Spruch:
Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.
Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden aufgehoben. Die Pflegschaftssache wird zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurückverwiesen.
Text
Begründung
Der außerehelich geborenen Minderjährigen wurden von ihrem am 17. 4. 1999 verstorbenen Vater Anteile an einem österreichischen Investmentfonds vermacht, die sich in Verwahrung einer österreichischen Bank befinden. Die letztwillige Verfügung enthielt folgende Anordnung:
„Meiner ae. Tochter, der mj. V***** P*****, vermache ich zur Pflichtteilsentfertigung von den in meinem Wertpapierdepot bei dem Bankhaus […] in Wien verwahrten Wertpapieren, und zwar von den Anteilen an dem Fonds mit der Bezeichnung Superior I Anteile in einem Kurswert zu meinem Todestag von zwei Millionen Schilling. Es ist mein ausdrücklicher Wunsch, dass von den Erträgnissen aus diesen Wertpapieren jährlich höchstens ein Betrag von S 40.000,-- zur Deckung eines allfälligen laufenden Aufwandes der Begünstigten herangezogen wird, die verbleibenden Erträgnisse jedoch wiederum in mündelsicheren Wertpapieren angelegt werden. Der vorgenannte Betrag von S 40.000,-- ist unter Zugrundlegung des Verbraucherpreisindex 1996 oder des an dessen Stelle tretenden amtlichen Nachfolgeindex wertgesichert zu entrichten. Als Ausgangsgrundlage für die Feststellung einer Geldwertänderung ist hiebei [die] für den Monat meines Ablebens zu verlautbarende Indexzahl heranzuziehen. Als Vergleichsgrundlage hat die für den Monat Dezember des jeweils laufenden Jahres zu verlautbarende Indexzahl zu dienen.“
Das Legat wurde der Minderjährigen im Jänner 2001 ausgefolgt. Per 8. 1. 2001 betrug der Wert der 1.775 Stück Miteigentumsanteile 145.390,50 EUR.
Aufgrund eines Beschlusses des Abhandlungsgerichts vom 13. 7. 2001 ist die Mutter der Minderjährigen als deren gesetzliche Vertreterin nur mit Zustimmung des Pflegschaftsgerichts zur Verfügung über die Wertpapiere befugt.
Seit Jänner 2001 wurden erst einmal, im Oktober 2008, Miteigentumsanteile im Wert von 2.906,91 EUR (= 40.000 S) verkauft. Am 21. 1. 2009 belief sich der Kurswert der mittlerweile 2.483,78 Miteigentumsanteile auf 161.098 EUR.
Am 23. 12. 2008 stellte die in Südtirol wohnhafte Mutter den Antrag, ihr die pflegschaftsgerichtliche Genehmigung zu erteilen, für die Dauer der Ausbildung ihrer Tochter in einem Internat in Deutschland zur Tragung der Schulkosten monatlich über Miteigentumsanteile am Investmentfonds im Wert von 2.400 EUR, hilfsweise insgesamt über Miteigentumsanteile im Gegenwert von 26.160 EUR, verfügen zu können.
Sie brachte vor, ihre Tochter habe zuletzt ein neusprachliches Gymnasium in Bozen besucht und die erste Klasse Oberschule nicht mehr positiv abgeschlossen. Diverse außerschulische Aktivitäten hätten sie so sehr abgelenkt und vom Lernen abgehalten, dass sich ein Ortswechsel als unabdingbar erwiesen habe. Zudem sei es der dezidierte Wunsch ihres Vaters gewesen, ihr ab der Oberstufe eine Schulausbildung in einem ausgezeichneten Internat zukommen zu lassen. Nach Besichtigung mehrerer Institute im südbayrischen Raum habe sich V***** für ein Gymnasium mit angeschlossenem Internat in S***** entschieden, das sie seit September 2008 besuche, in dem sie sich wohl fühle und wo sie auch schon erste schulische Erfolge erzielt habe. Die Mutter sei nicht in der Lage, die Kosten der Ausbildung zur Gänze aus ihrem Einkommen zu bestreiten, ihre Ersparnisse seien aufgebraucht.
Das Erstgericht ermächtigte die Mutter, Miteigentumsanteile im Wert von 12.000 EUR zu verkaufen und den Erlös zu beheben. Es trug der Mutter auf, den Erlös ausschließlich für die Begleichung der angefallenen Schulkosten zu verwenden und dem Gericht diese Verwendung nachzuweisen. Das Mehrbegehren wies es ab.
Nach den weiteren Feststellungen des Erstgerichts belaufen sich die monatlichen Schulkosten (zwölf mal jährlich) auf 2.420 EUR. Zusätzlich war eine Aufnahmegebühr von 305 EUR zu entrichten und eine Kaution in Höhe von 4.840 EUR zu erlegen. Die Mutter hat monatliche Nettoeinkünfte von 2.500 EUR, die Minderjährige erhält monatlich eine Halbwaisenpension von 432,10 EUR. Die Mutter hat die auflaufenden Schulkosten zunächst aus diesen Einkünften und ihren Ersparnissen bezahlt. Letztere sind nun aufgebraucht.
In rechtlicher Hinsicht ging das Erstgericht unter anderem davon aus, dass der Mutter für ihre in Fremdpflege befindliche Tochter die Leistung eines monatlichen Unterhaltsbeitrags von 500 EUR möglich sei. Dazu komme die Halbwaisenpension der Tochter, welche die Unterhaltsleistungen des Vaters substituieren solle. Mit dem genehmigten Betrag seien die Kosten des Schuljahres 2008/09 abgedeckt. Für das kommende Schuljahr (2009/10) werde die Mutter hingegen ein Internat zu suchen haben, dessen Kosten sie mit den ihr für den laufenden Unterhalt der Minderjährigen zur Verfügung stehenden Mitteln tragen könne. Es sei kein Grund ersichtlich, wieso die Minderjährige gerade dieses Gymnasium besuchen müsse und nicht eine andere kostengünstigere Variante gesucht werden könne, die ebenfalls dem Kindeswohl entsprechen würde. Der Freigabe eines Betrags von 12.000 EUR stehe auch die letztwillige Verfügung nicht entgegen, berücksichtige man, dass in den Jahren seit 2001 lediglich einmal ein Betrag (im Gegenwert) von 40.000 S behoben worden und der Kurswert der Miteigentumsanteile seit 2001 um rund 15.000 EUR gestiegen sei. Die Freigabe eines Großteils der Erträgnisse entspreche auch der Wertung des § 149 ABGB, während das Angreifen des Vermögensstamms mit dem Kindeswohl nicht vereinbar wäre.
Die Mutter erhob gegen den abweisenden Teil dieser Entscheidung Rekurs, wobei sie in ihrem Rechtsmittelantrag (nur noch) begehrte, sie ab August 2009 für die Dauer der Ausbildung ihrer Tochter bzw bis zu deren Volljährigkeit zu ermächtigen, zur Tragung der Schulkosten monatlich über Miteigentumsanteile am Investmentfonds im Wert von 1.500 EUR zu verfügen.
Das Rekursgericht bestätigte die erstinstanzliche Entscheidung und sprach zunächst aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs nicht zulässig sei.
Die Auslegung der letztwilligen Anordnung könne auf sich beruhen, weil die Frage, ob die der Minderjährigen vermachten Vermögenswerte für den Schulbesuch herangezogen werden könnten, primär im Lichte des § 149 Abs 1 Satz 2 erster Halbsatz ABGB zu beurteilen sei. Gerade bei einem minderjährigen Kind dürfe der Zweck dieser Vorschrift, das Vermögen des Kindes so lange zu wahren bis es darüber verfügen kann, nicht negiert werden. Eine gute und solide Ausbildung liege zwar im Interesse des Kindes, es gehe aber zu Lasten der Mutter, dass die Notwendigkeit des Besuchs einer Internatsschule nicht nachvollziehbar dargetan worden sei. Der Umstand, dass ein nochmaliger Schulwechsel für die Minderjährige mit Schwierigkeiten verbunden sei, rechtfertige noch nicht die Aufzehrung eines Großteils der vermachten Vermögenswerte. Es könne nicht ausgeschlossen werden, dass die Minderjährige später ein Hochschulstudium anstreben werde, das mit weiteren erheblichen Kosten verbunden sei.
Aufgrund einer Zulassungsvorstellung der Mutter änderte das Rekursgericht seinen Ausspruch über die Zulässigkeit des ordentlichen Revisionsrekurses dahin ab, dass es diesen doch zuließ. Das Rekursgericht habe sich - mangels entsprechender Rekursbehauptungen - nicht mit der Frage befasst, ob der Wertzuwachs eines Investmentfonds Erträgnisse iSd § 150 Abs 1 ABGB seien. Zur Bedeutung letztwilliger Verfügungen für die Verwendung eines von einem Minderjährigen „geerbten“ Vermögens fehle es an höchstgerichtlicher Judikatur. Die Ansicht des Rekursgerichts, der Schwerpunkt sei auf die Erhaltung des Vermögens zu legen, stehe überdies in einem Spannungsverhältnis zu der Entscheidung 3 Ob 75/02d.
Gegen diese Rekursentscheidung richtet sich der Revisionsrekurs der Mutter, in welchem sie die Erteilung der pflegschaftsgerichtlichen Genehmigung anstrebt(e), für die Dauer der Ausbildung ihrer Tochter in dem näher bezeichneten Internat monatlich über Miteigentumsanteile am Investmentfonds im Wert von (nun wieder) 2.400 EUR verfügen zu können.
Mit Beschluss vom 22. 4. 2010, 2 Ob 204/09b, wies der Oberste Gerichtshof den Revisionsrekurs zurück, soweit er sich gegen den bereits in Rechtskraft erwachsenen, nämlich das Mehrbegehren der Mutter, ihr über den Zeitraum von August 2009 bis zur Volljährigkeit der Minderjährigen und einen monatlichen Gegenwert von 1.500 EUR hinaus die pflegschaftsgerichtliche Ermächtigung zur Verfügung über das Wertpapiervermögen der Minderjährigen zu erteilen, abweisenden Teil der erstinstanzlichen Entscheidung richtete.
Rechtliche Beurteilung
Im Übrigen ist der Revisionsrekurs zulässig; er ist im Sinne eines Aufhebungsantrags auch berechtigt.
Die Mutter macht geltend, der Grundgedanke des KindRÄG 2001 habe darin bestanden, die bisher ängstliche Vermögensverwaltung im Sinne einer strikten Überwachung der Erhaltung und Vermehrung von Vermögen aufzuweichen. Dabei sollte zwar die Überwachungsbefugnis des Pflegschaftsgerichts aufrecht erhalten, gleichzeitig aber eine zukunftsorientierte Vermögensverwaltung ermöglicht werden. Dies werde jedoch durch die Entscheidung der Vorinstanzen verhindert.
Der erkennende Senat hat erwogen:
1. Der Antrag der Mutter zielt im Wesentlichen auf die Einräumung der Verfügungsbefugnis über das Wertpapierguthaben ihrer Tochter im geltend gemachten Umfang ab, um mit dem Verwertungserlös die konkret bezifferten monatlichen Ausbildungs- und Internatskosten abdecken zu können. Dies erfordert die Veräußerung der benötigten Fondsanteile im Namen der Minderjährigen. Eine derartige Maßnahme, die zu einer beträchtlichen Verminderung des Wertpapiervermögens der Minderjährigen führen würde, gehört nicht zum ordentlichen Wirtschaftsbetrieb, weshalb die Vermögensangelegenheit gemäß § 154 Abs 3 ABGB der - von der Mutter auch beantragten - pflegschaftsgerichtlichen Genehmigung (bzw Ermächtigung) bedarf.
In einem gerichtlichen Genehmigungsverfahren kommt allerdings nur dem betroffenen Pflegebefohlenen Parteistellung zu; er allein ist auch rechtsmittellegitimiert (10 Ob 23/08t; 2 Ob 10/08x; 10 Ob 66/08s; 4 Ob 100/09y; RIS-Justiz RS0123647). Die Mutter hat zwar weder in ihrem verfahrenseinleitenden Antrag, noch in ihren weiteren Eingaben und auch nicht in den Rechtsmittelschriftsätzen darauf hingewiesen, als gesetzliche Vertreterin ihrer Tochter zu agieren. Dem Inhalt dieser Schriftsätze lässt sich aber hinreichend deutlich entnehmen, dass sie im gegenständlichen Verfahren die Interessen der Minderjährigen verfolgen will. Bereits das Abhandlungsgericht ließ in seinem die Sicherung des Wertpapiervermögens anordnenden Beschluss überdies keinen Zweifel daran, dass die Mutter (nur) als gesetzliche Vertreterin ihrer Tochter - und mit Zustimmung des Pflegschaftsgerichts - über die Wertpapiere verfügen darf. Im Sinne des Grundsatzes der „sacherledigungsfreundlichen Auslegung“ von Schriftsätzen (vgl 10 Ob 66/08s mwN; 6 Ob 143/09m; RIS-Justiz RS0109396 [T2]) ist somit im Zweifel davon auszugehen, dass die Mutter im Namen der Minderjährigen den Genehmigungsantrag gestellt und gegen dessen teilweise Abweisung Rechtsmittel erhoben hat.
2. Dies erfordert in einem nächsten Schritt die Prüfung, ob ein Kollisionsfall iSd § 271 ABGB vorliegt, bei dem der Mutter die Vertretung ihrer Tochter wegen eines Interessenwiderspruchs untersagt wäre:
2.1 Ein Kollisionsfall setzt eine materielle Kollision, nämlich eine Gefährdung der Interessen des minderjährigen Kindes voraus. Maßgeblich für die Bestellung eines Kollisionskurators ist daher, dass aufgrund des objektiven Sachverhalts eine gesetzmäßige Vertretung des Kindes wegen eines zu befürchtenden Widerstreits an Interessen nicht zu erwarten ist (10 Ob 23/08t mwN; 1 Ob 253/08z; 2 Ob 253/08g; RIS-Justiz RS0058177 [T2], RS0049196 [T7]).
2.2 Der Umstand, dass zur Deckung der Bedürfnisse der Minderjährigen nicht nur deren Einkünfte (Erträgnisse aus dem Wertpapierguthaben), sondern auch Teile des Vermögensstamms herangezogen werden sollen, muss im Hinblick auf § 149 Abs 2 letzter Halbsatz iVm § 140 Abs 3 ABGB noch nicht grundsätzlich bedenklich sein. Ausbildungskosten, auch die Kosten der Unterbringung in einem auswärtigen Internat, können unterhaltsrechtlich einen Sonderbedarf begründen (vgl RIS-Justiz RS0047562, RS0109908), dessen Finanzierung der Unterhaltsberechtigte primär aus seinen eigenen Einkünften, zu denen auch die Erträgnisse eines Vermögens gehören, zu bestreiten hat (vgl 1 Ob 547/91; 2 Ob 89/03g; 1 Ob 150/08b; Hopf in KBB³ § 140 Rz 7 und §§ 149-150 Rz 2). Den Vermögensstamm braucht das unterhaltsberechtigte Kind nur heranzuziehen, soweit seine Einkünfte und die Unterhaltsleistungen der Eltern nicht zur Deckung des Unterhaltsbedarfs ausreichen (7 Ob 2165/96z; Hopf aaO § 140 Rz 7). Verfügt ein unterhaltsberechtigtes Kind allerdings über Vermögen „in Millionenhöhe“, so wirkt dies auch dann unterhaltsmindernd, wenn das Vermögen in mündelsicheren thesaurierenden Investmentfondsanteilen angelegt wurde, bei denen keine Auszahlung der jährlichen Erträge, sondern deren sofortige Wiederveranlagung erfolgt (6 Ob 70/01i).
Angesichts des verbliebenen Antragsbegehrens ist in dritter Instanz nun ohnedies von der Bereitschaft der Mutter auszugehen, im Rahmen ihrer Unterhaltspflicht einen ihrer wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit entsprechenden monatlichen Beitrag zu den Schul- und Internatskosten zu leisten. Unter diesem Aspekt ist somit kein unmittelbares Eigeninteresse der Mutter (mehr) zu erkennen, das sich konkret auf die Vermögensangelegenheit auswirken könnte.
2.3 Ein objektiver Interessenwiderstreit könnte ferner darin liegen, dass die Mutter dem Rechtsträger der Ausbildungsstätte ihrer Tochter die Entrichtung der anfallenden (und bereits angefallenen) Schul- und Internatskosten schuldet, über die erforderlichen Geldmittel aber nicht verfügt. Das Interesse der Mutter, ihre schuldrechtliche Verpflichtung erfüllen zu können, könnte in einem Widerspruch zum Interesse der Minderjährigen an der möglichst ungeschmälerten Erhaltung ihres Vermögens stehen, das zu bejahen wäre, wenn die Ausbildungskosten keinen berücksichtigungswürdigen Sonderbedarf darstellen würden. Dies könnte etwa dann zutreffen, wenn eine gleichwertige Berufsausbildung auch am Ort der Betreuung möglich wäre (8 Ob 53/09s; RIS-Justiz RS0047562), wovon hier die Vorinstanzen - allerdings ohne ausreichende Tatsachengrundlage - ausgegangen sind. Die Kosten eines auswärtigen Internats wurden aber auch schon deshalb als Sonderbedarf anerkannt, weil die räumliche Distanz zur bisherigen Umgebung der psychischen Konsolidierung des Kindes förderlich war (2 Ob 89/03g).
Auf derartige Umstände hat sich die Mutter in erster Instanz (durchaus nachvollziehbar) berufen, gegenteilige Beweisergebnisse liegen nicht vor. Es gibt demnach keine Anhaltspunkte dafür, dass die Unterbringung der Minderjährigen in der ausgewählten Ausbildungsstätte nicht in deren Interesse lag. Auch insoweit fehlt es daher an einem objektiven Interessenwiderstreit.
2.4 Zusammenfassend ist somit festzuhalten, dass es mangels widerstreitender Interessen zwischen der Mutter und ihrer Tochter der Bestellung eines Kollisionskurators nicht bedarf.
3. Gemäß § 149 Abs 1 ABGB idF KindRÄG 2001 haben die Eltern das Vermögen eines minderjährigen Kindes mit der Sorgfalt ordentlicher Eltern zu verwalten. Sofern das Wohl des Kindes nichts anderes erfordert, haben sie es in seinem Bestand zu erhalten und nach Möglichkeit zu vermehren; Geld ist nach den Vorschriften über die Anlegung von Mündelgeld anzulegen.
Wie der Oberste Gerichtshof in der Entscheidung 3 Ob 75/02d bereits ausgeführt hat, sollte mit der Einschränkung „sofern das Wohl des Kindes nichts anderes erfordert“, die Flexibilität der Vermögensverwendung zum Zweck der Befriedigung aktueller Bedürfnisse gesteigert werden. Er verwies in diesem Zusammenhang auf die Gesetzesmaterialien (ErläutRV 296 BlgNR 21. GP 77 f), in denen als Beispiel ua die Finanzierung besonderer, im Rahmen des Unterhalts nicht gedeckter Ausbildungen (zB Studienaufenthalte im Ausland) angeführt sind. Er billigte weiters die Auffassung Fuciks (Die Vermögensverwaltung nach dem KindRÄG 2001. Vom Obervormund zur Missbrauchskontrolle, in Ferrari/Hopf, Reform des Kindschaftsrechts [2001] 36), den Gesetzesverfassern sei keine allzu hohe Schwelle vorgeschwebt, ab der Kapital angegriffen werden dürfe (vgl auch RIS-Justiz RS0117512). Im damaligen Anlassfall (einer Sachwalterschaftssache) wurde der Betroffenen ein größerer Betrag ihres gesperrten Sparguthabens zwecks Schenkung an ihren in Not geratenen Sohn überlassen und betont, dass das „Wohl“ der Betroffenen nicht allein von einem materiellen Gesichtspunkt aus zu beurteilen sei, sondern es sei auch auf die Befindlichkeit und den psychischen Zustand der Betroffenen abzustellen. Auch der unbestimmte Gesetzesbegriff des „Kindeswohls“ habe mehrere Dimensionen und umfasse das körperliche, geistige und seelische Wohlergehen des Kindes (vgl RIS-Justiz RS0048835).
Im Sinne dieser Rechtsprechung käme auch die Freigabe von Teilen des Wertpapiervermögens der Minderjährigen zur Deckung der anfallenden Ausbildungskosten in Betracht. Die in § 149 Abs 1 zweiter Satz erster Halbsatz ABGB normierte Erhaltungs- und Vermehrungspflicht steht unter dem Vorbehalt des Kindeswohls. Dies ermöglicht es, besondere, aktuelle und legitime Bedürfnisse des Kindes aus dessen eigenen Vermögen erfüllen zu können (Nademleinsky in Schwimann, ABGB³ I § 150 Rz 3).
Der hier zu beurteilende Aufwand ist, auch was seine Höhe anlangt, einerseits unter dem Gesichtspunkt des Strebens nach bestmöglicher schulischer Ausbildung für die Minderjährige, andererseits vor dem Hintergrund ihres ehemals problematischen Umfelds (vgl die bereits zitierte Entscheidung 2 Ob 89/03g) als sinnvoll und im Interesse der Minderjährigen gelegen anzusehen, aus deren Vermögen er auch finanziert werden könnte, ohne dass dadurch eine Gefährdung ihres künftigen Fortkommens zu besorgen wäre. Es gibt auch keine Hinweise darauf, dass die Minderjährige nach ihren Fähigkeiten und Talenten den Anforderungen ihrer „neuen“ Schule nicht gewachsen wäre. Die vorzunehmende Abwägung zwischen den Interessen der Minderjährigen an der Investition in ihre schulische Ausbildung und an der Erhaltung des ungeschmälerten Vermögens mit dem Vorteil dessen späteren Verfügbarkeit, fällt demnach zu Gunsten der Investition in ihre Ausbildung aus. Zu Recht hält die Mutter den Argumenten der Vorinstanzen entgegen, dass gerade der Abschluss einer „adäquaten und einheitlichen“ schulischen Ausbildung einschließlich der hier besonders wichtigen pädagogischen Aspekte die Grundlage für ein erfolgversprechendes Hochschulstudium ist.
4. Der vorliegende Fall zeichnet sich aber durch die Besonderheit aus, dass die Minderjährige über das Wertpapierguthaben und dessen Erträgnisse nur nach Maßgabe der letztwilligen Anordnung ihres Vaters verfügen kann. Enthält diese Anordnung eine verbindliche Verfügungsbeschränkung, so bindet diese nicht nur die obsorgeberechtigte Mutter im Rahmen ihrer Vermögensverwaltung, sondern auch das Pflegschaftsgericht, das im Hinblick auf den 10.000 EUR wesentlich übersteigenden Wert des Vermögens zur Überwachung der Vermögensverwaltung verpflichtet ist (§ 133 Abs 2 AußStrG).
Vom Ergebnis der Auslegung des Vermächtnisses wird es somit abhängen, ob und in welchem Umfang die Minderjährige vor Eintritt ihrer Volljährigkeit zur Tragung der Ausbildungskosten überhaupt in der Lage ist.
4.1 Bei der Auslegung letztwilliger Verfügungen ist zunächst vom Wortlaut und zwar von der gewöhnlichen Bedeutung der Worte auszugehen, wobei die Erklärung als Einheit in ihrem Gesamtzusammenhang zu betrachten ist (1 Ob 506/92; vgl RIS-Justiz RS0012348). Am Wortlaut einer letztwilligen Verfügung ist aber nicht haften zu bleiben. Nach ständiger Rechtsprechung sind vielmehr auch außerhalb der Anordnung liegende Umstände aller Art, sonstige mündliche und schriftliche Äußerungen sowie ausdrückliche und konkludente Erklärungen des Erblassers zur Auslegung heranzuziehen. Die Auslegung soll möglichst so erfolgen, dass der vom Erblasser beabsichtigte Erfolg eintritt bzw wenigstens teilweise aufrecht bleibt. Allerdings muss die Auslegung in der letztwilligen Verfügung irgendeinen, wenn auch noch so geringen Anhaltspunkt finden und darf nicht völlig dem unzweideutig ausgedrückten Willen zuwiderlaufen („Andeutungstheorie“). Außerhalb der Urkunde liegende Umstände, die einen Rückschluss auf den wahren Willen des Erblassers im Zeitpunkt der Errichtung der Urkunde erlauben, dürfen daher nicht zur Feststellung eines nicht erklärten Inhalts, wohl aber zur Auslegung des Inhalts der Verfügung herangezogen werden (8 Ob 112/08s; RIS-Justiz RS0012340, RS0012342, RS0012367, RS0012372; vgl ferner Welser in Rummel, ABGB³ I §§ 552, 553 Rz 7 ff; Apathy in KBB³ § 565 Rz 4 ff). Ist ein wirklicher Wille des Erblassers nicht zu ermitteln, weil der eingetretene Fall von ihm nicht bedacht wurde, greift die hypothetische Auslegung Platz, sofern der hypothetische Wille mit dem ausdrücklich erklärten Willen nicht im Widerspruch steht (vgl RIS-Justiz RS0012346 [T2]).
Nach diesen Kriterien ist auch die letztwillige Verfügung des Vaters der Minderjährigen auszulegen. Dieser äußerte darin den „ausdrücklichen Wunsch, dass von den Erträgnissen aus diesen Wertpapieren jährlich höchstens ein Betrag von S 40.000,-- zur Deckung eines allfälligen laufenden Aufwandes der Begünstigten herangezogen wird, die verbleibenden Erträgnisse jedoch wiederum in mündelsicheren Wertpapieren angelegt werden.“
4.2 Dabei stellt sich zunächst die Frage, ob der geäußerte „Wunsch“ als Auflage (§ 709 ABGB) oder als bloß unverbindliche Bitte (§ 711 ABGB) zu verstehen ist:
Unter einer Auflage wird die in einer letztwilligen Verfügung beigefügte Nebenbestimmung verstanden, durch die ein Zuwendungsempfänger, also auch ein Legatar, zu einem bestimmten Verhalten verpflichtet wird (vgl RIS-Justiz RS0012650; Welser aaO § 709 Rz 1). Sie kann in einem Tun oder auch in einem Unterlassen bestehen (Welser aaO § 709 Rz 1; Apathy aaO § 709 Rz 1). Die Auflage dient besonderen Interessen des Erblassers oder begünstigt Dritte oder die Öffentlichkeit, manchmal auch den Beschwerten selbst (Welser aaO § 709 Rz 2). Die in § 709 ABGB vorgesehene Verwirkung des Nachlasses bei Nichterfüllung der Auflage („auflösende Bedingung“) ist nur als Zweifelregel zu verstehen; ein anderer allenfalls auch durch Auslegung ermittelter Wille des Erblassers geht vor. Die Verwirkung tritt zudem nur ein, wenn der Belastete die Auflage vorwerfbar (schuldhaft) nicht erfüllt (RIS-Justiz RS0122290; Welser aaO § 709 Rz 10 und § 710 Rz 1; Apathy aaO § 709 Rz 4 und § 710 Rz 2).
Nicht jede im letzten Willen des Erblassers enthaltene Äußerung ist jedoch als rechtlich bindende Anordnung zu verstehen; sie kann auch Rat, Wunsch oder Bitte sein (Welser aaO § 711 Rz 1). Dabei ist zu berücksichtigen, dass auch eine Auflage nicht bloß in befehlenden Worten, sondern in Form eines Wunsches oder einer Bitte formuliert werden kann (vgl 3 Ob 516/87; 2 Ob 2209/96h; 6 Ob 313/98t; RIS-Justiz RS0012356; Apathy aaO § 709 Rz 1 und § 711 Rz 1).
4.3 Sollte der „Wunsch“ des Erblassers als rechtsverbindliche Auflage zu deuten sein, wäre in einem weiteren Auslegungsschritt zu ermitteln, was der Erblasser unter einem „allfälligen laufenden Aufwand“ verstanden wissen wollte, insbesondere, ob es ihm dabei nur um die typischerweise dem sogenannten Regelbedarf zugehörigen Bedürfnisse oder auch um solche aus dem Titel des Sonderbedarfs ging. Daraus könnte erschlossen werden, ob nach seinem (wahren, allenfalls auch hypothetischen) Willen die nun anfallenden und bereits angefallenen Ausbildungskosten zum „laufenden Aufwand“ zu zählen oder ob sie von der auf diesen bezogenen Verfügungsbeschränkung gar nicht betroffen sind.
In diesem Zusammenhang ist anzumerken, dass das Erstgericht über die jährlichen Erträge zwar Beweis erhoben (ON 4), aber keine Feststellungen dazu getroffen hat. Ebenso wenig wurde festgestellt, inwieweit die Ausbildungskosten in der (wertgesicherten) Höchstgrenze Deckung fänden. Dass bei einem Wertpapiervermögen der Ertrag nicht mit der Kursentwicklung im Laufe mehrjähriger Veranlagung gleichgesetzt werden kann, hat der Oberste Gerichtshof bereits in der Entscheidung 6 Ob 70/01i zum Ausdruck gebracht.
5. Die Mutter hat zum wahren Willen des Erblassers bereits in erster Instanz Tatsachenvorbringen erstattet, das ebenso wie die dazu angebotenen Beweise von den Vorinstanzen unberücksichtigt blieb. Dies führt zur Aufhebung der Beschlüsse der Vorinstanzen. Im fortgesetzten Verfahren wird das Erstgericht die unterbliebenen Beweisaufnahmen nachzuholen und auf der Grundlage des gewonnenen Sachverhalts die letztwillige Verfügung auszulegen haben. Danach wird unter Berücksichtigung der vorstehenden Rechtsausführungen über das verbliebene Antragsbegehren erneut zu entscheiden sein.
Schließlich ist noch auf die im ersten Rechtsgang vernachlässigte Verfahrensbestimmung des § 139 AußStrG zu verweisen, wonach der Pflegebefohlene, unabhängig von seiner Verfahrensfähigkeit, von Verfügungen des Gerichts in Kenntnis zu setzen ist, soweit dies seinem Wohl dient. Letzteres ist hier der Fall.
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