European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0010OB00200.23B.0408.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)
Spruch:
Der außerordentlichen Revision der beklagten Partei wird nicht Folge gegeben.
Hingegen wird der außerordentlichen Revision der klagenden Partei Folge gegeben. Die angefochtene Entscheidung wird dahin abgeändert, dass sie als Zwischenurteil insgesamt wie folgtlautet:
Das Klagebegehren des Inhalts, die beklagte Partei sei schuldig, der klagenden Partei 7.021.143,71 EUR samt 8,58 % Zinsen seit 3. 10. 2017 zu zahlen, und es werde festgestellt, dass die beklagte Partei der klagenden Partei für zukünftige Ansprüche aus der fehlerhaften Beratung im Zusammenhang mit der Honorarverrechnung für die Wertgutachten in den Jahren 2007 und 2008 zu haften habe, ist nicht verjährt.
Die Kostenentscheidung bleibt der Endentscheidung vorbehalten.
Entscheidungsgründe:
[1] Die Klägerin macht als Rechtsnachfolgerin der V* AG (idF: V* alt) einen auf mangelhafte Beratung gestützten Schadenersatzanspruch gegen die beklagte Rechtsanwaltsgesellschaft geltend. Geschäftsführer der Klägerin sind derzeit Mag. * P* und Dr. * R*. P* war ab 2000 bis jedenfalls Mai 2015 Mitglied des Vorstands der V* alt, R* war dort ab Juni 2001 Prokurist. Gegenstand des Revisionsverfahrens ist einerseits die von der Beklagten eingewendete Verjährung (Revision der Beklagten) und andererseits die Frage, ob eine über die Klägerin nach dem VbVG verhängte Geldbuße im Weg des Schadenersatzes auf die Beklagte überwälzt werden kann (Revision der Klägerin). Dem liegt folgender Sachverhalt zugrunde:
[2] Die V* alt hatte für eine Holdinggesellschaft ein Wertgutachten („Fairness‑Opinion“) erstellt, das diese für die Veräußerung von Anteilen an einer Bank (H*) benötigte. Gemäß einer „Zweiparteienvereinbarung“ vom Mai 2007 zwischen einer Aktionärin der H* und der V* alt sollte die Aktionärin das Honorar für die „Fairness‑Opinion“ von 3,8 Mio EUR tragen. Gleichzeitig wurde eine „Dreiparteienvereinbarung“ zwischen dieser Aktionärin, der V* alt und der H* geschlossen, wonach sich die H* zur Zahlung dieser Summe gegenüber der V* alt verpflichtete, während die V* alt der H* ihre Forderung gegen die Aktionärin abtrat. Die beiden Vereinbarungen wurden durch den Rechtsanwalt Dr. * L* verfasst, der von 2003 bis 2014 Gesellschafter und Geschäftsführer der Beklagten war; er agierte als Berater.
[3] Nach Rechnungslegung an die H* teilte deren Vorstand dem Vorstand der V* alt P* mit, die offene Forderung werde nur dann bezahlt, wenn sie auf drei an Konzerngesellschaften der H* gelegte Teilrechnungen (idF: Scheinrechnungen) aufgeteilt und die zuvor geschlossenen Vereinbarungen aufgelöst würden. P* stimmte dem letztlich zu und beauftragte R* mit der Durchführung der Abrechnung, der diesbezüglich im Jänner 2008 mit L* Rücksprache hielt. Die Zweiparteienvereinbarung und die Dreiparteienvereinbarung wurden im Dezember 2007 einvernehmlich aufgelöst. R* war operativ in die Erstellung der drei Teilrechnungen eingebunden, er traf diesbezüglich jedoch keine eigenen Entscheidungen, sondern hatte eine bloß ausführende Funktion.
[4] Im Mai 2011 veröffentlichte eine Tageszeitung einen Artikel, der eine der drei Scheinrechnungen zum Thema hatte. Im Juni 2011 forderten die H* und die H*‑Beteiligungen GmbH die V* alt zu Handen P*s zur Rückzahlung der aufgrund dieser Scheinrechnung bezahlten Summe auf. Unter einem wurde eine Sachverhaltsdarstellung hinsichtlich dieser Zahlung an die Staatsanwaltschaft Klagenfurt übermittelt und der Verdacht des Verbrechens der Untreue in den Raum gestellt. Der Nebenintervenient (ein Strafverteidiger) wurde mit der rechtlichen Beratung der Klägerin im Ermittlungsverfahren betraut. Er erstellte einen Aktenvermerk, an den alle drei Teilrechnungen angehängt wurden, und übergab diesen im Juli 2011 an die Staatsanwaltschaft.
[5] R* wusste am 9. 7. 2011 von der Strafanzeige sowie von der Übergabe des Aktenvermerks und von Urkunden an die Staatsanwaltschaft.
[6] Im März 2015 wurde eine Anklageschrift gegen P* zugestellt. In der Aufsichtsratssitzung der V* alt vom 19. 5. 2015 wurde festgehalten, dass seit April ein Vorstandsmitglied sowie die Gesellschaft als Verband als Angeklagte in einem Strafverfahren vor dem Landesgericht Klagenfurt geführt würden; über eine Beratung durch die Beklagte in diesem Zusammenhang wurde nicht gesprochen.
[7] Über die Rechtsnachfolgerin der V* alt und Rechtsvorgängerin der Klägerin wurde 2018 mit Urteil des Landesgerichts Klagenfurt nach § 3 Abs 2 VbVG eine (zur Hälfte bedingt nachgesehene) Verbandsgeldbuße von 252.000 EUR verhängt. P* wurde wegen des Verbrechens der Untreue nach §§ 12 dritter Fall, 153 Abs 1 und 3 zweiter Fall StGB sowie des Verbrechens des schweren Betrugs nach §§ 12 dritter Fall, 146, 147 Abs 3 StGB letztlich zu einer Geldstrafe und einer bedingten Freiheitsstrafe verurteilt. L* wurde freigesprochen. Gegen R* wurde mangels eines Anfangsverdachts nie ein Ermittlungsverfahren eingeleitet.
[8] Mit Schreiben vom 2. 10. 2017 machte die Klägerin erstmals Schadenersatzforderungen gegen die Beklagte geltend. Im Rahmen von nachfolgend zwischen den Parteien geführten Vergleichsgesprächen verzichtete die Beklagte zunächst bis 31. 12. 2018 auf den Einwand der Verjährung für Sachverhalte, die per 12. 1. 2018 noch nicht verjährt waren; der Verzicht auf den Verjährungseinwand wurde zuletzt bis 30. 9. 2019 verlängert.
[9] Mit der am 30. 9. 2019 eingebrachten Klage begehrte die Klägerin von der Beklagten Schadenersatz von zuletzt insgesamt 7.021.143,71 EUR sA und die Feststellung, dass diese ihr für zukünftige Ansprüche aus der fehlerhaften Beratung im Zusammenhang mit der Honorarverrechnung für ein Wertgutachten in den Jahren 2007 und 2008 zu haften habe.
[10] Durch die von L* textierten Vereinbarungen sei ursprünglich eine Besicherung der Forderung der V* alt gegen die Aktionärin durch die H* intendiert gewesen. L* habe allerdings davon abgeraten, das Honorar für die „Fairness‑Opinion“ einzuklagen, als die Forderung fällig gewesen sei. Grund dafür dürfte neben einem bestehenden Interessenkonflikt gewesen sein, dass er selbst die Vereinbarungen unklar abgefasst habe. Durch den (falschen) Rat, nicht zu klagen, habe L* die V* alt in eine wirtschaftlich schwierige Situation manövriert; ein anderer Weg zur Einbringlichmachung der zu Recht bestehenden Forderung habe gefunden werden müssen. In dieser Situation habe der damalige Vorstand der H* zur Ausstellung von Scheinrechnungen („Umetikettierung“ der korrekten Rechnung) aufgefordert. Einer solchen Vorgangsweise habe P* nur vorbehaltlich einer rechtlichen Überprüfung zugestimmt. L* aber habe die „Umetikettierung“ für unbedenklich gehalten und ihr seinen uneingeschränkten Sanktus erteilt. Diese unrichtige Beratung habe letztlich zur Anklage gegen die V* alt und deren Vorstand P* wegen Beitrags zur Untreue und zum Betrug geführt.
[11] Auch nach Erscheinen des Zeitungsartikels im Mai 2011 und dem Forderungsschreiben der H* auf Rückzahlung eines der drei Teilbeträge habe die Beklagte bzw L*, der wegen der Forderung konsultiert worden sei, in der Fehlberatung verharrt und unter Hinweis auf die strafrechtliche Unbedenklichkeit der Fakten die Ablehnung der Zahlungsaufforderung empfohlen, anstatt sein Attest der Unbedenklichkeit zu widerrufen und nach Bekanntwerden des Falls rechtzeitig die Möglichkeit der tätigen Reue nach § 167 StGB aufzuzeigen. Dieses Versäumnis stelle den nächsten schwerwiegenden und der Beklagten zurechenbaren Beratungsfehler dar. Das Unternehmen der Klägerin hätte damals über ausreichendes Vermögen und Liquidität verfügt, den Schaden vollständig wieder gut zu machen, um dadurch eine strafrechtliche Verurteilung mit allen nachteiligen Konsequenzen zu verhindern, und hätte das mit Sicherheit auch getan, hätten die Rechtsanwälte der Beklagten dazu geraten. Auch hätten sich das Unternehmen und P* im Fall der vollständigen Offenlegung aller Fakten auf die neu eingeführte Kronzeugenregelung nach der StPO berufen können.
[12] Die Ansprüche seien nicht verjährt. Im Zeitraum 2007/2008 sei weder bekannt noch erkennbar gewesen, dass die Beratung durch die Beklagte falsch gewesen sei und dass die im Vertrauen auf diese Beratung ausgelöste Handlungsweise einen Schaden verursachen könnte. Außer den mit der „Umetikettierung“ befassten Personen (P*, L* als anwaltlicher Berater und Vorsitzender des Aufsichtsrats der V* alt und R*) hätte in der Zeit von 2008 bis 2011 kein weiteres Organmitglied und kein sonstiger Wissensvertreter etwas davon erfahren. Das Wissen der in die „Umetikettierung“ involvierten Personen über die streitgegenständlichen Vorgänge könnte der Klägerin allerdings keinesfalls zugerechnet werden. Der früheste Zeitpunkt, an dem andere, an der Schädigung nicht involvierte Organmitglieder von den Vorgängen eine nähere Kenntnis erlangt hätten, sei der 12. 12. 2017, als der (neue) Aufsichtsrat über die Fehlberatung durch die Beklagte informiert worden sei. Auch die Veröffentlichung des Zeitungsartikels im Mai 2011 und dessen rechtliche Analyse durch drei Rechtsanwälte der Beklagten hätten keine Kenntnis von Schaden und Schädiger ausgelöst. P* und R* seien von der Beklagten bzw L* in die Irre geführt worden, so sei stets die bevorstehende Einstellung des Ermittlungsverfahrens in Aussicht gestellt worden. Sie hätten, zumindest bis zur Zustellung der Anklageschrift im März 2015, auf die Richtigkeit der Beratung, dass kein „StGB‑Delikt“ vorliege, vertraut. Somit sei einerseits weiterhin keine Kenntnis von Schaden und Schädiger eingetreten, andererseits werde dem Verjährungseinwand aufgrund der beschwichtigenden Äußerungen die Replik der Arglist entgegengehalten. Erst im März 2015 seien erste Zweifel an der Richtigkeit der Beratung durch die Beklagte aufgekommen und weiterer Rat eingeholt worden, bis sich P* im Oktober 2015 über Empfehlung eines neuen Rechtsanwalts zur Übernahme einer gewissen Verantwortung entschieden habe. Volle Gewissheit über die Fehlerhaftigkeit der Beratung durch die Beklagte habe sich aber erst im August 2017 bzw September 2020 mit der strafgerichtlichen Verurteilung im ersten und zweiten Rechtsgang eingestellt.
[13] Unter Anrechnung eines Mitverschuldens P*s im Ausmaß von einem Drittel würden die im Wege eines Vergleichs erfolgte Honorarrückzahlung an die H* AG, die über die Klägerin verhängte (unbedingte) Verbandsgeldbuße von 126.008 EUR zuzüglich Pauschalkostenersatz von 500 EUR (2/3 von 126.508 EUR = 84.338,66 EUR), die Kosten der fehlerhaften Beratung durch die Beklagte, die Kosten zur Abwehr von Ansprüchen, die Verteidigungskosten im Strafverfahren einschließlich der bei der Klägerin angefallenen Verteidigungskosten für P* (hilfsweise gestützt auf Abtretung durch diesen), die Kosten eines Rechtsgutachtens, Reise- und Nächtigungskosten, Kosten für Medienarbeit und PR, Verdienstentgang und Umsatzeinbußen sowie interne Kosten der Schadensbegrenzung von insgesamt 7.021.143,71 EUR sA geltend gemacht. Das Gesamtausmaß der durch die Fehlberatung zugefügten Schäden lasse sich aber noch nicht endgültig beziffern, weil sich das Unternehmen der Klägerin nicht mehr von dem Schadensfall habe erholen können und weitere Schäden zu befürchten seien, sodass ein rechtliches Interesse an der begehrten Feststellung bestehe.
[14] DieBeklagte bestritt und wandte insbesondere Verjährung ein. P* habe gemäß rechtskräftiger Verurteilung wissentlich gehandelt. Sein Wissen sei der V* alt gemäß VbVG zuzurechnen und beim Beginn der Verjährung zu berücksichtigen. Die Verjährungsfrist habe daher mit Ausstellung der Scheinrechnungen im Dezember 2007 bzw Jänner 2008 begonnen. Auch das Wissen des Prokuristen R* sei der Klägerin zuzurechnen. Dieser sei stets umfassend informiert gewesen, er habe vom Anspruchsschreiben vom Juni 2011 im unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang Kenntnis erlangt. Spätestens habe die Verjährungsfrist mit Zugang des Anspruchsschreibens bzw mit Kenntnis von der Anhängigkeit und dem Inhalt des Ermittlungsverfahrens begonnen, weil damit alle relevanten Tatsachen bekannt gewesen und somit Nachforschungspflichten ausgelöst worden seien, also am 6. 7. 2011.
[15] Der Nebenintervenient schloss sich im Wesentlichen dem Vorbringen der Beklagten an.
[16] Das Erstgericht wies das Klagebegehren wegen Verjährung ab.
[17] Da P* ein Mitverschulden treffe, sei der Klägerin sein Wissen nicht zurechenbar. R* komme demgegenüber als Prokurist als Wissensvertreter in Frage. Es lägen keine Anhaltspunkte vor, ihn ebenfalls als Schädiger zu qualifizieren. Seine Tätigkeit sei lediglich eine operative gewesen. Als Angestellter, der nicht Organ gewesen sei, habe ihn auch kein höherer Sorgfaltsmaßstab getroffen. Er sei zwar über den Inhalt der Vereinbarung über die Teilrechnungen informiert worden, habe in der Umsetzung jedoch stets auf Weisung P*s agiert. Anhaltspunkte für aus der Treuepflicht zur Dienstgeberin abgeleitete Warn- oder Hinweispflichten R*s, deren Verletzung ihm allenfalls vorwerfbar wäre, bestünden nicht. Der Klägerin sei daher zuzurechnen, dass R* im Juli 2011 vom Forderungsschreiben und von der bei der Staatsanwaltschaft Klagenfurt eingebrachten Sachverhaltsdarstellung gewusst habe. Spätestens seit diesem Zeitpunkt sei ihm objektiv erkennbar gewesen, dass die Konstruktion der Teilrechnungen auch strafrechtlich bedenklich sein könnte. Damit seien auch die nun geltend gemachten Schäden erkennbar bzw absehbar gewesen. Auch die Person der Schädigerin und die Kausalität zwischen dem schadensbegründenden Ereignis der Beratung und den Schäden sei ihm bereits seit 2011 hinreichend bekannt gewesen. Die Verjährungsfrist habe daher im Juli 2011 begonnen und sei bereits im Juli 2014 abgelaufen gewesen. Die Verjährungseinrede verstoße nicht gegen Treu und Glauben. Ein Verharren in der Fehlberatung würde kein In-Sicherheit-Wiegen bedeuten, das von der Anspruchsverfolgung abhalten sollte, sondern schlicht die Fortsetzung des schädigenden Handelns.
[18] Das Berufungsgericht gab der Berufung derKlägerinteilweise Folge. Es bestätigte die Abweisung eines Teilbegehrens von 84.338,66 EUR sA, sprach aber im Übrigen aus, dass der Anspruch im Umfang des darüber hinausgehenden Zahlungs- sowie des Feststellungsbegehrens nicht verjährt sei.
[19] Gerichtlich verhängte Geldstrafen seien nicht ersatzfähig. Der Strafanspruch des Staats, dem der Bestrafte habe Genüge leisten müssen, sei kein ziviler Schadenersatzanspruch, dessen Befriedigung er im Rückgriffsweg auf einen anderen überwälzen könnte. Die Strafe könne nur den Täter treffen, dessen gesetzwidriges Verhalten bestraft werden solle. Dies gelte auch für die gegen die Klägerin verhängte Verbandsgeldbuße. In diesem Sinn bestimme § 11 VbVG, dass für Sanktionen und Rechtsfolgen, die den Verband aufgrund des VbVG treffen würden, ein Rückgriff auf Entscheidungsträger oder Mitarbeiter ausgeschlossen sei. Sei aber ein solcher Rückgriff ausgeschlossen, weil nach der Intention des Gesetzgebers der Verband die Sanktionen und Rechtsfolgen nach dem VbVG endgültig selbst tragen solle, so müsse dies auch gegenüber Dritten gelten. Die Verbandsgeldbuße (einschließlich der Einhebungsgebühr) sei somit jedenfalls nicht ersatzfähig. Dies betreffe einen Betrag von 84.338,66 EUR.
[20] Soweit die Klägerin Kosten, die sie für die Verteidigung P*s aufgewendet habe, als eigene Schäden geltend mache, sei auf die Judikatur zu verweisen, wonach über Geschäftsbesorger verhängte Geldstrafen grundsätzlich kein Aufwand im Sinne des § 1014 ABGB seien, was auch für die Kosten der Rechtsverteidigung in einem Strafverfahren gelte, das mit der Verhängung einer Strafe ende. Von einer Unschlüssigkeit könne aber noch nicht ausgegangen werden, weil insoweit noch keine Erörterung stattgefunden habe und die Verteidigungskosten für die Klägerin und für P* noch nicht voneinander abgegrenzt seien.
[21] Soweit das Klagebegehren nicht bereits als unschlüssig abzuweisen sei, sei es nicht verjährt: Das unmittelbar schädigende Verhalten – nämlich die strafbare „Umetikettierung“ und den damit verbundenen Verzicht auf die Einklagung des Honorars aus der Dreiparteienvereinbarung – habe P* als Vorstand der Klägerin gesetzt. Sein Wissen sei der Klägerin nicht zurechenbar. Ob es in den Aufgabenbereich R*s gefallen wäre, auf eine Anspruchsbetreibung hinzuwirken, könne dahingestellt bleiben, weil die Zurechnung seines Wissens schon wegen seiner Involvierung in die schädigenden Handlungen des Vorstands ausgeschlossen sei. Eine Interessenkollision habe zweifellos auch bei ihm bestanden. In dem Ausmaß, in dem ihm die (Straf-)Rechtswidrigkeit dieser Vorgänge bekannt gewesen oder bekannt geworden sei, habe er befürchten müssen, selbst in den Verdacht der Beteiligung an einer Straftat zu geraten und/oder schadenersatzrechtlichen Ansprüchen der Klägerin ausgesetzt zu werden. Dass letztlich kein Ermittlungsverfahren gegen ihn geführt worden sei, sei für das Vorliegen einer Interessenkollision zum Beurteilungszeitpunkt ebenso wenig entscheidend wie die Frage, ob die Klägerin erfolgreich einen Schadenersatzanspruch gegen ihn hätte durchsetzen können. Dass andere Personen, die als Wissensvertreter in Betracht kämen, vor der Anklageerhebung Kenntnis vom Sachverhalt erhalten hätten, habe die Beklagte nicht vorgebracht. Allfällige Ansprüche der Klägerin aus der vorgebrachten Fehlberatung 2007/2008 seien somit zum Zeitpunkt der Erklärung des Verzichts auf den Verjährungseinwand noch nicht verjährt gewesen.
[22] Das Berufungsgericht ließ die ordentliche Revision nicht zu, weil Rechtsfragen von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO nicht zu lösen gewesen seien.
[23] Die Klägerin wendet sich in ihrer außerordentlichen Revisiongegen die Abweisung eines Teilbegehrens von 84.338,66 EUR sA und beantragt den Ausspruch, dass auch dieser Anspruch nicht verjährt sei. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
[24] Die Beklagte strebt mit ihrer außerordentlichen Revision die Wiederherstellung des zur Gänze klageabweisenden Ersturteils an; hilfsweise stellt sie einen Aufhebungsantrag.
[25] Beide Parteien beantragen in den ihnen freigestellten Revisionsbeantwortungen, das Rechtsmittel der Gegenseite zurückzuweisen, hilfsweise ihm nicht Folge zu geben. Der Nebenintervenient beteiligte sich nicht am Revisionsverfahren.
Rechtliche Beurteilung
[26] I. Aus systematischen Gründen ist die auf die Verjährung der gesamten Klageforderung abzielende außerordentliche Revision der Beklagten vorweg zu behandeln. Sie ist entgegen dem nicht bindenden Ausspruch des Berufungsgerichts zur Klarstellung zulässig. Sie ist jedoch nicht berechtigt.
1. Zu der für die Beurteilung der Verjährung maßgeblichen Rechtslage:
[27] 1.1. Die dreijährige Verjährungsfrist des § 1489 ABGB beginnt mit Kenntnis von Schaden und Schädiger. Der Geschädigte muss sowohl den Schaden als auch den Ersatzpflichtigen soweit kennen, dass eine Klage mit Aussicht auf Erfolg erhoben werden kann (RS0034524). Um mit Erfolg Klage erheben zu können, benötigt der Geschädigte bei einer Verschuldenshaftung Kenntnis von der Schadensursache (RS0034951), dem maßgeblichen Kausalzusammenhang (RS0034366) und dem Verschulden des Schädigers (RS0034322). Diese Kenntnis wird durch verschuldete Unkenntnis grundsätzlich nicht ersetzt (RS0034686).
[28] Der Geschädigte darf sich allerdings nicht einfach passiv verhalten (RS0065360). Wenn er die für die erfolgversprechende Anspruchsverfolgung notwendigen Voraussetzungen ohne nennenswerte Mühe in Erfahrung bringen kann, dann ist jener Zeitpunkt für die Kenntnisnahme (und damit für den Beginn der Verjährungsfrist) maßgeblich, zu dem ihm die Voraussetzungen bei angemessener Erkundigung bekannt geworden wären; diese Erkundigungsobliegenheit darf allerdings nicht überspannt werden (RS0034327; RS0034335). Erforderlich sind konkrete Verdachtsmomente, aus denen der Geschädigte schließen kann, dass Verhaltenspflichten nicht eingehalten wurden (RS0034327 [T21]).
[29] 1.2. Bei einer juristischen Person ist für die Frage des Kennens oder Kennenmüssens nicht allein der Wissensstand der organschaftlichen Vertreter maßgebend. Es genügt das Wissen anderer Vertreter, etwa von Prokuristen, Handlungsbevollmächtigten oder Rechtsvertretern, soweit es sich auf das im konkreten Fall übertragene Aufgabengebiet bezieht und die betroffene Person mit der Sache tatsächlich befasst war (1 Ob 64/00v mwN; RS0009172 [T9]), ebenso das Wissen solcher Personen, die mit der Entgegennahme, Anzeige oder Ermittlung rechtserheblicher Tatsachen betraut waren (Wissensvertreter ieS, 5 Ob 290/07v mwN; RS0065360 [T10]).
[30] Hat der Vertreter jedoch selbst den Schaden zu verantworten, so ist sein Wissen dem geschädigten Vertretenen nicht zuzurechnen, und zwar unabhängig davon, ob der Anspruch gegen einen Dritten oder den Geschädigten selbst gerichtet ist (1 Ob 64/00v mwN; RS0114717). Sein Wissen kann daher den Lauf der Verjährungsfrist nicht in Gang setzen; es kommt in diesem Fall vielmehr auf den Zeitpunkt der Kenntniserlangung durch andere Organmitglieder oder Wissensvertreter an (RS0114717 [T2]). Die Wissenszurechnung basiert nämlich auf Verkehrsschutzüberlegungen und wird in Fällen der Interessenkollision in der Person des vermittelnden Vertreters unterbrochen (6 Ob 183/13z mwN; 7 Ob 92/16d; Vollmaier in Klang3 § 1489 Rz 18; R. Madl in Kletečka/Schauer, ABGB‑ON1.07 § 1489 Rz 8 aE [Stand 1. 1. 2022, rdb.at]).
[31] 1.3. Die Verjährung bezieht sich auf den jeweils geltend gemachten Anspruch. Ein Anspruch wird – wie der Streitgegenstand – durch die zu seiner Begründung vorgebrachten Tatsachen konkretisiert. Wird der Anspruch aus verschiedenen Sachverhalten abgeleitet, ist die Frage der Verjährung in Ansehung jeder Anspruchsgrundlage gesondert zu prüfen (vgl RS0050355).
[32] 1.4. Die Behauptungs- und Beweislast für die die Verjährung begründenden Umstände – insbesondere auch den Beginn der Verjährungsfrist – trifft denjenigen, der die Verjährungseinrede erhebt (RS0034456). Das gilt auch dann, wenn sich ein Beklagter nicht auf die positive Kenntnis des Schädigers von den nach § 1489 Satz 1 ABGB maßgeblichen Umständen, sondern darauf beruft, der Geschädigte hätte – im Sinne von Erkundigungsobliegenheiten – ausreichende Anhaltspunkte für das Vorliegen maßgeblicher Tatsachen gehabt und diese Umstände zu einem bestimmten Zeitpunkt in Erfahrung gebracht, wenn er diesen Anhaltspunkten nachgegangen wäre (RS0034456 [T5]).
2. Umgelegt auf den vorliegenden Sachverhalt ergibt sich daraus Folgendes:
[33] 2.1. In verjährungsrechtlicher Hinsicht ist, wovon auch das Berufungsgericht ausgeht, grundsätzlich zwischen der im Zusammenhang mit der „Umetikettierung“ behaupteten Fehlberatung durch L* im Jahr 2007/2008 und dem Vorwurf zu unterscheiden, die Beklagte bzw L* hätten ab 2011 an der strafrechtlichen Unbedenklichkeit der „Umetikettierung“ festgehalten und nicht rechtzeitig auf die Möglichkeiten einer tätigen Reue und der Kronzeugenregelung aufmerksam gemacht, womit nach Ansicht der Klägerin der bereits aus der ursprünglichen Fehlberatung drohende Schaden verringert hätte werden können.
[34] Maßgeblich ist daher der (nach den obigen Ausführungen von der Beklagten zu behauptende und zu beweisende) Zeitpunkt, an dem die Rechtsvorgängerin der Klägerin, genauer ein ihr zurechenbarer Vertreter, Kenntnis davon hatten oder haben mussten, dass
- die Beratung durch L* im Zusammenhang mit der „Umetikettierung“ 2007/2008 falsch war und zu einem Schaden des Unternehmens führte;
- nicht die ab 2011 gewählte, sondern eine andere Verteidigungsstrategie die mit dem Strafverfahren verbundenen Nachteile hätte abwenden können.
[35] 2.2. Das Berufungsgericht ließ, weil die Klägerin sämtliche Schadenersatzansprüche (auch) auf die vermeintliche Fehlberatung 2007/2008 stützt, die Frage der Verjährung in Bezug auf die angeblich fehlerhafte Beratung ab 2011 (betreffend das Strafverfahren und die daraus resultierenden Schäden einschließlich der Verteidigerkosten) ungeprüft. Es ist aber denkbar, dass sich – unabhängig von der Frage der Verjährung – aus der ersten Anspruchsgrundlage kein Anspruch der Klägerin ergibt, sodass die alternative Anspruchsgrundlage relevant wird. Da die Verjährungsfrage im Zwischenurteil vollständig erledigt werden muss (RS0034934 [T3]) und das Zwischenurteil gemäß § 393a ZPO verbindlich über den verneinten Verjährungseinwand abspricht (4 Ob 12/22a), bedarf auch die – unabhängig vom ersten Tatsachenkomplex – allenfalls eingetretene Verjährung der alternativ auf den Beratungsfehler ab 2011 gestützten Ansprüche einer Klärung.
[36] In Bezug auf diese für Teile des Begehrens ebenfalls relevante Anspruchsgrundlage hat die Beklagte allerdings nicht vorgebracht und unter Beweis gestellt, dass und aus welchen Gründen die Klägerin (ihr zurechenbare Vertreter) bereits vor der strafgerichtlichen Verurteilung P*s und des Verbands Kenntnis von der Nachteiligkeit der gewählten Verteidigungsstrategie hätten haben müssen. Insoweit hat sie daher keinen substantiierten Verjährungseinwand erhoben. Eine Verjährung ist hinsichtlich der (auch) auf die Fehlberatung im Zusammenhang mit dem Strafverfahren gestützten Ansprüche daher jedenfalls nicht anzunehmen.
[37] 2.3. Damit bleibt zu prüfen, ob in Bezug auf die erste Anspruchsgrundlage Verjährung eingetreten ist.
[38] Auf die in erster Instanz erhobene Behauptung, die Verjährungsfrist habe bereits mit Legen der Scheinrechnungen 2007/2008 zu laufen begonnen, kommt die Beklagte im Revisionsverfahren nicht mehr zurück. Vielmehr stützt sie sich nur mehr auf den Kenntnisstand der Vertreter der Klägerin im Sommer 2011. Das Wissen des Prokuristen R* sei der durch die vermeintliche Fehlberatung geschädigten Gesellschaft zuzurechnen, weil eine weisungsgebundene Person wohl kaum straf- oder zivilrechtliche Folgen treffen könnten; das Vorliegen einer Interessenkollision sei daher nicht nachvollziehbar. Auch der Vorstand P* sei der Klägerin zuzurechnen, da ihr nach dem VbVG auch sein strafrechtliches Handeln zugerechnet werde. Schon aus diesem Grund sei die Klägerin nicht schutzwürdig. Außerdem habe (offenbar ganz generell) „die Klägerin“ im Jahr 2011 Kenntnis vom Sachverhalt gehabt.
[39] 2.4. Damit dringt die Beklagte nicht durch.
2.4.1. Keine Zurechnung des Vorstands P*
[40] Bei P* bestand – wie die Vorinstanzen zutreffend erkannten – im Jahr 2011 eine Interessenkollision. Er entschloss sich (nach Darstellung der Klägerin aufgrund einer Beratung durch L*) im Jahr 2007/2008 zur Legung der Scheinrechnungen, gab die Anweisungen dazu und verantwortete somit jene Handlungen, die schließlich zu seiner strafgerichtlichen Verurteilung und der der Rechtsvorgängerin der Klägerin führten. Im Juli 2011 mag es zwar – unter Ausblendung der angeblich gegenteiligen Zusicherungen von L* bzw der Beklagten – bereits konkrete Anhaltspunkte für P* gegeben haben, dass seine Vorgangsweise (straf‑)rechtswidrig und damit auch die Beratung durch L* im Jahr 2007/2008 nicht korrekt war. Bei Einnahme dieses Standpunkts hätte er sich allerdings selbst belastet und die Strafbarkeit seiner eigenen Handlungen in den Raum gestellt. Entscheidend ist, dass von ihm in dieser Situation eine Geltendmachung der Ansprüche der Gesellschaft gegen die Beklagte realistischerweise nicht zu erwarten war, schon weil er sich damit der Gefahr einer strafgerichtlichen Verfolgung ausgesetzt hätte. Ob P* neben strafrechtlichen Konsequenzen auch noch zivilrechtliche Forderungen der Gesellschaft zu befürchten gehabt hätte, was die Beklagte mit dem Hinweis darauf bezweifelt, seine Interessen seien mit denen der damals beherrschenden Gesellschafterin der Klägerin ident gewesen, kann daher auf sich beruhen. Das Vorbringen, P* wäre (indirekt) beherrschender Mehrheitseigentümer der Klägerin gewesen, ist im Übrigen schon deswegen unbeachtlich, weil es in erster Instanz nicht erstattet wurde.
[41] Die Entscheidung 7 Ob 136/22h ist entgegen der Meinung der Beklagten nicht einschlägig. Denn der dort erkennende Senat stellte die Rechtsprechung, dass das Wissen eines schädigenden Vertreters dem Vertretenen für den Beginn der Verjährung nicht zuzurechnen ist, nicht in Frage. Vielmehr lehnte er es nur ab, diese Rechtsprechung auch auf die dort zu beurteilende Fallgestaltung – einen Risikoausschluss wegen eines bei Versicherungsbeginn bekannten vorsätzlichen Verhaltens des (einzigen) Vertreters eines versicherten Unternehmens – zu übertragen. Als Grund dafür nannte er den Zweck dieses Risikoausschlusses, der bei Nichtzurechnung des vorsätzlichen Verhaltens unterlaufen würde. Vergleichbare Fragen stellen sich hier nicht.
[42] Das Argument, das Wissen P*s sei der Klägerin schon deshalb zuzurechnen, weil ihr auch dessen strafrechtliches Handeln aufgrund des VbVG zugerechnet werde, überzeugt ebenfalls nicht: Damit versucht die Beklagte die Rechtsprechung zur Wissenszurechnung zu ihren Gunsten aufzuweichen, obgleich die geschädigte Gesellschaft im Vergleich zum schädigenden Dritten keineswegs weniger schutzwürdig erscheint. Es gibt auch keine Anhaltspunkte dafür, dass mit dem VbVG die zivilrechtliche Verantwortlichkeit Dritter gegenüber dem Verband eingeschränkt werden sollte. Der Ansatz der Beklagten würde in letzter Konsequenz auch ungerechtfertigterweise den schädigenden Vertreter selbst begünstigen, müsste sich die Gesellschaft im Fall einer späteren Verurteilung nach dem VbVG doch dessen Wissen um die strafbaren Handlungen in Ansehung des Verjährungsbeginns zurechnen lassen.
2.4.2. Keine Zurechnung des Prokuristen R*
[43] R* handelte nach den Feststellungen bei Erstellung der Scheinrechnungen auf Anweisung des Vorstands P*; er traf keine eigenen Entscheidungen und hatte bloß ausführende Funktion. Er wurde nicht strafrechtlich verfolgt. Dennoch trug er, wie die Beklagte selbst erkennt, zur schädigenden Handlung bei. Die Beklagte meint, bei ihm sei keine Interessenkollision vorgelegen, weil er nie der Gefahr strafgerichtlicher Verfolgung oder zivilrechtlicher Ansprüche ausgesetzt gewesen wäre.
[44] Die Frage, ob das schädigende Handeln tatsächlich zu einer strafgerichtlichen Verfolgung oder zivilrechtlichen Inanspruchnahme des Vertreters führt, ist für eine (Durchbrechung der) Wissenszurechnung und das Vorliegen eines Interessenkonflikts nicht ausschlaggebend. Eine Interessenkollision ist vielmehr dann anzunehmen, wenn der Vertreter in der konkreten Situation eigene Nachteile (etwa den Eintritt einer Ersatzpflicht) zu befürchten hat (vgl auch Eckert/Linder, Verjährung von Ersatzansprüchen gegen Vorstandsmitglieder, ecolex 2005, 449 [452]), sodass eine ordnungsgemäße Vertretung der Gesellschaft (die Geltendmachung von Ansprüchen oder die Weiterleitung rechtlich relevanten Wissens) von ihm nicht erwartet werden kann.
[45] Ex ante drohten R* sowohl strafrechtliche als auch sonstige Konsequenzen, vor allem arbeitsrechtlicher Natur. Da – wie die Beklagte selbst betont – R* damals nur Angestellter der Gesellschaft war, wären wegen seiner Beteiligung an den schädigenden Handlungen neben einer Haftpflicht auch eine Kündigung oder Entlassung in Betracht gekommen.
[46] R*s Interessenkonflikt verschärfte sich zudem dadurch, dass er gerade dem schädigenden Vorstand P* weisungsunterworfen war. So wird vertreten, dass sich ein Prokurist typischerweise in einem Interessenkonflikt befinde, soweit die Geltendmachung von Ersatzansprüchen gegen Vorstandsmitglieder im Raum stehe; das persönliche und wirtschaftliche Abhängigkeitsverhältnis als Dienstnehmer zur Gesellschaft rechtfertige eine teleologische Reduktion der Wissenszurechnung für diesen Fall (Eckert/Linder, Verjährung von Ersatzansprüchen gegen Vorstandsmitglieder, ecolex 2005, 449 [452]; Schauer in Kalss/Kunz, HB für den Aufsichtsrat2 II. Innenhaftung Rz 70; vgl auch Told/Warto in Harrer/Neumayr/Told, Organhaftung XII. Haftungsausschließungsgründe 153 f). In diesem Sinn war dem Prokuristen aber – unabhängig von seiner eigenen Involvierung in die Schädigung – ein Vorgehen gegen seinen Vorgesetzten bzw dessen Interessen umso weniger zumutbar, wobei die Beklagte auch offen lässt, an welche anderen organschaftlichen Vertreter außer P* der Prokurist sein Wissen – an P* vorbei – konkret hätte weiterleiten können und sollen.
[47] Aufgrund der richtig bejahten Interessenkollision hat das Berufungsgericht das Wissen von R* der Klägerin in verjährungsrechtlicher Hinsicht daher zu Recht nicht zugerechnet.
[48] Das Argument der Beklagten, dass diese Rechtsansicht dazu führte, dass gerade bei kleinen Unternehmen „eine Verjährung nach § 1489 ABGB überhaupt nicht starten“ könne, bietet keinen Anlass dafür, einen Wissensvertreter trotz festgestellten Interessenkonflikts der Gesellschaft zuzurechnen. Dass sämtliche in Betracht kommenden Wissensvertreter in die schädigenden Handlungen involviert sind, ist auch bei größeren Gesellschaften denkbar.
[49] Auf die Frage, ob dem Prokuristen aufgrund seiner Formalvollmacht das Wissen um alle und (entgegen der Rechtsprechung) nicht nur um jene Angelegenheiten zuzurechnen ist, die in seinen spezifischen Vertretungsbereich fallen („in dem er berufen war und tätig wurde“; vgl 5 Ob 613/79), kommt es nicht mehr an.
2.4.3. Keine „Kenntnis der Klägerin“ im Jahr 2011
[50] Die Behauptung der Beklagten, dass insbesondere aufgrund der Medienberichterstattung die Klägerin (die damals unter der Rechtsform einer AG firmierte) den Sachverhalt im Jahr 2011 gekannt hätte, übersieht, dass einer juristischen Person Kenntnisse nur durch natürliche Personen vermittelt werden können. Welche Personen das außer R* und P* gewesen sein sollen, hat die Beklagte in erster Instanz nicht dargelegt. Von einem konkreten Vorbringen kann sich die Beklagte auch nicht mit der Behauptung befreien, dass „eine namentliche Bezeichnung all dieser – im offenen Firmenbuch ersichtlichen – Personen, deren Wissen der klagenden Partei zuzurechnen ist, kaum erforderlich sein“ werde.
[51] 3. Die behauptete Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens liegt nicht vor.
[52] § 182a ZPO hat nichts daran geändert, dass es keiner richterlichen Anleitung zu einem Vorbringen bedarf, gegen das der Prozessgegner bereits Einwendungen erhoben hat. Angesichts solcher Einwendungen hat die andere Partei ihren Prozessstandpunkt selbst zu überprüfen und die erforderlichen Konsequenzen zu ziehen (RS0122365 [T4]).
[53] Die Klägerin hat unter Hinweis auf die Rechtsprechung zur Wissenszurechnung explizit vorgebracht, dass lediglich P*, R* und L* sowie der Nebenintervenient mit dem schädigenden Sachverhalt befasst gewesen und andere Aufsichtsratsmitglieder nicht informiert worden seien; erst nach Zustellung der Anklageschrift seien der damalige zweite Vorstand * und andere Aufsichtsratsmitglieder „vertieft“ über den Stand des Verfahrens informiert worden. Dieses Vorbringen hat die Beklagte nicht zum Anlass genommen, ein eigenes Vorbringen, insbesondere betreffend einen allfälligen Wissensstand des zweiten Vorstands, zu erstatten. Sie kann daher nicht erfolgreich verlangen, das Gericht hätte mit ihr erörtern müssen, dass eine Wissenszurechnung von P* und R* verneint werde, worauf sie vorgebracht hätte, dass der zweite Vorstand bei Übernahme seines Vorstandsmandats (ab 11. 6. 2012) über die Umstände des gegen die Klägerin und P* geführten Ermittlungsverfahrens in Kenntnis gesetzt worden sei.
4. Ergebnis
[54] Aus all dem folgt, dass das Berufungsgericht eine Verjährung des Klageanspruchs zutreffend verneint hat. Der Revision der Beklagten war daher nicht Folge zu geben.
[55] Ein Zwischenurteil zur Verjährung gemäß § 393a ZPO kommt auch bei einem Feststellungsbegehren über das Bestehen einer Schadenersatzpflicht in Betracht (RS0130163). Im weiteren Verfahren wird aber zu beachten sein, dass im Feststellungsbegehren bisher nicht zum Ausdruck kommt, dass die Klägerin sich ein Mitverschulden von einem Drittel anrechnet.
[56] II. Die außerordentliche Revision der Klägerinist entgegen dem nicht bindenden Ausspruch des Berufungsgerichts zulässig, weil es einer Klarstellung bedarf, ob und inwieweit eine Verbandsgeldbuße Gegenstand eines Schadenersatzanspruchs sein kann. Sie ist auch berechtigt.
[57] 1. Nach der Rechtsprechung verstößt eine vor Begehung der strafbaren Handlung zwischen dem Täter und einem Dritten abgeschlossene Vereinbarung, nach welcher der Dritte sich zum Ersatz der über den Täter zu verhängenden Strafe und der dem letzteren durch die Verurteilung drohenden Vermögensnachteile verpflichtet, gegen Grundsätze des Strafrechts und gegen die guten Sitten; anders, wenn eine derartige Ersatzvereinbarung nach Begehung der strafbaren Handlung getroffen wird (RS0016830). Grund dafür ist, dass die für die Einhaltung der gesetzlichen Bestimmungen verantwortlichen Personen durch die Strafdrohung zu einem gesetzesgemäßen Verhalten veranlasst werden sollen. Diesem Gesetzeszweck werden die Bestimmungen aber nur dann gerecht, wenn der Verantwortliche durch die unmittelbare Auswirkung einer über ihn verhängten Strafe betroffen ist. Es liefe dem Zweck des Gesetzes, das die Einhaltung der Normen durch Androhung von Strafen gegen die Personen erreichen will, die hierzu nach dem Gesetz und der betrieblichen Organisation verpflichtet sind, zuwider, wenn jemand anderer im Vorhinein wirksam die Verpflichtung zur Zahlung von Strafen übernehmen könnte. Auf diese Weise wäre der Verantwortliche von den wesentlichen Unrechtsfolgen befreit und es bestünde daher für ihn eine geringere Motivation, sich dem Gesetz gemäß zu verhalten. Das Übel der Strafe soll nach dem Gesetz denjenigen treffen, der den Verstoß gegen die unter Strafsanktion bestehende Bestimmung zu vertreten hat. Eine davon abweichende, im Vorhinein getroffene zivilrechtliche Vereinbarung verstößt gegen diesen Zweck und kann somit nicht wirksam getroffen werden (6 Ob 281/02w mwN).
[58] 2. Der Oberste Gerichtshof hat auch schon klargestellt, dass der Strafanspruch des Staats keinen zivilrechtlichen Schadenersatzanspruch begründet, dessen Befriedigung der Bestrafte im Rückgriffsweg (§ 1302 ABGB) auf einen anderen überwälzen könnte (RS0026746). Dieser Rechtsprechung liegt die Erwägung zugrunde, dass der Täter selbst im Fall einer Mitschuld des Beklagten für sein strafwürdiges Verhalten allein einzustehen hat. Die Strafe kann nur den Täter treffen, dessen gesetzwidriges Verhalten bestraft werden soll (2 Ob 662/57 JBl 1958, 400; 6 Ob 281/02w). Dabei wurde in den beiden zuletzt genannten Entscheidungen betont, dass die Strafwürdigkeit des Klägers von der Verhaltensweise des Beklagten jeweils unabhängig war. Zu 2 Ob 662/57 wurde ein „Rechtswidrigkeitszusammenhang“ zwischen den strafbaren Verhaltensweisen der beiden Streitteile (Mittäter) ausdrücklich verneint. Darin scheint der Gedanke zum Ausdruck zu kommen, dass den Täter die nach dem Verhaltensunrecht seiner Tat zugemessene Strafe trotz und ungeachtet allfälliger Mitwirkung eines Bestimmungs-, Beitrags- oder Mittäters trifft und auch endgültig treffen soll. Da der Täter (nur) seinen konkreten Tatentschluss („Einzeltatschuld“) zu verantworten hat (vgl Fabrizy/Michel-Kwapinski/Oshidari, StGB14 § 32 Rz 2), kann er sich in Ansehung der über ihn verhängten Strafe konsequenterweise auch nicht bei anderen Mitwirkenden regressieren.
[59] 3. Ihre Begründung findet diese Rechtsprechung vor allem im Hinweis auf die Strafzwecke, die eine Überwälzung verbieten.
[60] F. Bydlinski (Privatrechtliches „Überwälzungsverbot“ für Vermögensstrafen und Verfahrenskosten? in FS Niederländer [1991] 242 [244 f]) betont, dass diese Strafzwecke durchaus personenbezogen seien. Dem Straftäter gegenüber solle ja soziale Missbilligung ausgedrückt werden und solle zugleich eine spezialpräventive Wirkung erzielt und gerade dadurch auch ein generalpräventiver Effekt auf andere erreicht werden. Insbesondere die angestrebten Präventionseffekte wären offensichtlich vereitelt oder doch stark beeinträchtigt, wenn und soweit der potentielle Straftäter damit rechnen dürfte, die etwa verwirkte Vermögensstrafe auf andere überwälzen zu können. Unter einem verweist F. Bydlinski aber darauf, dass gerade diese Argumente auch einer differenzierenden Einschränkung des für Vermögensstrafen geltenden Überwälzungsverbots dienen könnten. So sei die präventive Wirkung der Strafdrohung in der Regel nicht oder doch viel weniger beeinträchtigt, wenn der Straftäter mit einer Überwälzung nicht von vornherein rechnen könne, sondern darauf angewiesen sei, dass sich ein Dritter nach der Tat freiwillig zu einer Überwälzungsvereinbarung verstehe.
[61] Canaris (Bankvertragsrecht I³ [1988] Rz 67) meint im Zusammenhang mit den Rechtsfolgen einer Verletzung des Bankgeheimnisses, dass an sich zwar auch eine Strafe zu einem ersatzfähigen Schaden führen könne. Doch dürften dem Täter die finanziellen Folgen seiner Tat nicht im Wege des Schadenersatzes abgenommen werden. Dies würde zu einem nicht zu rechtfertigenden Wertungswiderspruch gegenüber dem Zweck der betreffenden Strafnorm führen. Eine gewisse Sonderstellung würde jedoch die Aufdeckung von Steuerstraftaten einnehmen, wenn sie dem Kunden die Möglichkeit raube, durch eine Selbstanzeige Straffreiheit zu erlangen. Hier spreche einiges für die Ersatzfähigkeit des Schadens.
[62] Avancini (in Avancini/Iro/Koziol, Bankvertragsrecht I [1987] Rz 2/146) referiert diese Ansicht unter Hinweis darauf, dass der Täter wohl nur selten den Beweis werde erbringen können, dass er die Möglichkeit der Selbstanzeige tatsächlich noch rechtzeitig genutzt hätte. Koziol (Haftpflichtrecht I4 C/10/51) schließt sich offenbar der Ansicht von Canaris an (vgl auch Spitzer in Bollenberger/ Oppitz, Bankvertragsrecht I3 [2019] Rz 2/192).
[63] Auch F. Bydlinski (Unerlaubte Vorteile als Schaden, in FS Deutsch [1999] 66 FN 24) spricht von einer Ausnahme von der aus den Strafzwecken abgeleiteten Ersatzunfähigkeit des Schadens, der in einer Strafe liege, gerade für Steuerstrafen, soweit der Betroffene ohne den Geheimnisverrat eines Vertragspartners nachweislich Selbstanzeige erstattet und dadurch Strafmilderung erwirkt hätte. Er geht aber noch darüber hinaus, indem er meint, dass „mit Recht weithin eine Ausnahme anerkannt [sei], wenn die schädigende Handlung in der Verletzung einer Belehrungs- und Warnungspflicht bestehe, deren Erfüllung den Geschädigten vor der Strafbarkeit bewahrt hätte“.
[64] Diese Stellungnahmen in der Literatur legen nahe, dass der Strafanspruch des Staats nicht zwingend zivilrechtliche Ansprüche des Straftäters in Bezug auf über ihn verhängte (Geld‑)Strafen ausschließen muss. Dass in gewissen Konstellationen doch eine Ersatzpflicht in Frage kommen kann, zeigt sich im Übrigen auch ganz deutlich daran, dass eine aufgrund eines Gerichts- oder Anwaltsfehlers zu Unrecht (in dieser Höhe) verhängte Geldstrafe zweifellos Gegenstand eines Schadenersatzanspruchs gegen den Staat bzw gegen den vertretenden Rechtsanwalt sein kann. Der Strafzweck der übertretenen Norm erfordert nämlich keine dem Verhaltensunrecht des Täters inadäquate (überhöhte) Strafe.
[65] 4. Richtig ist die Schlussfolgerung des Berufungsgerichts, dass die referierte Rechtsprechung zum Verhältnis zwischen dem Strafanspruch des Staats und einem zivilrechtlichen Ersatzanspruch auch für eine über einen Verband verhängte Geldbuße gelten muss, weil die Geldbuße angesichts der vom Gesetzgeber grundsätzlich intendierten Tadelsfunktion funktionell als echte Strafe im Sinn des strafrechtlichen Sanktionensystems zu verstehen ist (6 Ob 239/20w). Auch § 11 VbVG, wonach für Sanktionen und Rechtsfolgen, die den Verband aufgrund des VbVG treffen, ein Rückgriff auf Entscheidungsträger oder Mitarbeiter ausgeschlossen ist, spricht dafür, dass der Verband die Sanktionen und Rechtsfolgen nach dem VbVG endgültig selbst tragen soll und zumindest nicht auf die für ihn handelnden Personen abwälzen kann, weil dies dem Zweck der Verbandsverantwortlichkeit – Prävention – diametral zuwider liefe (vgl ErläutRV 994 BlgNR 22. GP 30). Der Ausschluss des Rückgriffs bedeutet, dass ein Rückgriff aufgrund welcher Rechtsgrundlage auch immer ausgeschlossen ist: Unzulässig ist daher eine vertragliche Vereinbarung ebenso wie eine nachträgliche Geltendmachung als Schadenersatzanspruch (Lehmkuhl/Zeder in Höpfel/Ratz, WK2 VbVG § 11 Rz 2).
[66] 5. Diese Erwägungen stehen daher einem auf die Verbandsgeldbuße gerichteten Schadenersatzanspruch der Klägerin entgegen, soweit er auf eine Fehlberatung durch L* (die Beklagte) im Jahr 2007/2008 gestützt wird: P* und damit die V* alt wollen das strafbare Verhalten zwar (nur) aufgrund der Beratung durch L* gesetzt haben; das ändert aber nichts daran, dass das Strafgericht die Rechtsvorgängerin der Klägerin unabhängig davon als strafwürdig beurteilt und rechtskräftig über sie eine – auf ihr Verhaltensunrecht zugeschnittene – Strafe verhängt hat. Die Motivation, sich (straf‑)gesetzesgemäß zu verhalten, wäre beeinträchtigt, würde dem Täter die Möglichkeit eingeräumt, sich wegen der über ihn verhängten (Geld‑)Strafe bei dem ihn vor der Tatbegehung beratenden Rechtsanwalt zu regressieren. Das Argument der Klägerin, dass jeder Rechtsanwalt damit sanktionslos seine Berufspflichten verletzen könnte, trifft nicht zu, weil der pflichtwidrig handelnde Rechtsanwalt seinen Honoraranspruch zu verlieren droht und für durch die Fehlberatung verursachte andere Nachteile als die Strafe (etwa Verfahrenskosten) einstehen muss.
[67] 6. Diese Gründe gelten aber, wie die Klägerin zu Recht geltend macht, nicht gleichermaßen für den von ihr weiters erhobenen Vorwurf, sie sei von der Beklagten nicht rechtzeitig über den Strafaufhebungsgrund der tätigen Reue (§ 167 StGB) und die Möglichkeit eines Vorgehens nach § 209a StPO (Kronzeugenregelung) aufgeklärt worden.
[68] 6.1. Tätige Reue beseitigt eine bereits eingetretene Strafbarkeit wegen bestimmter Vermögensdelikte; sie ist ab Vollendung des Delikts möglich (Kirchbacher/Ifsits in Höpfel/Ratz, WK2 StGB § 167 Rz 1 und 2). Die Schadensgutmachung durch den Entscheidungsträgertäter unter den Kautelen des § 167 StGB hat dessen Straffreiheit zur Folge und entlässt auch den Verband aus seiner strafrechtlichen Verantwortlichkeit. Macht ein an der Tat unbeteiligter Entscheidungsträger, Verbandszugehöriger oder Dritter den Schaden im Namen des Individualtäters gut, so wird der Entscheidungsträgertäter straffrei, sofern er sich um die Schadensgutmachung ernstlich bemüht hat (§ 167 Abs 4 StGB); als unmittelbare Konsequenz wird auch der Verband aus der Verantwortlichkeit befreit (Lehmkuhl/Zeder in Höpfel/Ratz, WK2 VbVG § 3 Rz 25). Die Kronzeugen-regelung in § 209a StPO sieht für Täter bestimmter Straftaten, die mit der Staatsanwaltschaft zusammenarbeiten und dabei vom Gesetz vorgegebene Kriterien erfüllen, die Möglichkeit des Rücktritts von der Verfolgung und damit im Ergebnis Straffreiheit vor. Auch ein Verband kann Kronzeuge sein. In diesem Fall müssen die Voraussetzungen des § 209a StPO von ihm selbst, vertreten durch einen Entscheidungsträger, erfüllt werden (§ 209a Abs 7 StPO).
[69] 6.2. Gemäß § 9 RAO ist der Rechtsanwalt verpflichtet, die Rechte seiner Partei mit Gewissenhaftigkeit zu vertreten; diese Bestimmung ergänzt § 1009 ABGB, der den Gewalthaber verpflichtet, das ihm durch den Bevollmächtigungsvertrag aufgetragene Geschäft umsichtig und redlich zu besorgen. Daraus ergeben sich für den Anwalt eine Reihe von Pflichten, wie unter anderem Warn-, Aufklärungs-, Informations- und Verhütungspflichten, die alle Ausprägung der Kardinalspflicht des Rechtsanwalts sind, nämlich der Pflicht zur Interessenwahrung und zur Rechtsbetreuung (RS0112203). Zu den wichtigsten Aufgaben des Rechtsanwalts, der eine Vertretung übernimmt, gehört die Belehrung des meist rechtsunkundigen Mandanten (RS0038682), den er in rechtlichen Belangen in vollständiger Weise zu belehren und für dessen rechtliche Absicherung er Sorge zu tragen hat (RS0038682 [T10]).
[70] 6.3. Zu den Pflichten eines Rechtsanwalts gehört daher auch, seinem Mandanten die Möglichkeiten der tätigen Reue und der Inanspruchnahme der Kronzeugenregelung aufzuzeigen.
[71] Ein Verstoß gegen diese Pflicht kann zu einer Schadenersatzpflicht führen, die auch die verhängte Verbandsgeldbuße umfasst. Das Argument, dass der Täter das Strafübel verspüren muss, um dem Präventionsgedanken des Strafrechts gerecht zu werden, gilt insoweit nicht, weil der Gesetzgeber selbst zum Ausdruck bringt, unter bestimmten Voraussetzungen auf den Strafanspruch des Staats zu verzichten. Hier geht es daher nicht (mehr) um die Strafwürdigkeit der Tat, sondern – ähnlich dem Fall der wegen Verletzung des Bankgeheimnisses unterlassenen Selbstanzeige – um die Chance, die daraus resultierenden Konsequenzen im Nachhinein zu beseitigen, um die die Klägerin hier durch die angebliche Fehlberatung durch die Beklagte gebracht worden sein soll. In einem solchen Fall ist es nicht erforderlich, einen zivilrechtlichen Schadenersatzanspruch des Geschädigten zu verneinen, um den Strafanspruch des Staats und die Zwecke der Strafe materiell aufrecht zu erhalten.
[72] 6.4. Das Begehren der Klägerin ist daher entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts nicht von vornherein unschlüssig. Freilich setzt ein Anspruch den Nachweis voraus, dass der Schaden bei einem bestimmten und möglichen pflichtmäßigen Handeln des Rechtsanwalts nicht eingetreten wäre (RS0022700), also die Verbandsgeldbuße mit überwiegender Wahrscheinlichkeit nicht verhängt worden wäre, weil die Klägerin bei richtiger (vollständiger) Beratung durch die Beklagte die Möglichkeit einer tätigen Reue oder des § 209a StPO ergriffen und auch die Voraussetzungen dafür erfüllt hätte. Dies wird im fortgesetzten Verfahren zu prüfen sein.
7. Ergebnis
[73] 7.1. Die Teilabweisung hat aus den genannten Gründen keinen Bestand. Der Revision der Klägerin ist daher Folge zu geben und auszusprechen, dass das Klagebegehren zur Gänze – also auch in Bezug auf die anteilig geltend gemachte Verbandsgeldbuße einschließlich des Pauschalkostenersatzes – nicht verjährt ist.
[74] 7.2. Die diese Entscheidung tragenden Erwägungen können wie folgt zusammengefasst werden:
Wird einem Rechtsanwalt vorgeworfen, einen Verband nicht über den Strafaufhebungsgrund der tätigen Reue (§ 167 StGB) oder ein mögliches Vorgehen nach § 209a StPO (Kronzeugenregelung) belehrt zu haben, so stehen der Strafanspruch des Staates und der Zweck der Verbandsgeldbuße einem auf deren Ersatz gerichteten Schadenersatzanspruch nicht entgegen.
III. Kostenentscheidung
[75] Auch für das Zwischenurteil zur Verjährung nach § 393a ZPO gilt der Kostenvorbehalt nach § 393 Abs 4 ZPO (RS0128615; RS0035896).
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