OGH 9Ob45/16g

OGH9Ob45/16g29.9.2016

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsrekursgericht durch die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Dehn als Vorsitzende sowie die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Tarmann‑Prentner, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Hargassner und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Mag. Korn und Dr. Weixelbraun‑Mohr als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden und gefährdeten Partei P* M*, vertreten durch Dr. Renate Eberl, Rechtsanwältin in Wien, gegen die beklagte Partei und Gegner der gefährdeten Partei B* M*, vertreten durch Dr. Maria in der Maur‑Koenne, Rechtsanwältin in Wien, wegen einstweiligen Ehegattenunterhalt, über den Revisionsrekurs der klagenden und gefährdeten Partei gegen den Beschluss des Landesgerichts St. Pölten als Rekursgericht vom 4. Mai 2016, GZ 23 R 172/16s‑55, womit dem Rekurs der klagenden und gefährdeten Partei gegen den Beschluss des Bezirksgerichts Neulengbach vom 18. März 2016, GZ 9 C 19/14m‑51, nicht Folge gegeben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:E115935

 

Spruch:

Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 418,78 EUR (darin 69,80 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsrekursbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Begründung:

Die Streitteile sind aufrecht verheiratet, ein Scheidungsverfahren ist anhängig.

Die Klägerin wohnt mit den vier gemeinsamen Kindern in der ehemaligen gemeinsamen Ehewohnung, die je im Hälfteeigentum der Streitteile steht. Anträge der Klägerin auf Wegweisung des Beklagten aus der Ehewohnung und Erlassung eines Betretungsverbots wurden rechtskräftig abgewiesen. Der Beklagte verzichtet auf eine Rückkehr in die Ehewohnung, um die Kinder nicht zusätzlich zu belasten.

Seit September 2015 bezahlt der Beklagte die bis zu diesem Zeitpunkt von ihm allein getragenen Kosten für die Ehewohnung (ua Betriebskosten und Kreditraten) nicht mehr. Sämtliche Wohnungskosten trägt seither die Klägerin.

Mit dem vom Rekursgericht bestätigten Beschluss verpflichtete das Erstgericht den Beklagten ab 16. 10. 2015 zu einer einstweiligen monatlichen Unterhaltszahlung an die Klägerin von 606 EUR. Das auf Zahlung eines monatlichen Unterhaltsbetrags von 860 EUR ab 17. 9. 2015 gerichtete Erhöhungsbegehren der Klägerin wies es ab. Das Rekursgericht berücksichtigte bei der Geldunterhaltsbemessung einen vom Beklagten geleisteten Naturalunterhalt durch Zurverfügungstellung seines Hälfteeigentums an der Ehewohnung, und zwar in Höhe eines anteiligen fiktiven Mietwerts von 180 EUR. Das Rekursgericht ließ den ordentlichen Revisionsrekurs zu, weil die oberstgerichtliche Rechtsprechung zur Anrechenbarkeit von Naturalunterhalt bei bestehendem Miteigentum an der Ehewohnung teilweise widersprüchlich sei.

Rechtliche Beurteilung

Entgegen dem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§§ 402, 78 EO, § 526 Abs 2 ZPO) – Ausspruch des Rekursgerichts ist der ordentliche Revisionsrekurs nicht zulässig:

Nach nunmehr gefestigter jüngerer Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs ist der fiktive Mietwert einer dem Unterhaltsberechtigten vom Unterhaltspflichtigen überlassenen Eigentumswohnung bzw Liegenschaft wegen der damit verbundenen Verminderung des Unterhaltsbedarfs ganz oder teilweise als Naturalunterhalt anzurechnen, sofern diese Leistungen regelmäßig erfolgen (2 Ob 246/09d = EF-Z 2011/42 [zust Gitschthaler]; 4 Ob 42/10w; 4 Ob 203/10x = iFamZ 2011/122 [Deixler‑Hübner]; 6 Ob 43/12k = EF-Z 2012/110 [zust Gitschthaler]; 1 Ob 143/12d; 6 Ob 61/13h; 1 Ob 135/14f; 4 Ob 85/16b mwN; 8 Ob 41/16m; vgl RIS‑Justiz RS0121283). Anerkannt ist die Anrechnung einer fiktiven Mietersparnis auch dann, wenn der Unterhaltsschuldner nur Miteigentümer der dem Unterhaltsberechtigten zur Verfügung stehenden Wohnung ist (RIS‑Justiz RS0121283). Diese Grundsätze gelten sowohl im Kindes- als auch im Ehegattenunterhaltsrecht (6 Ob 43/12k; 1 Ob 143/12d mwN).

Der Grund für die Anrechnung der Wohnversorgung als Naturalunterhalt liegt im Wesentlichen in der teilweise beim Unterhaltsberechtigten eintretenden Bedarfsdeckung. Auch wenn der unterhaltspflichtige Elternteil lediglich sein bloßes Eigentum dem Unterhaltsberechtigten zur Wohnversorgung zur Verfügung stellt, „leistet“ er aus eigenem Vermögen, indem er auf sonst erwirtschaftbare Mieterträgnisse verzichtet (9 Ob 48/13v mwN = EF‑Z 2014/46 [zust Gitschthaler]). Die maßgebliche (gänzliche oder teilweise) Wohnkostenersparnis durch Zurverfügungstellen der Wohnung (2 Ob 246/09d; 4 Ob 203/10x; 8 Ob 41/16m) ist daher nicht nur dann gegeben, wenn der Unterhaltspflichtige Kreditrückzahlungen für den Erwerb der Wohnung leistet, sondern auch dann, wenn er bloß das Eigentum bereitstellt (8 Ob 41/16m).

Die Entscheidung des Rekursgerichts hält sich im Rahmen dieser Rechtsprechung; eine korrekturbedürftige Fehlentscheidung liegt daher nicht vor, zumal es auch entscheidend von den Umständen im Einzelfall abhängt, in welchem konkreten Ausmaß Naturalunterhalt anzurechnen ist (4 Ob 85/16b; RIS‑Justiz RS0121283).

Die in vereinzelten Entscheidungen vertretene Auffassung, aus dem bloßen Miteigentum lasse sich noch kein Anspruch auf Anrechnung eines fiktiven Mietzinses als Naturalunterhalt ableiten, ist damit überholt (Gitschthaler in EF‑Z 2012/110). In den Entscheidungen 1 Ob 143/12d und 6 Ob 61/13h wurde der in der Judikatur mittlerweile gefestigte Grundsatz, wonach eine fiktive Mietersparnis auch dann als Naturalunterhalt anzurechnen ist, wenn der Unterhaltsschuldner nur Miteigentümer der dem Unterhaltsberechtigten zur Verfügung stehenden Wohnung ist, (wieder) dahin eingeschränkt, dass eine Anrechnung auf die Leistungen des Unterhaltspflichtigen, der über die Wohnung verfügungsberechtigt ist, als Naturalunterhalt dann nicht zu erfolgen hat, wenn die Bedarfsdeckung ausnahmsweise wirtschaftlich zur Gänze dem betreuenden Elternteil zuzurechnen ist, etwa weil dieser sämtliche Kreditraten trägt oder bei der nachehelichen Vermögensaufteilung eine Gegenleistung für die Überlassung der Wohnungsnutzung erbracht hat. Nach Gitschthaler (in EF-Z 2014/46; vgl ders auch in EF‑Z 2014/146, insb FN 6) spielt die Frage der Darlehensrückzahlungen bei Eigentumswohnungen im hier interessierenden Zusammenhang jedoch grundsätzlich keine Rolle: Sie ist im Aufteilungsverfahren zu lösen, erhöht der leistende Ehegatte doch durch die Darlehensrückzahlungen den Wert der Wohnung, wofür ihm regelmäßig ein Ausgleich zusteht.

Eine nähere Erörterung und abschließende Beurteilung dieser Frage kann aber unterbleiben, weil im vorliegenden Fall bei der notwendigen Gesamtbetrachtung die Bedarfsdeckung auch nicht ausnahmsweise wirtschaftlich zur Gänze der unterhaltsberechtigten Klägerin zuzurechnen ist. Der unterhaltspflichtige Beklagte ist Hälfteeigentümer des kreditfinanzierten Einfamilienhauses und hat nach den bindenden Feststellungen des Erstgerichts bis 15. 10. 2015 die Kreditrückzahlungen alleine getragen. Dass die Klägerin zur Tragung der offenen Darlehensrückzahlungen ohne Regressanspruch verpflichtet ist, hat die Klägerin auch nicht behauptet. Es liegt auch kein Fall einer bei der nachehelichen Vermögensaufteilung erbrachten Gegenleistung für die Überlassung der Wohnungsnutzung (1 Ob 143/12d) vor.

Mangels Geltendmachung einer erheblichen Rechtsfrage im Sinn des § 528 Abs 1 ZPO ist der Revisionsrekurs der Klägerin daher zurückzuweisen (§ 402 Abs 4 EO iVm § 78 EO iVm § 526 Abs 2 Satz 1 ZPO). Einer weiteren Begründung bedarf es nicht (§ 528a iVm § 510 Abs 3 ZPO).

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 78, 402 EO sowie auf den §§ 41, 50 ZPO. Der Beklagte hat in seiner Revisionsrekursbeantwortung ausdrücklich auf die Unzulässigkeit des Revisionsrekurses der Klägerin hingewiesen (RIS‑Justiz RS0035962).

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