OGH 1Ob44/23m

OGH1Ob44/23m21.3.2023

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Musger als Vorsitzenden sowie die Hofräte und die Hofrätin Mag. Wurzer, Mag. Dr. Wurdinger, Mag. Wessely‑Kristöfel und Dr. Parzmayr als weitere Richter in der Erwachsenenschutzsache der E* F*, vertreten durch Mag. Gernot Strobl, Rechtsanwalt in Salzburg, über den außerordentlichen Revisionsrekurs der Betroffenen gegen den Beschluss des Landesgerichts Salzburg als Rekursgericht vom 9. Februar 2023, GZ 22 R 283/22d‑188, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0010OB00044.23M.0321.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Familienrecht (ohne Unterhalt)

Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage

 

Spruch:

Der außerordentliche Revisionsrekurs wird mangels der Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen.

 

Begründung:

[1] 1. Die Betroffene behauptet die Verletzung ihres „rechtlichen Gehörs“ und macht als Mangelhaftigkeit des Verfahrens geltend, dass sie selbst zwar wiederholt im Rahmen von Erstanhörungen befragt worden sei, jedoch nie „formell einvernommen“ worden sei. Kein einziger von ihr beantragter Zeuge sei vom Gericht gehört worden. Zudem habe keine mündliche Verhandlung stattgefunden, in der die Person, die später zum Erwachsenenvertreter bestellt wurde, geladen worden sei. Schließlich habe keine mündliche Erörterung des Sachverständigengutachtens stattgefunden.

Rechtliche Beurteilung

[2] Damit zeigt sie keine erhebliche Rechtsfrage auf:

[3] 1.1. Ein Mangel des erstinstanzlichen Verfahrens, weil die Betroffene nicht in einer mündlichen Verhandlung „formell einvernommen“ wurde und bei der nochmaligen – von ihr beantragten – Erstanhörung am 14. 10. 2022 ihr Rechtsvertreter nicht anwesend war, wurde im Rekurs nicht geltend gemacht. Ein behaupteter Verfahrensmangel erster Instanz, der im Rekurs nicht gerügt wurde, bildet aber auch im Außerstreitverfahren – von hier nicht vorliegenden Ausnahmen abgesehen – keinen Revisionsrekursgrund (RS0050037 [T13]).

[4] 1.2. Der neuerlich gerügte erstinstanzliche Verfahrensmangel, dass kein von ihr beantragter Zeuge vom Gericht einvernommen worden sei, wurde bereits vom Rekursgericht verneint und kann daher ebenso im Revisionsrekurs nicht mehr geltend gemacht werden (RS0030748 [T15]; RS0050037 [T2]).

[5] 1.3. Die Ladung der Person, die zum Erwachsenenvertreter bestellt werden soll, ist gemäß § 121 Abs 2 AußStrG nur im Fall einer durchzuführenden mündlichen Verhandlung erforderlich. Das war vorliegend nicht der Fall. Zudem zeigt die Revisionsrekurswerberin auch nicht die Relevanz einer solchen Ladung des später bestellten gerichtlichen Erwachsenenvertreters auf.

[6] 1.4. Das rechtliche Gehör der Betroffenen (§ 66 Abs 1 Z 1 iVm § 58 Abs 1 Z 1 AußStrG) wurde nicht verletzt. Der Rechtsvertreter der Betroffenen hat sämtliche Sachverständigengutachten zugestellt und die Möglichkeit zur Erhebung eines Antrags auf Gutachtenserörterung und Durchführung einer mündlichen Verhandlung eingeräumt erhalten. Das Erstgericht hat mit der Verwertung des Sachverständigengutachtens seiner Entscheidung keine Tatsachen und Beweisergebnisse zugrunde gelegt, zu denen sich die Betroffene nicht äußern konnte (vgl RS0005915; RS0074920).

[7] 1.5. Ein Fall des § 66 Abs 1 Z 1 iVm § 58 Abs 1 Z 3 AußStrG liegt nicht vor. Nach § 121 Abs 1 AußStrG hat das Gericht über die Bestellung eines gerichtlichen Erwachsenenvertreters mündlich zu verhandeln, wenn dies das Gericht für erforderlich hält oder die betroffene Person dies beantragt. Nach geltender Rechtslage ist daher nicht mehr stets zu verhandeln, sondern bloß dann, wenn dies die betroffene Person (oder ihr Rechtsbeistand in ihrem Namen) beantragt oder es das Gericht für erforderlich hält (7 Ob 68/19d [Punkt 2.2.]).

[8] Das Erstgericht hat in Entsprechung des Gutachtenserörterungsantrags der Betroffenen am 27. 6. 2022 eine Verhandlung durchgeführt. Zur mündlichen Gutachtenserörterung kam es schließlich nicht, weil der Rechtsvertreter der Betroffenen in dieser Verhandlung ein Privatgutachten vorlegte, sodass – auch auf ausdrücklichen Wunsch der Betroffenen – eine schriftliche Ergänzung des Sachverständigengutachtens eingeholt wurde. Nach der Zustellung des Ergänzungsgutachtens an ihren Rechtsvertreter beantragte die Betroffene zwar ihre neuerliche „Erstanhörung“, nicht aber eine neuerliche Gutachtenserörterung. Das Unterbleiben einer nicht zwingend notwendigen Verhandlung – wie hier – kann nur einen Mangel des erstinstanzlichen Verfahrens begründen, den das Rekursgericht jedoch verneint hat. Ein vom Rekursgericht verneinter Verfahrensmangel erster Instanz kann – wie dargelegt – auch im Außerstreitverfahren in dritter Instanz nicht mehr geltend gemacht werden (RS0030748; RS0050037; 7 Ob 68/19d [Punkt 3.]). Zudem zeigt die Revisionsrekurswerberin nicht auf, welche Maßnahme das Erstgericht – zur sachgerechten Entscheidungsfindung zu ihrem Wohl – noch hätte ergreifen sollen.

[9] 2. Die behauptete Aktenwidrigkeit wurde geprüft. Sie liegt nicht vor, was gemäß § 71 Abs 3 AußStrG keiner weiteren Begründung bedarf.

[10] 3. Auch im Außerstreitverfahren ist der Oberste Gerichtshof nur Rechts‑ und nicht Tatsacheninstanz (RS0006737; RS0007236). Fragen der Beweiswürdigung, die die Revisionsrekurswerberin wiederholt anschneidet, können daher nicht mehr überprüft werden (RS0007236 [T4]; RS0069246).

[11] 4. Die von der Revisionsrekurswerberin relevierte Frage der Eignung des von ihr in der Vorsorgevollmacht vom 27. 2. 2021 eingesetzten Vorsorgebevollmächtigten stellt sich schon deshalb nicht, weil sie im Zeitpunkt der Errichtung dieser Vorsorgevollmacht krankheitsbedingt nicht mehr über die entsprechende Entscheidungsfähigkeit verfügte; ihre freie Willensbildung war durch Fremdbeeinflussung so erheblich beeinträchtigt, dass vernünftige Erwägungen in den Hintergrund getreten sind. Ohne Fehlbeurteilung sind daher die Vorinstanzen davon ausgegangen, dass die errichtete Vorsorgevollmacht nicht wirksam zustande gekommen ist.

[12] 5. Gemäß § 272 Abs 1 ABGB darf ein gerichtlicher Erwachsenenvertreter nur für einzelne oder Arten von gegenwärtig zu besorgenden oder bestimmt zu bezeichnenden Angelegenheiten bestellt werden.

[13] Die sehr vermögende Betroffene ist aufgrund ihrer kognitiven Beeinträchtigung in Form eines „mild cognitive impairment“, die das Vollbild einer Demenz noch nicht erreicht, zur Regelung ihrer finanziellen Angelegenheiten, zur Einkommens‑ und Vermögensverwaltung sowie ‑sicherung und zur Vertretung gegenüber Ämtern, Behörden, Gerichten und privaten Vertragspartnern nicht mehr in der Lage. In dieser Hinsicht besteht auch keine ausreichende familiäre oder anderweitige geeignete Unterstützung.

[14] Die Beurteilung der Vorinstanzen, dass in Bezug auf die Verwaltung des Einkommens sowie des Liegenschaftsvermögens (drei Liegenschaften), die Vertretung in einem bestimmten Gerichtsverfahren, in Angelegenheiten einer Stiftung (die Betroffene ist Stifterin) sowie beim Abschluss von Heim- und Betreuungsverträgen (sie bewohnt eine Seniorenresidenz) die Bestellung eines gerichtlichen Erwachsenenvertreters für diese Wirkungsbereiche erforderlich und notwendig ist, ist nicht korrekturbedürftig.

[15] 6. Bei der Auswahl des gerichtlichen Erwachsenenvertreters ist nach § 273 Abs 1 ABGB auf die Bedürfnisse der volljährigen Person und deren Wünsche, die Eignung des Erwachsenenvertreters und auch die zu besorgenden Angelegenheiten Bedacht zu nehmen.

[16] Zum Erwachsenenvertreter ist nach § 274 Abs 1 ABGB vorrangig mit deren Zustimmung die Person zu bestellen, die aus einer Vorsorgevollmacht, einer Vereinbarung einer gewählten Erwachsenenvertretung oder einer Erwachsenenvertreter‑Verfügung hervorgeht. Ist eine solche Person nicht verfügbar oder geeignet, so ist nach Abs 2 leg cit mit deren Zustimmung eine der volljährigen Person nahestehende und für die Aufgabe geeignete Person zu bestellen. Kommt auch eine solche Person nicht in Betracht, so ist nach Abs 3 leg cit ein Erwachsenenschutzverein – mit seiner Zustimmung – zu bestellen. Ist auch die Bestellung eines solchen nicht möglich, so ist nach Abs 4 leg cit ein Notar (Notariatskanditat) oder Rechtsanwalt (Rechtsanwaltsanwärter) oder mit deren Zustimmung eine andere geeignete Person zu bestellen.

[17] Ein Notar (Notariatskanditat) oder Rechtsanwalt (Rechtsanwaltsanwärter) ist nach § 274 Abs 5 ABGB vor allem dann zu bestellen, wenn – wie hier – die Besorgung der Angelegenheiten vorwiegend Rechtskenntnisse erfordert, ein Erwachsenenschutzverein vor allem dann, wenn sonst besondere Anforderungen mit der Erwachsenenvertretung verbunden sind.

[18] Der in der unwirksamen Vorsorgevollmacht angeführte Vorsorgebevollmächtigte soll nach dem Wunsch der Betroffenen zum Erwachsenenvertreter bestellt werden. Dieser verneint bis heute, dass die Entscheidungsfähigkeit der Betroffenen trotz ihrer kognitiven Beeinträchtigung eingeschränkt ist und war. Er trat Anfang 2021 erstmals ins Leben der 93‑jährigen Betroffenen und wurde von ihr bereits im Frühjahr 2021 letztwillig bedacht. Die Betroffene war aufgrund starker Beeinflussbarkeit, die den Grad einer pathologischen Suggestibilität erreicht, bereits im Februar 2021 nicht mehr fähig, eine ihr nahestehende Person als Erwachsenenvertreter zur Besorgung ihrer Angelegenheiten auszuwählen.

[19] Von diesen Feststellungen ausgehend sahen die Vorinstanzen – im Hinblick auf das im Mittelpunkt der Entscheidung über die Auswahl des Erwachsenenvertreters stehende Wohl der betroffenen Person (RS0123297 [T6]) – die von der Betroffenen gewählte Person nicht als geeignet an, sondern bestellten einen Rechtsanwalt zum Erwachsenenvertreter. Darin liegt keine vom Obersten Gerichtshof im Interesse der Rechtssicherheit aufzugreifende Fehlbeurteilung.

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