European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0200DS00011.22F.0131.000
Rechtsgebiet: Strafrecht
Fachgebiet: Standes- und Disziplinarrecht der Anwälte
Spruch:
Der Berufung wird Folge gegeben, das angefochtene Erkenntnis aufgehoben und * vom Vorwurf, er habe ab 31. Oktober 2011 (Ankauf einer Liegenschaft) A* S* im Zusammenhang mit der Errichtung eines Mietvertrags im Jahr 2014 und der Errichtung eines Antrags auf Anmerkung der Rangordnung der beabsichtigten Veräußerung im Dezember 2016/Jänner 2017 sowie C* S* im Aufteilungsverfahren gegen A* S* im Jahr 2021, in dem auch der Erlös aus dem Verkauf der Liegenschaft Inhalt der Verhandlung war, vertreten, gemäß §§ 38 Abs 1 erster Fall, 54 Abs 3 DSt freigesprochen.
Gründe:
[1] Mit dem angefochtenen Erkenntnis wurde der Disziplinarbeschuldigte wegen des Verstoßes gegen § 10 RAO und § 10 RL‑BA (siehe im Spruch) der Disziplinarvergehen der Berufspflichtenverletzung und der Beeinträchtigung von Ehre oder Ansehen des Standes nach § 1 Abs 1 erster und zweiter Fall DSt schuldig erkannt und hiefür zu einer Geldbuße von 3.000 Euro verurteilt.
Rechtliche Beurteilung
[2] Dagegen richtet sich die Berufung des Disziplinarbeschuldigten wegen der Aussprüche über die Schuld (zur Geltendmachung von Nichtigkeitsgründen in deren Rahmen vgl RIS‑Justiz RS0128656 [T1]) und die Strafe.
[3] Nach den (allein mit den im Wesentlichen übereinstimmenden Angaben des Disziplinarbeschuldigten und der Zeugin A* S* sowie aus den vorgelegten Urkunden begründeten [ES 5] und teils disloziert getroffenen – RIS‑Justiz RS0098574 [T1]) wesentlichen Feststellungen war der Disziplinarbeschuldigte in den letzten zehn Jahren wiederholt für C* S* als rechtsfreundlicher Vertreter in hier nicht entscheidenden Angelegenheiten (insbesondere betreffend das „S* C*, Einzelunternehmen, *“ und im Zusammenhang mit einer Anzeige der A* S* und deren Mutter gegen C* S*) tätig.
[4] Im Verfahren betreffend die am 25. Jänner 2018 erfolgte Scheidung der Eheleute S* lehnte der Disziplinarbeschuldigte die Vertretung der A* S* wegen Interessenkollision ab und vertrat keinen der beiden.
[5] Im folgenden Aufteilungsverfahren, das 2021 mittels Vergleich endete, wurde der Disziplinarbeschuldigte im Jahr 2021 für C* S* trotz Bedenken und der Verwunderung der A* S* tätig.
[6] Für A* S* war der Disziplinarbeschuldigte insbesondere bei der Vermietung – Errichtung eines Mietvertrags im Jahr 2014 – und dem Verkauf („Beratung beim Verkauf, Erstellung einer Rangordnung“ für die beabsichtigte Veräußerung Ende Dezember 2016/Anfang Jänner 2017) der im Alleineigentum der A* S* gestandenen und von dieser während aufrechter Ehe erworbenen Liegenschaft *, tätig.
„Die Kaufabwicklung hat Rechtsanwalt Mag. Dr. * Se* Rechtsanwalts KG gemacht“ (ES 4).
[7] Im Aufteilungsverfahren war auch der Erlös aus dem Verkauf der Liegenschaft Gegenstand der Verhandlungen, weil der Disziplinarbeschuldigte gegenüber A* S* (vgl ES 5) erklärt hatte, dass dieser zu berücksichtigen sei.
[8] In rechtlicher Hinsicht maß der Disziplinarrat bei der Frage einer Interessenkollision insbesondere dem Umstand, dass der „Verkaufserlös aus dieser Liegenschaft auch im Aufteilungsverfahren eine Rolle gespielt“ hat, Bedeutung bei und führte – entgegen der jüngeren Judikatur (RIS‑Justiz RS0132564; vgl Engelhart in Engelhart/Hoffmann/Lehner/Rohregger/Vitek, RAO11 § 10 RL‑BA 2015 Rz 11) – aus, „dass grundsätzlich der Anschein einer Doppelvertretung zu vermeiden ist, dies auch dann, wenn sich inhaltlich keinerlei Berührungspunkte ergeben“.
[9] Ausgehend von der Feststellung, dass die Kaufabwicklung (ES 3) durch die Mag. Dr. * Se* Rechtsanwalts KG erfolgte, bestreitet der Berufungswerber mit Recht disziplinäres Fehlverhalten im Sinne einer materiellen oder formellen Doppelvertretung (zu den Begriffen vgl Rohregger in Engelhart/Hoffmann/Lehner/Rohregger/Vitek, RAO11 § 10 Rz 9 ff, 18 ff), weil die Konstatierungen weder die Annahme einer Vertretung oder eines sonstigen Tätigwerdens in der selben Sache oder in zusammenhängenden Sachen noch den Eintritt einer der in § 10 Abs 1 RL‑BA 2015 genannten konkreten Gefahren tragen (Z 9 lit a).
[10] Die bloße Errichtung des Mietvertrages im Jahr 2014 und die bloße Errichtung der Anmerkung einer Rangordnung für die beabsichtigte Veräußerung der am 4. Dezember 2018 verkauften Liegenschaft, die nach den Feststellungen des Disziplinarrats spätestens im Jänner 2018 ihre Wirksamkeit verlor (vgl § 55 GBG), hat nach Lage des Falles keinen Bezug zum Aufteilungsverfahren betreffend die am 25. Jänner 2018 geschiedenen ehemaligen Eheleute, in dem der Disziplinarbeschuldigte überhaupt erst im Jahr 2021 eingeschritten ist und das mittels Vergleich im selben Jahr beendet wurde (vgl Rohregger in Engelhart/Hoffmann/Lehner/Rohregger/Vitek, RAO11 § 10 Rz 13 sowie Engelhart in ebendort, § 10 RL‑BA 2015 Rz 22).
[11] Die Aussage, der Disziplinarbeschuldigte habe A* S* in Bezug auf den in Rede stehenden Kaufvertrag „beraten“, bleibt ohne Sachverhaltsbezug und scheidet solcherart als Subsumtionsbasis von vornherein aus.
[12] Nach dem klaren Wortlaut des § 10 Abs 1 Z 1 RL‑BA 2015 und der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs (vgl 25 Ds 2/20s Rz 17; 20 Ds 4/18w) kann bereits bei Gefahr der Verletzung der Verschwiegenheitspflicht bezogen auf von einem früheren Klienten anvertraute Informationen die Übernahme eines neuen Mandats eine Pflichtverletzung darstellen. Es bedarf aber einer konkreten Gefahr eines Interessenkonflikts, der Beeinträchtigung der anwaltlichen Unabhängigkeit oder der Verletzung der Berufsverschwiegenheit (vgl Rohregger in Engelhart/Hoffmann/Lehner/Rohregger/Vitek, RAO11 § 10 Rz 9 ff, 19 f sowie Engelhart in ebendort, § 10 RL‑BA 2015 Rz 8, 10, 14 ff und 21), die nicht allein aus der Übernahme des zweiten Mandats abgeleitet werden kann (28 Ds 10/19p Rz 9; 2 Ob 177/22a Rz 5).
[13] Ob eine Interessenkollision vorliegt, ist nach objektiven Kriterien und nicht nach subjektiven Eindrücken der Beteiligten zu beurteilen (Engelhart in Engelhart/Hoffmann/Lehner/Rohregger/Vitek, RAO11 § 10 RL‑BA 2015 Rz 8).
[14] Selbst diese weite Geltung des Doppelvertretungsverbots gebietet somit eine teleologische Ausrichtung bei Ausfüllung des normativen Begriffs „zusammenhängend“, was Rohregger und Engelhart in Engelhart/Hoffmann/Lehner/Rohregger/Vitek, RAO11 § 10 RAO Rz 9, § 10 RL‑BA 2015 Rz 22 trefflich zum Vorschlag einer Neubezeichnung („Verletzung der Treuepflicht wegen Interessenkollision [Treuepflichtverletzung]“ – siehe auch 26 Ds 5/18m) führt (20 Ds 1/20g).
[15] Im Übrigen führten beide Rechtsakte nach Lage des Falles nicht zu einem für das Aufteilungsverfahren relevanten Erkenntnisgewinn des Disziplinarbeschuldigten, was Voraussetzung für den Eintritt einer der in § 10 Abs 1 RL‑BA 2015 genannten konkreten Gefahren wäre.
[16] Soweit dem Disziplinarbeschuldigten schließlich die Thematisierung des Erlöses des Verkaufs der Liegenschaft im Aufteilungsverfahren angelastet wurde, genügt der Hinweis, dass die/der Eigentümer einer Liegenschaft sowie der erzielte Verkaufserlös in den öffentlichen Büchern ersichtlich ist, was der Berufungswerber erneut zutreffend einwendet. Dass der Verkauf der nach den Feststellungen während aufrechter Ehe erworbenen Liegenschaft vor Eintritt des Disziplinarbeschuldigten nicht Gegenstand des Aufteilungsverfahrens war (vgl § 81 ff EheG), hat der Disziplinarrat gerade nicht festgestellt (vgl TZ 31 S 6 f).
[17] Bleibt im Übrigen anzumerken, dass dem Erkenntnis Feststellungen zu einer zumindest fahrlässig gesetzten (vgl RIS‑Justiz RS0096651, RS0055534; Rohregger in Engelhart/Hoffmann/Lehner/Rohregger/Vitek, RAO11 § 10 Rz 16) materiellen oder formellen Doppelvertretung nicht zu entnehmen sind und die Unterstellung des Verhaltens des Disziplinarbeschuldigten (auch) unter § 1 Abs 1 zweiter Fall DSt schon deshalb verfehlt war, weil das Erkenntnis keine Konstatierungen zur hinreichenden Publizitätswirkung (vgl RIS‑Justiz RS0054876, RS0055086) enthält.
[18] Die Feststellung, wonach (nicht der Disziplinarbeschuldigte, sondern) die Mag. Dr. * Se* Rechtsanwalts KG den dem Schuldspruch zugrunde liegenden Liegenschaftskauf abgewickelt hat, lässt schon per se kaum Raum für die Annahme, der Disziplinarbeschuldigte habe insoweit eine „Beratungstätigkeit“ entfaltet. Da zudem die Verfahrensergebnisse eine solche verneinen (TZ 20 S 6, TZ 31 S 2, TZ 31 S 8 f und Beilage ./2), sind gegenteilige Feststellungen in einem allfälligen weiteren Rechtsgang nicht zu erwarten, aus welchem Grund sogleich ein Freispruch erfolgte (RIS‑Justiz RS0100239).
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