OGH 26Ds4/21v

OGH26Ds4/21v13.10.2021

Der Oberste Gerichtshof als Disziplinargericht für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter hat am 13. Oktober 2021 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Kirchbacher als Vorsitzenden, die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Dr. Kalivoda sowie die Anwaltsrichter Dr. Buresch und Dr. Wachter in Gegenwart des Schriftführers Richteramtsanwärter Mag. Scheichel in der Disziplinarsache gegen *****, Rechtsanwalt in *****, wegen der Disziplinarvergehen der Berufspflichtenverletzung und der Beeinträchtigung von Ehre und Ansehen des Standes über den Einspruch und die Berufung des Beschuldigten gegen das Erkenntnis des Disziplinarrats der Rechtsanwaltskammer Wien vom 15. Juli 2020, AZ D 107/18, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur Generalanwalt Mag. Artner, des Kammeranwalt-Stellvertreters Mag. Steiner, des Beschuldigten und seines Verteidigers Dr. Nestl zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:0260DS00004.21V.1013.000

 

Spruch:

 

Der Einspruch wird zurückgewiesen.

Der Berufung wird nicht Folge gegeben.

Dem Beschuldigten fallen auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

 

Gründe:

[1] Mit dem angefochtenen, in Abwesenheit des Beschuldigten ergangenen Erkenntnis wurde ***** der Disziplinarvergehen der Verletzung von Berufspflichten (1./ und 2./) und der Beeinträchtigung von Ehre und Ansehen des Standes (1./) nach § 1 Abs 1 erster und zweiter Fall DSt schuldig erkannt und zu einer Geldbuße von 4.000 Euro verurteilt.

[2] Danach hat er

1./ seine Verpflichtung, Kostenersatz gemäß den Urteilen des Bezirksgerichts ***** vom 16. Juni 2017, AZ *****, und des Landesgerichts ***** vom 16. Jänner 2018, AZ *****, im Gesamtbetrag von 2.137,16 Euro an die Prozessgegnerin ***** zu leisten, nicht erfüllt, obwohl die Urteile seit 25. Jänner 2018 rechtskräftig und vollstreckbar sind und gegen ihn am 30. März 2018 zu AZ ***** beim Bezirksgericht ***** ein Exekutionsverfahren zur Hereinbringung dieser Forderung eingeleitet wurde;

2./ mit E‑Mail vom 26. Jänner 2018 an ***** deren Mandanten ***** ohne substantielle Begründung mit der Einbringung einer Strafanzeige gedroht.

Rechtliche Beurteilung

[3] Gegen die Durchführung der mündlichen Disziplinarverhandlung in seiner Abwesenheit richtet sich der Einspruch des Beschuldigten, während er das Erkenntnis selbst mit – auch Nichtigkeit nach § 281 Abs 1 Z 1, 4, 5, 5a, 8 sowie 9 lit a und b StPO relevierender (vgl RIS‑Justiz RS0128656 [T1]) – Berufung wegen der Aussprüche über die Schuld und die Strafe bekämpft.

[4] Die Eingaben verfehlen ihr Ziel.

 

Zum Einspruch:

 

[5] Gemäß § 35 DSt kann die Verhandlung in Abwesenheit des Beschuldigten durchgeführt werden, wenn er bereits vorher Gelegenheit zur Stellungnahme hatte, ihm die Ladung ordnungsgemäß zugestellt wurde und er dennoch ohne ausreichende Entschuldigung nicht teilnimmt.

[6] Im vorliegenden Fall äußerte sich der Beschuldigte mit E‑Mails (vgl ON 4 S 2 und RIS‑Justiz RS0127859 [T4]) vom 4. Oktober 2018 (ON 6) und vom 13. Juli 2020 (ON 26) zu den wider ihn erhobenen Anschuldigungen (vgl Lehner in Engelhart/Hoffmann/Lehner/Rohregger/Vitek, RAO10 § 35 DSt Rz 3; Gartner in Csoklich/Scheuba, Standesrecht der Rechtsanwälte3 133). Die Ladung zur mündlichen Disziplinarverhandlung wurde ihm nach unzulässiger Ausfolgung an einen Kanzleimitarbeiter am 27. Mai 2020 (ON 23; 44 Abs 1 zweiter Satz zweiter Halbsatz DSt) – am 16. Juni 2020 zugestellt (ON 24; § 7 ZustG; vgl Lehner in Engelhart/Hoffmann/Lehner/Rohregger/Vitek, RAO10 § 44 DSt Rz 4). Mit E‑Mail vom 1. Juli 2020 (an die E‑Mail‑Adresse berufsueberwachung@rakwien.at ; am 2. Juli 2020 auch per Telefax übermittelt) beantragte der Beschuldigte die Vertagung der Verhandlung, weil er am 22. Juni 2020 die Aufforderung erhalten hätte, am 14. und 15. Juli 2020 Vertragsverhandlungen in Linz zu betreuen, wobei die Besprechung der Verträge erst am Nachmittag des 15. Juli 2020 möglich sein würde und der Verhandlungstermin um 15:00 Uhr in Wien denkunmöglich einhaltbar wäre. Dem Antrag war ein E‑Mail vom 22. Juni 2020 angeschlossen, wonach am 14. Juli 2020 um 19:00 Uhr ein Dinner und am 15. Juli 2020 von 9:00 Uhr bis 10:30 Uhr eine Begehung geplant wären (ON 25).

[7] Das Vorbringen verfehlt ihr Ziel. Wenn die Verhandlung vom Beschuldigten wegen eines Umstands versäumt wurde, der auch gewissenhafte Menschen in gleicher Lage vom Erscheinen abgehalten hätte, ist der Hinweis auf diesen Umstand jedenfalls als ausreichende Entschuldigung anzusehen (RIS‑Justiz RS0057021). So sind etwa die unvorhergesehen lange Dauer einer Streitverhandlung oder die Mitteilung einer Terminkollision mit einer anderen Verhandlung, die wegen des Umfangs und der Schwierigkeit dieser Sache eine persönliche Vertretung erfordere, eine ausreichende Entschuldigung (RIS‑Justiz RS0057027 [T1 und T2]).

[8] Fallbezogen kann in der Behauptung einer beabsichtigten Teilnahme an Vertragsverhandlungen am Nachmittag des 15. Juli 2020 in Linz, die zum einen erst nach Erhalt der Ladung zur Disziplinarverhandlung und solcherart in Kenntnis des Verhandlungstermins am 15. Juli 2020 um 15:00 Uhr zugesagt und zum anderen mit Blick auf die in dem als Nachweis für den erwähnten Besprechungstermin vorgelegten E‑Mail für den 15. Juli 2020 bloß angeführte Begehung in der Zeit von 9:00 Uhr bis 10:30 Uhr nicht bescheinigt wurde, eine solche Entschuldigung jedoch nicht erblickt werden (vgl Lehner in Engelhart/Hoffmann/Lehner/Rohregger/Vitek, RAO10 § 35 DSt Rz 5, 7; Feil/Wennig, Anwaltsrecht8 § 35 DSt, 939).

[9] Mit dem Vorbringen, die Verhandlung in Abwesenheit des Beschuldigten hätte zu keiner Klärung des Sachverhalts führen können, wird kein Einspruchsgrund geltend gemacht (vgl Bauer, WK-StPO § 427 Rz 21; Lehner in Engelhart/Hoffmann/Lehner/Rohregger/Vitek, RAO10 § 35 DSt Rz 9).

 

Zur Berufung:

 

[10] In der Besetzungsrüge (§ 281 Abs 1 Z 1 [nominell auch Z 4] StPO) reklamiert der Berufungswerber, dass der Vorsitzende des erkennenden Senats des Disziplinarrats mit Blick auf die Geltendmachung des Ablehnungsrechts gemäß § 33 Abs 2 DSt ausgeschlossen gewesen sei, und beruft sich dabei auf die (bloß) per E-Mail (an die E‑Mail-Adresse berufsueberwachung@rakwien.at ) übermittelte Eingabe vom 3. März 2020 (ON 15).

[11] § 77 Abs 3 DSt sieht für das Disziplinarverfahren die sinngemäße Anwendung der Strafprozessordnung vor, soweit sich aus dem DSt nichts anderes ergibt und die Heranziehung strafprozessualer Bestimmungen mit den Grundsätzen und Eigenheiten des Disziplinarverfahrens vereinbar ist.

[12] Gemäß § 84 Abs 2 erster Satz StPO können Rechtsmittel, Rechtsbehelfe und alle sonstigen Eingaben schriftlich, per Telefax oder im elektronischen Rechtsverkehr (§ 89a GOG) eingebracht werden. Da ein E-Mail aber keine zulässige Form des elektronischen Rechtsverkehrs darstellt (§ 5 Abs la ERV 2006), sind auf diese Art eingebrachte Eingaben – wie jene vom 3. März 2020 (ON 15) – prozessual unbeachtlich (RIS‑Justiz RS0127859 [insb T3]).

[13] Im Übrigen kommt dem Umstand, dass der Disziplinarrat auch per E‑Mail übermittelte Eingaben (mit Ausnahme von Rechtsmitteln und Rechtsbehelfen) entgegennimmt (ON 4 S 2f), keine Bedeutung zu, weil das E‑Mail vom 3. März 2020 (ON 15), in welcher die Ablehnung des Vorsitzenden des erkennenden Senats des Disziplinarrats erklärt wurde, nicht an die dem Disziplinarbeschuldigten mitgeteilte (und dem Disziplinarrat explizit zugeordnete) E-Mail-Adresse dr@rakwien.at (ON 4 S 2), sondern an die insoweit unbeachtliche E-Mail-Adresse berufsueberwachung@rakwien.at ) übersendet wurde (vgl RIS‑Justiz RS0127859 [T4]).

[14] Die mit Schriftsatz vom 18. Juni 2020 (ON 24) erfolgte Ablehnung des Vorsitzenden gemäß § 33 Abs 2 DSt erweist sich als verspätet, weil das Ablehnungsrecht bloß innerhalb einer Woche nach Zustellung der ersten Ladung geltend gemacht werden kann (§ 33 Abs 2 DSt; Lehner in Engelhart/Hoffmann/ Lehner/ Rohregger/Vitek, RAO10 § 33 DSt Rz 6). Diese erste Ladung ist dem Beschuldigten aber spätestens am 3. März 2020 zugegangen (ON 15).

[15] Soweit die Rüge in der Mitwirkung des Vorsitzenden des erkennenden Senats am Einleitungsbeschluss einen Verstoß gegen Art 6 MRK erblickt, zeigt sie eine Nichtigkeit (gemäß Z 1 oder 4 des § 281 Abs l StPO) nicht auf. Der unmissverständlich allein eine Verdachtslage referierende Einleitungsbeschluss stellt eine bloße Verfahrensanordnung dar, durch welche das Erkenntnis des Disziplinarrats nicht präjudiziert wird (RIS‑Justiz RS0056935, RS0123526; Lehner in Engelhart/Hoffmann/Lehner/Rohregger/Vitek, RAO10 § 26 DSt Rz 19).

[16] Der Disziplinarrat der Rechtsanwaltskammer Wien stellte fest, dass der Beschuldigte die ***** GmbH im Verfahren AZ ***** des ***** vertreten hatte, das von ihm in Rechnung gestellte Honorar aber nur zum Teil bezahlt wurde. Die letzte Honorarnote vom 3. Februar 2012 über 4.986,84 Euro wurde nicht berichtigt. Die am 17. Dezember 2015 eingebrachte, auf Zahlung des offenen Honorars gerichtete Klage des Beschuldigten gegen die ***** wurde (letztlich) mit Urteil des Bezirksgerichts ***** vom 16. Juni 2017, AZ *****, abgewiesen. Der dagegen erhobenen Berufung wurde mit Urteil des Landesgerichts ***** als Berufungsgericht vom 16. Jänner 2018, AZ *****, nicht Folge gegeben. Der Beschuldigte wurde als unterlegener Kläger jeweils zum Ersatz der Prozesskosten verurteilt. Er kam dieser Verpflichtung jedoch nicht nach, sondern drohte dem Geschäftsführer der beklagten Partei nach dessen Aufforderung, die gerichtlich bestimmten Kosten zu zahlen, eine Strafanzeige an. Mit Beschluss des Bezirksgerichts ***** vom 3. April 2018, AZ *****, wurde über Antrag der beklagten Partei die Fahrnisexekution zur Hereinbringung der gegen den Beschuldigten bestehenden Kostenforderung bewilligt (ES 4 ff).

[17] Die Rechtsrüge (Z 9 lit a) zum Schuldspruch 2./ reklamiert, dass eine Verletzung von Berufspflichten nach § 1 Abs 1 erster Fall DSt ein Handeln des Rechtsanwalts in Ausübung seines Berufs (und demnach nicht in eigener Sache) zur Voraussetzung hat. Nach den Konstatierungen des Disziplinarrats handelte der Beschuldigte bei der Androhung einer Strafanzeige nicht im Auftrag eines Mandanten, demnach nicht als Parteienvertreter, sondern in eigener Sache und außerdem – mit Blick auf § 1 Abs 1 zweiter Fall DSt – ohne Publizitätswirkung (ES 11).

[18] Zwar wurde in älteren, zu den RL‑BA 1977 ergangenen Entscheidungen die Auffassung vertreten, dass die Tätigkeit des Rechtsanwalts in eigener Sache keine Berufspflichtenverletzung, sondern allenfalls eine Beeinträchtigung von Ehre oder Ansehen des Standes begründen könne (RIS‑Justiz RS0054900, RS0054936, RS0054951, RS0118449). Nach Lehner in Engelhart/Hoffmann/ Lehner/Rohregger/Vitek, RAO10 § 1 DSt Rz 9 ist jedoch zu prüfen, ob das Standesrecht ungeachtet einer Tätigkeit des Rechtsanwalts in eigener Sache konkrete Handlungs‑ und Unterlassungspflichten auch für diesen Bereich aufstellt, wobei für die Abgrenzung § 2 RL‑BA 2015 maßgeblich ist.

[19] Nach § 17 RL‑BA 2015 darf der Rechtsanwalt nur solche Mittel anwenden, die mit Gesetz, Ehre und Ansehen des Standes vereinbar sind. Er darf weder Ansprüche mit unangemessener Härte verfolgen noch nicht sachbezogene Maßnahmen ankündigen oder anwenden. Dieser Bestimmung ist weder von ihrem Wortlaut noch von ihrem Zweck her eine Einschränkung dahin zu entnehmen, dass diesen Anforderungen nur bei Besorgung fremder Angelegenheiten zu entsprechen ist. Es ist auch nicht ersichtlich, warum ein Rechtsanwalt, der auch als solcher auftritt, bei der Verfolgung eigener, im Zusammenhang mit seinem Kanzleibetrieb stehender Ansprüche einen geringeren Maßstab anzulegen haben soll als bei der Verfolgung fremder Ansprüche. Vielmehr bestimmt nun § 2 Abs 2 RL‑BA 2015, dass der Rechtsanwalt auch dann in Ausübung seines Berufs tätig wird, wenn er nicht unmittelbar in Besorgung fremder Angelegenheiten tätig ist, jedoch im Rahmen dieser Tätigkeit als Rechtsanwalt auftritt.

[20] Hingegen bestimmte § 1 RL‑BA 1977 nur, dass jedwede berufsmäßige Besorgung fremder Angelegenheiten durch den Rechtsanwalt in Ausübung seines Berufs erfolgt. Eine dem § 2 Abs 2 RL‑BA 2015 vergleichbare Bestimmung fehlte in den RL‑BA 1977.

[21] Im Hinblick auf diese Erweiterung des Begriffs der Tätigkeit „in Ausübung seines Berufs“ durch die RL‑BA 2015 ist die bisherige Judikatur zur Tätigkeit des Rechtsanwalts in eigener Sache in dieser Allgemeinheit nicht aufrecht zu erhalten. Dementsprechend hat der Oberste Gerichtshof etwa schon zu 20 Ds 3/20a (AnwBl 2021, 69) ausgesprochen, dass der Rechtsanwalt § 17 RL‑BA 2015 auch dann zu entsprechen hat, wenn er in eigener Sache auftritt.

[22] Der Beschuldigte hat seine Ankündigung vom 26. Jänner 2018, nunmehr Strafanzeige zu erstatten, von seiner Kanzlei-E-Mail-Adresse versendet, dies als Reaktion auf die Aufforderung des Gegenvertreters, Kostenersatz gemäß den Urteilen des Bezirksgerichts ***** vom 16. Juni 2017 und des Landesgerichts ***** vom 16. Jänner 2018 zu leisten. Der Beschuldigte hat sich in diesem Verfahren selbst vertreten und ist dort als Rechtsanwalt aufgetreten. Fallbezogen kann daher kein Zweifel daran bestehen, dass er auch bei Versendung seines E‑Mails vom 26. Jänner 2018, welches der Betreibung seiner aus dem Kanzleibetrieb resultierenden Forderung diente, als Rechtsanwalt aufgetreten ist und daher § 17 RL‑BA 2015 zu beachten hatte.

[23] Zudem kommt der Berufung wegen des Ausspruchs über die Schuld auch aus folgenden Gründen keine Berechtigung zu:

[24] Soweit die Verfahrensrüge (Z 4) zum Schuldspruch 1./ mit Blick auf die Annahme einer beharrlichen und mutwilligen Bekämpfung der Zahlungspflicht durch den Beschuldigten (ES 9) eine Verletzung des rechtlichen Gehörs behauptet, verkennt sie, dass unabdingbare Voraussetzung für die Geltendmachung dieses Nichtigkeitsgrundes eine Antragstellung in der Disziplinarverhandlung ist (vgl Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 302).

[25] Indem die Mängelrüge (Z 5 zweiter Fall) kritisiert, der Disziplinarrat hätte das in den Verfahren AZ ***** des Bezirksgerichts ***** sowie AZ ***** des Landesgerichts ***** vom Beschuldigten jeweils erstattete Vorbringen unberücksichtigt gelassen, spricht sie keine entscheidende Tatsache an (RIS‑Justiz RS0117264). Ebenso wenig ist der Erlag einer Sicherheitsleistung oder die Zulässigkeit der Ausschöpfung aller Rechtsmittel (gemeint wohl: rechtlichen Mittel [Berufung S 19 f]) für die Schuld‑ oder die Subsumtionsfrage von Bedeutung, sodass der Einwand, ein subjektiver Vorwurf könne dem Beschuldigten insoweit „nicht stichhaltig iSd der Z 5“ gemacht werden, ins Leere geht.

[26] Nach § 4 RL‑BA 2015 hat ein Rechtsanwalt ihn treffende berufliche und außerberufliche Verbindlichkeiten zu erfüllen. Lediglich sachlich begründete Einwendungen gegen eine Forderung sind zulässig.

[27] Da spätestens mit dem Vorliegen eines Titels die gesetzlich angeordnete Zahlungspflicht dem Grunde und der Höhe nach feststeht, ist diese von einem Rechtsanwalt jedenfalls zu erfüllen. Lässt es ein Rechtsanwalt bis zur zwangsweisen Eintreibung eines geschuldeten Betrags kommen, beeinträchtigt er nicht nur sein persönliches Ansehen, sondern – infolge Kenntnisnahme durch einen größeren (berufsfremden) Personenkreis – auch das Ansehen und die Ehre des gesamten Standes (RIS‑Justiz RS0056308 [T2 und T3], RS0096663 [T1], RS0125817 [T1]; Engelhart in Engelhart/Hoffmann/Lehner/ Rohregger/Vitek, RAO10 §§ 3, 4 RL‑BA 2015 Rz 10, 21; Feil/Wennig, Anwaltsrecht8 § 3 RL‑BA 1977, 668; vgl auch VfS1g 19.194).

[28] Indem die Rechtsrüge (Z 9 lit a) fehlende Publizität reklamiert, dabei aber die gegenteiligen Konstatierungen des Disziplinarrats (ES 10) vernachlässigt, verfehlt sie den Bezugspunkt materieller Nichtigkeit (RIS‑Justiz RS0099810; Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 581; siehe im Übrigen auch Lehner in Engelhart/Hoffmann/Lehner/Rohregger/Vitek, RAO10 § 1 DSt Rz 12 ff; Gartner in Csoklich/Scheuba, Standesrecht der Rechtsanwälte3 114).

[29] Nach Ansicht der Generalprokuratur sei die Unterstellung der zum Schuldspruch 1./ angeführten Tat auch unter das Disziplinarvergehen der Berufspflichtenverletzung nach § 1 Abs 1 erster Fall DSt rechtlich verfehlt (§ 281 Abs 1 Z 10 StPO), weil der Beschuldigte bei der Verletzung der Verpflichtung zum Prozesskostenersatz – wie auch bei der Androhung einer Strafanzeige – nicht im Auftrag eines Mandanten, sondern in eigener Sache handelte.

[30] Entgegen dieser Auffassung stellt jedoch die Nichterfüllung von Verbindlichkeiten im Zusammenhang mit der Berufsausübung (auch) eine Berufspflichtenverletzung dar (Engelhart in Engelhart/Hoffmann/Lehner/Rohregger/Vitek, RAO10 §§ 3, 4 RL‑BA 2015 Rz 10). Fallbezogen ergibt sich ein hinreichender Zusammenhang mit der Berufsausübung (dem Kanzleibetrieb) daraus, dass die Kostenersatzpflicht aus einem Verfahren resultiert, in welchem es um eine Forderung aus der Berufsausübung des Beschuldigten ging und dieser nicht als „Privatperson“, sondern als Rechtsanwalt aufgetreten ist (§ 2 Abs 2 RL‑BA 2015).

[31] Die Rechtsausführungen in Bezug auf – nach erfolgter Exekutionsführung durch die im Verfahren AZ ***** des Bezirksgerichts ***** obsiegende beklagte Partei – in anderen Verfahren vorgenommene Prozesshandlungen des Beschuldigten sind sowohl aus Z 5 als auch aus Z 9 lit a und b des § 281 Abs 1 StPO unbeachtlich. Gegenstand des Schuldspruchs 1./ ist die Verletzung der Pflicht, der ***** GmbH Kostenersatz im Gesamtbetrag von 2.137,16 Euro zu leisten, sodass ein Exekutionsverfahren zur Hereinbringung dieser Forderung eingeleitet wurde. Entgegen dem Berufungsvorbringen wird im Erkenntnis aber weder die Einbringung einer Oppositionsklage (§ 35 EO) noch die Geltendmachung von List (§ 870 ABGB) oder Irrtum (§ 871 ABGB) als disziplinäres Verhalten releviert.

[32] Eine Tatsachenrüge (Z 5) kann im Verfahren, in denen eine Berufung wegen des Ausspruchs über die Schuld vorgesehen ist, nicht erhoben werden (RIS‑Justiz RS0132515). Zum nominell weiters geltend gemachten Nichtigkeitsgrund gemäß § 281 Abs 1 Z 8 StPO werden Tatumstände, die eine Nichtigkeit begründen sollen, nicht deutlich und bestimmt bezeichnet (§ 285 Abs 1 zweiter Satz, Z 2 StPO).

[33] Auch der Schuldberufung im engeren Sinn ist ein Erfolg zu versagen, weil sich der Disziplinarrat im Rahmen seiner empirisch nachvollziehbaren Beweiswürdigung mit allen entscheidungswesentlichen Umständen der Tat auseinandersetzte und seine Feststellungen überzeugend begründete, sodass gegen die Richtigkeit der Lösung der Schuldfrage keine Bedenken bestehen.

[34] Schließlich begegnet auch die Strafzumessung durch den Disziplinarrat keinen Bedenken: Dass zum Schuldspruch 1./ eine doppelte Qualifikation vorliegt, wurde schon oben ausgeführt. Der Erlag der dem Beschuldigten auferlegten Sicherheitsleistung war keine freiwillige und bedingungslose Zahlung, sondern Voraussetzung für die Bewilligung der Aufschiebung der Exekution im Zusammenhang mit der vom Beschuldigten eingebrachten Oppositionsklage. Dass der Beschuldigte die Strafanzeige nur ankündigte, aber nicht einbrachte, fällt bei einer Gesamtbetrachtung nicht ins Gewicht. Angesichts der ganz offensichtlich unbegründeten Oppositionsklage (es wurden entgegen § 35 EO keine den „Anspruch aufhebenden oder hemmenden Tatsachen behauptet, die erst nach Entstehung des Exekutionstitels eingetreten sind“) kann auch keine Rede davon sein, dass der Beschuldigte nur zutreffende Rechtsansichten (wenn auch erfolglos) vertrat. Vielmehr ist das gesamte Verhalten des Beschuldigten von einer nachhaltigen Uneinsichtigkeit und Unbelehrbarkeit gekennzeichnet, das an die Grenze der Mutwilligkeit stößt. Für eine Herabsetzung der verhängten Geldbuße bestand daher kein Anlass.

[35] Die Kostenentscheidung stützt sich auf § 54 Abs 5 DSt.

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