OGH 1Ob217/21z

OGH1Ob217/21z14.12.2021

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Univ.‑Prof. Dr. Bydlinski als Vorsitzenden sowie die Hofräte und die Hofrätin Mag. Wurzer, Mag. Dr. Wurdinger, Dr. Hofer‑Zeni‑Rennhofer und Dr. Parzmayr als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Mag. J*, vertreten durch Dr. Peter Karlberger und andere Rechtsanwälte in Wien, gegen die beklagte Partei L* GmbH, *, vertreten durch Dr. Martin Brenner und Dr. Martin Klemm, Rechtsanwälte in Baden, wegen 6.052,07 EUR sA, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Korneuburg als Berufungsgericht vom 25. März 2021, GZ 22 R 120/21h‑20, mit dem das Endurteil des Bezirksgerichts Schwechat vom 22. Dezember 2020, GZ 18 C 8/20t‑14, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:0010OB00217.21Z.1214.000

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die beklagte Partei hat die Kosten der Revisionsbeantwortung selbst zu tragen.

 

Begründung:

[1] Der Kläger, seine Ehegattin und das gemeinsame (damals 9‑jährige) Pflegekind verfügten über eine bestätigte Buchung für die von der Beklagten am 28. 10. 2018 von Wien‑Schwechat nach Marrakesch sowie am 1. 11. 2018 von Marrakesch nach Wien‑Schwechat durchzuführenden Flüge. Die Beklagte verweigerte ihnen am 28. 10. 2018 die Beförderung infolge Überbuchung dieses Flugs.

[2] Der Kläger begehrte von der Beklagten insgesamt 6.052,97 EUR. Er machte für sich, für seine Ehegattin und das Kind eine Ausgleichszahlung in der Höhe von jeweils 400 EUR nach Art 7 Abs 1 lit b der Verordnung (EG) Nr 261/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Februar 2004 über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr 295/91 (im Weiteren kurz Fluggastrechte‑Verordnung), die Rückerstattung restlicher Flugscheinkosten von 323,70 EUR nach Art 8 Abs 1 lit a Fluggastrechte‑Verordnung, Ersatz für frustrierte Hotel- und Taxikosten von 529,27 EUR sowie Verdienstentgang von 4.000 EUR geltend.

[3] Aufgrund des Anerkenntnisses der Beklagten über 800 EUR an Ausgleichsanspruch für den Kläger und seine Ehegattin fällte das Erstgericht ein (in Rechtskraft erwachsenes) Teilanerkenntnisurteil. Darüber hinaus sprach es dem Kläger mit Endurteil (nur mehr) Zinsen aus dem anerkannten Betrag von 800 EUR zu, wies das Mehrbegehren von 5.252,97 EUR aber ab.

[4] Das Berufungsgericht bestätigte das Endurteil und sprach aus, die ordentliche Revision sei zulässig, weil Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zu den Ansprüchen im Falle einer Nichtbeförderung nach Art 4 Fluggastrechte‑Verordnung fehle.

Rechtliche Beurteilung

[5] Dagegen richtet sich die Revision des Klägers, die als absolut unzulässig zurückzuweisen ist:

[6] 1. Mehrere in der Klage geltend gemachte Forderungen bilden nur dann einen einheitlichen Entscheidungsgegenstand des Berufungsgerichts, wenn die Voraussetzungen des § 55 Abs 1 JN vorliegen (RIS‑Justiz RS0053096). Diese Bestimmung ist als Ausnahme vom Grundsatz der Nichtzusammenrechnung anzusehen (RS0122950).

[7] 2. Der Ersatz nach Art 7 Abs 1 lit b Fluggastrechte‑Verordnung soll insbesondere den immateriellen Schaden abdecken, der dem Fluggast durch Nichtbeförderung und Annulierung oder Verspätung des Flugs entstanden ist (vgl zum dadurch verursachten „Ärgernis“ und den „großen Unannehmlichkeiten“ der Fluggäste ErwGr 2 und 12 der Fluggastrechte‑Verordnung sowie EuGH C‑581/10 und C‑629/10 , Nelson und TUI Travel, ECLI:EU:C:2012:657 Rn 72 mwN; siehe insbesondere auch Rn 49 ff dazu, dass der durch Verspätung entstandene Zeitverlust allen Fluggästen in gleicher Weise entsteht, ein solcher Zeitverlust kein „infolge Verspätung entstandener Schaden“ ist, der durch das Übereinkommen von Montreal abgedeckt ist, sondern eine von allen Fluggästen in gleicher Weise erlittene Unannehmlichkeit und die Ausgleichspflicht nach der Fluggastrechteverordnung insoweit ergänzend ist).

[8] Die Verordnung selbst nimmt (zu ihrem Anwendungsbereich) bloß auf die (bestätigte) Buchung der Fluggäste (Art 3 Abs 2 lit a und b) Bezug. Wenn nach ihrem Art 9 „den Fluggästen“ Betreuungsleistungen anzubieten sind und dazu in den Leitlinien der Kommission für die Auslegung dieser Verordnung auch auf die Bedürfnisse von Kindern ohne Begleitung (für die im typischen Fall der Vertrag über ihren Flug von ihrem gesetzlichen Vertreter im eigenen Namen abgeschlossen wird) verwiesen wird (C/2016/3502, ABl 2016/C 214 vom 15. 6. 2016 Pkt 4.3.2.), kann es keinem Zweifel unterliegen, dass dieser Ausgleich für immateriellen Schaden derjenigen Person (als „Fluggast“) zusteht, auf den die „bestätigte Buchung“ lautet – für die also in der Regel ein Flugschein ausgestellt wurde (Art 2 lit g der VO) – und die von der Nichtbeförderung oder Verspätung betroffen ist (Hopperdietzel in Schmid, BeckOK, Fluggastrechte‑Verordnung20 Art 2 Rz 99 mwN; Schmid in Schmid aaO Art 3 Rz 20; Maruhn in Schmid aaO Art 7 Rz 50 f; Tonner in Münchnner Kommentar zum BGB8 [2020] § 651y Rz 29; Leitl, Die VO [EG] Nr. 261/2004. Die Rechte der Fluggäste – ein Leitfaden für die Praxis [Teil I], RZ 2012, 170 [171 FN 7]; dazu, dass nicht auf die vertragliche Beziehung zum befördernden Unternehmen abgestellt wird, etwa BGH 30. 4. 2009, Xa ZR 79/08 unter Hinweis auf Art 2 lit b der Fluggastrechte‑Verordnung).

[9] 3. Über bestätigte Buchungen verfügten hier (jeweils) der Kläger, seine Ehegattin und das Pflegekind. Der Kläger brachte vor, seine Gattin und das Pflegekind hätten ihre Ansprüche auf Ausgleichszahlung an ihn abgetreten. Die Vorlage einer schriftlichen Zessionsvereinbarung hielt er zuerst deshalb für nicht notwendig, weil die Beklagte die Ansprüche des Kindes und seiner Frau anerkannt habe. Später (nach dem im Verfahren abgegebenen Anerkenntnis [nur] die Ansprüche des Klägers und der Ehegattin und dem vom Gericht erteilten Auftrag die pflegschaftsgerichtliche Genehmigung der Abtretung vorzulegen) legte er dar, es seien die Abtretungserklärung und deren pflegschaftsgerichtliche Genehmigung nicht erforderlich, da er deswegen, weil er alle Verträge abgeschlossen habe und mit der Wahrnehmung der Pflege und Erziehung des Minderjährigen betraut sei, auch berechtigt sei, die Ausgleichszahlung für sein Pflegekind geltend zu machen. Der Wert der Ausgleichszahlung von 400 EUR sei gering. Dem Kind könne (wegen der von einem Prozessfinanzierer erteilten Zusage der Abdeckung der Kosten im Falle eines Prozessverlusts) durch die Klageführung kein Nachteil erwachsen.

[10] Der Kläger macht mit seiner Klage also originär mehreren Personen zustehende (Ausgleichs-)Ansprüche geltend. Diese sind (auch wenn sie, etwa nach Abtretung, im Prozess nur von einer Person eingeklagt werden; vgl RS0110982 [T2]) nur dann zusammenzurechnen, wenn diese Personen Streitgenossen nach § 11 Z 1 ZPO, also materielle Streitgenossen, wären. Dass (oder welcher) Fall dieser Bestimmung hier vorläge, hat der Kläger nicht dargetan. Die im Berufungsverfahren noch relevanten Ansprüche, nämlich der Ausgleichsanspruch des Kindes und die Ansprüche des Klägers auf Verdienstentgang, Ticket- und Stornokosten sowie frustrierte Taxikosten sind, weil die beiden keine materiellen Streitgenossen sind (vgl RS0110982) nicht zusammenzurechnen. Daran kann auch der Vertragsabschluss durch den Kläger nichts ändern (vgl zum Ersatz für entgangene Urlaubsfreude sowie von Mehrkosten bzw frustrierten Kosten, die mehreren Familienmitgliedern durch den aus einer Flugverspätung resultierenden verspäteten Antritt einer Kreuzfahrt erwuchsen – ebenfalls bei Vertragsschluss [allein] durch den Ehemann und Vater – 2 Ob 55/20g = RS0053096 [T23] = RS0110982 [T9]).

[11] 4. Die Revisionszulässigkeit ist demnach für jeden einzelnen Entscheidungsgegenstand gesondert zu beurteilen (vgl RS0130936; RS0042642). Da keiner der Entscheidungsgegenstände 5.000 EUR überstieg, ist die Revision gemäß § 502 Abs 2 ZPO jedenfalls unzulässig.

[12] 5. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 40 und 50 Abs 1 ZPO. Die Beklagte hat zwar in ihrer Revisionsbeantwortung eingewendet, es sei die Revision des Klägers nicht zulässig. Sie bezog sich dabei aber nur auf das Fehlen einer erheblichen Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO, nicht aber auf die absolute Unzulässigkeit der Revision mangels Überschreitung der Wertgrenze. Ihr Schriftsatz ist daher nicht als zweckentsprechende Rechtsverteidigungs‑maßnahme anzusehen (RS0035979 [T23, T26]).

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