OGH 1Ob5/09f

OGH1Ob5/09f26.2.2009

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Vizepräsidenten Dr. Gerstenecker als Vorsitzenden sowie die Hofräte Univ.-Prof. Dr. Bydlinski, Dr. Fichtenau, Dr. Grohmann und Dr. E. Solé als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Dr. Michael A*****, als Masseverwalter im Schuldenregulierungsverfahren über das Vermögen von Hans-Jörg G*****, vertreten durch Siegl, Choc & Axmann, Rechtsanwaltspartnerschaft in Graz, gegen die beklagte Partei Dr. Ewald W*****, vertreten durch Siemer-Siegl-Füreder & Partner, Rechtsanwälte in Wien, wegen 41.500 EUR sA und Feststellung (10.000 EUR), über die Revision der klagenden Partei (Revisionsinteresse: 17.000 EUR) gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 30. Oktober 2008, GZ 11 R 150/08x-61, mit dem das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom 11. August 2008, GZ 22 Cg 93/07v-54, bestätigt wurde, zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei binnen 14 Tagen die mit 1.046,88 EUR (darin enthalten 174,48 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der beklagte Facharzt operierte seinen Patienten, über dessen Vermögen mit Beschluss vom 20. 12. 2007 das Schuldenregulierungsverfahren eröffnet wurde, aufgrund eines Behandlungsvertrags insgesamt zweimal: Am 9. 10. 2003 wurde ein künstliches Kniegelenk eingesetzt; wegen weiterer Beschwerden wurde am 10. 12. 2003 eine Revisionsoperation vorgenommen.

Im Zusammenhang mit der zweiten Operation trat eine Infektion auf. Am 4. 3. 2004 wurde das künstliche Kniegelenk entfernt. Gleichzeitig wurde ein Spacer zur antibiotischen Behandlung implantiert. Bei der Operation am 6. 4. 2004 wurde das künstliche Kniegelenk neuerlich eingesetzt.

Nach der ersten Operation verspürte der Patient beim Erwachen aus der Narkose sehr starke Schmerzen, weshalb er Schmerzmittel erhielt, welche die Schmerzen nicht zur Gänze abklingen ließen. Der Patient wurde am 25. 10. 2003 entlassen. Nach der zweiten Operation war er bis 22. 12. 2003 im Spital.

Im Zusammenhang mit den vier Operationen hatte der Patient insgesamt zwölf Tage starke Schmerzen, 61 Tage mittelstarke Schmerzen und 27 Tage leichte Schmerzen. Wären ihm keine schmerzstillenden Mittel verabreicht worden, hätte er „in zeitlicher Hinsicht das Dreifache an Schmerzen erlitten".

Der Beklagte haftet dem Patienten aus dem Titel Verletzung der ärztlichen Aufklärungspflicht. Im Revisionsverfahren ist nur die Höhe des Schmerzengelds strittig.

Das Erstgericht sprach dem Kläger von den begehrten 40.000 EUR Schmerzengeld 23.000 EUR zu. Es orientierte sich dabei an den Schmerzperioden, die sich unter Berücksichtigung der Einnahme von Schmerzmitteln ergaben.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung, sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 20.000 EUR übersteige, und ließ die ordentliche Revision zu. Es hielt jenen Lehrmeinungen, die eine Minderung des Schmerzengeldanspruchs wegen Schmerzminderung durch Einnahme von Schmerzmitteln ablehnen (Danzl in Danzl/Gutiérrez - Lobos/Müller, Das Schmerzengeld in medizinischer und juristischer Sicht9 [2008], 124; Danzl, Das Schmerzengeld in der Rechtsprechung des OLG Innsbruck seit der Zivilverfahrensnovelle 1983, ZVR-Sonderheft 1987, 6; Karner, Der Ersatz ideeller Schäden bei Körperverletzung [1999], 123) entgegen, dass jene Schmerzen, die der Verletzte trotz der Medikamente oder während einer vorübergehenden Aussetzung ihrer Einnahme zu erdulden habe, bei der Schmerzengeldbemessung ohnehin berücksichtigt würden. Allfällige Gesundheitsstörungen, die der Verletzte durch die Einnahme derartiger Medikamente erleide, seien von der Haftpflicht des Schädigers umfasst. Die höchstgerichtliche Judikatur billige zwar auch demjenigen Schmerzengeld zu, der durch eine haftungsbegründende Einwirkung auf seine Persönlichkeitsstruktur Schmerz und Leid nicht mehr empfinden könne. Solche ungewollten Beeinträchtigungen seien aber mit den beabsichtigten Auswirkungen schmerztherapeutischer Maßnahmen als Teil der Behandlung nicht gleich zu setzen. Eine erfolgreiche Schmerztherapie liege nicht nur im Interesse des Geschädigten, sie müsse wie jede andere schadensmindernde Maßnahme auch dem Schädiger zugute kommen. Maßgeblich seien jene Schmerzen, die der Verletzte nach der Einnahme schmerzstillender Mittel tatsächlich erlitten habe.

Den Ausspruch über die Zulässigkeit der ordentlichen Revision begründete das Berufungsgericht mit fehlender höchstgerichtlicher Judikatur zu der Frage, ob eine Schmerzlinderung, die der Geschädigte durch die Einnahme schmerzstillender Mittel erziele, bei der Ausmittlung des Schmerzengelds zugunsten des Schädigers zu berücksichtigen sei.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision des Klägers ist zulässig, aber nicht berechtigt.

1. Das Schmerzengeld ist die Genugtuung für alles Ungemach, dass der Geschädigte aufgrund seiner Verletzungen und ihrer Folgen zu erdulden hat. Es soll den Gesamtkomplex der Schmerzempfindungen unter Bedachtnahme auf die Dauer und die Intensität der Schmerzen nach ihrem Gesamtbild, auf die Schwere der Verletzungen und auf das Maß der physischen und psychischen Beeinträchtigung des Gesundheitszustands abgelten, die durch Schmerzen entstandenen Unlustgefühle ausgleichen und den Verletzten in die Lage versetzen, sich als Ersatz für die Leiden und anstelle der ihm entgangenen Lebensfreude auf andere Weise gewisse Annehmlichkeiten und Erleichterungen zu verschaffen. Das Schmerzengeld ist nach freier Überzeugung (§ 273 ZPO) für alle negativen Folgen, die der Verletzte bereits erduldet hat bzw voraussichtlich noch zu erdulden haben wird, grundsätzlich global festzusetzen (RIS-Justiz RS0031040; RS0031307; 2 Ob 261/04b; 2 Ob 166/07m). Auch wenn bei der Bemessung des Schmerzengelds die Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen sind, ist doch zur Vermeidung von Ungleichheiten auch ein objektiver Maßstab anzulegen (RIS-Justiz RS0031075; 2 Ob 166/07m).

2. Seit der Entscheidung 6 Ob 535/92, welche die zu RIS-Justiz RS0031232 dokumentierte Judikaturlinie einleitete, billigt die höchstgerichtliche Judikatur auch demjenigen Geschädigten Schmerzengeld zu, der durch eine haftungsbegründende Einwirkung auf seine Persönlichkeitsstruktur außer Stande gesetzt wird, Schmerz und Leid im Gegensatz zu Wohlbefinden und Freude zu empfinden und damit elementarster menschlicher Empfindungen beraubt wird (Schmerzengeld bei fehlendem Schmerzempfinden).

Diese Auffassung wird in der Lehre teils gebilligt (Karner, Der Ersatz ideeller Schäden bei Körperverletzung, 127 ff; Danzl in Danzl/Gutiérrez-Lobos/Müller, Das Schmerzengeld in medizinischer und juristischer Sicht9 123), teils kritisiert (Harrer in Schwimann³ VI § 1325 ABGB Rz 80; Ch. Huber, Antithesen zum Schmerzengeld ohne Schmerzen - Bemerkungen zur objektiv-abstrakten und subjektiv-konkreten Schadensberechnung, ZVR 2000, 218 [221, 224]; vgl Kern in FS Gitter, Schmerzensgeld bei totalem Ausfall aller geistigen Fähigkeiten und Sinnesempfindungen?, 454 f).

3. Zu 3 Ob 116/05p (zustimmend: Karner, ZVR 2006, 501f; Hinghofer - Szalkay/Prisching, Schmerzengeld ohne Schmerzen - neue Entwicklungen?, ZVR 2007/72, 116; vgl Wilhelm, ecolex 2007, 27) wurde der Fall einer schon vor Schadenszufügung querschnittgelähmten Klägerin beurteilt, die deshalb nach den beim haftungsbegründenden Ereignis erlittenen Knieverletzungen keine Schmerzen in den Beinen empfand. Unter Hinweis auf die von Karner, Der Ersatz ideeller Schäden bei Körperverletzung, 137, bejahte Möglichkeit einer vollständig objektiv-abstrakten Berechnung des Immaterialschadens gestand der Oberste Gerichtshof der Klägerin unabhängig von tatsächlich gespürten Schmerzen einen Anspruch auf einen Sockelbetrag zu, den sie als Mindestersatz für die Schädigung ihrer Persönlichkeit fordern könne. Die Schmerzunempfindlichkeit müsse sich grundsätzlich anspruchsmindernd auswirken; allerdings stelle die weitere Körperverletzung für einen Querschnittsgelähmten eine besondere psychische Belastung dar, die sich anspruchserhöhend auswirke.

4. Zu den Auswirkungen schmerzstillender Mittel lehnen die bereits vom Berufungsgericht zitierten Autoren Danzl (aaO 124) und Karner (aaO 123) eine Minderung des Schmerzengeldzuspruchs ab: Der Einsatz solcher Medikamente, die nur zeitlich begrenzt eingenommen werden könnten und den Gesundheitszustand nachteilig beeinflussten, weise auf sehr arge Schmerzen hin.

5. Die Revision leitet aus der Judikatur des Obersten Gerichtshofs zum Schmerzengeld für schmerzunempfindungsfähige Geschädigte ab, dass die Schmerztherapie bei der Bemessung des objektiven Schmerzengelds nicht zu berücksichtigen sei. Es geht hier aber nicht um die völlige Ausschaltung der Schmerzempfindungsfähigkeit. Der Geschädigte hatte ja tatsächlich Schmerzen, sie waren nur in ihrem Ausmaß durch Schmerzmedikation gemindert. Das Verabreichen von Schmerzmitteln stellt nach schwereren Verletzungen und/oder operativen Eingriffen eine Standardtherapie dar. In solchen Fällen ist schwer vorstellbar, dass schmerzstillende Mittel Schmerzen zur Gänze ausschalten können; wie auch Danzl (aaO 124) - allerdings im Rahmen der Argumentation gegen die Minderung des Schmerzengelds bei Schmerztherapie - ausführt: „Die Schmerzen schlagen daher, wie man weiß, immer wieder durch." Das war eben hier der Fall.

6. Bei der Globalbemessung des Schmerzengelds werden Schmerzperioden ermittelt, indem die gesamten Zeiträume, in denen der Geschädigte an Schmerzen gelitten hat, auf einen 24-Stunden Tag komprimiert werden. Diese Komprimierung berücksichtigt, dass der Geschädigte unter Bedachtnahme auf jene Zeiträume, in denen er schläft oder in denen schmerzstillende Medikamente zur Wirksamkeit kommen, nicht täglich 24 Stunden ununterbrochen an Schmerzen leidet (Juen, Arzthaftungsrecht² [2005] 16). Es wäre nicht sinnvoll, in jedem Einzelfall den medizinischen Sachverständigen eine „Parallelrechnung" dahin vornehmen zu lassen, welche Schmerzperioden sich bei Wegfall einer standardmäßigen Schmerztherapie ermitteln ließen.

7. Die Überlegungen der Lehre zu den negativen Auswirkungen einer längerfristigen Schmerztherapie überzeugen nicht als Argument gegen die Minderung des Schmerzengeldanspruchs. Negative Auswirkungen von Schmerzmitteln (Nebenwirkungen wie Beeinträchtigung der Leber/Nierenfunktion, zunehmende Gewöhnung mit Abhängigkeitssymptomen ua) sind nämlich nach dem Grundsatz der Globalbemessung des Schmerzengelds ohnehin zu berücksichtigen. Derartige negative Begleiterscheinungen einer Schmerztherapie können sich daher zugunsten des Geschädigten anspruchserhöhend auswirken. Diese Gegenüberstellung von schadensmindernden und schadenserhöhenden Umständen hat der Oberste Gerichtshof bereits in der Entscheidung 3 Ob 116/05p vorgenommen.

8. Der Revisionswerber behauptet gar nicht, dass der Patient gesundheitsbeeinträchtigende Nebenwirkungen als Folge der Schmerzmittel erlitten hat; im Gegenteil: In der Klage findet sich auf Seite 11 der Vorwurf, eine Linderung seiner Schmerzen sei trotz ausdrücklichen Ersuchens des Patienten wiederholt abgelehnt worden. An anderer Stelle wurde vorgebracht, trotz starker Schmerzen nach der Operation habe der Patient eine höhere Schmerzmitteldosierung abgelehnt (ON 9 S 3). Dass die angewendete Schmerztherapie mit negativen Auswirkungen für den Patienten verbunden gewesen wäre, ergibt sich aus dem Vorbringen und den Feststellungen nicht.

9. Die psychische Belastung des Patienten durch mehrfache Operationen, welche die Revision zusätzlich als Argument für das begehrte Schmerzengeld von 40.000 EUR verwendet, rechtfertigt keinen höheren Zuspruch.

In der Entscheidung 2 Ob 241/05p sprach der Oberste Gerichtshof einem Verletzungsopfer 30.000 EUR Schmerzengeld zu. Der Geschädigte hatte multiple Frakturen am linken Arm erlitten und musste sich insgesamt fünf Operationen unterziehen, dies jeweils verbunden mit Krankenhausaufenthalten zwischen acht und vierzehn Tagen. Drei weitere stationäre Aufenthalte waren notwendig. Der Geschädigte hatte bis zu einem bestimmten Stichtag 28 Tage starke, 87 Tage mittelere und 209 Tage leichte Schmerzen und aus Anlass der operativen Entfernung einer Platte weitere Schmerzen zu erdulden.

Einen Schmerzengeldbetrag von rund 29.000 EUR hielt der Oberste Gerichtshof in dem zu 2 Ob 61/02p entschiedenen Fall für angemessen. Der Kläger hatte mehrere Brüche am linken Fuß erlitten und musste sich in der Zeit vom 1. 8. 1999 bis 11. 12. 2000 mehreren stationären Behandlungen, mehreren Operationen und Bewegungs- und Physiotherapien unterziehen. Er erlitt bis zu einem bestimmten Stichtag neun Tage starke, 49 Tage mittelstarke und 134 Tage leichte Schmerzen.

Ein Vergleich mit diesen beiden Fällen zeigt, dass das zugesprochene Schmerzengeld von 23.000 EUR angemessen ist.

10. Ergebnis: Führt eine Schmerztherapie zur Milderung der Schmerzen, sind der Globalbemessung des Schmerzengelds die unter Berücksichtigung der Schmerzmedikation ermittelten Schmerzperioden zugrunde zu legen. Eine „Parallelrechnung", welche Schmerzperioden sich ohne schmerzstillende Mittel ergeben hätten, ist nicht vorzunehmen. Negative Begleiterscheinungen einer Schmerztherapie können sich im Rahmen der Globalbemessung anspruchserhöhend auswirken.

11. Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41, 50 Abs 1 ZPO.

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