European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2015:0020OB00191.14Y.0122.000
Spruch:
Der Revision wird teilweise Folge gegeben.
Die angefochtene Entscheidung wird dahin abgeändert, dass sie zu lauten hat:
„Teil- und Zwischenurteil
1. Das Klagebegehren, die beklagte Partei sei schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen 807,66 EUR samt 4 % Zinsen seit 1. August 2013 zu bezahlen, wird abgewiesen.
2. Das darüber hinausgehende Klagebegehren, die beklagte Partei sei schuldig, der klagenden Partei 14.466,88 EUR samt 4 % Zinsen aus 25.650,10 EUR vom 1. August 2013 bis 24. September 2013, aus 21.329,22 EUR vom 25. September 2013 bis 18. November 2013 und aus 14.466,88 EUR seit 19. November 2013 zu bezahlen, besteht dem Grunde nach zu Recht.
Die Entscheidung über die Prozesskosten erster und zweiter Instanz wird der Endentscheidung vorbehalten.“
Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens wird der Endentscheidung vorbehalten.
Text
Entscheidungsgründe:
Am 8. 7. 1978 ereignete sich auf dem Salzburg-Ring ein Unfall zwischen Peter A***** und dem Beklagten, die damals beide mit Motorrädern ein Klubtraining des ÖAMTC absolvierten. Bei diesem Unfall erlitt Peter A***** (in der Folge: Geschädigter) unter anderem einen Bruch des 7. Halswirbels und ist seit diesem Zeitpunkt querschnittgelähmt.
Der Beklagte wurde wegen der Verletzung des Geschädigten wegen des Vergehens der fahrlässigen Körperverletzung nach § 88 Abs 1 und 4 StGB rechtskräftig verurteilt.
Mit Urteil des Obersten Gerichtshofs vom 5. 7. 1989, 2 Ob 30/89, wurde unter anderem die solidarische Haftung des Beklagten mit dem Haftpflichtversicherer des von ihm gelenkten Motorrads gegenüber dem Geschädigten für alle Schäden aus diesem Unfall mit einer Quote von 60 % festgestellt. Mit Erklärung vom 26. 6. 1981 verzichtete der Beklagte gegenüber der klagenden Pensionsversicherungsanstalt auf die Einrede der Verjährung hinsichtlich deren Regressansprüchen aus diesem Unfall.
Mit Urteil des Bezirksgerichts Innsbruck vom 12. 5. 2010 wurde festgestellt, dass der Beklagte der Klägerin für alle künftigen für den Geschädigten im Zusammenhang mit dem Verkehrsunfall unfallkausal zu erbringenden Leistungen bzw auf sie übergegangenen Schadenersatzansprüche unter Berücksichtigung einer Mitverschuldensquote von 40 % des Geschädigten zu haften habe.
Mit Urteil des Bezirksgerichts Telfs vom 11. 9. 2013 wurden die Ansprüche der hier klagenden Partei, zu deren Hereinbringung sie gegen den hier Beklagten Exekution führte, infolge Zahlung als erloschen erklärt (im Folgenden auch „Oppositionsprozess“), mit Ausnahme eines anteiligen Anspruchs von 14,89 EUR und 4 % Zinsen daraus seit 10. 4. 2013 aus dem Urteil des Bezirksgerichts Innsbruck vom 12. 5. 2010.
Aufgrund der vom Geschädigten im Zuge des Unfalls erlittenen Verletzungen ist dieser nicht in der Lage, sich selbst und alleine zu versorgen, und benötigt umfangreiche Pflege. Sowohl zur Verrichtung der Notdurft als auch für die Wartung des Katheters, beim Baden, An- und Ausziehen und sonstigen Verrichtungen ist er auf Hilfe angewiesen. Er ist weder in der Lage, Auto zu fahren, noch seine Wohnung selbst zu reinigen oder Einkäufe zu erledigen. Es ist daher von der Pflegestufe 5 auszugehen.
Die Klägerin hat ‑ bereits unter Berücksichtigung der 40%-igen Mitverschuldensquote des Geschädigten ‑ diesem für die Zeit vom 1. 11. 2011 bis 31. 12. 2012 9.083,15 EUR sowie für die Zeit vom 1. 1. 2013 bis 30. 6. 2013 5.383,73 EUR an Pflegegeld geleistet. Darüber hinaus zahlte die Klägerin 9.516,45 EUR an Rehabilitationsleistungen, 2.083,68 EUR für die Neuversorgung von Peter A***** mit einem Krankenfahrstuhl sowie 168,71 EUR und 222,04 EUR für zwei Reparaturen dieses Krankenfahrstuhls. Am 24. 9. 2013 leistete der Beklagte der Klägerin 4.320,88 EUR, einerseits zur Abgeltung der von der Klägerin im Zusammenhang mit dem Krankenfahrstuhl erbrachten Leistungen von 2.474,43 EUR, weiters als Ersatz für Rehabilitationskosten von 1.846,45 EUR. Weiters bezahlte der Beklagte am 18. 11. 2013 6.862,34 EUR an weiteren Rehabilitationskosten. Auf die von der Klägerin tatsächlich erbrachten Rehabilitationskosten verbleiben somit noch 807,66 EUR.
Mit Schreiben ihres Vertreters vom 24. 7. 2013 forderte die Klägerin den Beklagten auf, das an den Geschädigten ausbezahlte Pflegegeld ebenso wie weitere Rehabilitationsmaßnahmen im Ausmaß des festgestellten Verschuldensgrads in der Höhe von 21.074,03 EUR bis 31. 12. 2012 zu ersetzen. Dem Schreiben wurde eine Aufstellung der Klägerin beigeschlossen. Sowohl mit E-Mail vom 25. 6. 2013 als auch mit Schreiben vom 31. 7. 2013 gab der Beklagte dem Klagevertreter bekannt, dass seiner Ansicht nach das Pflegegeld nicht zu ersetzen sei.
Der Haftpflichtversicherer des seinerzeit vom Beklagten gelenkten Motorrads bezahlte an die Klägerin Regressforderungen im Zusammenhang mit Heilungskosten, jedoch keine solchen aus dem Titel Pflegegeld. Im Jahr 2002 schloss der Haftpflichtversicherer mit dem Geschädigten einen Pauschalvergleich und leistete eine „Ablöse" von 20.443 EUR. Ob darin auch Pflegegeldleistungen enthalten waren, steht nicht fest.
Die klagende Pensionsversicherungsanstalt begehrte zuletzt vom Beklagten 15.274,54 EUR sA. Der Betrag setzt sich zusammen aus den oben erwähnten Pflegegeldleistungen von 9.083,15 EUR und 5.383,73 EUR, zusammen somit 14.466,88 EUR sA. Darüber hinaus hafteten noch 807,66 EUR an von der Klägerin getragenem Aufwand für Rehabilitationsleistungen unberichtigt aus. Nachdem 2006 die Versicherungssumme aus der Haftpflichtversicherung des vom Beklagten gelenkten Motorrads erschöpft gewesen sei, habe die Klägerin Regressansprüche in der Folge direkt gegen den Beklagten geltend gemacht. Dass der Verjährungseinwand aufgrund des abgegebenen Verjährungsverzichts des Beklagten vom 26. 6. 1981 nicht statthaft sei, ergebe sich aus der Entscheidung des Obersten Gerichtshofs zu 2 Ob 90/11f. Ein Feststellungsurteil zu Gunsten des Geschädigten wirke aufgrund der Legalzession auch zu Gunsten des Sozialversicherers, selbst wenn dieser erst im Nachhinein leistungspflichtig werde. Die Aktivlegitimation der Klägerin ergebe sich aus § 16 Bundespflegegeldgesetz (BPGG). Die Regressregeln der § 332 Abs 3, 5 und 6 und die §§ 333 bis 335 ASVG seien anzuwenden. Der Umstand, dass das Pflegegeldgesetz erst 1993 eingeführt worden sei, ändere nichts an der Ersatzfähigkeit der Leistungen der Klägerin, da in einem Fall, bei dem im Unfallszeitpunkt das BPGG noch nicht in Kraft gewesen sei, eine Legalzession spätestens mit Inkrafttreten des BPGG erfolge. Die nach dem BPGG erbrachten Leistungen dienten nicht der Entlastung des Schädigers. Der Geschädigte habe einen Pflegebedarf von 183 Stunden pro Monat; bei einer Bewertung von 10 EUR Bruttolohn pro Stunde ergebe sich ein monatlicher Deckungsfonds von 1.830 EUR, abzüglich des Mitverschuldens von 40 % verbliebe ein Betrag von 1.098 EUR monatlich; das Pflegegeld der Stufe 5 betrage lediglich 902,13 EUR, weshalb von einer Volldeckung zu Gunsten der Klägerin auszugehen sei.
Der Beklagte wendete ein, dass abzüglich des Kostenzuspruchs von 807,66 EUR im Oppositionsprozess nur noch die Pflegegeldregressforderung offen sei. Zur Geltendmachung der Regressforderung für die Pflegegeldleistungen sei die Klägerin nicht aktiv legitimiert, weil es sich beim Pflegegeld nicht um eine Sozialversicherungsleistung, sondern um eine staatliche Leistung handle, die vom Bund in voller Höhe an die Klägerin zu refundieren sei. Es komme daher nicht zu einer Legalzession im Sinne des § 332 ASVG. Ein Anspruch der Republik bestehe nicht, da die gesetzliche Einführung des Pflegegelds erst lange nach dem Unfall erfolgt und ein Regressanspruch der allenfalls legitimierten Stelle (Bund oder Land) mangels gerichtlicher Geltendmachung längst verjährt sei. Es bestehe auch keine Kongruenz zwischen dem konkreten Mehraufwand des Geschädigten und dem pauschalierten Pflegegeld. Im Übrigen habe sich der Geschädigte im Jahr 2002 mit der Restzahlung der damals noch zur Verfügung stehenden Versicherungssumme für endgültig abgefunden erklärt.
Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Die Klägerin sei aktiv legitimiert, das an den Geschädigten geleistete Pflegegeld beim Beklagten zu regressieren. In § 16 BPGG sei normiert, dass der Anspruch des Geschädigten auf den Bund oder den Sozialversicherungsträger übergehe. Das BPGG sei am 1. 7. 1993 in Kraft getreten. Die darin enthaltene neue Legalzessionsnorm komme insoweit zum Tragen, als zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Gesetzes noch Schadenersatzansprüche eines Geschädigten, die mit der neuen Sozialleistung kongruent seien, noch nicht endgültig verglichen gewesen seien. Die Klägerin mache hier nur solche Leistungen geltend, die nach Inkrafttreten des BPGG geleistet worden seien. Das Feststellungsurteil zu Gunsten des Geschädigten wirke auch zu Gunsten des Sozialversicherers, auch wenn dieser erst später leistungspflichtig werde. Der zwischen dem Geschädigten und dem Haftpflichtversicherer abgeschlossene Vergleich habe keine Pflegegeldleistungen betroffen. Der Beklagte habe der Klägerin das geleistete Pflegegeld von 14.466,88 EUR sowie die noch offenen Rehabilitationskosten von 807,66 EUR, insgesamt somit den Klagsbetrag zu ersetzen. § 45 ZPO sei nicht anzuwenden, da der Beklagte zur Klage Veranlassung gegeben und den Anspruch nicht bei erster Gelegenheit anerkannt habe.
Das Berufungsgericht änderte das Urteil des Erstgerichts dahin ab, dass es dem Klagebegehren mit 807,66 EUR sA mit Teilurteil stattgab und mit Zwischenurteil aussprach, dass im Übrigen (14.466,88 EUR sA) das Klagebegehren dem Grunde nach zu Recht bestehe. Es führte in der Begründung seines Urteils aus:
1. Zu den restlichen Rehabilitationskosten von 807,66 EUR:
An Rehabilitationskosten hafteten noch 807,66 EUR aus. Dieser Betrag sei nicht durch Aufrechnung erloschen. Die Aufrechnung trete nicht von selbst ein, sondern bedürfe der ‑ ausdrücklichen oder schlüssigen ‑ Auf-rechnungserklärung. Dass eine solche Aufrechnungserklärung erfolgt und der Klägerin zugegangen wäre, habe der Beklagte im Verfahren erster Instanz nicht behauptet. Er habe lediglich vorgebracht, dass sich die Zahlung von 6.862,34 EUR aus dem bislang streitverfangenen Betrag von 7.670 EUR im Oppositionsprozess abzüglich des Kostenzuspruchs im Oppositionsprozess des Bezirksgerichts Telfs von 807,66 EUR zusammensetze. Das Vorbringen, dass Zahlung abzüglich eines Kostenzuspruchs erfolgt sei, lasse weder erkennen, dass eine Aufrechnung vom Beklagten vorgenommen worden wäre, noch, dass diese auch gegenüber der Klägerin erklärt worden wäre. Da, abgesehen vom unberechtigten Einwand, diese Restforderung sei durch Aufrechnung getilgt, der Beklagte diesen Betrag nicht bestreite, sei in diesem Umfang das Klagebegehren berechtigt, was durch das Teilurteil auszusprechen gewesen sei.
2. Zum Pflegegeldregress:
Die Besonderheit im vorliegenden Fall hinsichtlich des Regressanspruchs der Klägerin aus den geleisteten Pflegegeldzahlungen nach dem BPGG resultiere daraus, dass der Unfall sich bereits am 8. 7. 1978 ereignet habe, das BPGG jedoch erst am 1. 7. 1993, also nach dem Unfall, in Kraft getreten sei.
2.1. Nach der Rechtsansicht des Beklagten handle es sich bei der Auszahlung des Pflegegeldes um eine Leistung des Bundes, welche nach § 23 BPGG der Klägerin im vollen Umfang refundiert werde. Die Formulierung in § 16 BPGG, wonach der Schadenersatzanspruch auf den Bund „oder“ die Träger der Sozialversicherung übergehe, stelle bloß eine Ermächtigung des Sozialversicherungsträgers im Sinne einer Inkassozession dar. Es wäre Sache des Bundes gewesen, zeitgerecht einen Titel zu schaffen, um der Verjährung entgegenzuwirken.
Eine solche Auslegung widerspreche dem Gesetzeswortlaut des § 16 BPGG: Darin sei normiert, dass, wenn ein Bezieher von Pflegegeld den Ersatz des Schadens, der ihm durch einen Unfall oder ein sonstiges Ereignis entstanden sei, auf Grund anderer Rechtsvorschriften beanspruchen könne, dieser Anspruch insoweit auf den Bund oder den Träger der Sozialversicherung übergeht, als dieser aus diesem Anlass Pflegegeld zu leisten hat.
Aktiv legitimiert für die Geltendmachung eines Regressanspruchs sei daher der Träger der Sozialversicherung, wenn er aus Anlass eines Unfalls Pflegegeld zu leisten habe, dies unabhängig davon, dass nach § 23 Abs 1 BPGG ein Kostenersatzanspruch des Trägers der gesetzlichen Pensionsversicherung (auch) dem Bund gegenüber bestehe. Die Erläuternden Bemerkungen zu § 16 (776 der Beilagen XVIII. GP 28) hielten dazu ausdrücklich fest, dass die Durchführung des Regressverfahrens dem Entscheidungsträger obliegen solle, also demjenigen, der die Entscheidung über Grund und Höhe eines Anspruchs nach dem BPGG treffe, im vorliegenden Fall also die Klägerin. Die Aktivlegitimation der Klägerin zur Geltendmachung der Regressansprüche finde daher ihre rechtliche Grundlage in § 16 Abs 1 BPGG. Im Übrigen habe auch der Oberste Gerichtshof in 2 Ob 94/99h keine Bedenken gegen die Aktivlegitimation der Pensionsversicherungsanstalt der Arbeiter geäußert, die ab Inkrafttreten des BPGG Pflegegeld der Stufe 5 an die dortige Geschädigte geleistet habe, wobei sich auch in der genannten Entscheidung der Unfall vor Inkrafttreten des BPGG ereignet habe.
Es entspreche der ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs (2 Ob 159/00x; 10 Ob 18/12p; RIS‑Justiz RS0034606), dass ein vom Geschädigten erwirktes Feststellungsurteil die Verjährung auch zu Gunsten eines aufgrund einer Legalzession erst nachträglich leistungspflichtig gewordenen Sozialversicherungsträgers unterbreche; diese Grundsätze seien auch auf die Legalzession nach § 16 BPGG hinsichtlich des bezahlten Pflegegelds anzuwenden (2 Ob 159/00x). Das Urteil zu 2 Ob 30/89, mit dem die solidarische Haftung des Beklagten gegenüber dem Geschädigten für alle Schäden aus diesem Unfall mit einer Quote von 60 % festgestellt worden sei, komme daher auch der Klägerin zugute; darüber hinaus sei hier die Haftung des Beklagten auch gegenüber der Klägerin für alle künftigen unfallkausal zu erbringenden Leistungen bzw auf sie übergegangenen Schadenersatzansprüche unter Berücksichtigung einer Mitverschuldensquote des Geschädigten von 40 % mit Urteil des Bezirksgerichts Innsbruck rechtskräftig festgestellt.
Als Zwischenergebnis sei daher festzuhalten, dass die Klägerin hinsichtlich der Regressansprüche für von ihr im Zeitraum ab 1. 11. 2011 erbrachte Leistungen nach dem BPGG aktiv legitimiert sei und dass ihre Ansprüche nicht verjährt seien, dass daher dem Grunde nach ihre Regressansprüche gegenüber dem Beklagten berechtigt seien.
2.2. Nicht gefolgt werden könne auch den Rechtsausführungen des Beklagten, wonach der quotenmäßige Anspruch des Geschädigten auf Ersatz seines unfallbedingten Mehraufwands aus dem Unfall aufgrund des Pauschalvergleichs im Jahr 2002 bereits erloschen sei: § 16 BPGG über den Übergang von Schadenersatzansprüchen folge in seiner Diktion den vergleichbaren Regeln in den Sozialversicherungs- und Versorgungsgesetzen (EB 776 der Beilagen XVIII. GP 28), sodass zum besseren Verständnis zunächst ‑ noch ohne Bedachtnahme auf das erst zu einem späteren Zeitpunkt erfolgte In-Kraft-Treten des BPGG ‑ zur Frage des maßgebenden Zeitpunkts für die Legalzession die zu § 332 ASVG in der Judikatur und Literatur entwickelten Grundsätze voranzustellen seien: Im Hinblick auf das Verbot der Disposition des Geschädigten über die von der Legalzession erfassten Ansprüche werde der Zeitpunkt des Forderungsübergangs zur Hintanhaltung einer Doppelinanspruchnahme möglichst früh angesetzt. Unter der Voraussetzung, dass im Unfallszeitpunkt ein Sozialversicherungsverhältnis bestehe, Sozialversicherungsleistungen gesetzlich vorgesehen seien und eine Leistungspflicht des Sozialversicherungsträgers nach Art der Verletzung überhaupt in Betracht komme, sei dies prinzipiell der materielle Eintritt des Versicherungsfalls. Darunter werde grundsätzlich das schädigende Ereignis angesehen, in dem auch der Schadenersatzanspruch in der Person des Geschädigten entstehe. Er gehe in dieser juristischen Sekunde vom Geschädigten auf den Sozialversicherungsträger über, auch wenn regelmäßig noch ungewiss sei, in welcher Höhe der Schädiger zur Leistung von Schadenersatz verpflichtet sei, und obwohl die Voraussetzungen für die Zahlungspflicht des Sozialversicherungsträgers im Einzelnen noch nicht feststünden. Der Rechtsübergang „konkretisiere“ sich während des gesamten künftigen Schadensverlaufs dann der Höhe nach im Umfang des jeweiligen Ersatzanspruchs und des jeweiligen Sozialversicherungsanspruchs (vgl 2 Ob 256/06w; RIS-Justiz RS0045190 [insb T5, T7]; Neumayr in Schwimann, ABGB3 § 332 ASVG Rz 25, 26). Der Eintritt des Forderungsübergangs hänge also nicht davon ab, ob der Geschädigte bei antragsbedürftigen Leistungen einen Antrag stelle und ob er die Leistungen des Sozialversicherungsträgers in Anspruch nehme. Allein entscheidend sei der (materielle) Eintritt der gesetzlichen Leistungspflicht des Sozialversicherungsträgers. Zu einem Eintritt des Forderungsübergangs erst nach dem materiellen Eintritt des Versicherungsfalls komme es unter anderem dann, wenn die Leistungspflicht des Sozialversicherungsträgers erst später entstehe, so beispielsweise bei Gesetzesänderungen, da die Legalzession grundsätzlich nicht zurückwirke, aber mit Inkrafttreten des Gesetzes eintrete (vgl 2 Ob 94/99h; Neumayr in Schwimann, ABGB3 § 332 ASVG Rz 30). Das BPGG (BGBl 1993/110) sei am 1. 7. 1993, also nach dem Unfall, in Kraft getreten und habe insoweit den Hilflosenzuschuss nach § 105a ASVG abgelöst. Gleichzeitig sei in § 16 BPGG eine neue Legalzessionsnorm geschaffen worden. Leistungsberechtigungen, die auf einer Systemänderung - wie hier ‑ beruhten, seien nicht von dem grundsätzlich im Unfallszeitpunkt eintretenden Forderungsübergang umfasst, sondern der Forderungsübergang finde hier erst mit Inkrafttreten der Neuerung statt. Das BPGG habe in Pflegegeldleistungen eine derartige Systemänderung nach sich gezogen; die Legalzession hinsichtlich solcher Leistungen sei daher erst mit dem Inkrafttreten dieses Gesetzes erfolgt (2 Ob 94/99h). Die Legalzession des § 16 BPGG komme aber nur insoweit zum Tragen, als zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Gesetzes noch Schadenersatzansprüche des Geschädigten, die mit der neuen Sozialleistung kongruent sind, noch nicht endgültig verglichen gewesen seien (2 Ob 94/99h), soweit also der Geschädigte noch einen (Schaden-)Ersatzanspruch habe und auf ihn noch nicht ‑ beispielsweise durch einen Abfindungsvergleich ‑ verzichtet habe (Neumayr in Schwimann, ABGB³ § 332 ASVG Rz 30). Es komme daher nicht darauf an, ob im Zeitpunkt, als erstmals Pflegegeldleistungen gewährt worden seien, nämlich im November 2011, ein Verzicht auf allfällige Schadenersatzleistungen erfolgt sei, sondern vielmehr darauf, ob ein solcher zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des BPGG am 1. 7. 1993 bereits vorgelegen sei. Der „Pauschalvergleich“ mit dem Haftpflichtversicherer des vom Beklagten gelenkten Motorrads sei erst im Jahr 2002 abgeschlossen worden, somit zu einem Zeitpunkt, zu dem der Geschädigte aufgrund des mit Inkrafttreten des BPGG erfolgten Forderungsübergangs gar nicht mehr legitimiert gewesen sei, über jene Schadenersatzansprüche zu verfügen, die durch ihm nach dem BPGG zustehende Ansprüche gedeckt gewesen seien. Es komme daher auf den Inhalt des Vergleichs zwischen dem Geschädigten und der Haftpflichtversicherung des Beklagten im Jahr 2002 gar nicht an, da der Geschädigte über die von der Legalzession erfassten Ansprüche ohnedies nicht (mehr) verfügen habe können.
2.3. In welchem Umfang aber ein Regressanspruch der Klägerin bestehe, könne aufgrund der getroffenen Feststellungen derzeit nicht beurteilt werden: § 16 BPGG stelle ebenso wie § 332 ASVG keine Anspruchsgrundlage dar, sondern sehe einen Übergang eines auf anderen gesetzlichen Vorschriften beruhenden Anspruchs auf Schadenersatz (unter anderem) auf den Sozialversicherungsträger vor. Dessen gesetzliche Leistungen seien vom Schädiger nur dann zu erstatten, wenn ihnen ein kongruenter zivilrechtlicher Schaden gegenüberstehe (Neumayr in Schwimann, ABGB3 § 332 ASVG Rz 6). Voraussetzungen für den Forderungsübergang seien persönliche, sachliche und zeitliche Kongruenz zwischen der Leistung des Sozialversicherungsträgers und dem Schadenersatzanspruch des Verletzten (Neumayr, aaO Rz 37). Dass im vorliegenden Fall persönliche Kongruenz, also Identität des Schadenersatzgläubigers mit dem Anspruchsberechtigten nach Sozialversicherungsrecht (RIS‑Justiz RS0124199), bestehe, sei ebenso unstrittig wie das Vorliegen zeitlicher Kongruenz, dass somit die sachlich kongruenten Sozialversicherungsansprüche und Schadenersatzansprüche für denselben Zeitraum zustünden (RIS-Justiz RS0085331). Auch die sachliche Kongruenz sei gegeben: Pflegegeld sei - wie früher der Hilflosenzuschuss - sachlich kongruent zum Anspruch auf Ersatz von vermehrten Bedürfnissen aus dem Titel Pflegeaufwendungen bzw zum Anspruch auf Ersatz der Kosten einer Aushilfskraft wegen unfallbedingter Unfähigkeit zur Führung des eigenen Haushalts (RIS-Justiz RS0122867; Neumayr, aaO Rz 49). Der Haftpflichtanspruch und der Sozialversicherungsanspruch seien allerdings getrennt voneinander zu beurteilen; die Gewährung von Pflegegeld indiziere nicht die zivilrechtliche Pflegebedürftigkeit. Der Deckungsfonds für die Sozialversicherungsleistung sei vom fiktiven Aufwand für eine Pflege bzw Hilfsperson abzuleiten (Neumayr, aaO Rz 49). Der Umfang des Forderungsübergangs und damit der Regressanspruch des Sozialversicherungsträgers sei in zwei Dimensionen begrenzt, nämlich einerseits mit der Höhe des Schadenersatzanspruchs des Geschädigten und andererseits mit dem Anspruch des Geschädigten auf Leistungen gegenüber dem Sozialversicherungsträger. Der Regressanspruch des Sozialversicherungsträgers könne niemals höher sein als der niedrigere der beiden Beträge (Neumayr, aaO Rz 32). In welchem Umfang dem Geschädigten zivilrechtlich ein Anspruch auf Ersatz von Pflegekosten zustehe, könne nach den getroffenen Feststellungen nicht beurteilt werden, da Feststellungen dazu, in welchem Ausmaß beim Geschädigten unfallbedingt ein Pflegeaufwand bestanden habe, in welchem Umfang eine Aushilfskraft erforderlich gewesen sei und welchen Kostenaufwand dies bedeutet habe, fehlten. Es könne daher derzeit der Umfang des Forderungsübergangs und damit die Höhe des Regressanspruchs der Klägerin nicht beurteilt werden. Die Kongruenz zwischen dem konkreten Mehraufwand des Geschädigten und dem pauschalierten Pflegegeld sei vom Beklagten in der mündlichen Streitverhandlung vom 25. 11. 2013 ausdrücklich bestritten worden, sodass zu den aufgezeigten Fragen entsprechende Feststellungen erforderlich seien. Zum notwendigen Pflegeaufwand habe die Klägerin das schon referierte konkrete Vorbringen erstattet. Es seien daher zur Beurteilung des dem Geschädigten zustehenden zivilrechtlichen Schadenersatzanspruchs im zweiten Rechtsgang Feststellungen zum Ausmaß des tatsächlichen Pflegeaufwands und der erforderlichen Hilfe im Haushalt sowie zu den Kosten für eine Aushilfskraft zu treffen. In diesem Zusammenhang werde mit den Parteien zu erörtern sein, ob und inwieweit weitere Beweisaufnahmen, insbesondere die Aufnahme eines gerichtlichen Sachverständigengutachtens aus dem Bereich der Pflege, erforderlich seien.
Das Berufungsgericht ließ nachträglich gemäß § 508 Abs 3 ZPO die ordentliche Revision zu, weil sich die Entscheidung 2 Ob 94/99h nicht mit der Frage auseinandersetze, ob trotz eingetretener Legalzession geleistete Zahlungen im Sinne des § 16 Abs 2 BPGG anzurechnen seien; der vorliegende Fall weise die Besonderheit auf, dass zum Zeitpunkt des ‑ nach Inkrafttreten des BPGG erfolgten ‑ Vergleichsabschlusses Pflegegeld vom Geschädigten nach dem BPGG noch gar nicht bezogen worden sei. Da sich der Oberste Gerichtshof mit dieser Frage bislang nicht auseinanderzusetzen gehabt habe, werde auch im Hinblick darauf, dass zur Legalzession des § 16 BPGG nur vereinzelte Judikatur des Obersten Gerichtshofs bestehe, die Revision nachträglich zugelassen.
Gegen das Urteil des Berufungsgerichts richtet sich die Revision des Beklagten mit dem Antrag auf Abänderung im Sinne der gänzlichen Klagsabweisung.
Die Klägerin beantragt in der Revisionsbeantwortung, die Revision als unzulässig zurückzuweisen, hilfsweise ihr nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist zulässig und teilweise berechtigt.
1. Der Revisionswerber weist zutreffend darauf hin, dass dem Berufungsgericht zur Frage der Aufrechnung betreffend den (der Höhe nach unstrittigen) Teilbetrag von 807,66 EUR eine (vom Obersten Gerichtshof aufzugreifende) Fehlbeurteilung unterlaufen ist: Nach dem vom Berufungsgericht selbst referierten Vorbringen des Beklagten (in der mündlichen Streitverhandlung am 25. 11. 2013; AS 30 in ON 7) ergibt sich die Absicht des Beklagten, mit dem Kostenanspruch aus dem Oppositionsprozess aufzurechnen, ohne jeglichen Zweifel; deutlicher als der Beklagte kann man seinen Aufrechnungswillen nicht zum Ausdruck bringen. Da der Klagevertreter in dieser Streitverhandlung anwesend war, ist die Aufrechnungserklärung der klagenden Partei auch zugegangen. Im Übrigen ist das Vorbringen der Revisionsgegnerin falsch, 807,66 EUR seien bereits im Oppositionsprozess aufgerechnet worden: Dies ist unmöglich, da der Kostenanspruch ja erst mit dem rechtskräftigen Urteil im Oppositionsprozess entstanden ist.
Der Klagsanspruch ist daher im Betrag von 807,66 EUR durch Aufrechnung erloschen, weshalb insoweit mit Teilurteil (§ 391 Abs 1 ZPO) das Klagebegehren abzuweisen war.
2. Im Übrigen erachtet der Oberste Gerichtshof die Revisionsausführungen für nicht stichhaltig, die angefochtene Entscheidung hingegen sowohl im Ergebnis als auch in der Begründung für zutreffend, sodass es grundsätzlich ausreicht, den Revisionswerber darauf hinzuweisen (§ 510 Abs 3 ZPO).
3. In Erwiderung der Revisionsargumente wird Folgendes ausgeführt:
3.1. Der Revisionswerber meint, die Rechtsprechung, wonach ein vom Geschädigten erwirktes Feststellungsurteil die Verjährung auch zu Gunsten eines aufgrund einer Legalzession erst nachträglich leistungspflichtig gewordenen Sozialversicherungsträgers unterbreche, sei überdenkenswert, da bei einer Systemänderung wie im vorliegenden Fall (Pflegegeld) eine von § 5 ABGB verpönte Rückwirkung des Gesetzes stattfinde.
Dem ist zunächst ‑ wie schon das Berufungsgericht ausführte ‑ entgegenzuhalten, dass bei Systemänderungen die Legalzession nicht zurückwirkt, sondern mit Inkrafttreten des Gesetzes eintritt. Davon abgesehen haben die diesbezüglichen Revisionsausführungen nicht das Gewicht, die vom Berufungsgericht zitierte ständige Rechtsprechung (RIS-Justiz RS0034606) aufzugeben, wozu es ‑ wie der Revisionswerber zutreffend erkennt ‑ eines verstärkten Senats (§ 8 OGHG) bedürfte, wozu jedoch der erkennende Senat keine Veranlassung sieht. Der Revisionswerber erkennt im Übrigen selbst, dass es nicht Sache der Rechtsprechung, sondern des Gesetzgebers ist, eine adäquate Regelung dieses Problemkreises unter Beachtung des Gleichheitsgrundsatzes und unter der Normenkontrolle des Verfassungsgerichtshofs zu entwickeln.
3.2. Der Revisionswerber beruft sich auf § 16 Abs 2 BPGG („Der Entscheidungsträger hat Ersatzbeträge, die der Ersatzpflichtige dem Bezieher von Pflegegeld in Unkenntnis des Anspruchsüberganges gemäß Abs. 1 geleistet hat, auf das Pflegegeld anzurechnen. Im Ausmaß der Anrechnung erlischt der auf den Bund oder Träger der Sozialversicherung übergegangene Ersatzanspruch gegen den Ersatzpflichtigen.“). Er meint, es lägen kein Vorbringen und keine Beweise in Richtung einer Schlechtgläubigkeit des Haftpflichtversicherers dahingehend vor, dass dieser von anstehenden Pflegegeldregressforderungen gewusst habe, weil solche bis zur Abfindungszahlung 24 Jahre hindurch nicht erhoben worden seien. Das Gericht hätte daher davon ausgehen müssen, dass die Entschädigungsleistung an den Geschädigten gutgläubig erfolgt und somit anzurechnen sei. Dies hätte zur vollständigen Klagsabweisung geführt.
Diese Ausführungen sind aus mehreren Gründen nicht zielführend:
Zunächst ist festzuhalten, dass es sich dabei um eine im Revisionsverfahren unzulässige Neuerung handelt (§ 504 Abs 2 ZPO), gibt es dazu doch weder ein Vorbringen in erster Instanz noch in der Rechtsrüge der Berufung (die Erwähnung dieser Bestimmung in der Verfahrensmängelrüge der Berufung ist insoweit irrelevant, als dieser Verfahrensmangel vom Berufungsgericht verneint wurde, was vom Obersten Gerichtshof nicht mehr aufgegriffen werden kann).
Überdies geht die diesbezügliche Rechtsrüge nicht vom festgestellten Sachverhalt aus, soweit der Revisionswerber bloß „vermutet“, der Geschädigte habe bis zu seiner Pensionierung im November 2011, womit die Leistungspflicht der Klägerin begonnen habe, Pflegegeld nach landesgesetzlichen Bestimmungen bezogen. Feststellungen, wonach der Beklagte oder der Haftpflichtversicherer überhaupt Pflegegeld (oder dazu kongruente Leistungen) an den Geschädigten bezahlt hätten, gibt es nicht. Entgegen der Darstellung des Revisionswerbers lägen die Behauptungs- und Beweislast für die in § 16 Abs 2 BPGG genannten Umstände nicht bei der klagenden Partei, sondern bei ihm: § 16 Abs 1 BPGG normiert eine Legalzession und einen Regressanspruch des Bundes oder des Sozialversicherungsträgers gegen den Schädiger. Diese anspruchbegründenden Umstände hat die dafür beweispflichtige Klägerin bewiesen. Dann ist es aber am Beklagten, die anspruchsvernichtenden Umstände nach § 16 Abs 2 BPGG zu behaupten und zu beweisen (RIS-Justiz RS0106638).
Schließlich ist § 16 Abs 2 BPGG im vorliegenden Fall nicht einschlägig, weil die „Anrechnung“ nicht das Verhältnis zwischen Sozialversicherungsträger und Haftpflichtversicherer betrifft (2 Ob 94/99h). Nach dem Gesetzeswortlaut betrifft diese Norm nur das Verhältnis zwischen Ersatzpflichtigem (Schädiger, hier der Beklagte) und dem „Entscheidungsträger“ (hier die klagende Partei). Dass der Beklagte selbst bisher mit dem Pflegegeld kongruente Leistungen an den Geschädigten erbracht hat, hat er ebenfalls nicht behauptet.
3.3. Die Rechtsrüge betreffend die vom Beklagten bestrittene Aktivlegitimation der Klägerin (aktiv legitimiert sei der Bund) wiederholt nur die schon in der Berufung vorgetragenen Argumente, die bereits das Berufungsgericht erschöpfend und zutreffend (§ 510 Abs 3 ZPO) entkräftet hat.
4. Die Kostenvorbehalte gründen sich auf die §§ 50, 393 Abs 4 iVm § 52 Abs 4 ZPO.
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