OGH 1Ob2330/96w

OGH1Ob2330/96w28.1.1997

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr.Schlosser als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr.Schiemer, Dr.Gerstenecker, Dr.Rohrer und Dr.Zechner als weitere Richter in der Pflegschaftssache des mj. Alexander P*****, geboren am 2.November 1986, und der mj. Barbara P*****, geboren am 30.März 1988, beide vertreten durch den Magistrat der Stadt Wien als Unterhaltssachwalter, infolge außerordentlichen Revisionsrekurses des Vaters Ing.Gebhard F*****, gegen den Beschluß des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 16.April 1996, GZ 44 R 1034/95z, 1035/95x‑115 (ex 44 R 317/95, 318/95) im Teilakt Unterhalt, womit der Beschluß des Bezirksgerichts Favoriten vom 23.März 1995, GZ 6 P 139/88‑106 im Teilakt Unterhalt, teils bestätigt und teils abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung folgenden

Beschluß

gefaßt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:1997:0010OB02330.96W.0128.000

 

Spruch:

Dem außerordentlichen Revisionsrekurs wird teilweise Folge gegeben. Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden im Ausspruch über die Bestimmung des Unterhalts für beide Kinder für den Zeitraum ab 1.März 1995 aufgehoben. Dem Erstgericht wird insoweit eine neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufgetragen.

Im übrigen wird dem Rechtsmittel nicht Folge gegeben.

 

Begründung:

 

Der Vater war aufgrund des Vergleichs vom 13.März 1991 zur Leistung von monatlichen Unterhaltsbeiträgen von je 2.500 S für seine beiden in Obsorge ihrer Mutter befindlichen Kinder verpflichtet. Aufgrund von Anträgen des Vaters auf Unterhaltsherabsetzung und der Kinder auf Unterhaltserhöhung setzte das Erstgericht im ersten Rechtsgang mit Beschluß vom 13.Oktober 1994 die Unterhaltspflicht ab 1.Jänner 1992 bis auf weiteres neu fest. Das Rekursgericht bestimmte mit rechtskräftigem (hg 1 Ob 1531/95), teilweise abänderndem Beschluß vom 20.Dezember 1994 den Unterhalt für beide Kinder für den Zeitraum vom 1.Jänner 1992 bis 31.Juli 1994, hob den erstgerichtlichen Beschluß im Ausspruch über den Unterhaltsbemessungszeitraum ab 1.August 1994 auf und trug dem Erstgericht in diesem Umfang die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung auf. Der Vater habe vorgebracht, ohne sein Verschulden von seinem letzten Arbeitgeber zum 22.Juli 1994 neuerlich gekündigt worden zu sein. Das Erstgericht werde daher zu ermitteln haben, aus welchen Gründen das letzte Arbeitsverhältnis des Vaters gekündigt worden sei, ob ihm eine die Anwendung des Anspannungsgrundsatzes rechtfertigende Obliegenheitsverletzung anzulasten bzw welche Unterhaltsbemessungsgrundlage ab 1.August 1994 heranzuziehen sei.

Im zweiten Rechtsgang hat das Erstgericht den monatlichen Unterhaltsbeitrag des Vaters für beide Kinder für den Zeitraum vom 1.August 1994 bis einschließlich 31.Juli 1995 mit je 2.180 S festgesetzt und dazu festgestellt, daß den Vater keine weiteren Sorgepflichten träfen, er aus Gründen der Rationalisierung und Umstellung des Betriebs seines vormaligen Arbeitgebers seinen Arbeitsplatz verloren habe und vom 6.August 1994 bis 4.August 1995 Notstandshilfe von monatlich netto rund 12.800 S bezogen habe.

Das Gericht zweiter Instanz gab dem Rekurs des Vaters nicht, wohl aber dem der Kinder Folge und änderte den erstgerichtlichen Beschluß dahin ab, daß der monatliche Unterhaltsbeitrag des Vaters ab 1.März 1995 bis auf weiteres auf 3.300 S für den Sohn und auf 3.700 S für die Tochter erhöht wurde. Der ordentlichen Revisionsrekurs erachtete das Rekursgericht als nicht zulässig. In rechtlicher Hinsicht vertrat es im wesentlichen die Auffassung, für die Zeit bis Ende Februar 1995 sei die Unterhaltsbemessung durch die erste Instanz zutreffend. Die vom Vater als Abzug von der Unterhaltsbemessungsgrundlage eingewendeten Kreditraten für einen Wohnungssanierungskredit seien bereits bei der letzten Unterhaltsbemessung zu Recht nicht als Abzugsposten berücksichtigt worden, weil die derzeit vom Vater benutzte Wohnung schon seit 1964 von der Familie benützt worden und dem Vater schon während seiner Lebensgemeinschaft mit der Mutter als Zweitwohnung zur Verfügung gestanden sei; eine periodisch notwendige Wohnungssanierung infolge altersbedingter Abnutzung bilde keinen Abzugsposten von der Unterhaltsbemessungsgrundlage. Der Vater sei, wie von den Kindern beantragt, ab 1.März 1995 anzuspannen. Nach der Aktenlage habe der Vater eine Lehre als Reprofotograf absolviert und die HTL, Fach Reproduktions- und Drucktechnik, mit Matura abgeschlossen. In der Folge sei er in Druckereibetrieben beschäftigt und als Reprofotograf und Journalist tätig gewesen. Dauernde gesundheitsbedingte Einschränkungen der Erwerbsfähigkeit seien nicht aktenkundig und vom Vater auch nicht behauptet worden. Nach dem „schlüssigen und unbedenklichen“ Gutachten des vom Erstgericht - im ersten Rechtsgang - beigezogenen berufskundlichen Sachverständigen sei der Vater auf Grund seiner beruflichen Qualifikation und Erfahrung für Berufstätigkeiten als technischer Angestellter (Reprotechniker) im graphischen Gewerbe, Drucker und Offsetmontierer sowohl über Einschaltung der Arbeitsmarktverwaltung als auch durch Setzung von Eigeninitiativen vermittelbar. Bei einer möglichen Erwerbstätigkeit als technischer oder kaufmännischer Angestellter im graphischen Gewerbe hätte der Vater seit 1994 ein durchschnittliches Nettoeinkommen inklusive anteiliger Sonderzahlungen von rund 21.900 S monatlich erzielen können.

Der außerordentliche Revisionsrekurs des Vaters ist zulässig und teilweise berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

a) Nach ständiger Rechtsprechung bildet die Verletzung des rechtlichen Gehörs - wie sich aus Art 6 Abs 1 MRK und aus § 477 Abs 1 Z 4 ZPO ergibt - auch im Außerstreitverfahren eine Nichtigkeit, wenn einer Partei Verfahrensvorgänge, die erkennbar für sie wesentliche Tatsachen betreffen, nicht bekanntgegeben wurden und ihr damit die Möglichkeit entzogen wurde, dazu, und sei es auch schriftlich - zumindest in einem Rekurs -, Stellung zu nehmen (zuletzt 7 Ob 597/94 mwN, teilweise veröffentlicht in EFSlg 76.337, RIS‑Justiz RS0005982). Von dieser ihm hier eingeräumten Möglichkeit machte der Rechtsmittelwerber Gebrauch.

b) Die Ausführungen des Rechtsmittels zur Notwendigkeit, seine Mietwohnung unter Zuhilfenahme von Fremdmitteln zu renovieren und der damit im Zusammenhang stehenden Berücksichtigung von Kreditrückzahlungsraten erachtet der erkennende Senat als nicht stichhältig. Diese Einwände wurden schon im ersten Rechtsgang geprüft.

c) Die Hauptbeschwerdepunkte des Rechtsmittels betreffen neben Neuerungen eine mit verschiedenen Argumenten ausgeführte Bekämpfung der von der zweiten Instanz aufgrund eines - von dieser als schlüssig und unbedenklich (S 7 oben der Beschlußausfertigung zweiter Instanz) beurteilten - berufskundlichen Sachverständigengutachtens angenommenen Vermittelbarkeit des unterhaltspflichtigen Vaters als technischer Angestellter im „graphischen Gewerbe“ mit einem monatlichen Nettoverdienst von 21.900 S und seiner daher zulässigen Anspannung. § 15 AußStrG idF der WGN 1989, welcher vollinhaltlich dem § 503 ZPO entspricht, macht deutlich, daß der Oberste Gerichtshof auch im Verfahren außer Streitsachen nicht Tatsacheninstanz sein soll, sondern nur wegen rechtlicher oder sonst aktenkundiger Fehler angerufen werden darf (991 BlgNR 17.GP, 5; Petrasch in ÖJZ 1989, 743; stRspr, zuletzt 1 Ob 507/96 = JBl 1996, 799 [Klicka] = ecolex 1996, 674, RIS‑Justiz RS007236). Nach ständiger Rechtsprechung gilt im Verfahren außer Streitsachen der Grundsatz der Unmittelbarkeit nicht (RZ 1983/62; SZ 54/124 uva), das Rekursgericht darf daher die aufgenommenen Beweise unabhängig von deren Würdigung durch das Erstgericht nach freier Überzeugung beurteilen (JBl 1996, 799 mwN; RIS‑Justiz RS0001958). Danach sprach allerdings der Oberste Gerichtshof durch einen verstärkten Senat in 6 Ob 650/93 (SZ 66/164) aus, daß das Rekursgericht auch in Verfahren, in denen der Grundsatz der Unmittelbarkeit nicht gilt, die vom Erstgericht unmittelbar aufgenommenen Beweise nicht umwürdigen darf. Obgleich das Außerstreitverfahren in dieser Entscheidung keine ausdrückliche Erwähnung fand, gelten deren grundsätzlichen Ausführungen nicht minder auch für diese Verfahrensart (JBl 1996, 799; Kodek in Rechberger, § 526 ZPO Rz 4 mwN). Eine solche Umwürdigung nahm hier die zweite Instanz in Ansehung des Sachverständigengutachtens nicht vor, sondern traf, ausgehend von einer anderen rechtlichen Beurteilung, erstmals aufgrund eines in erster Instanz im ersten Rechtsgang aufgenommenen Sachverständigengutachtens Feststellungen zur Anspannung des Vaters. Die mangelnde Geltung des Unmittelbarkeitsgrundsatzes ermöglicht es indes nur, daß der Richter seiner Entscheidung auch Beweise zugrundelegt, die er nicht selbst aufgenommen hat. Das Gericht muß aber die Beweiswürdigung darlegen und begründen, wenn es seine Entscheidung auf von ihm selbst oder auf über sein Ersuchen aufgenommene Beweise stützt und die Tatsachenfeststellungen mit dem Vorbringen oder zumindest dem Rechtsstandpunkt einer Partei im Widerspruch stehen (EFSlg 73.567). Mit den massiven Einwendungen des Vaters gegen das Gutachten (Stellungnahme ON 57) hat sich die zweite Instanz überhaupt nicht auseinandergesetzt; die Entscheidung enthält dazu faktisch nur die Leerformel, das Gutachten sei schlüssig und nachvollziehbar. Dieser Verfahrensmangel zweiter Instanz (§ 15 Z 2 AußStrG) müßte an sich zur Aufhebung der rekursgerichtlichen Entscheidung und Zurückverweisung der Rechtssache an die zweite Instanz führen, doch ist wegen des Vorliegens von Feststellungsmängeln zur verläßlichen Beurteilung, ob die Voraussetzungen für eine Anspannung des Vaters gegeben sind, eine Zurückverweisung der Rechtssache an die erste Instanz unumgänglich.

Für die Ermittlung der Unterhaltsbemessungsgrundlage stellt das Gesetz - mit Ausnahme des Einkommens des haushaltsführenden Ehegatten - nicht unmittelbar auf das tatsächliche Nettoeinkommen, sondern auf die potentielle Leistungsfähigkeit (§ 140 Abs 1 ABGB: „... nach ihren Kräften ...“) beider Teile ab, somit auf das bei entsprechender Kräfteanspannung erzielbare Einkommen. Einschränkend setzt die Rechtsprechung den Anspannungsgrundsatz nur als eine Art Mißbrauchsvorbehalt dort ein, wo schuldhaft (zuletzt 1 Ob 597/95 = ZfRV 1996, 80 = ÖA 1996, 96; RIS‑Justiz RS0047495) die zumutbare Erzielung deutlich höherer Einkünfte versäumt wird (Schwimann, Unterhaltsrecht 119 mwN). Nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs darf die Anspannung nicht zu einer bloßen Fiktion führen, sondern muß immer auf der hypothetischen Feststellung beruhen, welches reale Einkommen der Unterhaltspflichtige in den Zeiträumen, für die die Unterhaltsbemessung erfolgt, unter Berücksichtigung seiner konkreten Fähigkeiten und Möglichkeiten bei der gegebenen Arbeitsmarktlage zu erzielen in der Lage wäre (EFSlg 74.133 uva; RIS‑Justiz RS0047579). Das potentielle Einkommen aus der Anspannung wird nach einer den subjektiven Fähigkeiten und der objektiven Arbeitsmarktlage entsprechenden sowie zumutbaren Erwerbstätigkeit bemessen. Subjektive Fähigkeiten sowie Zumutbarkeit werden im wesentlichen durch Alter, berufliche Ausbildung, körperliche und geistige Verfassung sowie familiäre Belastung bestimmt; in diesem Rahmen sind die konkreten Erwerbschancen auf dem Arbeitsmarkt ausschlaggebend (Schwimann aaO 121). Hier fehlen Feststellungen dazu, daß auch ein 40jähriger, derzeit beschäftigungsloser Mann mit der Berufsausbildung und Erfahrung des Vaters eine Anstellung finden kann. Gerade die Frage des Alters spielt aber auf dem derzeit engen Arbeitsmarkt im „graphischen Gewerbe“ mit seinem revolutionären Umbruch eine entscheidende Rolle. Damit setzten sich der Sachverständiger und, ihm folgend, die zweite Instanz überhaupt nicht auseinander, abgesehen davon, daß das Gutachten vom 28.Jänner 1994 stammt.

Aus diesen Erwägungen ist spruchgemäß zu entscheiden.

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