Spruch:
Der Berufung wegen Nichtigkeit wird Folge gegeben und Dr. ***** vom Vorwurf, er habe als Verteidiger im Strafverfahren AZ 41 Hv 46/13h des Landesgerichts Feldkirch im Rahmen der Rechtsmittelschrift vom 23. Dezember 2013 gegen das Urteil des Landesgerichts Feldkirch vom 19. September 2013 auf Seite 7 Folgendes vorgetragen: „Entgegen den oben erwähnten Grundsätzen verlässt der OGH in weiterer Folge diese wiederholt und nimmt de facto rund um den gegenständlichen Problemkreis eine ausdehnende Auslegung vor und dies zu Lasten eines Beschuldigten. § 206 Abs 2 2. Fall wird dadurch zur völligen Willkürbestimmung des OGH, zumal der OGH nunmehr entscheidet, was unter einer dem Beischlaf gleichzusetzenden geschlechtlichen Handlung zu verstehen ist bzw was darunter verstanden werden muss ... Der OGH versucht offensichtlich, einem unsinnigen Gesetz einen Sinn zu geben und wird dadurch de facto selbst zum Gesetzgeber, wobei diesbezüglich insbesondere auch die Bestimmungen des § 1 StGB und des Artikel 18 B‑VG ignoriert werden“, freigesprochen.
Mit seiner Berufung wegen Schuld und Strafe wird der Disziplinarbeschuldigte auf diese Entscheidung verwiesen.
Gründe:
Mit dem angefochtenen Erkenntnis wurde Dr. *****, Rechtsanwalt in *****, der Disziplinarvergehen der Berufspflichtenverletzung und der Beeinträchtigung von Ehre oder Ansehen des Standes nach § 1 Abs 1 erster und zweiter Fall DSt schuldig erkannt, weil er als Verteidiger eines unter anderem wegen des Verbrechens des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 2 zweiter Fall StGB verurteilten Angeklagten im Strafverfahren AZ 41 Hv 26/13h des Landesgerichts Feldkirch auf S 7 der Rechtsmittelschrift vom 23. Dezember 2013 gegen das Urteil vom 19. September 2013 wie aus dem Spruch ersichtlich vorgetragen hatte.
Der Disziplinarbeschuldigte wurde hiefür wegen Verstößen gegen § 9 RAO und § 2 RL‑BA gemäß § 16 Abs 1 Z 2 DSt zu einer Geldbuße von 3.500 EUR verurteilt.
Rechtliche Beurteilung
Der dagegen unter anderem aus § 281 Abs 1 Z 9 lit a StPO erhobenen Berufung wegen Nichtigkeit kommt Berechtigung zu.
Nach § 9 Abs 1 RAO ist jeder Rechtsanwalt befugt, alles, was er nach dem Gesetz zur Vertretung seiner Partei für dienlich erachtet, unumwunden vorzubringen und ihre Angriffs‑ und Verteidigungsmittel in jeder Weise zu gebrauchen, welche seinem Auftrag, seinem Gewissen und den Gesetzen nicht widerstreiten. Unsachliche oder beleidigende Äußerungen sind aber weder unter dem Gesichtspunkt gewissenhafter Vertretung (RIS‑Justiz RS0055897 [T9]) noch unter jenem der Meinungsfreiheit (RIS‑Justiz RS0056168 [T11]) zulässig und somit mit § 2 RL‑BA nicht vereinbar.
Der spezielle Status von Rechtsanwälten verleiht ihnen eine zentrale Position in der Rechtspflege als Vermittler zwischen Öffentlichkeit und Gerichten. Im Hinblick auf die Schlüsselrolle der Rechtsanwälte in der Gerichtsbarkeit eines Rechtsstaats kann von ihnen legitimer Weise erwartet werden, zur ordnungsgemäßen Rechtspflege beizutragen und damit das öffentliche Vertrauen in diese aufrecht zu erhalten. In der Beurteilung der Reichweite zulässiger Kritik durch Rechtsanwälte sind nach der Rechtsprechung des EGMR das Recht der Öffentlichkeit auf Erhalt von Informationen über Fragen juristischer Entscheidungen, die Erfordernisse ordnungsgemäßer Rechtspflege sowie die Würde von Rechtsberufen zu berücksichtigen ( Grabenwarter/Pabel EMRK 5 § 23 Rz 30).
Wohl steht das Recht auf freie Meinungsäußerung (Art 10 Abs 1 MRK) dem Rechtsanwalt wie jedem anderen Staatsbürger zu, er muss sich allerdings mit seiner Kritik im Rahmen des Gesetzes halten und sie sachlich, ohne beleidigendes Beiwerk vortragen (vgl RIS‑Justiz RS0073088, RS0055003).
Zwar darf nicht übersehen werden, dass hier ‑ im Gegensatz zur zu 28 Os 3/14x problematisierten Anwendung des NÖ GVG durch die Grundverkehrskommission ‑ eine gefestigte Judikatur des Höchstgerichts zum schweren sexuellen Missbrauch von Unmündigen nach § 206 Abs 2 zweiter Fall StGB in Frage gestellt wird, die sich am Wortlaut des Gesetzes orientiert und die mit Erregungsvorsatz vorgenommene Aufforderung gegenüber zahlreichen Unmündigen zu diversen Vaginalpenetrationen als Verleitung zur Vornahme dem Beischlaf gleichzusetzender Handlungen an sich selbst qualifiziert.
Dass der Disziplinarbeschuldigte das Schutzalter von Unmündigen kritisiert, deren Einwilligung in (qualifiziert) geschlechtliche Handlungen Relevanz beimessen will und das Rechtsmittel mit dem ‑ nicht inkriminierten, aber „grenzwertigen“ ‑ Satz beendet: „Während die Unmündigen ihre sexuelle Entfaltung ausleben können und dabei ihren Spass haben, wird der Angeklagte bestraft. Dies ist sachlich nicht gerechtfertigt.“, weist zwar neuerlich in Richtung eines schon aus den disziplinären Vorverurteilungen erhellenden (vermeintlich) im Interesse seines Klienten „überschießenden Engagements“ als Parteienvertreter.
Berücksichtigt man jedoch, dass der Disziplinarbeschuldigte, der für seine vehement vertretene Rechtsauffassung immerhin im Rahmen einer sachlichen Passage seines Rechtsmittels auf eine namhafte Literaturmeinung ( Hinterhofer [SbgK]) rekurrieren konnte, in seiner Rechtsmittelschrift auch eine Antragstellung in Richtung Art 89 Abs 2 B‑VG anregte, so erscheint der ‑ durch zahlreiche Literatur‑ und Judikaturzitate belegte ‑ Begriff der „Willkür“ in Bezug auf die Auslegung einer dem Beischlaf gleichzusetzenden Handlung an sich selbst (Argument: zu einem solchen bedarf es zweier Personen) in einem anderen Licht und daher (noch) von Art 10 MRK, § 9 RAO und § 2 RL‑BA gedeckt.
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