European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:0020OB00180.20I.0225.000
Spruch:
Die Revision der klagenden Partei wird zurückgewiesen.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 860,58 EUR (darin 143,43 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Begründung:
[1] Am 5. 6. 2017 (Pfingstmontag) kam der Kläger gegen 18:30 Uhr mit seinem Motorrad auf der Landesstraße B 77 („Gaberlstraße“) im Bereich des Straßenkilometers 32,8 im Zuge eines Überholmanövers wegen Schottereinschwemmungen auf der Fahrbahn zu Sturz. Er zog sich dabei Verletzungen zu; an seinem Fahrzeug entstand Totalschaden.
[2] Für die B 77 als Teil eines Straßennetzes von rund 480 km ist die Straßenmeisterei Voitsberg mit rund 50 Mitarbeitern zuständig. Im „Normalbetrieb“ fährt jeder Mitarbeiter mindestens einmal in der Woche sein gesamtes Gebiet ab, meistens sogar zweimal pro Woche. Vor dem Unfall erfolgte die letzte Kontrolle des Abschnitts in den Vormittagsstunden des Freitags vor dem Pfingstwochenende. Mitarbeitern der Straßenmeisterei ist bekannt, dass auf der B 77 viele Motorradfahrer unterwegs sind. Während des am Freitag um 12:00 Uhr beginnenden Wochenend-Bereitschaftsdienstes ist nicht vorgesehen, dass Strecken aktiv kontrolliert werden, sondern der zuständige Mitarbeiter wartet Verständigungen über Einsatznotwendigkeiten ab.
[3] Am Nachmittag des Freitags vor Pfingsten ging ein heftiges Gewitter nieder, wodurch es im späteren Unfallsbereich über eine Länge von 700 bis 800 m an verschiedenen Stellen zu massiven Schottereinschwemmungen kam. Der davon informierte Mitarbeiter der Straßenmeisterei im Bereitschaftsdienst begab sich umgehend an Ort und Stelle und beseitigte den Schotter mit Besen und Schaufel. Am frühen Morgen des Samstags stellte er das Gefahrenzeichen „Andere Gefahren“ mit der Zusatztafel „Rollsplitt“ auf, danach wurden zu Mittag beide Fahrbahnhälften mit einer angeforderten Kehrmaschine zusätzlich gereinigt. Am Sonntag ging ein weiteres Gewitter nieder, wodurch neuerlich Schotter auf die Fahrbahn geschwemmt wurde, was dem diensthabenden Mitarbeiter aber nicht bekannt wurde. Am Montag gab es nur noch am Morgen geringfügigen Regen.
[4] Der Kläger geriet am Montag Abend während eines Überholmanövers mit etwa 100 km/h auf den Schotter, den er erst wahrnahm, als er gerade im Begriff war, wieder auf den rechten Fahrstreifen zurückzulenken und seine Geschwindigkeit zu verringern. Durch diese Lenkbewegung trat eine Instabilität des Motorrads ein, die zum Sturz führte.
[5] Der Kläger begehrt von der beklagten Partei als Wegehalter iSd § 1319a ABGB unter Zugestehen eines Mitverschuldens im Ausmaß von 50 % Schmerzengeld, den Ersatz des Fahrzeugschadens und seiner Spesen sowie die Feststellung der Haftung für zukünftige Schäden. Die beklagte Partei habe trotz Kenntnis von einer potentiellen Gefahrenzone zumutbare Maßnahmen unterlassen.
[6] Die beklagte Partei erwiderte, der Kläger trage das alleinige Verschulden an seinem Sturz, weil er beim Überfahren des Schotterfeldes einen Fahrfehler begangen habe. Die beklagte Partei habe alle ihr zumutbaren Maßnahmen ergriffen. Mangels Kenntnis ihres Mitarbeiters von den neuerlichen Schottereinschwemmungen treffe sie kein (grobes) Verschulden.
[7] Das Erstgericht verpflichtete die beklagte Partei zur Zahlung von 9.950 EUR sA und gab dem Feststellungsbegehren statt. Das Mehrbegehren auf Zahlung weiterer 2.850 EUR sA wies es unbekämpft ab.
[8] Das Berufungsgericht änderte die Entscheidung in eine gänzliche Klagsabweisung ab und sprach aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei. Zu fordern, dass am Wochenende aufgrund jeder ein Gewitter ankündigenden Wetterprognose routinemäßig Kontrollfahrten vorzunehmen seien, um möglicherweise entstandene Gefahrenquellen sofort zu beseitigen, sei eine Überspannung der Kontrollpflichten und der beklagten Partei nicht zumutbar. Auch dass an Wochenenden und Feiertagen keine aktive Wetterbeobachtung vorgesehen sei, könne schon deshalb nicht als grobes Verschulden vorgeworfen werden, weil daraus nicht ableitbar sei, wo Gefahrenquellen entstünden. Die am Freitag vor Pfingsten gemeldete Gefahrensituation sei umgehend beseitigt worden. Vom neuerlichen Gewitter konkret im Bereich der späteren Unfallstelle habe der im Bereitschaftsdienst stehende Mitarbeiter der Straßenmeisterei keine Kenntnis erlangt.
[9] Die ordentliche Revision sei zur Frage zuzulassen, ob die Einrichtung eines reduzierten Bereitschaftsdienstes an Wochenenden und Feiertagen, im Rahmen dessen in der warmen Jahreszeit keine Wetterbeobachtung und keine routinemäßigen Kontrollen des Straßennetzes – insbesondere einer von Motorrädern frequentierten Straße – erfolgten, ein grobes Organisationsverschulden iSd § 1319a ABGB begründe.
[10] Dagegen richtet sich die Revision des Klägers mit dem Antrag auf Wiederherstellung des Urteils des Erstgerichts; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
[11] Die beklagte Partei beantragt in ihrer Revisionsbeantwortung , die Revision zurückzuweisen, hilfsweise ihr nicht Folge zu geben.
[12] Entgegen dem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§ 508a Abs 1 ZPO) – Ausspruch des Berufungsgerichtes ist die Revision des Klägers nicht zulässig. Die Entscheidung hängt nicht von der Lösung einer erheblichen Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO ab:
Rechtliche Beurteilung
[13] 1. Nach ständiger Rechtsprechung ist grobe Fahrlässigkeit iSd § 1319a ABGB nur bei einer auffallenden Verletzung der gebotenen Sorgfalt in ungewöhnlicher Weise gegeben, wobei der Schadenseintritt als geradezu wahrscheinlich (nicht bloß als möglich) vorauszusehen sein muss (RS0030171). Sein Verhalten muss dem Wegehalter nicht nur in objektiver, sondern auch in subjektiver Hinsicht schwer vorzuwerfen sein (2 Ob 77/19s; RS0030171 [T2]).
[14] 2. Grob fahrlässiges Organisationsverschulden erfordert einen objektiv und auch subjektiv schweren Verstoß gegen die Anforderungen der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt. Diese Sorgfalt muss in einem ungewöhnlich hohen Maß verletzt werden. Voraussetzung ist in der Regel das Bewusstsein der Gefährlichkeit des eigenen Verhaltens (RS0110748). Keineswegs kann aber der Umstand, dass eine erst potentielle Gefahrensituation nicht sofort beseitigt wird, grobe Fahrlässigkeit begründen (10 Ob 50/04g; 2 Ob 77/19s).
[15] 3. Es kommt im jeweils zu prüfenden Einzelfall darauf an, ob der Wegehalter die ihm zumutbaren Maßnahmen getroffen hat, um eine gefahrlose Benützung gerade dieses Weges sicherzustellen (RS0087607). Welche Maßnahmen er im Einzelnen zu ergreifen hat, richtet sich danach, was nach der Art des Weges, besonders nach seiner Widmung, seiner geografischen Situierung in der Natur und dem daraus resultierenden Maß seiner vernünftigerweise zu erwartenden Benutzung (Verkehrsbedürfnis), für seine Instandhaltung angemessen und nach objektiven Maßstäben zumutbar ist (2 Ob 115/08p; RS0087607 [T6]). Das Gleiche gilt für die Frage, ob die Unterlassung einer zumutbaren Maßnahme dem Wegehalter bereits als grobes Verschulden vorgeworfen werden kann (8 Ob 58/16m; RS0087607 [T8]).
[16] 4. Wenn das Berufungsgericht im vorliegenden Einzelfall angesichts der dargelegten Umstände und der ohnehin auch am Wochenende getroffenen Maßnahmen zur Reinigung und Sicherung der späteren Unfallstelle zum Ergebnis gelangte, dass dem Kläger der ihm obliegende Beweis (RS0124486) der groben Fahrlässigkeit iSd § 1319a ABGB nicht gelungen sei, hält sich diese Beurteilung im Rahmen des ihm zur Verfügung stehenden Ermessensspielraums.
[17] 5. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41 Abs 1, 50 Abs 1 ZPO. Da die beklagte Partei in ihrer Revisionsbeantwortung auf die Unzulässigkeit des Rechtsmittels hingewiesen hat, diente ihr Schriftsatz der zweckentsprechenden Rechtsverteidigung.
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