European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0020OB00177.22A.1122.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Fachgebiet: Standes- und Disziplinarrecht der Anwälte
Spruch:
Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Begründung:
[1] Die Klägerinbegehrt von der beklagten Rechtsanwaltsgesellschaft gestützt auf Verstöße gegen § 10 Abs 1 RL‑BA 2015 zusammengefasst (1.) die Unterlassung der Offenbarung und/oder Verwendung ihr aus der Rechtsberatung ihrer Unternehmensgruppe bekannt gewordener, vertraulicher Informationen, insbesondere im Rahmen der Rechtsberatung und/oder Rechtsvertretung Dritter (2.) die Unterlassung der Rechtsberatung und/oder Rechtsvertretung dritter Personen, soweit sie dabei ihre aus der Beratung der Klägerin oder verbundener Unternehmen bekannte, sensible Kenntnisse verwendet, sowie (3.) festzustellen, dass sie ihr für alle Schäden und Nachteile aus der Verwendung und/oder Offenbarung vertraulicher Informationen zu haften habe, die ihr aus der Rechtsberatung der Unternehmensgruppe der Klägerin bekannt seien.
[2] Die Vorinstanzen wiesen die Klage mangels eines gegen § 10 Abs 1 RL‑BA 2015verstoßenden Verhaltens der Beklagten ab.
Rechtliche Beurteilung
[3] Die Klägerin zeigt mit ihrer außerordentlichen Revision im Ergebnis keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO auf.
[4] 1. Aus der Treuepflicht zum eigenen Mandanten (§ 9 RAO) resultiert für den Anwalt unter anderem das Verbot der Doppelvertretung. Dabei wird zwischen echter (materieller: § 10 Abs 1 RAO) und unechter („formeller“: § 10 Abs 1 RL‑BA 2015) Doppelvertretung unterschieden (vgl 25 Ds 2/20s mwN). Bei der – hier maßgeblichen – unechten Doppelvertretung hat eine inhaltliche, an der Beeinträchtigung der jeweiligen Mandanteninteressen orientierte Prüfung stattzufinden (20 Ds 4/18w; 20 Ds 1/20g). Ausgehend von diesem Grundsatz hat das Berufungsgericht eine Verletzung des § 10 Abs 1 RL‑BA 2015 in vertretbarer Weise verneint.
[5] 2. Das Berufungsgericht ging in Übereinstimmung mit dem klaren Wortlaut des § 10 Abs 1 Z 1 RL‑BA 2015 und der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs (vgl 25 Ds 2/20s Rz 17; 20 Ds 4/18w) ohnehin davon aus, dass bereits bei Gefahr der Verletzung der Verschwiegenheitspflicht bezogen auf von einem früheren Klienten anvertraute Informationen die Übernahme eines neuen Mandats eine Pflichtverletzung darstellen kann. Es bedarf – worauf auch schon das Berufungsgericht zutreffend hingewiesen hat – aber einer konkreten Gefahr der Verletzung von Verschwiegenheitspflichten (28 Ds 10/19p Rz 9), die nicht allein aus der Übernahme des zweiten Mandats abgeleitet werden kann. Wenn das Berufungsgericht unter Hinweis darauf, dass die Beklagte weder sensible Informationen offenbart noch verwendet hat, und mangels eines inhaltlichen Zusammenhangs zur bereits 2017 beendeten Vertretungstätigkeit für die Klägerin bei Liegenschaftsprojekten eine konkrete Gefahr der Verletzung von Verschwiegenheitspflichten verneint hat, stellt dies keine aufzugreifende Fehlbeurteilung dar. Welche „konfligierenden“ Pflichten gegenüber dem neuen Mandanten im Rahmen des übernommenen Mandats die konkrete Gefahr einer Verletzung der gegenüber der Klägerin bestehenden Verschwiegenheitspflicht begründen sollen, legt die Revision nicht dar.
[6] 3. Ob auch die (drohende) Verwendung vertraulicher Informationen ohne Offenbarung gegenüber dem neuen Mandanten gegen § 10 Abs 1 Z 1 RL‑BA 2015 verstößt, kann dahinstehen, weil dem festgestellten Sachverhalt eine solche gerade nicht zu entnehmen ist. Auch der – ihrem Inhalt nach unstrittigen und daher ohnehin bei der rechtlichen Beurteilung verwertbaren (RS0121557) – von der Beklagten für den neuen Mandanten eingebrachten Sachverhaltsdarstellung lässt sich nichts Gegenteiliges entnehmen.
[7] 4. § 10 Abs 1 Z 2 RL‑BA 2015 untersagt die Übernahme eines neuen Mandats, wenn und sobald die Kenntnisse der Belange eines früheren Klienten dem neuen Klienten zu einem unlauteren Vorteil gereichen würden. Die Bestimmung setzt zwar keine Verschwiegenheitspflicht‑verletzung, aber voraus, dass die Kenntnisse gegen die Interessen (zum Nachteil) des früheren Mandanten zum unlauteren Vorteil des neuen Mandanten eingesetzt werden (vgl 28 Ds 3/17f [im Zusammenhang mit der Verwendung zum Vorteil des Rechtsanwalts selbst]).
[8] Dass die Beratereigenschaft einer Person Belange der Klägerin betrifft, bedarf keiner weiteren Begründung. Wenn das Berufungsgericht – wenn auch nicht explizit, aber jedenfalls im Ergebnis – in der bloß (abstrakten) Möglichkeit der (allerdings nach den Feststellungen weder erfolgten noch drohenden) Verwendung dieser Information keinen unlauteren Vorteil für den neuen Mandanten gegen die Interessen der Klägerin erblickt, ist dies ebenfalls vertretbar. Welche schützenswerten Interessen der Klägerin insoweit berührt sein könnten, zeigt die Revision auch nicht auf.
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)