European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2013:0060OB00061.13H.1024.000
Spruch:
Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.
Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden im angefochtenen Umfang, also betreffend die teilweise Abweisung des Unterhaltsbegehrens des Kindes gegen seinen Vater im Zeitraum vom 1. 11. 2010 bis 30. 9. 2011 in Höhe von monatlich 125 EUR, gesamt somit von 1.375 EUR, aufgehoben. Insoweit wird die Rechtssache an das Erstgericht zur neuerlichen Entscheidung nach allfälliger Verfahrensergänzung zurückverwiesen.
Begründung
Die Vorinstanzen haben das im Spruch ersichtliche teilweise Unterhaltsbegehren des Kindes für 1. 11. 2010 bis 30. 9. 2011 abgewiesen, weil es während dieser Zeit im Haus, dessen Hälfte dem Vater gehörte, wohnte und somit wohnversorgt war.
Das Rekursgericht hat eine fiktive Mietersparnis auf den Unterhalt als Naturalunterhalt angerechnet, selbst wenn der Unterhaltsschuldner nur Miteigentümer der dem Unterhaltsberechtigten zur Verfügung stehenden Wohnung ist und der betreuende Elternteil Kreditrückzahlungen leistet und die Betriebskosten der Wohnung trägt. Es hat sich dabei auf die Entscheidung 4 Ob 142/06w gestützt.
Das Rekursgericht führte in der nachträglichen Zulassung des Revisionsrekurses aus, der Oberste Gerichtshof habe allerdings in anderen Entscheidungen, so etwa in 2 Ob 169/05z, die Rechtsansicht vertreten, dass sich aus dem bloßen Miteigentum allein noch kein Anspruch auf Anrechnung eines fiktiven Mietzinses als Naturalunterhalt auf den den Kindern geschuldeten Geldunterhalt ableiten lasse. Eine einhellige Rechtsprechung zu dieser Frage liege daher nicht vor, was die Erheblichkeit der Rechtsfrage begründe.
Rechtliche Beurteilung
Der Revisionsrekurs des Kindes ist zulässig, weil das Rekursgericht von oberstgerichtlicher Rechtsprechung abgewichen ist; er ist auch berechtigt.
Nach der jüngeren Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs ist der fiktive Mietwert einer dem Unterhaltsberechtigten vom Unterhaltspflichtigen überlassenen Eigentumswohnung wegen der damit verbundenen Verminderung des Unterhaltsbedarfs ganz oder teilweise als Naturalunterhalt anzurechnen. Dieser Grundsatz gilt nicht nur im Ehegatten‑, sondern auch im Kindesunterhaltsrecht (1 Ob 143/12d mwN). Das Abstellen auf den fiktiven Mietwert verhindert Ungleichbehandlungen, weil es von Zufällen abhängt, ob eine Wohnung ausbezahlt oder noch kreditfinanziert ist, und es der Unterhaltspflichtige bei Relevanz der Höhe der Kreditrückzahlung in der Hand hätte, durch Erhöhung der Rückzahlungsvereinbarung seine Unterhaltspflicht zu Lasten des Unterhaltsberechtigten zu verringern (2 Ob 246/09d EF‑Z 2011/42, 69 [Gitschthaler]). Auch wird dadurch ein Gleichklang zwischen dem Kindes- und dem Ehegattenunterhalt hergestellt (1 Ob 143/12d mwN; vgl 5 Ob 50/12g; 1 Ob 212/10y).
Entscheidend ist daher, ob die Wohnversorgung des Unterhaltsberechtigten dem Unterhaltspflichtigen zurechenbar ist. Dabei ist nicht maßgebend, ob das Kind in einer Mietwohnung, in einer ausbezahlten Eigentumswohnung oder in einer Wohnung lebt, für die noch Kreditrückzahlungen zu leisten sind (RIS‑Justiz RS0123485). Eine fiktive Mietersparnis ist auch dann als Naturalunterhalt anzurechnen, wenn der Unterhaltsschuldner nur Miteigentümer der dem Unterhaltsberechtigten zur Verfügung stehenden Wohnung ist (RIS‑Justiz RS0121283; 1 Ob 143/12d).
Diese Grundsätze gelten auch für den hier vorliegenden Fall der Wohnversorgung der Unterhaltsberechtigten in einem dem Unterhaltspflichtigen teilweise gehörigen Haus.
Eine Anrechnung auf die Leistungen des Unterhaltspflichtigen, der über die Wohnung bzw das Haus verfügungsberechtigt ist, als Naturalunterhalt hat nur dann nicht zu erfolgen, wenn die Bedarfsdeckung ausnahmsweise wirtschaftlich zur Gänze dem betreuenden Elternteil zuzurechnen ist, etwa weil dieser sämtliche Kreditraten trägt oder bei der nachehelichen Vermögensaufteilung eine Gegenleistung für die Überlassung der Wohnungsnutzung erbracht hat (1 Ob 143/12d; in diesem Sinn auch 1 Ob 201/11g; Schwimann/Kolmasch, Unterhaltsrecht6, 157; Kolmasch, Wohnversorgung als Naturalunterhalt, Zak 2008/598, 346 [347]).
Bei Anwendung dieser Grundsätze auf den vorliegenden Fall erweist sich die Sache im angefochtenen Umfang als nicht spruchreif: Wie sich aus dem Akteninhalt ergibt, ist zwischen den Eltern des Kindes durchaus strittig, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang der Vater im strittigen Zeitraum Zahlungen (Kreditraten, Betriebskosten) für das vormals im Miteigentum der Eltern gestandene Haus geleistet hat.
Das Erstgericht hat weiters als Vorbringen des Vertreters der Mutter festgehalten, die Eltern hätten am 28. 9. 2011 einen Vergleich über die Aufteilung des ehelichen Gebrauchsvermögens und der ehelichen Ersparnisse geschlossen, in dem der Vater der Mutter seinen Miteigentumsanteil am Haus übertragen habe.
Sowohl zu den allfälligen Zahlungen des Vaters als auch zum Vergleich und dessen Inhalt fehlen Feststellungen, die aber zur Beurteilung, ob sich der Vater die Wohnversorgung des Kindes in dem seinerzeit teilweise ihm gehörigen Haus mit dem fiktiven Mietwert anrechnen lassen kann, erforderlich sind.
Selbst wenn der Vater im strittigen Zeitraum keine Zahlungen für das Haus geleistet haben sollte, wäre die Anrechnung der Wohnversorgung als Naturalunterhalt mit einem Teil des fiktiven Mietwerts dann bzw insoweit nicht ausgeschlossen, als die Eltern im erwähnten Vergleich den Umstand der Nichtzahlung durch den Vater mindernd auf den Wert des der Mutter übertragenen Hausanteils angerechnet hätten.
Das Erstgericht wird also im aufgezeigten Sinn die Sachverhaltsgrundlage zu erweitern und Feststellungen zu treffen haben und dann neuerlich über den noch strittigen Teil des Unterhaltsbegehrens entscheiden müssen. Inwieweit dazu auch eine Verfahrensergänzung nötig ist, bleibt der Beurteilung des Erstgerichts überlassen.
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