European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0290DS00001.21Z.0328.000
Spruch:
Der Berufung wegen Schuld wird nicht Folge gegeben.
Hingegen wird der Berufung wegen Strafe Folge gegeben und die über den Beschuldigten unter weiterer Bedachtnahme auf das Erkenntnis des Disziplinarrats der Rechtsanwaltskammer Burgenland vom 25. Jänner 2021, AZ 18/06, eine Zusatzgeldbuße von 500 Euro verhängt.
Dem Disziplinarbeschuldigten fallen auch die Kosten des Berufungsverfahrens zur Last.
Gründe:
[1] Mit dem angefochtenen Erkenntnis wurde * der Disziplinarvergehen der Berufspflichtenverletzung und der Beeinträchtigung von Ehre und Ansehen des Standes nach § 1 Abs 1 erster und zweiter Fall DSt schuldig erkannt.
[2] Danach hat er es als Verantwortlicher der nunmehrigen D* GmbH sowie als Ausbildungsanwalt der RAA Mag. * S* zugelassen, dass (im Verfahren AZ * des Bezirksgerichts N*; vgl ES 5) unsachliche und beleidigende Äußerungen gegenüber dem Verfahrensgegner in einen am 7. Mai 2018 verfassten Schriftsatz aufgenommen, der Rechtsvertretung des Anzeigers mittels ERV am 18. Juni 2018 übermittelt und an mehrere Personen weitergeleitet wurden, wonach der betreffende Kindesvater „sich dazu erbarm[e], Interesse zu heucheln“, „Arbeitslosigkeit mit Vorsatz“ beibehalte, „die Habgier des Kindesvaters […] keine Berücksichtigung finden“ könne, der Kindesvater „überhaupt kein Interesse an den angeschriebenen Unternehmen“ zeige, arglistig unterstellt werde, dass der „Kindesvater zu den Bewerbungsgesprächen überhaupt bzw pünktlich und vorbereitet erschienen“ sei, davon auszugehen sei, dass der „Kindesvater die Bewerbungsgespräche manipulier[e], um ein Angestelltenverhältnis zu vereiteln“, der „Kindesvater seine Manipulationsfähigkeit dazu einsetz[e], sich seiner Unterhaltspflicht zu entziehen“, eine „selbst verschuldete Arbeitslosigkeit“ vorliege und die einzigen Bemühungen, die der Kindesvater betreffend seiner Unterhaltspflicht an den Tag gelegt habe, darin bestanden hätten, „das Gericht mit tatsachenwidrigen Behauptungen zu füttern, um sich so seinen väterlichen Pflichten zu entziehen“.
[3] Über den Disziplinarbeschuldigten wurde unter Bedachtnahme gemäß § 16 Abs 5 zweiter Satz DSt auf das Erkenntnis des Disziplinarrats der Rechtsanwaltskammer Burgenland vom 7. November 2019, AZ D 18/03, die Zusatzstrafe der Geldbuße in Höhe von 2.000 Euro verhängt.
Rechtliche Beurteilung
[4] Dagegen richtet sich die Berufung des Beschuldigten wegen der Aussprüche über die Schuld (zur Geltendmachung von Nichtigkeitsgründen in deren Rahmen vgl RIS‑Justiz RS0128656 [T1]) und die Strafe.
[5] Vorauszuschicken ist, dass mehrere im Rahmen einer tatbestandlichen Handlungseinheit begangene Angriffe (wie hier mehrere beleidigende Äußerungen innerhalb eines Schriftsatzes [vgl Ratz in WK² StGB Vor §§ 28–31 Rz 89]) eine einzige Tat darstellen. Einzelne Ausführungshandlungen eines im Rahmen einer tatbestandlichen Handlungseinheit begangenen Tatgeschehens können daher – soweit dadurch die rechtliche Beurteilung nicht tangiert wird – die Schuld- oder Subsumtionsfrage nicht beeinflussen, weshalb Einzelakte einer solchen Einheit auch nicht gesondert bekämpft werden können (RIS‑Justiz RS0127374, RS0122006 [T6]; Bauer/Plöchl in WK² StGB §§ 15, 16 Rz 34/1; Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 521).
[6] Grundsätzlich ist ein Rechtsanwalt befugt, alles, was er nach dem Gesetz zur Vertretung seiner Partei für dienlich erachtet, unumwunden vorzubringen und Angriffs- und Verteidigungsmittel in jeder Weise zu gebrauchen, welche seinem Auftrag, seinem Gewissen und den Gesetzen nicht widerstreitet (§ 9 Abs 1 zweiter Satz RAO); dies kann auch die Erhebung schwerer, abstrakt den Tatbestand der Ehrenbeleidigung begründende Vorwürfe umfassen. Der Anspruchsdurchsetzung nicht unmittelbar dienliche beleidigende und unsachliche Äußerungen überschreiten jedoch die Grenzen des § 9 Abs 1 RAO bzw Art 10 MRK und haben demnach zu unterbleiben (RIS-Justiz RS0072230, RS0055208; vgl Lehner in Engelhart/Hoffmann/Lehner/Rohregger/Vitek, RAO10 § 9 RAO Rz 16 und § 1 DSt Rz 60 f; Feil/Wennig, Anwaltsrecht8 § 9 RAO Rz 8).
[7] Habgier ist ein über die Gewinnsucht hinaus gesteigertes abstoßendes Gewinnstreben um jeden Preis (Ebner in WK² StGB § 33 Rz 18) und somit der Vorwurf besonders verwerflicher Beweggründe (11 Os 133/96). Weder die Ausführungen des Disziplinarbeschuldigten in dem im Unterhaltsverfahren erstatteten Schriftsatz noch jene im Rechtsmittel legen dar, welche Gründe einerseits auf das Vorliegen eines solch übersteigerten Gewinnstrebens beim Unterhaltsschuldner schließen, andererseits den Gebrauch dieses Vorwurfs im Unterhaltsstreit angezeigt sein ließen.
[8] Tatsächlich bedarf es eines solchen Vorwurfs gegenüber einem Unterhaltsschuldner auch gar nicht, weil dessen Anspannung auf ein Einkommen, dass er tatsächlich nicht erzielt, aber bei zumutbarem Einsatz aller seiner Kräfte erzielen könnte, bereits in Betracht kommt, wenn der Unterhaltsschuldner pflichtwidrig zumutbare Einkunftsbemühungen unterlässt (RIS‑Justiz RS0047495 [T29]).
[9] Auch im Zusammenhang mit der vom Disziplinarbeschuldigten konkret angesprochenen Frage der Zumutbarkeit der Vermietung einer dem Unterhaltsschuldner gehörigen Eigentumswohnung zur Erzielung eines entsprechenden Einkommens war es nicht erforderlich, ein als besonders verwerflich missbilligtes Motiv des Unterhaltsschuldners für eine Unterlassung der Wohnungsvermietung ins Treffen zu führen.
[10] Dem darauf bezogenen Vorbringen der Rechtsrüge (Z 9 lit a) zuwider – welche in diesem Zusammenhang im Übrigen die Feststellungen zum vorsätzlichen Vorgehen des Disziplinarbeschuldigten prozessordnungswidrig ignoriert (ES 11 zweiter Absatz; RIS‑Justiz RS0099810) – geht eine solche Anschuldigung daher über den Kreis zulässiger Äußerungen im Sinn des § 9 Abs 1 RAO hinaus.
[11] Ausgehend von diesen Überlegungen und der Tatsache, dass der inkriminierte Schriftsatz ausdrücklich auch den Vorwurf der Habgier enthielt (ES 6 erster Absatz), betreffen sämtliche zu den sonstigen Äußerungen oder Vorwürfen innerhalb dieses Schriftsatzes vorgebrachte Einwände der Berufung wegen Nichtigkeit und Schuld keine entscheidenden Tatsachen (nochmals RIS‑Justiz RS0127374, RS0122006 [T6], RS0106268; Bauer/Plöchl in WK² StGB §§ 15, 16 Rz 34/1; Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 521) und gehen daher ins Leere.
[12] Es ist jedoch darauf hinzuweisen, dass diese weiteren Äußerungen den Verfahrensgegenstand betrafen und damit im Zusammenhang mit dem Vorwurf, gezielt die Erwirtschaftung eines zumutbaren Einkommens zu vereiteln, standen, sodass sie im Lichte des § 9 Abs 1 RAO noch als zulässig anzusehen sind. Dies kann jedoch nur im Bereich der Strafbemessung Berücksichtigung finden.
[13] Abgesehen davon übergeht der mehrfach erhobene Einwand, in der vorliegenden Entscheidung sei der Bedeutungsinhalt der konstatierten Textpassagen nicht festgestellt worden (inhaltlich Z 9 lit a), die auf ES 9 zweiter und dritter Absatz und ES 11 zweiter Absatz – wenn auch disloziert – enthaltenen Annahmen, wonach es sich um „beleidigende Äußerungen“ gehandelt habe bzw der Disziplinarbeschuldigte die Bedeutung der Formulierungen erfasst und seine Anwärterin dennoch vorsätzlich nicht davon abgehalten hat, „derartig unsachliche Beleidigungen zu verwenden“. Insoweit argumentiert die Rüge erneut nicht auf Basis der Gesamtheit des vorliegenden Erkenntnissachverhalts und verfehlt damit ihren Bezugspunkt (RIS‑Justiz RS0099810).
[14] In welcher Hinsicht die Frage, ob sich aus den Feststellungen (auch) eine Verletzung des § 40 Abs 2 RL‑BA 2015 ableiten lässt, angesichts des – wie oben dargelegt – zutreffend angenommenen Verstoßes gegen § 9 Abs 1 RAO für die Subsumtion (auch) unter § 1 Abs 1 erster Fall DSt entscheidend sein sollte, lässt die Rüge im Dunkeln und missachtet solcherart das Gebot, die (ersichtlich) angestrebte rechtliche Konsequenz, den Entscheidungs-sachverhalt nicht auch dem Disziplinartatbestand der Berufspflichtenverletzung (vgl dazu RIS‑Justiz RS0118449) zu unterstellen (inhaltlich Z 10), methodengerecht aus dem Gesetz abzuleiten (RIS‑Justiz RS0116565).
[15] Der weiteren Rüge (Z 9 lit b) zuwider sind die Voraussetzungen für ein Vorgehen nach § 3 DSt nicht erfüllt, weil ein solches das kumulative Vorliegen sämtlicher Voraussetzungen erfordert (RIS‑Justiz RS0113534 [T1 und T2]), die Tathandlung des Disziplinarbeschuldigten aber schon aufgrund der durch die Einbringung des Schriftsatzes erzielten Publizität (vgl ES 10 letzter Absatz) nicht bloß unbedeutende Folgen nach sich gezogen hat (RIS‑Justiz RS0113985, RS0056701).
[16] Die Berufung wegen Schuld bekräftigt ausdrücklich die relevanten Feststellungen zum im verfahrensgegenständlichen Schriftsatz vom 7. Mai 2018 enthaltenen Vorwurf der Habgier. Im Hinblick darauf, dass sich diese Äußerung aus dem Schriftsatz selbst ergibt, bestehen auch aus den Akten keine gegen diese Sachverhaltsannahme in objektiver Hinsicht bestehenden Bedenken. Gleiches gilt im Hinblick auf die Erörterungen auf ES 11 in Ansehung der Konstatierungen zur subjektiven Tatseite. Die übrigen Äußerungen sind daher – wie bereits oben erwähnt – nicht entscheidungsrelevant.
[17] Der Berufung wegen Schuld war daher in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur nicht Folge zu geben.
Zur Berufung wegen Strafe:
[18] Zum Einwand, der Disziplinarrat habe eine Bezifferung der als durchschnittlich angenommenen Einkommens- und Vermögensverhältnisse unterlassen, ist festzuhalten, dass der Oberste Gerichtshof insoweit davon ausgeht, dass monatlich ein Betrag von etwa 3.000 Euro abgeschöpft werden kann, ohne das Einkommen des Beschuldigten zu gefährden.
[19] Die Einschätzung des Verhaltens von Mag. * S* durch den Untersuchungskommissär ist der Rüge zuwider für die Beurteilung des Schuldgehalts der dem Disziplinarbeschuldigten zur Last gelegten Tathandlung nicht von Relevanz.
[20] Der vom Rechtsmittelwerber ins Treffen geführte Milderungsgrund des § 34 Abs 1 Z 17 StGB liegt nicht vor. Ein reumütiges Geständnis wird nicht einmal behauptet. Dem Akt lässt sich auch kein wesentlicher Beitrag zur Wahrheitsfindung entnehmen, haben die Angaben des Disziplinarbeschuldigten doch einen solchen angesichts des auf der Hand liegenden Inhalts des inkriminierten Schriftsatzes nicht geleistet.
[21] Angesichts dessen, dass lediglich der im inkriminierten Schriftsatz erhobene Vorwurf der Habgier als disziplinär anzusehen ist, war die als Bedachtnahme auf die wegen Doppelvertretung im Verfahren AZ D 18/03 ausgesprochene Sanktion auch unter Berücksichtigung der nunmehr infolge Rechtskraft und der Tatzeitpunkte gebotenen weiteren Bedachtnahme auf den zu AZ D 18/06 ergangenen Schuldspruch wegen des Vorwurfs, Anfragen nach § 10a RAO nicht respektive unrichtig beantwortet zu haben (von einer Zusatzstrafe wurde abgesehen; vgl jedoch vgl Leukauf/Steininger/Tipold, StGB4 § 31 Rz 16a, 10 Os 133/80), angemessen auf 1.000 Euro zu reduzieren.
[22] Die nicht vom Disziplinarbeschuldigten zu vertretende insgesamt unverhältnismäßig lange Verfahrensdauer (Art 6 Abs 1 MRK, vgl § 34 Abs 2 StGB) war jedoch durch Strafreduktion um 500 Euro auszugleichen, woraus die im Spruch genannte Sanktion resultiert.
[23] Die Kostenentscheidung stützt sich auf § 54 Abs 5 DSt.
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