OGH 1Ob209/98m

OGH1Ob209/98m29.9.1998

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schlosser als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schiemer, Dr. Gerstenecker, Dr. Rohrer und Dr. Zechner als weitere Richter in der Verlassenschaftssache nach der am 24. Dezember 1997 verstorbenen Margherita D*****, zuletzt wohnhaft in *****, infolge Revisionsrekurses des Jens Peter D*****, vertreten durch Dr. Peter Posch und Dr. Ingrid Posch, Rechtsanwälte in Wels, gegen den Beschluß des Landesgerichts Wels als Rekursgerichts vom 4. März 1998, GZ 22 R 69/98y-24, womit infolge Rekurses des Revisionsrekurswerbers der Beschluß des Bezirksgerichts Wels vom 22. Jänner 1998, GZ 1 A 13/98f-13, bestätigt wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.

Text

Begründung

Die Erlasserin, für die seit 6. April 1995 ein Sachwalter gemäß § 273 ABGB bestellt war, hinterließ ein fremdhändiges Testamt vom 5. April 1991 in gesetzmäßiger Form und setzte darin ihre Enkelkinder Karoline, geboren am 8. April 1972, und Barbara, geboren am 5. November 1973, je zur Hälfte als Erben ihres gesamten Nachlasses ein. Ihren Sohn Jens, geboren am 14. April 1940, den Vater der Testamentserben, enterbte sie, „weil er seine aus dem Rechtsverhältnis zwischen Eltern und Kindern sich ergebenden Pflichten ... gröblich vernachläßigt“ habe und daher des Erbrechts gemäß § 540 ABGB unwürdig sei.

Diese letztwillige Verfügung wurde am 30. Dezember 1997 kundgemacht. Am selben Tag beantragte der Sohn der Erblasserin die Versiegelung des Nachlaßvermögens, weil er die Verschleppung eigener Sachen befürchtete. Diesem Begehren wurde noch am Nachmittag des 30. September 1997 entsprochen. Überdies hatte die Sachwalterin der Erblasserin dem Gerichtskommissär alle Hausschlüssel und ein Sparbuch als Teil des Nachlaßvermögens ausgefolgt. Im Zuge der Versiegelung erklärte der Sohn der Erblasserin dem Gerichtskommissär, er bestreite das „Vorliegen von Enterbungsgründen“, nehme jedoch sonst zur Testamentsgültigkeit derzeit nicht Stellung und verzichte auf die Aufnahme eines genauen Inventars. Zum Verkehrswert der Wohnungseinrichtung der Erblasserin existiert ein Schätzgutachten.

Am 9. Jänner 1998 beantragten die von der Erblasserin als Erben eingesetzten Personen die schriftliche Abhandlungspflege, die gerichtliche Annahme ihrer unbedingten Erbserklärungen aufgrund des Testaments je zur Hälfte des gesamten Nachlasses, ihr Erbrecht als ausgewiesen anzusehen, ihnen die Besorgung und Verwaltung der Verlassenschaft zu übertragen, eine Bank über ihr freies Verfügungsrecht in Ansehung einer Spareinlage und eines Wertpapierdepots der Erblasserin zu verständigen und die am 30. Dezember 1997 angeordnete Versiegelung des Nachlaßvermögens aufzuheben. Letzteres sei ohnehin genau dokumentiert und es seien zur Vermeidung von Nachteilen verschiedene Handlungen vorzunehmen und Vorkehrungen zu treffen.

Das Erstgericht gab den Anträgen der Testamtenserben „vorbehaltlich der Rechtskraft“ seines Beschlusses statt. Nach seiner Ansicht ist erbserklärten Erben aufgrund eines hinreichenden Erbrechtsausweises und mangels widerstreitender Erbserklärungen die Besorgung und Benützung des Nachlasses zu überlassen. Diese Voraussetzungen seien nach der Aktenlage erfüllt, weil der Sohn der Erblasserin keine Erbserklärung abgegeben habe. Es bedürfe nicht mehr der Aufrechterhaltung der Versiegelung des Nachlaßvermögens, seien doch am 30. Dezember 1997 im Wohnhaus der Erblasserin keine letztwilligen Verfügungen, Wertpapiere und Wertsachen, sondern bloß Schmuck geringen Werts vorgefunden worden.

Dieser Beschluß wurde dem Sohn der Erblasserin am 27. Jänner 1998 zugestellt.

Das Gericht zweiter Instanz bestätigte diese Entscheidung, obgleich der Sohn der Erblasserin beim Erstgericht am 4. Februar 1998 - also nach Erlassung des angefochtenen Beschlusses, aber noch vor der Rekursentscheidung - eine bedingte Erbserklärung zum gesamten Nachlaß aufgrund des Gesetzes überreicht hatte. Es sprach ferner aus, daß der Wert des Entscheidungsgegenstands 260.000 S übersteige und der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei. In rechtlicher Hinsicht erwog es, daß im Falle widersprechender Erbserklärungen keinem der Erbansprecher die Besorgung und Verwaltung des Nachlasses zu übertragen sei. Die Überprüfung des angefochtenen Beschlusses habe jedoch nach der Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Entscheidung zu erfolgen. Die nachträgliche Abgabe einer widersprechenden Erbserklärung sei als Neuerung im Rekursverfahren unbeachtlich. Nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs bleibe demgemaß die infolge eines zureichenden Erbrechtsausweises vorher schon anderen Erbansprechern übertragene Besorgung und Verwaltung des Nachlasses aufrecht. Das Verfahren erster Instanz wäre nur dann mangelhaft, wenn der Sohn der Erblasserin gemäß den §§ 116 und 120 AußStrG zur Abgabe einer Erbserklärung vor der Beschlußfassung aufzufordern gewesen wäre. Dazu habe deshalb keine Veranlassung bestanden, weil jener bis zur Erlassung des angefochtenen Beschlusses nicht zum Ausdruck gebracht habe, „sein gesetzliches Erbrecht - unter Bestreitung der Gültigkeit des Testaments vom 5. April 1991 - geltend machen zu wollen“. Der Rekurswerber sei „wegen der testamentarischen Erbfolge und Fehlens begründeter Zweifel an der Gültigkeit des Testaments nicht 'vermutlicher Erbe' im Sinne des § 75 AußStrG“ und daher nicht zur Abgabe einer Erbserklärung gemäß § 75 Abs 1 und § 116 Abs 1 AußStrG aufzufordern gewesen. Der Sohn der Erblasserin habe im Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Beschlusses nur die Rechtsstellung eines „potentiellen Noterben“ gehabt, sodaß es ihm auch an einem „Zustimmungsrecht zur schriftlichen Abhandlungspflege“ gefehlt habe. Weil die Voraussetzungen einer Überlassung der Verwaltung und Besorgung des Nachlasses an die Testamentserben erfüllt gewesen seien und ohnehin eine ausreichende Dokumentation des Verlassenschaftsvermögens vorliege, bedürfe es ferner nicht mehr der Aufrechterhaltung der Nachlaßversiegelung. Auch die Einräumung der Verfügungsmöglichkeit der erbserklärten Testamentserben über eine Spareinlage und ein Wertpapierdepot sei nicht zu beanstanden.

Der ordentliche Revisionsrekurs sei zulässig, weil zu einem vergleichbaren Sachverhalt keine jüngere höchstgerichtliche Rechtsprechung existiere und eine erhebliche Rechtsfrage im Sinne des § 14 Abs 1 AußStrG auch in der Frage zu erblicken sei, ob ein testamentarisch enterbter gesetzlicher Erbe vor der Beschlußfassung zwecks Übertragung der Besorgung und Verwaltung des Nachlasses an erbserklärte Testamentserben zu einer Erklärung über die allfällige Geltendmachung seines gesetzlichen Erbrechts unter Bestreitigung der Testamentsgültigkeit aufzufordern und demzufolge gemäß den §§ 116 und 120 AußStrG vorzugehen sei.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist unzulässig.

Daß das Testament der Erblasserin vom 5. April 1991 den gesetzlichen Formerfordernissen genügt, wird vom Revisionsrekurswerber in Wahrheit nicht in Frage gestellt. Er bestreitet lediglich das Vorliegen eines Enterbungsgrunds und offenkundig auch die Testierfähigkeit der Erblasserin.

Der Oberste Gerichtshof judiziert in ständiger Rechtsprechung, daß erbserklärten Testamentserben, deren Erbrecht - wie hier - hinreichend ausgewiesen ist, gemäß § 810 ABGB und § 145 AußStrG die Besorgung und Verwaltung der Verlassenschaft zu überlassen ist. Daran kann die widersprechende Erbserklärung eines anderen Erbansprechers erst nach einer solchen Beschlußfassung nichts mehr ändern (8 Ob 630/87; RZ 1967, 108 [referierend ohne Ablehnung]; EvBl 1950/434; 1 Ob 718/52 ua). Dem wird im Schrifttum zugestimmt (Welser in Rummel, ABGB2 Rz 26 zu § 810; Eccher in Schwimann, ABGB2 Rz 16 zu § 810).

Ein hinreichender Erbrechtsausweis wird bereits mittels einer formgültigen letztwilligen Verfügung erbracht (NZ 1995, 278 = EFSlg 79.764; 8 Ob 630/87), während ein testamentarisch enterbter gesetzlicher Erbe seinen Erbrechtstitel erst durch den Nachweis der Ungültigkeit der letztwilligen Verfügung bzw den des Nichtvorliegens des angeführten Enterbungsgrunds gehörig ausweist (SZ 43/193).

Die Beseitigung der Rechtswirkungen des Überlassungsbeschlusses durch Anordnung einer gerichtlichen Nachlaßsequestration gemäß § 127 Abs 2 AußStrG wäre im Falle einer späteren widersprechenden Erbserklärung - im Einklang mit der Lehre (Welser in Rummel, ABGB2 Rz 26 zu § 810) - nur im Wege der Erlassung einer einstweiligen Verfügung möglich (8 Ob 630/87; SZ 25/204). Dem Beisatz des Erstgerichts "vorbehaltlich der Rechtskraft dieses Beschlusses" kommt im erörterten Zusammenhang keine Bedeutung zu.

Der erkennende Senat sieht sich nicht veranlaßt, von diesen Rechtsprechungsgrundsätzen abzugehen.

Im übrigen ist der Rechtsmittelwerber zur Anwendung des § 75 Abs 1 und des § 116 Abs 1 AußStrG darauf zu verweisen, daß es nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs bei Vorliegen eines - wie hier - unbedenklichen formgültigen Testamtents keiner Aufforderung gesetzlicher Erben zur Abgabe einer Erbserklärung bedarf (7 Ob 544/87; SZ 43/179; SZ 40/135; SZ 25/190). Auch daran ist festzuhalten.

Auch sonst vermag der Rechtsmittelwerber keine erhebliche Rechtsfrage im Sinne des § 14 Abs 1 AußStrG aufzuzeigen. Nach den hier maßgeblichen Umständen des Einzelfalls ist in der Aufhebung der Versiegelung des Nachlaßvermögens und in der Einräumung des Verfügungsrechts über „Kapitalien“ im Sinne des § 145 Abs 2 AußStrG an gehörig ausgewiesene Testamentserben, denen die Besorgung und Verwaltung der Verlassenschaft übertragen wurde, zumindest keine gravierende Fehlbeurteilung zu erblicken, die im Interesse der Wahrung der Rechtssicherheit eine Korrektur durch den Obersten Gerichtshof erforderte. Was die Genehmigung der schriftlichen Abhandlungspflege betrifft, ist der Rechsmittelwerber auf den Beschluß vom 6. Februar 1998 (ON 16) zu verweisen, wonach das Verlassenschaftsgericht seine bedingte Erbserklärung aufgrund des Gesetzes zum gesamten Nachlaß annahm und sein Erbrecht als ausgewiesen ansah, ihm die Klägerrolle im Erbrechtsstreit zuwies und den Nachweis der Einbringung der Erbrechtsklage binnen vier Wochen auftrug sowie weiters anordnete, daß „mit der Verlassenschaftsabhandlung“ nur im Falle des Unterbleibens eines solchen Nachweises „ohne Berücksichtigung seiner Erbansprüche vorgegangen werden wird“.

Der Revisionsrekurs ist somit mangels einer erheblichen Rechtsfrage, von deren Lösung die Entscheidung abhinge, zurückzuweisen. Dabei ist hervorzuheben, daß der Oberste Gerichtshof gemäß § 16 Abs 3 AußStrG an den Ausspruch des Gerichts zweiter Instanz über die Zulässigkeit des ordentlichen Revisionsrekurses nicht gebunden ist.

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