie die grobe Fahrlässigkeit des Schädigers zwar zu berücksichtigen; hier liege aber ein wesentlich geringerer Grad eines Schockerlebnisses vor als in den zu 2 Ob 136/00i (schwere, wahrscheinlich lebenslange, depressive Psychose nach Unfalltod des Sohnes: begehrtes und zugesprochenes Schmerzengeld EUR 7.267,28) und 2 Ob 186/03x (massives psychisches Trauma eines Mannes, der durch den Unfall seine gesamte Familie, nämlich die Ehegattin und drei Kinder verlor: Schmerzengeld EUR 65.000) entschiedenen Fällen.
Den Ausspruch über die Zulässigkeit der ordentlichen Revision begründete das Berufungsgericht mit der noch vereinzelten höchstgerichtlichen Judikatur zur Bemessung des Trauerschmerzengeldes bei Verlust naher Angehöriger.
Die Revision des Klägers bekämpft die Abweisung von EUR 8.313,50 sA wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Abänderungsantrag, dem Kläger insgesamt EUR 13.146,98 sA zuzusprechen, hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Die Beklagten beantragen, die Revision als unzulässig zurückzuweisen bzw ihr nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist zulässig und teilweise berechtigt, weil eine eklatante Fehlbemessung des Schmerzengeldes aus Gründen der Einzelfallgerechtigkeit aufzugreifen war.
Zu dem Verstoß gegen § 76 StVO und der Verschuldensteilung genügt ein Hinweis auf die zutreffenden Ausführungen des Berufungsgerichtes (§ 510 Abs 3 ZPO).
Zum Schmerzengeld:
Nicht zu bezweifeln ist, dass 1. der Kläger als Lebensgefährte grundsätzlich zum Kreis der Anspruchsberechtigten gehört (8 Ob 127/02p = ZVR 2002/96). 2. die alternativen Anspruchsvoraussetzungen sowohl des „Schockschadens" mit Krankheitswert (RIS-Justiz RS0116865; RS0116866) als auch der hier eindeutig gegebenen groben Fahrlässigkeit des Schädigers - unabhängig von einer Gesundheitsschädigung - (RIS-Justiz RS0115189) erfüllt sind. Die von den Vorinstanzen zutreffend vorgenommene Kürzung des Schmerzengeldes um die Mitverschuldensquote der Getöteten (2 Ob 178/04x = ZVR 2004/105) bildet ebenfalls keinen Streitpunkt. Näher zu behandeln war daher nur die Angemessenheit des Schmerzengeldes. Der Oberste Gerichtshof hat sich neben den bereits vom Berufungsgericht zitierten Fällen in jüngster Zeit in mehreren Entscheidungen mit der Höhe von Schock/Trauerschmerzengeld befasst:
2 Ob 141/04f = ZVR 2004/86: Angemessenes Trauerschmerzengeld von EUR 13.000 bei einer besonders engen und intensiven Beziehung zwischen der getöteten 61-jährigen Mutter und dem 40-jährigem Sohn und fehlender Haushaltsgemeinschaft;
2 Ob 292/04m = ZVR 2005/109: Schmerzengeld von EUR 25.000 bei einer mittelgradig ausgeprägten, ein Jahr dauernden depressiven Störung mit Suizidgefährdung und ärztlicher Behandlung mit Antidepressiva und Psychotherapie und Gewichtsverlust von insgesamt 23 kg; 31-jährige 2fache Mutter nach einem tödlichen Arbeitsunfall ihres gleichaltrigen Mannes (grobes Verschulden wurde nicht geltend gemacht);
2 Ob 90/05g = ZVR 2005/73: Trauerschmerzengeld von EUR 9.000 bei einer intensiven, fürsorglichen, einem Vater-Sohn-Verhältnis nahezu gleichkommenden Beziehung zwischen dem Kläger und seinem um zwei Jahre jüngeren, behinderten Bruder.
Die Entscheidungen 2 Ob 141/04f und 2 Ob 90/05g mit einem Zuspruch von Trauerschmerzengeld (somit ohne Gesundheitsschädigung) an nicht im gemeinsamen Haushalt mit dem Unfallsopfer lebende Angehörige zeigen deutlich die hier vorgenommene zu niedrige Bemessung des Schmerzengeldes für einen Lebensgefährten und Verlobten, der abgesehen von einer natürlichen Trauer als Reaktion auf die Todesnachricht eine psychische Störung mit Krankheitswert entwickelte.
Bei der Bemessung der Anspruchshöhe kommt es auf die Intensität der familiären Bindung an. Neben dem Alter von Unfallsopfer und Angehörigen ist insbesondere das Bestehen einer Haushaltsgemeinschaft von Bedeutung (2 Ob 141/04f mwN). Eine Lebensgemeinschaft wird allgemein als eine auf eine gewisse Dauer angelegte, eheähnliche Beziehung definiert, die zwar nicht sämtliche Kriterien einer Wohn-, Wirtschafts- und Geschlechtsgemeinschaft erfüllen muss, aber sich auch nicht auf ein einziges dieser Elemente reduzieren lässt (vgl RIS-Justiz RS0069673; RS0047000). Die von den Beklagten nicht bestrittene Stellung des Klägers als Lebensgefährte (und Verlobter) des Unfallopfers indiziert demnach eine, bei der Bemessung eine besondere Rolle spielende Haushaltsgemeinschaft. Die Intensität einer Beziehung zwischen Lebensgefährten rechtfertigt zumindest das geltend gemachte Schmerzengeld von EUR 11.000, zumal der Verlust eines Lebenspartners, mit dem der bisherige Alltag geteilt wurde, die Lebenssituation drastisch verändert und daher als besonders schmerzlich empfunden wird.
Bei Berücksichtigung der Mitverschuldensquote steht dem Kläger neben den bereits zugesprochenen Unkosten von EUR 1.083,48 ein Schmerzengeld von EUR 8.250 zu, was den Gesamtzuspruch auf EUR 9.333,48 erhöht. Der Zinsenlauf ist unstrittig (ON 24, S 18).
Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 43 Abs 1, 50 ZPO.
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