OGH 7Ob597/94

OGH7Ob597/9431.8.1994

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Warta als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Niederreiter, Dr.Schwarz, Dr.Schinko und Dr.I. Huber als weitere Richter in der Pflegschaftssache der mj. Melanie C*****, infolge außerordentlichen Revisionsrekurses des Vaters Martin C*****, vertreten durch Dr.Alois Leyrer, Rechtsanwalt in Wien, gegen den Beschluß des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien vom 21.Dezember 1993, GZ 43 R 648/93-22, womit der Beschluß des Bezirksgerichtes Donaustadt vom 14.Juli 1993, GZ 1 P 91/93-16, teilweise abgeändert wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem außerordentlichen Revisionsrekurs wird Folge gegeben. Der angefochtene Beschluß und der Beschluß des Erstgerichtes werden aufgehoben. Die Sache wird an das Erstgericht zur Verfahrensergänzung und neuerlichen Entscheidung zurückverwiesen.

Text

Begründung

Nach der Aufhebung der ehelichen Gemeinschaft der Eltern (die Mutter zog im Jänner 1990 mit der jüngeren Tochter Julia, ***** aus der Ehewohnung aus) lebte auch die ältere Tochter, die minderjährige Melanie, ***** in der Zeit vom 1.Dezember 1991 bis 31.Juli 1992 im Haushalt der Mutter. Mit Beschluß des Bezirksgerichtes Innere Stadt Wien vom 20.Mai 1992 wurde die Obsorge dahin geregelt, daß Melanie in die Obsorge des Vaters, Julia hingegen in die Obsorge der Mutter eingewiesen wurde. Im Jahr 1990 schloß die Mutter das Studium der Elektrotechnik an der Technischen Universität Wien mit dem Titel Diplomingenieur ab. Im Jahr 1991 (bis Ende Februar 1992) verdiente die Mutter (auf Grund eines befristeten Dienstvertrages mit der Technischen Universität Wien) insgesamt S 111.712,30; im Jahr 1992 betrug der Verdienst laut Einkommenssteuererklärung S 66.900,50, nach den eigenen Angaben der Mutter (ON 8) jedoch (aus unselbständiger und selbständiger Arbeit und auf Grund der Arbeitslosenversicherung) ingesamt S 103.000 netto.

Auf Grund des Gehaltsschemas für Hochschullehrer (Stand 1.Jänner 1993) könnte die Mutter als Universitätsassistentin beziehungsweise Bundeslehrerin S 24.708, als Vertragslehrerin S 25.898 (jeweils monatlich brutto 14 mal im Jahr) erzielen; ein Diplomingenieur der Elektrotechnik kann in der Privatwirtschaft mit einem Anfangsgehalt von S 25.000 bis S 30.000 monatlich brutto (14 mal im Jahr) rechnen. Der kollektivvertragliche Lohn beträgt S 20.714.

Der Vater beantragte zuletzt (ON 12), der Mutter aufzutragen, zum Unterhalt der mj.Melanie ab 1.Jänner 1991 monatlich S 5.000 zu zahlen. Die Mutter könnte, ginge sie einer Ganztagsbeschäftigung in dem durch ihr abgeschlossenes Studium erlernten Beruf nach, monatlich durchschnittlich S 25.000 netto verdienen. Sie habe sich jedoch mit Halbtagsbeschäftigungen begnügt. Daß sich die weitere Tochter Julia in ihrer Obsorge befinde, bedeute keine Einschränkung ihrer Erwerbsfähigkeit weil dieses Kind den ganzen Tag über im Kindergarten sei. Die Mutter sei daher auf das ihrer Ausbildung entsprechende Einkommen anzuspannen. Das von der Mutter für das Jahr 1991 angenommene Einkommen treffe zwar zu. Im Jahr 1992 habe die Mutter aber bereits mehr verdient. Das tatsächlich erzielte Einkommen sei hier aber deshalb nicht von Bedeutung, weil die Mutter einer Ganztagsbeschäftigung hätte nachgehen müssen.

Die Mutter sprach sich gegen die beantragte Unterhaltsbemessung aus. Den aufgrund des in den Jahren 1991 und 1992 von ihr erzielten Einkommens zu ermittelnden Unterhaltsbetrag habe sie gezahlt. Sie sei nicht in der Lage, das vom Vater angegebene Einkommen zu erzielen. Ihre befristete Halbtagsbeschäftigung an der Technischen Universität Wien sei am 29.Februar 1992 ausgelaufen. Eine weitere Teilzeitbeschäftigung habe sie während der Zeit ihrer Meldung als Arbeitssuchende (vier Monate) nicht gefunden. Wegen der Sorgepflicht für die in ihrer Obsorge befindliche Tochter Julia sei ihr eine Ganztagsbeschäftigung auch nicht zumutbar.

In einem weiteren, beim Erstgericht am Tage vor seiner Beschlußfassung eingelangten, dem Vertreter der Minderjährigen nicht zugestellten Schriftsatz (ON 15) trug die Mutter noch vor, daß sie vermutlich im Herbst 1993 eine Ganztagsstelle an der Technischen Universität Wien erhalten werde. Dafür sei nach dem Gehaltsschema des Bundes eine weitaus geringere Entlohnung als S 25.000/Monat vorgesehen. In der Privatwirtschaft sei es ihr wegen der infolge Krankheit verstärkten Betreuungstätigkeit für die Tochter Julia nicht gelungen, eine Beschäftigung zu finden. Letztlich habe sie mit dem Vater aber vereinbart, daß sie nach dem Studium auch noch eine Dissertation schreibe; dafür sei der weitere enge Kontakt zur Universität erforderlich.

Das Erstgericht verpflichtete die Mutter, zum Unterhalt der mj.Melanie für die Zeit vom 1.Jänner 1991 bis 30.Juni 1991 einen monatlichen Betrag von S 1.400 (Punkt 1 lit a des Beschlusses des Erstgerichtes), für die Zeit vom 1.Juli 1991 bis 30.November 1991 einen monatlichen Betrag von S 1.600 (Punkt 1 lit b des Beschlusses des Erstgerichtes) und ab 1.August 1992 bis auf weiteres einen monatlichen Betrag von S 4.000 (Punkt 1 lit c des Beschlusses des Erstgerichtes) zu zahlen, und zwar die bis zur Rechtskraft dieses Beschlusses fälligen Beträge abzüglich der bisher geleisteten Unterhaltsbeträge (S 16.022,20 im Jahr 1991 und S 3.860 im Jahr 1992); das Mehrbegehren wies es hingegen ab (Punkt 2 des Beschlusses des Erstgerichtes). Für die Zeit vom Dezember 1991 bis Juli 1992, in der die Minderjährige im Haushalt der Mutter gelebt habe, habe die Mutter den Unterhalt bereits durch ihre Betreuungsleistungen erbracht. Im restlichen Jahr 1991 hätte die Mutter aber - auf Grund des erzielten Durchschnittseinkommens von rund S 9.300 - S 1.400 (bis zum 6.Geburtstag der Minderjährigen) bzw. S 1.600 (ab dem 6. Geburtstag) unter Heranziehung der sogenannten Prozentmethode (15 bzw. 17 %) zahlen müssen. Ab August 1992 habe die Mutter hingegen nur mehr ein Kind im eigenen Haushalt zu betreuen gehabt. Zumindest ab diesem Zeitpunkt hätte sie eine Ganztagsbeschäftigung annehmen müssen und aufgrund ihrer Fähigkeiten und ihrer Ausbildung ein monatliches Durchschnittseinkommen von S 23.500 netto erzielen können. Daraus ergebe sich ein Unterhaltsverpflichtung von monatlich S 4.000.

Das Rekursgericht bestätigte den von der Minderjährigen und von der Mutter angefochtenen Beschluß des Erstgerichtes in seinen Punkten 1 lit a, 1 lit b und 2 und änderte ihn im Punkt I lit c dahin ab, daß anstelle des Unterhaltsbetrages von S 4.000 der Betrag von S 1.500 zu treten habe und das weitere Mehrbegehren von S 2.500 ab 1.August 1992 abgewiesen werde; weiters sprach das Rekursgericht aus, daß der ordentliche Revisionsrekurs nicht zulässig sei. In rechtlicher Hinsicht führte das Rekursgericht folgendes aus:

Die Rekurse beider Teile beträfen die Frage der Anspannung der Mutter. Eine Anspannung habe im vorliegenden Fall aber nicht stattzufinden. Die Mutter, die die Dissertation anstrebe und halbtags als Universitätsassistentin tätig gewesen sei, diesen befristeten Posten jedoch verloren habe, stehe (daher) noch in Ausbildung. Im Jahr 1992 sei ihr - insbesondere auch wegen des Umstandes, daß sich die mj.Melanie vom November 1991 bis 1.August 1992 in ihrem Haushalt befunden habe - die Annahme einer Ganztagsbeschäftigung nicht zuzumuten gewesen. Darüberhinaus habe die Mutter Antworten auf Bewerbungsschreiben im Zeitraum vom Jahr 1991 bis zum Juli 1992 vorgelegt, aus denen ersichtlich sei, daß sie weder einen Posten angeboten erhalten noch einen solchen ausgeschlagen habe. Im Hinblick darauf und unter Berücksichtigung des Rekursvorbringens, daß sie ab Herbst 1993 eine Ganztagsstelle als Assistentin in Aussicht habe, erschienen sämtliche Voraussetzungen, die an die Mutter zur Erlangung einer Arbeitsstelle gestellt werden könnten, erfüllt; die Voraussetzungen für eine Anspannung in allen maßgebenden Unterhaltsperioden seien daher nicht gegeben. Punkt 1 lit a und lit b des Beschlusses des Erstgerichtes müßten daher bestätigt, Punkt 1 lit c hingegen dahin abgeändert werden, daß der Unterhaltsbetrag ab 1. August 1992 auf der Grundlage des tatsächlich erzielten Einkommens von monatlich durchschnittlich S 8.583 netto (das seien die als Einkommen deklarierten Einkünfte und die Arbeitslosenbezüge) bemessen werde. Damit nehme die Minderjährige angemessen an den derzeitigen Lebensverhältnissen der Mutter teil, welche sich erst nach Abschluß der Dissertation erheblich verbessern würden.

Rechtliche Beurteilung

Der dagegen von der Minderjährigen erhobene ao. Revisionsrekurs ist - entgegen dem nicht bindenden Ausspruch des Rekursgerichtes (§ 16 Abs 3 AußStrG iVm § 508 a ZPO) - zulässig im Sinne des § 14 Abs 1 AußStrG, weil das Rekursgericht neues Tatsachenvorbringen der Mutter über die Gründe, warum sie nach ihrer Sponsion zur Diplomingenieurin der Elektrotechnik keine Ganztagsbeschäftigung aufgenommen hat, berücksichtigt hat, obwohl dem Vater (als Vertreter der Minderjährigen) keine Gelegenheit geboten worden war, dazu Stellung zu nehmen:

Die Verletzung des rechtlichen Gehörs bildet - wie sich aus Art 6 Abs 1 MRK und aus § 477 Abs 1 Z 4 ZPO ergibt - auch im Außerstreitverfahren eine Nichtigkeit, wenn einer Partei Verfahrensvorgänge, die erkennbar für sie wesentliche Tatsachen betreffen, nicht bekanntgegeben wurden und ihr damit die Möglichkeit entzogen wurde, dazu - zumindest in einem Rekurs - Stellung zu nehmen (EFSlg 52.796; SZ 54/124; 4 Ob 510/88; 7 Ob 573/90; ÖBl 1993, 271). Eine solche Verletzung des rechtlichen Gehörs der Minderjährigen fällt - im Ergebnis - schon dem Erstgericht zur Last, weil es das insoweit neue Vorbringen der Mutter im Schriftsatz ON 15 über die Gründe, warum sie bisher keine Ganztagsbeschäftigung angenommen hat (insbesondere die ergebnislose Arbeitsplatzsuche, die wegen Erkrankung der Tochter Julia erforderliche verstärkte Betreuungstätigkeit, aber auch die Vereinbarung mit dem Vater, nach dem Studium auch noch eine Dissertation zu schreiben und deshalb noch den engen Kontakt zur Universität zu benötigen), der Minderjährigen nicht zur Kenntnis gebracht und ihr damit die Möglichkeit genommen hat, zu rechtserheblichem Tatsachenvorbringen Stellung zu nehmen. Alle Gründe wären aber - entgegen der offenbar vom Erstgericht vertretenen Rechtsansicht - für sich geeignet, die Anspannung der Mutter abzulehnen (vgl. zum zuletzt genannten Vorbringen ÖA 1993, 105). Fehlt allerdings eine Absprache mit dem - gut verdiendenen - Vater, eine Dissertation zu schreiben, dann hätte die Mutter noch zusätzlich nachzuweisen, daß sich die Erlangung des Doktorats günstig auf ihre künftigen Berufschancen auswirken könnte. Zu dem Vorbringen der Mutter konnte die Minderjährige aber auch nicht im Rekurs gegen den erstgerichtlichen Beschluß Stellung nehmen, weil es das Erstgericht - ausgehend von einer anderen Rechtsansicht - in seinem Beschluß nicht verwertet hat. Das Rekursgericht aber hat auf dieser - im Rekurs der Mutter noch ergänzten - Tatsachengrundelage entschieden und damit unbeschadet einer allfälligen Überschreitung der den Parteien durch § 10 AußStrG gewährten Befugnis, in Rekursen neue Umstände und Beweismittel anzuführen (vgl. EFSlg 44.518), einen weiteren Verstoß gegen das Recht der Minderjährigen auf rechtliches Gehör begangen.

Diese dadurch bewirkte Nichtigkeit wirkt sich somit auf die Entscheidungen beider Vorinstanzen aus, was zu ihrer Aufhebung und zur Zurückverweisung der Sache an das Erstgericht führen mußte. Das Erstgericht wird der Minderjährigen im fortgesetzten Verfahren Gelegenheit zu geben haben, zu dem angeführten Vorbringen der Mutter Stellung zu nehmen und nach allenfalls dann erforderlicher Ergänzung der Beweise die Frage der Anspannung der Mutter neuerlich zu beurteilen haben.

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