European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2019:E125684
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Spruch:
Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.
Die Beschlüsse der Vorinstanzen werden aufgehoben. Dem Erstgericht wird die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufgetragen.
Der Vater hat die Kosten seines Revisionsrekurses und die Antragstellerin die Kosten ihrer Revisionsrekursbeantwortung selbst zu tragen.
Begründung:
Die Antragstellerin ist das Kind von J* W* und H* M*, deren Lebensgemeinschaft Ende 2015 endete. Seitdem lebt das Kind mit der Mutter in einem dieser gehörenden Haus, für dessen Um- und Ausbau die Eltern gemeinsam einen Kredit aufgenommen haben, den der Vater seit 2013 (auch nach Auflösung der Lebensgemeinschaft) alleine zurückbezahlt. Die Mutter wurde rechtskräftig zum Ersatz der vom Vater (auch in Zukunft) bezahlten Kreditraten verpflichtet. Auf der Liegenschaft, auf der sich das von Mutter und Kind bewohnte Haus befindet, ist zugunsten des Vaters der Mutter (also des Großvaters des Kindes) – im Rang nach dem Pfandrecht des Kreditgebers – ein Belastungs‑ und Veräußerungsverbot einverleibt.
Der Vater hält dem vom Kind erhobenen Unterhaltsbegehren – soweit in dritter Instanz noch relevant – entgegen, dass die zu dessen Wohnversorgung erfolgten Kredittilgungen (jedenfalls in Höhe des fiktiven Mietwerts) als Naturalunterhalt anzurechnen seien.
Das Erstgericht verpflichtete den Vater zur Zahlung des rückständigen sowie laufenden Unterhalts, ohne die vom Vater geleisteten Kreditrückzahlungen bei dessen Bemessung zu berücksichtigen.
Das Rekursgericht gab dem dagegen erhobenen Rekurs des Vaters nicht Folge. Eine Anrechnung der konkret getätigten Kredittilgungen als Naturalunterhalt auf die Unterhaltspflicht komme nicht in Betracht. Auch ein fiktiver Mietwert sei nicht als Naturalunterhalt anzurechnen, weil das vom Kind gemeinsam mit der Mutter bewohnte Haus in deren Alleineigentum stehe und die Mutter rechtskräftig zur Rückzahlung der vom Vater bezahlten Kreditraten verpflichtet worden sei. Die Wohnversorgung des Kindes könne daher nicht dem Vater zugerechnet werden. Der ordentliche Revisionsrekurs sei zulässig, weil zur Frage, inwieweit durch die Vorfinanzierung der von der Mutter zu tragenden Kreditzahlungen eine als Naturalunterhalt anrechenbare Wohnversorgung des Kindes erfolgt sei, keine höchstgerichtliche Rechtsprechung bestehe.
Rechtliche Beurteilung
Der dagegen erhobene Revisionsrekurs des Vaters ist zulässig und mit seinem Aufhebungsantrag berechtigt.
1.1. Die Rechtsprechung lehnt eine Anrechnung von – konkret geleisteten – Kreditrückzahlungen auf den Unterhalt ab (RIS‑Justiz RS0130891). Nach gefestigter (jüngerer) Judikatur ist die Wohnversorgung des Unterhaltsberechtigten aber – wegen der damit verbundenen Verminderung des Unterhaltsbedarfs aufgrund der Wohnkostenersparnis – in Höhe des fiktiven Mietwerts als Naturalunterhalt anzurechnen (RS0130891). Dies setzt jedoch voraus, dass die Wohnversorgung des Unterhaltsberechtigten dem Unterhaltspflichtigen zuzurechnen ist (vgl 8 Ob 32/17i; 10 Ob 110/15x; 1 Ob 143/12d ua; Gitschthaler, Unterhaltsrecht³ [2015] Rz 110 mwN).
1.2. Das Rekursgericht verneinte zu Recht eine solche Zurechnung der Wohnversorgung des Kindes zum Vater. Anders als in Fällen, in denen der Unterhaltspflichtige dem Unterhaltsberechtigten eine zumindest in seinem Miteigentum stehende Wohngelegenheit zur Verfügung stellt (so etwa in den im Revisionsrekurs genannten Entscheidungen 4 Ob 142/06w, 2 Ob 246/09d, 4 Ob 41/05s, 6 Ob 5/08s und 2 Ob 224/08t), steht das nach Auflösung der Lebensgemeinschaft vom Kind mit seiner Mutter bewohnte Haus doch in deren Alleineigentum. Mangels Verfügungsbefugnis des unterhaltspflichtigen Vaters kann somit nicht davon gesprochen werden, er stelle dem Kind die Wohnmöglichkeit zur Verfügung. In der Entscheidung 4 Ob 142/06w bezog sich der Oberste Gerichtshof zur Frage der Anrechnung eines fiktiven Mietwerts auf die formale (Eigentums-)Rechtsposition des Unterhaltspflichtigen. Dieser stellte dort seinen (Hälfte‑)Anteil an einer Wohnung der (ebenfalls zur Hälfte berechtigten) Mutter sowie dem gemeinsamen Kind zum Wohnen zur Verfügung. Die Mutter übernahm die Rückzahlung des für die Wohnung aufgenommenen Kredits. Der Oberste Gerichtshof entschied, dass es für die Berücksichtigung einer dem Vater (hinsichtlich seines Hälfteanteils) zuzurechnenden Wohnversorgung des unterhaltsberechtigten Kindes nur auf seine formale Rechtsposition ankomme und nicht darauf, ob die Mutter die– auch auf den (Miteigentums‑)Anteil des Vaters entfallenden – Kreditkosten bezahlt, weil dies zu einem (anteiligen) Rückersatzanspruch gegen den Vater führe (auf einen Regressanspruch abstellend auch 9 Ob 45/16g; vgl auch 9 Ob 48/13v). Diese Erwägung kann sinngemäß auf den vorliegenden Fall übertragen werden. Zwar ist hier der (geld‑)unterhaltspflichtige Vater nicht Eigentümer des dem Kind zur Befriedigung seines Wohnbedürfnisses zur Verfügung stehenden Wohnhauses. Er tilgt jedoch den dafür aufgenommenen Kredit. Auch in diesem Fall ist die Wohnversorgung des Kindes der alleine verfügungsberechtigten Eigentümerin (also der Mutter) und nicht dem regressberechtigten Vater, der bloß vorläufig für die Kreditkosten aufkommt und dem ein Rückersatzanspruch bereits rechtskräftig zuerkannt wurde, zuzurechnen.
1.3. Aber auch wenn man nicht auf die formale Rechtsposition der Mutter abstellt, sondern die Frage, inwieweit dem Kind durch die Kreditzahlungen des Vaters die Wohnmöglichkeit „zur Verfügung gestellt“ wird, nach rein wirtschaftlichen Gesichtspunkten (vgl 8 Ob 32/17i; 9 Ob 45/16g; 6 Ob 61/13h; in 1 Ob 203/14f wurde darauf abgestellt, welcher Miteigentümer [Vater oder Mutter] den [Wohn-]Kredit zu tilgen hat) beantwortet, ist für den Revisionsrekurswerber nichts gewonnen. Die Regresspflicht der Mutter lässt nämlich auch bei einer wirtschaftlichen Betrachtungsweise (nur) die Beurteilung zu, dass sie und nicht der Vater dem Kind die Wohngelegenheit zur Verfügung stellt, zumal sie bereits rechtskräftig zum Ersatz der vom Vater (auch künftig) bezahlten Kreditraten verpflichtet wurde.
2.1. Der Revisionsrekurswerber argumentiert, dass seine Kreditrückzahlungen zumindest von der Unterhaltsbemessungsgrundlage abgezogen werden hätten müssen. Tatsächlich wird die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Vaters durch die Zahlung der Kreditraten gemindert. Schulden des Unterhaltspflichtigen vermindern zwar nicht schlechthin die Unterhaltsbemessungsgrundlage (RS0047491), sie können aber unter bestimmten Umständen nach billigem Ermessen berücksichtigt werden. Für die Interessenabwägung, inwieweit – unter Umständen auch zur Gänze (vgl etwa 4 Ob 132/02v) – Schulden eine Abzugspost von der Unterhaltsbemessungsgrundlage bilden, sind unter anderem der Zeitpunkt und die Art der Entstehung der Schulden, der Zweck, für den sie aufgenommen wurden, das Einverständnis des (nunmehr) betreuenden Elternteils zu dieser Schuldaufnahme, sowie die Dringlichkeit der Bedürfnisse des Verpflichteten und des Berechtigten maßgeblich (1 Ob 18/19g; RS0079451); auch etwaige Vorteile des Unterhaltsberechtigten – das wäre hier etwa die Verhinderung einer Zwangsversteigerung durch den Kreditgeber – sind zu berücksichtigen (1 Ob 134/09a).
2.2. Der Aspekt einer allfälligen Minderung der Bemessungsgrundlage durch die Kreditrückzahlungen des Vaters wurde im bisherigen Verfahren nicht berücksichtigt. Da das Gericht die Parteien in seiner Entscheidung nicht mit einer Rechtsauffassung überraschen darf, die sie nicht beachtet haben und auf die sie das Gericht nicht aufmerksam gemacht hat (RS0037300), und weil dieses Verbot von Überraschungsentscheidungen auch im Verfahren außer Streitsachen (RS0037300 [T53]) und dort auch für den Obersten Gerichtshof gilt (RS0037300 [T9]), ist den Parteien Gelegenheit zur Äußerung zu diesem neuen Aspekt zu geben. Dies – sowie die allenfalls (je nach weiterem Vorbringen der Parteien) bestehende Notwendigkeit einer Verbreiterung der Entscheidungsgrundlage zur Vornahme der im vorstehenden Absatz genannten Interessenabwägung – macht die Aufhebung der Entscheidungen der Vorinstanzen erforderlich.
3. Gemäß § 101 Abs 2 AußStrG findet im Verfahren über den Unterhalt eines minderjährigen Kindes kein Kostenersatz statt. Die Parteien haben die Kosten ihrer Rechtsmittelschriften daher jedenfalls selbst zu tragen.
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