OGH 2Ob77/19s

OGH2Ob77/19s22.10.2019

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Veith als Vorsitzenden sowie den Hofrat Dr. Musger, die Hofrätin Dr. Solé und die Hofräte Dr. Nowotny und Mag. Pertmayr als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei A***** P*****, vertreten durch Dr. Robert Lattermann, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei S***** W*****, vertreten durch Rudeck – Schlager Rechtsanwalts KG in Wien, wegen 7.862,39 EUR sA und Feststellung (Streitwert 2.500 EUR), über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 21. Februar 2019, GZ 11 R 19/19y‑29, womit das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom 27. November 2018, GZ 60 Cg 75/17s‑22, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2019:0020OB00077.19S.1022.000

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 626,52 EUR (darin enthalten 104,42 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Begründung:

Am 14. 12. 2016 lenkte die Klägerin gegen 19:00 Uhr ihren PKW in Wien in der Wehlistraße stadtauswärts. Vor der Kreuzung mit der Simon-Wiesenthal-Gasse kollidierte das Fahrzeug mit dem ersten von drei aufeinanderfolgen den, mitten in der Linksabbiegespur längs des Straßenverlaufs aufgestellten, je ca 3 m langen, im Unfallszeitpunkt ungesicherten und unbeleuchteten, grauen Betonleitelementen, das sich nur wenig vom Straßenhintergrund abhob und erst aus zumindest 20 m Entfernung auffällig wurde. Am 21. 11. 2016 hatte ein Mitarbeiter der Beklagten im Rahmen der regelmäßigen, alle vier bis sechs Wochen stattfindenden Kontrolle die spätere Unfallstelle überprüft. Damals war der vor dem ersten Betonleitelement aufgestellte schwere Gummibaken, in dem eine reflektierende, 1,40 bis 1,50 m hohe, rotweiß gestreifte Tafel montiert war, noch vorhanden. Wer zu einem späteren Zeitpunkt den Gummibaken und die Tafel entfernt hatte sowie wann und aus welchem Grund dies geschehen war, konnte nicht festgestellt werden. Wären die Betonelemente auch zur Unfallszeit mit einem reflektierenden Element gekennzeichnet gewesen, hätte die Klägerin sie aus einer Entfernung von 100 m erkennen und ihr Fahrverhalten darauf einstellen können.

Die Klägerin begehrte, gestützt auf § 1319a ABGB, den Ersatz ihres Schadens von der Beklagten, die es in ihrer Funktion als Wegehalterin verabsäumt habe, das Betonleitelement ordnungsgemäß zu kennzeichnen. Sie stellte auch ein Feststellungsbegehren.

Die Beklagte wendet im Wesentlichen ein, sie habe das Betonleitelement ordnungsgemäß gekennzeichnet und an der späteren Unfallstelle regelmäßig Kontrollen durchgeführt. Die offenbare Entfernung der Kennzeichnung durch unbefugte Dritte sei für die Beklagte unvermeidbar gewesen.

Das Erstgericht sprach der Klägerin, ausgehend von einer Haftung der Beklagten im Ausmaß von 3:1 den Betrag von 5.743,10 EUR sA zu und wies das Leistungsmehrbegehren sowie (mangels feststellbarer Spätfolgen) das Feststellungsbegehren ab.

Das von beiden Parteien angerufene Berufungsgericht änderte diese Entscheidung dahingehend ab, dass es das Klagebegehren zur Gänze abwies. Das Betonleitelement, gegen das der PKW der Klägerin geprallt sei, habe der Kenntlichmachung des Verlaufs der Straße gedient und sei daher als Einrichtung iSd § 57 Abs 1 StVO einzustufen. Es habe daher gemäß § 57 Abs 2 StVO mit rückstrahlendem Material in roter und weißer Farbe ausgestattet werden müssen. Dem habe die Beklagte auch entsprochen. Das vier- bis sechswöchige Intervall, in dem die Beklagte das in ihrem Verantwortungsbereich liegende Straßennetz inspiziere, sei ausreichend. Die Beklagte habe daher ihre Kontrollpflicht iSd § 1319a ABGB nicht grob fahrlässig vernachlässigt.

Die Revision sei mangels Rechtsprechung zur Frage zuzulassen, in welchen Intervallen der Wegehalter Kontrollen der von ihm gemäß § 57 Abs 2 StVO anzubringenden Kennzeichnungen durchzuführen habe.

Rechtliche Beurteilung

Entgegen dem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§ 508a Abs 1 ZPO) – Ausspruch des Berufungsgerichts hängt die Entscheidung nicht von der Lösung einer erheblichen Rechtsfrage in Sinne des § 502 Abs 1 ZPO ab:

1. Die Ausführungen des Berufungsgerichts, dass das Betonleitelement, gegen das der PKW der Klägerin prallte, der Kenntlichmachung des Verlaufs der Straße diente und daher als Einrichtung iSd § 57 Abs 1 StVO einzustufen und gemäß § 57 Abs 2 StVO zu kennzeichnen ist, bekämpft die Klägerin nicht. Sie wendet sich vielmehr gegen das vom Berufungsgericht in Anlehnung an die Entscheidung 10 Ob 50/04g als ausreichend angesehene vier- bis sechswöchige Überprüfungsintervall.

2. Nach § 1319a ABGB haftet, wenn durch den mangelhaften Zustand eines Weges ein Mensch getötet, am Körper verletzt oder an seiner Gesundheit geschädigt oder eine Sache beschädigt wird, für den Ersatz des Schadens der für den ordnungsgemäßen Zustand des Weges verantwortliche Halter, sofern er oder seine Leute den Mangel vorsätzlich oder grob fahrlässig verschuldet haben.

Nach ständiger Rechtsprechung ist grobe Fahrlässigkeit iSd § 1319a ABGB nur bei einer auffallenden Verletzung der gebotenen Sorgfalt in ungewöhnlicher Weise gegeben, wobei der Schadenseintritt als geradezu wahrscheinlich (nicht bloß als möglich) vorauszusehen sein muss (RS0030171). Sein Verhalten muss dem Wegehalter nicht nur in objektiver sondern auch in subjektiver Hinsicht schwer vorzuwerfen sein (RS0030171 [T2]).

Dass die konkrete Aufstellung der Betonwandelemente im Unfallszeitpunkt grundsätzlich geeignet war, einen solchen mangelhaften und gefährlichen Zustand des Wegs hervorzurufen, bedarf keiner näheren Begründung und ist auch nicht bestritten. Allerdings war der sichernde Gummibaken samt reflektierender Tafel bei der letzten Überprüfung rund drei Wochen vor dem Unfall noch vorhanden und daher damals im Hinblick auf die Feststellungen zur Erkennbarkeit reflektierender Elemente und die Möglichkeit das Fahrverhalten darauf einzustellen, keine Mangelhaftigkeit iSd § 1319a ABGB gegeben.

3. Es war daher zu prüfen, ob das bei der Beklagten vorgesehene und eingehaltene Überprüfungsintervall ausreichend war. Grob fahrlässiges Organisationsverschulden erfordert einen objektiv und auch subjektiv schweren Verstoß gegen die Anforderungen der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt. Diese Sorgfalt muss in einem ungewöhnlich hohen Maß verletzt werden. Voraussetzung ist in der Regel das Bewusstsein der Gefährlichkeit des eigenen Verhaltens (RS0110748). Keineswegs kann aber der Umstand, dass eine erst potentielle Gefahrensituation nicht sofort beseitigt wird, grobe Fahrlässigkeit begründen (10 Ob 50/04g).

Wenn das Berufungsgericht daher im vorliegenden Einzelfall (RS0087607) angesichts der dargelegten Umstände und der Tatsache der Prüfung der Unfallstelle rund drei Wochen vor dem Unfall im Rahmen eines vier- bis sechswöchigen Intervalls für die Inspizierung des Straßennetzes der Beklagten zum Ergebnis gelangte, dass der Klägerin der ihr obliegende Beweis der groben Fahrlässigkeit iSd § 1319a ABGB (RS0124486) nicht gelungen sei, ist dies nicht zu beanstanden. Der Sachverhalt der Entscheidung 10 Ob 50/04g mag zwar in Bezug auf Unfallsort und Unfallsfolgen unterschiedlich sein, in Betreff der hier relevanten Umstände der Überprüfungshäufigkeit und des Nichtvorhandenseins des Mangels bei der letzten Überprüfung vor dem Unfall bestehen aber durchaus Parallelen.

4. Soweit die Revisionswerberin eine höhere Überprüfungsfrequenz wegen der „leichten Entfernbarkeit“ des Gummibakens samt Schild fordert, geht sie nicht vom festgestellten Sachverhalt aus. Auf einen Verstoß gegen RVS‑Richtlinien, hat sich die Klägerin weder in erster Instanz noch in der Berufung gestützt. Ihre nunmehrigen Ausführungen zu diesem Thema sind als unzulässige Neuerungen unbeachtlich (§ 504 Abs 2 ZPO).

5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 41 Abs 1, § 50 Abs 1 ZPO. Da die Beklagte in ihrer Revisionsbeantwortung auf die Unzulässigkeit des Rechtsmittels hingewiesen hat, diente ihr Schriftsatz zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung.

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