OGH 2Ob61/02p

OGH2Ob61/02p24.10.2002

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Niederreiter als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schinko, Dr. Tittel, Dr. Baumann und Hon. Prof. Dr. Danzl als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Franz H*****, vertreten durch Mag. Herbert Ortner und Mag. Gernot Stitz, Rechtsanwälte in Voitsberg, gegen die beklagten Parteien 1.) Anton K*****, und 2.) W***** AG, ***** , beide vertreten durch Mag. Siegfried Riegler und Mag. Jasmine Riegler, Rechtsanwälte in Knittelfeld, wegen EUR 90.695,70 (= S 1,248.000,- -) sA und Feststellung (Feststellungsinteresse EUR 1.453,46 = S 20.000,- -), über die außerordentliche Revision der beklagten Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgericht vom 22. November 2001, GZ 3 R 176/02d-40, womit infolge Berufung beider Parteien das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Graz vom 7. Mai 2001, GZ 39 Cg 65/00h-27, in der Hauptsache bestätigt, aber im Ausspruch über die Nebengebühren abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird teilweise Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen, die im Ausspruch über das Feststellungsbegehren als unbekämpft unberührt bleiben, werden im Ausspruch über das Leistungsbegehren dahin abgeändert, dass er wie folgt zu lauten hat:

"1.) Die Forderung der klagenden Partei besteht mit EUR 26.089,55 (= S 359.000,- -) zu Recht.

Die Gegenforderung besteht mit EUR 666,34 (= S 9.169,10) zu Recht.

Die beklagten Parteien sind zur ungeteilten Hand schuldig, der klagenden Partei den Betrag von EUR 25.423,20 (= S 349.830,90) samt 4 % Zinsen aus EUR 17.823,01 (= S 245.250,- -) vom 8. 4. 2000 bis 7. 5. 2001 und aus EUR 25.423,20 seit 7. 5. 2001 zu bezahlen.

Das Zahlungsmehrbegehren EUR 65.272,49 (= S 898.169,10) samt 4 % Zinsen seit 8. 4. 2000 und das Zinsenmehrbegehren von 4 % Zinsen aus EUR 45.487,31 (= S 625,919,10) vom 8. 4. 2000 bis 6. 5. 2001 werden abgewiesen.

Die beklagten Parteien sind zur ungeteilten Hand schuldig, dem Kläger die mit EUR 5.106,76 (darin enthalten EUR 598,06 USt und EUR 1.518,43 Barauslagen) bestimmten Kosten des Verfahrens erster Instanz binnen 14 Tagen zu bezahlen."

Die klagende Partei ist schuldig, den beklagten Parteien die mit EUR 4.560,41 (darin enthalten EUR 665,79 USt und EUR 565,88 Barauslagen) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens und die mit EUR 1.122,43 (darin enthalten EUR 68,85 USt und EUR 709,33 Barauslagen) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger wurde am 1. 8. 1999 als Lenker eines Motorrades bei einem Verkehrsunfall verletzt. Er befuhr im Freilandgebiet die Gaberlbundesstraße und stieß mit dem entgegenkommenden Erstbeklagten, der einen PKW lenkte zusammen. Die von den Streitteilen kurz vor bzw während der Kollision eingehaltene Fahrlinie konnte nicht festgestellt werden. Beide Fahrzeuglenker fuhren möglicherweise mit den jeweils linken Flanken im Bereich der Fahrbahnmitte. Eine ganz rechts gelegene Fahrlinie sowohl des Fahrzeuges des Erstbeklagten als auch des Motorrades des Klägers sind nicht nachvollziehbar. Auch die exakte Unfallsposition konnte nicht mehr rekonstruiert werden.

Der Kläger erlitt einen Verrenkungsbruch des linken Sprunggelenkes mit Hautabschürfungen und subkapitale Brüche des II. bis IV Mittelfußknochens links und musste sich in der Zeit vom 1. 8. 1999 bis 11. 12. 2000 mehreren stationären Behandlungen unterziehen. Im Zuge dieser Behandlungen wurde er mehrmals operiert und unterzog sich mehreren Bewegungs- und Physiotherapien. Durch den komplikationsvollen und verzögerten Heilungsverlauf leidet er unter Belastungs- und Bewegungsschmerzen mit einem zusätzlichen Druckgefühl im Bereich des Außen- und Innenknöchels. Komprimiert ergibt sich ein Schmerzkatalog von 9 Tagen starken, 49 Tagen mittelstarken und 134 Tagen leichten Schmerzen. Die Berührungsschmerzen im Bereich des Außenknöchels werden in Zukunft zwar abstumpfen, sich aber immer wieder bemerkbar machen. Die Belastungsschmerzen sind sowohl auf das Unfallsgeschehen als auch auf die bereits vorgeschädigte Wirbelsäule zurückzuführen. Für die zur erwartenden (unfallkausalen) Schmerzen ist ein globaler Schmerzkatalog von etwa 205 Tagen mittelstarken Schmerzen und 60 Tagen leichten Schmerzen anzunehmen.

Der Kläger begehrte ausgehend vom Alleinverschulden des Erstbeklagten zuletzt unter anderem Schmerzengeld von S 930.000,-- als Globalabfertigung einschließlich der zu erwartenden zukünftigen Schmerzen. Am 6. 4. 2001 wurde das Klagebegehren auch um Nettoverdienstentgang von S 227.500,-- ausgedehnt. Dabei wurden ein erhaltenes Krankengeld, ein Pensionsvorschuss und Arbeitslosengeld berücksichtigt, wobei (ausgehend vom Alleinverschulden des Erstbeklagten) der gesamte Verdienstentgang - ohne Berücksichtigung eines allfälligen Mitverschuldens - geltend gemacht wurde. In der folgenden mündlichen Streitverhandlung vom 7. 5. 2001 wurde die Höhe des Verdienstentgangsanspruches des Klägers ausdrücklich außer Streit gestellt.

Das Erstgericht hat ausgehend von der Unfaufklärbarkeit des Unfalles lediglich eine Haftung nach dem EKHG angenommen und unter Berücksichtigung einer gleich großen Betriebsgefahr beider Fahrzeuge das Leistungsbegehren zur Hälfte als zu Recht bestehend angesehen und die eingewendete Gegenforderung ebenfalls in diesem Umfang als zu Recht bestehend erachtet. Dem Feststellungsbegehren hat es zur Hälfte stattgegeben.

Das von beiden Seiten angerufene Berufungsgericht hat das Urteil in der Hauptsache bestätigt und lediglich im Zinsenausspruch abgeändert.

Es erachtete im Hinblick auf die Verletzung des Klägers in Verbindung mit dem komplikationsreichen Heilungsverlauf das zugesprochene Schmerzengeld von S 930.000,-- als Globalabfindung auch für die noch zu erwartenden Schmerzen für angemessen. Dem Einwand, das Quotenvorrecht der Sozialversicherung hätte bei Berechnung des Verdienstentganges berücksichtigt werden müssen, hielt es entgegen, dieses Vorbringen sei erstmalig im Berufungsverfahren aufgestellt worden und als gegen das Neuerungsverbot verstoßend unbeachtlich.

In der außerordentlichen Revision der beklagten Parteien wird geltend gemacht, dass der Kläger selbst die erhaltenen Leistungen der Sozialversicherung bei Berechnung des Verdienstentganges abgezogen habe, weshalb das Quotenvorrecht der Sozialversicherung zu berücksichtigen sei, weil unzweifelhaft zum Ausdruck gebracht worden sei, dass dem Kläger aus diesem Titel nichts gebühre. Das Schmerzengeld sei überhöht. Es bestehe ein Feststellungsbegehren, wonach für künftige Schäden gehaftet werde; es liege daher "Konkurrenz zwischen dem Feststellungsbegehren und der Globalabfindung des Schmerzengeldes" vor.

Der Kläger beantragt in der ihm freigestellten Revisionsbeantwortung die außerordentliche Revision der beklagten Parteien zurückzuweisen, hilfsweise ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist teilweise berechtigt.

1.) Zum Quotenvorrecht des Sozialversicherungsträgers:

Nach dem sogenannten "Quotenvorrecht" des Sozialversicherungsträgers kann der Sozialversicherungsträger vom Schädiger vollen Ersatz für seine Leistungen verlangen, soweit diese in dem durch den Mitverschuldensanteil gekürzten Schadenersatzanspruch Deckung finden. Dem Geschädigten selbst verbleibt nur ein allfälliger durch die Leistungspflicht des Sozialversicherungsträgers nicht gedeckter Rest seines (um die Mitverschuldensquote gekürzten) Ersatzanspruches (s dazu Apathy, EKHG § 7 Rz 3 mwN). Es ist daher zunächst eine dem Mitschuldverhältnis entsprechende Teilung des Gesamtschadens vorzunehmen und der auf diese Weise ermittelte Betrag um die Gesamtsumme der dem Kläger gewährten Sozialversicherungsleistungen zu kürzen (RIS-Justiz RS0026975). Nach ständiger Rechtsprechung muss aber die manglende aktive Klagelegitimation wegen des Quotenvorrechtes des Sozialversicherungsträgers ausdrücklich eingewendet werden (RIS-Justiz RS0084869). Der Mangel der diesbezüglichen Aktivlegitimation des Geschädigten darf nicht schon auf Grund seiner Angaben über die Bezüge aus der Sozialversicheurng angenommen werden, es wäre denn, dass er - über die allgemeine Vorteilsausgleichung hinaus - in seinem Prozessvorbringen selbst das Quotenvorrecht des Sozialversicherungsträgers zugestanden hätte.

Der Kläger hat aber in seiner Ausdehnung des Klagebegehrens lediglich auf die "allgemeine Vorteilsausgleichung" Bezug genommen und die erhaltenen Leistungen auf den Verdienstentgang angerechnet. Zu einer Bezugnahme auf das "Quotenvorrecht des Sozialversicherungsträgers" war der Kläger gar nicht verhalten, weil er, ausgehend vom Alleinverschulden des Erstbeklagten, die gesamte Nettoverdienstentgangsforderung geltend gemacht hat. Es wäre an den beklagten Parteien gelegen, darauf hinzuweisen, dass im Falle eines angenommenen Mitverschuldens des Klägers (oder einer Mithaftung) das Quotenvorrecht der Sozialversicherung zu berücksichtigen wäre. Da das Quotenvorrecht der Sozialversicherung nur über Einwand wahrgenommen werden kann und ein diesbezüglicher Einwand nicht erhoben wurde, stellt das Vorbringen in der Berufung tatsächlich eine unbeachtliche Neuerung dar.

2.) Zum Schmerzengeld.

Das Schmerzengeld ist die Genugtuung für alles Ungemach, das der Geschädigte infolge seiner Verletzungen und ihrer Folgen zu erdulden hat. Es soll den Gesamtkomplex der Schmerzempfindungen unter Bedachtnahme auf die Dauer und Intensität der Schmerzen nach ihrem Gesamtbild, auf die Schwere der Verletzung und auf das Maß der physischen und psychischen Beeinträchtigung des Gesundheitszustandes abgelten, die durch die Schmerzen entstandene Unlustgefühle ausgleichen und den Verletzten in die Lage versetzen, sich als Ersatz für die Leiden und anstelle der ihm entgangenen Lebensfreude auf andere Weise gewisse Annehmlichkeiten und Erleichterungen zu verschaffen. Nach ständiger Rechtsprechung ist das Schmerzengeld nach freier Überzeugung (§ 273 ZPO) unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles für alles Ungemach, dass der Verletzte bereits erduldet hat und voraussichtlich noch zu erdulden haben wird, grundsätzlich global festzusetzen (Danzl in Danzl/Gutierres-Lobos/Müller, Schmerzengeld7, 88 und 166, jeweils mwN; RIS-Justiz RS0031307; ZVR 1999/50). Wenngleich bei der Bemessung des Schmerzengeldes auf die Umstände des Einzelfalles Bedacht zu nehmen ist, ist doch zur Vermeidung von Ungleichheiten auch ein objektiver Maßstab anzulegen und darf der von der Judikatur ganz allgemein gezogenen Rahmen bei der Bemessung nicht gesprengt werden (ZVR 1992/99). Tendenziell erscheint es dabei geboten, das Schmerzengeld nicht knapp zu bemessen. Berücksichtigt man allerdings die bisherige Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes in den Fällen, in denen ein Schmerzengeld von S 930.000,-- zugesprochen wurde (s hiezu Danzl aaO S 274) bzw welche bisherigen Beträge für die festgestellten Verletzungen des Klägers zugesprochen wurde, dann erscheint ein Betrag von S 400.000,-- (= EUR 29.069,13) angemessen, um alles Unbill, das der Kläger erduldet hat bzw noch erdulden wird, abzugelten.

Der Revision war daher teilweise Folge zu geben und das Schmerzengeld mit S 400.000,- - (= EUR 29.069,13) ungekürzt auszumitteln.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 43 Abs 1 und 50 ZPO. Der Kläger ist nur im ersten Verfahrensabschnitt (bis zur Ausdehnung des Klagebegehrens am 10. 4. 2001) zur Gänze durchgedrungen. Ab der Ausdehnung hat er bis zur mündlichen Streitverhandlung vom 7. 5. 2001 etwa zur Hälfte obsiegt, in der letzten mündlichen Streitverhandlung ist er etwa mit einem Viertel seines Begehrens durchgedrungen. Er hat daher in diesen Abschnitten Anspruch auf Ersatz seiner Barauslagen im Ausmaß seines Obsiegens (§ 43 Abs 1 letzter Satz ZPO), sowie Anspruch auf Ersatz seiner Kosten im ersten Verfahrensabschnitt zur Gänze; im zweiten Verfahrensabschnitt sind die Kosten gegenseitig aufzuheben. Im letzten Verfahrensabschnitt hat der Kläger den beklagten Parteien die halben Prozesskosten zu ersetzen.

Im Berufungsverfahren haben die beklagten Parteien die Berufung des Klägers erfolgreich abgewehrt und daher Anspruch auf Ersatz der Kosten der Berufungsbeantwortung. Mit ihrer Berufung sind sie etwa zu zwei Drittel durchgedrungen, weshalb ihnen ein Drittel ihrer Kosten und zwei Drittel der Barauslagen zu ersetzen sind. Dieses Obsiegen der beklagten Parteien gilt ebenfalls für das Revisionsverfahren.

Stichworte