OGH 2Ob100/10k

OGH2Ob100/10k8.7.2010

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Baumann als Vorsitzenden und die Hofräte Dr. Veith, Dr. E. Solé, Dr. Schwarzenbacher und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Verlassenschaft nach dem am ***** verstorbenen Günther E*****, vertreten durch Dr. Hans-Peter Ullmann und andere, Rechtsanwälte in Innsbruck, gegen die beklagten Parteien 1. Andreas W*****, 2. Anton S*****, 3. A***** Versicherungs-Aktiengesellschaft, *****, wegen 82.499,88 EUR und Rente, über die außerordentlichen Revisionen sämtlicher Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck vom 12. April 2010, GZ 2 R 58/10m-64, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die außerordentlichen Revisionen werden gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 510 Abs 3 ZPO).

Text

Begründung

Wenngleich der vormalige Kläger während des Verfahrens verstorben ist und dementsprechend die Parteienbezeichnung auf dessen Verlassenschaft berichtigt wurde, wird im Folgenden der Verstorbene dennoch als Kläger bezeichnet.

Rechtliche Beurteilung

1. Zur Revision der klagenden Partei:

1.1. Geltend gemacht wird, das Berufungsverfahren sei mangelhaft, weil das Berufungsgericht die im erstgerichtlichen Urteil nicht enthaltene Feststellung, der Kläger würde auch dann eine Stelle als CNC-Fräser ausschlagen, wenn diese Stelle sicher wäre, ohne Beweiswiederholung bzw Beweisergänzung getroffen habe. Überdies sei die Feststellung überschießend, weil sie sich nicht im Rahmen des geltend gemachten Rechtsgrundes oder einer geltend gemachten Einwendung bewege.

Auf diese Mängelrüge ist nicht einzugehen, weil die betreffende Feststellung - wie unter 1.2. ausgeführt werden wird - nicht entscheidungsrelevant ist.

1.2. Die klagende Partei releviert weiters, es existiere keine oberstgerichtliche Rechtsprechung zur Frage, ob im Rahmen der nach § 1304 ABGB vorgesehenen Schadensminderungspflicht eines durch Fremdverschulden Verletzten von diesem verlangt werden könne, dass er nach Belieben des Schädigers bzw dessen Haftpflichtversicherung eine Umschulung vorzunehmen habe, nachdem er mehr als fünf Jahre lang bereits seiner Schadensminderungspflicht Genüge tuend eine Berufstätigkeit im Einvernehmen mit dem Schädiger bzw dessen Haftpflichtversicherung ausgeübt habe. Überdies sei die Rechtsansicht des Berufungsgerichts unvertretbar.

Was dem Geschädigten im Rahmen der Schadensminderungspflicht zumutbar ist, bestimmt sich nach den Interessen beider Teile und den Grundsätzen des redlichen Verkehrs. Es kommt daher wesentlich auf die Umstände des Einzelfalls an (RIS-Justiz RS0027787). Ein Berufswechsel ist nach der Rechtsprechung etwa dann unzumutbar, wenn sich der Geschädigte in seiner Stellung einen gewissen Aufstieg und soziale Sicherheit verspricht, die er als nicht voll einsatzfähiger Arbeitnehmer in der privaten Wirtschaft nicht im gleichen Ausmaß erwarten kann (RIS-Justiz RS0027170). Die Schadensminderungspflicht kann auch in einer zumutbaren Umschulung bestehen (RIS-Justiz RS0027170 [T5]). Eine solche Umschulungspflicht besteht aber nur soweit, als damit keine nennenswerte Verschlechterung der sozialen Lebensstellung und der Art des Berufs verbunden ist (RIS-Justiz RS0027170 [T1]).

Auch die Prüfung der Zumutbarkeit einer Umschulung oder der Annahme einer anderen als der bisher ausgeübten Erwerbstätigkeit (als Spezialfall der Schadensminderungspflicht) kann nur einzelfallbezogen erfolgen. Sie richtet sich nach vielen verschiedenen Kriterien (zB jeweils erzielbares Einkommen, Alter des Geschädigten, Sorgepflichten, Sicherheit des Arbeitsplatzes uam), was eine generalisierende Betrachtungsweise, die vom Obersten Gerichtshof vorzugeben wäre, ausschließt. Diese Frage ist daher nur dann erheblich iSd § 502 Abs 1 ZPO, wenn dem Berufungsgericht eine auffallende Fehlbeurteilung unterlaufen wäre.

Dem Berufungsgericht kann insbesondere unter Berücksichtigung der guten Verdienstmöglichkeiten als CNC-Techniker, der starken Nachfrage nach solchen Technikern und des damaligen Alters des Klägers (36) noch keine auffallende Fehlbeurteilung vorgeworfen werden: Nach der Rechtsprechung kann die Verletzung der Schadensminderungspflicht auch dann gegeben sein, wenn der Geschädigte eine ihm nachgewiesene konkrete Erwerbsmöglichkeit oder eine zu einer solchen voraussichtlich führende Umschulung ohne zureichende Gründe ausgeschlagen hat (RIS-Justiz RS0022883). Die zweite Alternative, nach der keine nachgewiesene konkrete Erwerbsmöglichkeit vorliegen muss, liegt nach den Feststellungen vor.

Da bereits die Weigerung des Klägers, sich umschulen zu lassen, (noch) vertretbar als Verletzung seiner Schadensminderungspflicht angesehen werden kann, ist die unter 1.1. erwähnte Feststellung des Berufungsgerichts nicht mehr entscheidungsrelevant.

2. Zur Revision der Beklagten:

2.1. Wenn die Revisionswerber ausführen, das Berufungsgericht sei mit seinen Ausführungen vom Regelbeweismaß der hohen Wahrscheinlichkeit abgewichen, ist ihnen entgegenzuhalten:

Soweit es darum geht festzustellen, was eine Person unter bestimmten Voraussetzungen erworben hätte, ist volle Gewissheit nicht zu erwarten, wohl aber eine gewisse Wahrscheinlichkeit erforderlich (RIS-Justiz RS0022483). Das fiktive Einkommen kann unter Umständen nur aufgrund hypothetischer Feststellungen über einen nach dem gewöhnlichem Lauf der Dinge zu erwartenden Geschehensablauf beurteilt werden (2 Ob 38/02f). Grundsätzlich ist das Regelbeweismaß die hohe Wahrscheinlichkeit, nicht aber eine an Sicherheit grenzende (RIS-Justiz RS00110701 [T6]). Die von der Rechtsprechung verlangte hohe Wahrscheinlichkeit stellt aber keine objektive Größe dar. Dem Beweismaß wohnt vielmehr eine gewisse Bandbreite inne, sodass es sowohl von den objektiven Umstände des Anlassfalls als auch von der subjektiven Einschätzung des Richters abhängt, wann er diese „hohe“ Wahrscheinlichkeit als gegeben sieht (RIS-Justiz RS00110701 [T3]). Die Frage, ob sich aus dem Gesamtzusammenhang der erstinstanzlichen Feststellungen das Vorliegen dieser Überzeugung ableiten lässt, betrifft die Auslegung der Urteilsfeststellung im Einzelfall, die die Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO regelmäßig nicht erfüllt (2 Ob 120/08y; vgl RIS-Justiz RS0118891).

Das Berufungsgericht hat ausgeführt: Wenn das Erstgericht lediglich von „guten Chancen“ des Klägers auf Erreichen der Funktion eines Vorarbeiters gesprochen habe, bestehe doch kein Zweifel daran, dass das Erstgericht das Beweismaß einer hohen Wahrscheinlichkeit als erfüllt angesehen habe, wofür vor allem die in der rechtlichen Beurteilung nachgeschobene Feststellung spreche, der Kläger hätte „nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge“ mit April 2005 in die Position des Vorarbeiters aufsteigen können. Ein angesichts der Formulierung „gute Chancen“ an sich denkbarer Rechtsirrtum des Erstgerichts in Form einer unzutreffenden Beurteilung des Beweismaßes liege demnach nicht vor, da mit dieser Formulierung die „Bandbreite des Regelbeweismaßes“ noch nicht überschritten worden sei. Dem Kläger sei daher der Beweis dafür gelungen, dass die Unfallfolgen seinen beruflichen Aufstieg und damit eine Verbesserung seiner Einkommenssituation verhindert hätten.

Im Lichte der dargestellten Judikatur sind diese Ausführungen des Berufungsgerichts als vertretbar einzustufen.

2.2. Die Beklagten machen in ihrer Revision weiter geltend, entgegen der Beurteilung des Berufungsgerichts verjährten die geltend gemachten Rentenbeträge trotz des vorliegenden Feststellungsurteils über den Grund des Anspruchs in drei und nicht in dreißig Jahren, der Kläger habe ursprünglich den Verdienstentgang nur netto eingeklagt und erst nach teilweisem Eintritt der dreijährigen Verjährungsfrist auf den Bruttoverdienstentgang ausgedehnt.

Den Beklagten ist zuzugestehen, dass nach ständiger Rechtsprechung ein rechtskräftiges Feststellungsurteil die Einrede der Verjährung grundsätzlich für dreißig Jahre ausschließt, ausgenommen jedoch wiederkehrende Leistungen (RIS-Justiz RS0034215). Zu solchen wiederkehrenden Leistungen zählen auch die - hier geforderten - Renten (RIS-Justiz RS0034202; RS0030928 [T3]).

Auch der Anspruch auf Ersatz jener Steuerbelastung, die nach dem gewöhnlichen Verlauf der Dinge zum Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Streitverhandlung erster Instanz für den Kläger zu erwarten ist, verjährt drei Jahre nach Ablauf jenes Monats, in dem die einzelnen Verdienstentgangsrenten fällig wurden (RIS-Justiz RS0109819).

Wenn das Ausmaß des Schadens für den Geschädigten als Laien ohne Beiziehung eines Sachverständigen nicht erkennbar gewesen ist, beginnt die Verjährungsfrist erst mit Kenntnisnahme des Geschädigten vom Gutachten des Sachverständigen (RIS-Justiz RS0034374 [T35]).

Das Berufungsgericht hat ausgeführt, erst aufgrund der im Verfahren (zwischen April 2007 und Jänner 2009) eingeholten berufskundlichen und steuerrechtlichen Sachverständigengutachten sei der Kläger in der Lage gewesen, die Höhe seines Bruttoverdienstentgangs inklusive Steuern und Abgaben zu beziffern. Der Differenzbetrag zwischen der ursprünglich eingeklagten Kapitalforderung und dem mit Schriftsatz vom 20. 2. 2009 ausgedehnten Begehren sei daher nicht verjährt gewesen.

Auch diese Ansicht des Berufungsgerichts ist angesichts der aus den im vorliegenden Fall eingeholten Sachverständigengutachten ersichtlichen Schwierigkeit, den Verdienstentgang zu berechnen, im Einzelfall vertretbar (vgl RIS-Justiz RS0034524 [T31, T35 ua]).

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