European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0070OB00136.22H.0125.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Fachgebiet: Versicherungsvertragsrecht
Spruch:
Der Revision wird Folge gegeben.
Das angefochtene Urteil wird dahin abgeändert, dass das Urteil des Erstgerichts wiederhergestellt wird.
Dieklagende Partei ist schuldig, der erstbeklagten Partei die mit 3.886,38 EUR (darin enthalten 647,73 EUR an Umsatzsteuer) und der zweitbeklagten Partei die mit 431,82 EUR (darin enthalten 71,97 EUR an Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens sowie der erstbeklagten Partei die mit 12.687,58 EUR (darin enthalten 466,52 EUR an Umsatzsteuer und 9.888,48 EUR an Barauslagen) und der zweitbeklagten Partei die mit 1.409,73 EUR (darin enthalten 51,83 EUR an Umsatzsteuer und 1.098,72 EUR an Barauslagen) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Entscheidungsgründe:
[1] Der Kläger ist der Fachverband der Immobilien- und Vermögenstreuhänder der Wirtschaftskammer Österreich. Seine gesetzlichen Aufgaben sind unter anderem die Vertretung der Interessen seiner Mitglieder, die Stärkung des Gemeinschaftsgeistes und des Ansehens in der Gesellschaft sowie Werbung und Öffentlichkeitsarbeit. Mitglieder des Klägers sind Rechtsträger von Unternehmen, die das Gewerbe der Immobilientreuhänder (§§ 94 Z 5, 117 GewO 1994) ausüben.
[2] Der Kläger schloss über Vermittlung der Zweitnebenintervenientin als von ihm beauftragter Versicherungsmaklerin mit der Erst- und der Zweitbeklagten als Versicherer einen als „Vertrauensschaden“‑versicherung betitelten Versicherungsvertrag ab, dessen Zweck es sein sollte, die gesetzliche Pflichthaftpflichtversicherung der Mitglieder des Klägers im Falle vorsätzlicher Schädigung zu ergänzen. Die Erstbeklagte beteiligte sich mit 90 %, die Zweitbeklagte mit 10 % (jeweils ohne Solidarhaftung) am Versicherungsvertrag. Keine der Beklagten verfügt über Standardbedingungen für eine solche Versicherung.
[3] Der Versicherungsvertrag lautet auszugsweise:
„[…]
VERMÖGENSSCHADEN-HAFTPFLICHT
VERSICHERUNGSNEHMER / PRÄMIENZAHLER
[Kläger]
0100 VERTRAUENSSCHADENVERSICHERUNG
VERSICHERTES RISIKO UND VERTRAGSGRUNDLAGEN
GEMÄSS BESONDERER BEDINGUNG H999
[…]
2118/003748-9
Vertrauensschaden-Versicherung
Versicherungsnehmer: [Kläger]
Versicherungsbeginn: 01.01.2017 0.00 Uhr
Versicherungsablauf: 01.01.2020 0.00 Uhr […]
Versicherungssumme: € 2,000.000,00 je Schadensfall […]
Jahresprämie: € 108,00 je Mitglied […]
Mindestprämie: auf Basis von 2.000 Mitgliedern (Versicherten)
[...]
1 Gegenstand der Versicherung, Versicherungsfall
a) Der Versicherer ersetzt den Geschädigten den Vermögensschaden, den ein versichertes Unternehmen diesen zugefügt hat (Versicherungsfall). Der versicherte Personenkreis ist in Ziffer 3.1 definiert. Der Versicherungsfall umfasst auch vorsätzliche, während der Vertragslaufzeit vorgenommene Handlungen, die nach den gesetzlichen Bestimmungen zum Schadenersatz verpflichten.
b) Versicherungsschutz besteht auch für solche Schäden, die den versicherten Unternehmen selbst dadurch entstehen, dass jemand aus dem versicherten Personenkreis laut Ziffer 3.1. einen Vermögensschaden vorsätzlich zufügen.
[…]
3 Personen/ Dritte
3.1 Als Personen im Sinne dieser Versicherung gelten die folgenden, zum Zeitpunkt des Versicherungsfalles tätigen bzw. bei den versicherten Unternehmen Beschäftigten:
a) Arbeiter und Angestellte […]
b) Einzelunternehmer, Unternehmer, Gesellschafter, Geschäftsführer, Vorstände, Aufsichts-, Verwaltungs- und Beiräte der versicherten Unternehmen.
[…]
3.2 Dritte sind Personen, bei denen es sich zum Zeitpunkt des Versicherungsfalles um keine Personen im Sinne von Ziffer 3.1 handelt.
[...]
5 Versicherte Unternehmen
Versicherte Unternehmen sind
5.1 die Mitglieder der WKO Fachverband der Immobilientreuhänder mit einer aufrechten Gewerbeberechtigung als Immobilienverwalter bzw. als Immobilientreuhänder, jedoch nur für den Bereich der Immobilienverwaltung.
[…]
7 Zeitliche Bestimmung des Versicherungsschutzes
7.1 Soweit nicht anders vereinbart, sind alle Versicherungsfälle versichert, die auf einer während der Laufzeit des Vertrages begangenen Handlung beruhen und dem Versicherer während der Vertragslaufzeit angezeigt werden.
7.2 Geht ein Versicherungsfall auf eine Handlung zurück, die innerhalb eines Jahres vor Versicherungsbeginn vorgenommen wurde, so besteht Versicherungsschutz für den Fall, dass die Versicherungsnehmerin erst nach Abschluss dieses Vertrages von dem Schaden Kenntnis erhalten hat.
8 Entschädigungsleistung
[...]
8.7 Abweichend von § 154 VersVG wird vereinbart, dass in Abstimmung mit dem Versicherungsnehmer nach einer Frist von 2 Monaten ab Meldung eines Schadensfalles in Anrechnung auf die Gesamtforderung Abschlagszahlungen in der Höhe dieses Be trags verlangt werden können.
[…]
10 Ausschlüsse
Nicht ersetzt werden Schäden,
10.1 die durch Personen im Sinne von Ziffer 3 verursacht werden, von denen ein versichertes Unternehmen bei Versicherungsbeginn bzw. bei Einschluss in die Versicherung wusste, dass sie bereits einmal eine vorsätzliche Handlung im Sinne von Ziffer 1 begangen haben;
[…]“
[4] Den Vertragsinhalt erstellte die Zweitnebenintervenientin im Auftrag des Klägers. Sie zog dabei ein am deutschsprachigen Markt übliches und allgemein bekanntes Bedingungswerk heran und passte es an die Bedürfnisse des Klägers an. In der Folge veranlasste sie auf der Grundlage der von ihr ausgearbeiteten Vertragsbestimmungen eine Ausschreibung für den Kläger. Daraufhin legten die beiden Beklagten neben zwei weiteren Versicherern ein Angebot, das letztlich vom Kläger angenommen wurde. Vor Vertragsabschluss wurde zwischen den Streitteilen besprochen, dass der Versicherungsvertrag die aufgrund des in der gesetzlichen Pflichthaftpflichtversicherung nicht gegebenen Versicherungsschutzes für eine vorsätzliche Schädigung durch ein Mitglied des Klägers bestehende Lücke schließen sollte. Darüber hinaus wurden die vorgegebenen Bedingungen in bestimmten Punkten über Vorschlag der Erstbeklagten abgeändert. Die Risikoausschlüsse wurden hingegen weder thematisiert noch abgeändert. Nicht festgestellt werden kann, dass der konkret versicherte Personenkreis oder mitversicherte Interessen des Klägers als Versicherungsnehmer besprochen worden wären.
[5] Eines der Mitglieder des Klägers war die o* GmbH (in der Folge: Hausverwaltung). Deren alleiniger Geschäftsführer begann (spätestens) 2012 der Hausverwaltung als Immobilienverwalterin anvertraute Verwaltungsguthaben zu entfremden sowie die zur Verwaltung von Eigenkonten der Auftraggeber dienende Verfügungsmacht zu missbrauchen und setzte dieses Verhalten bis zu seiner Selbstanzeige am 8. März 2019 fort. An diesen Vorgängen war nur er beteiligt. Weder Mitarbeiter der Hausverwaltung noch der Kläger oder die zweite Nebenintervenientin wussten bei Versicherungsbeginn von diesen „Malversationen“. Über das Vermögen der Hausverwaltung wurde mit Beschluss des Handelsgerichts Wien vom * März 2019, *, das Konkursverfahren eröffnet und der Erstnebenintervenient zum Masseverwalter bestellt.
[6] Der Kläger begehrt Zahlung von 182.429 EUR sA entsprechend dem Anteil der jeweiligen Beklagten an die (geschädigten) Eigentümergemeinschaften, in eventu an den Erstnebenintervenienten. Da innerhalb eines Jahres vor Versicherungsbeginn gesetzte Handlungen vom Versicherungsschutz umfasst seien, wenn der Kläger erst nach Abschluss des Vertrags Kenntnis erlangt habe, seien die Beklagten zur Deckung verpflichtet. Das Wissen des Geschäftsführers der Hausverwaltung über die Malversationen sei weder dem Kläger noch der Hausverwaltung zuzurechnen, sodass die Leistungspflicht der Beklagten auch nicht aufgrund des Wiederholungstäterausschlusses entfalle. Dieser als Ersatz für die vorvertragliche Anzeigeobliegenheit vorgesehene Risikoausschluss sei im Übrigen wegen Verstoßes gegen § 34a VersVG unzulässig. Darüber hinaus bestehe eine Mehrheit versicherter Interessen und seien sowohl der Kläger als auch die Geschädigten Mitversicherte, sodass die Obliegenheitsverletzung oder der (subjektive) Risikoausschluss der Hausverwaltung keinen Einfluss auf den Versicherungsschutz des Klägers sowie der Geschädigten habe.
[7] Die Nebenintervenienten schlossen sich diesem Vorbringen an.
[8] Die Beklagten beantragen Klagsabweisung. Der Kläger habe die Versicherung einzig im Interesse seiner Mitglieder abgeschlossen. Er und die Geschädigten seien daher nicht mitversichert. Aufgrund des vereinbarten Wiederholungstäterausschlusses bestehe keine Deckung, weil sich die Hausverwaltung das Wissen ihres alleinigen Geschäftsführers zurechnen lassen müsse. Da der Risikoausschluss vom Kläger vorgegeben worden sei, könne sich dieser nicht darauf berufen, dass dieser unwirksam sei.
[9] Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Der Wiederholungstäterausschluss sei gemäß § 914 ABGB am Maßstab des durchschnittlich verständigen Versicherungsnehmers und bei Unklarheiten gemäß § 915 ABGB zum Nachteil des Verwenders, also des Klägers, auszulegen. Es liege eine Versicherung für fremde Rechnung (Mitglieder des Klägers) vor. Weder seien Interessen des Klägers, noch jene von geschädigten Dritten mitversichert. Da die Judikatur zum Ausschluss der Zurechnung infolge Interessenkollision eine andere Problematik betreffe und nicht anzuwenden sei, habe eine Wissenszurechnung des schädigenden Geschäftsführers zur Gesellschaft (Hausverwaltung) zu erfolgen. Die Beklagten seien daher aufgrund des Risikoausschlusses leistungsfrei.
[10] Das Berufungsgericht gab den Berufungen des Klägers und der Zweitnebenintervenientin Folge und änderte das Urteil im klagsstattgebenden Sinn ab. Der Wiederholungstäterausschluss greife nicht, weil das Wissen des schädigenden Geschäftsführers der Gesellschaft (Hausverwaltung) nach ständiger Rechtsprechung aufgrund einer Interessenkollision nicht zuzurechnen sei. Das direkte Leistungsbegehren an die Geschädigten entspreche Art 1 des Versicherungsvertrags. Diese seien nämlich als versicherte Personen anzusehen, da sie in den Genuss der Versicherungsleistung kommen sollen.
[11] Gegen diese Entscheidung richtet sich die RevisionderBeklagten mit dem Antrag auf Abänderung im Sinn der Wiederherstellung des klagsabweisenden Ersturteils. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
[12] Der Kläger und die zweite Nebenintervenientin beantragen in ihren Revisionsbeantwortungen, die Revision zurückzuweisen, hilfsweise dieser nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
[13] Die Revision ist zur Wahrung der Rechtssicherheit zulässig; sie ist auch berechtigt.
[14] 1. Nach der Rechtsprechung sind unter Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) bzw Vertragsformblättern alle für eine Vielzahl von Verträgen vorformulierten Vertragsbedingungen zu verstehen, die eine Vertragspartei (Verwender) der anderen Vertragspartei bei Abschluss eines Vertrags stellt (RS0123499 [T2, T7]). AGB liegen nur dann nicht vor, wenn Vertragsbedingungen zwischen den Vertragsparteien im Einzelnen ausgehandelt sind (RS0123499 [T2]). Von einer individuellen Vereinbarung kann in Abgrenzung von einem Formularvertrag nur gesprochen werden, wenn der Geschäftspartner auch hinsichtlich des Vertragsinhalts eine Gestaltungsfreiheit zur Wahrung eigener berechtigter Interessen hat; wenn und soweit es ihm also möglich war, die inhaltliche Ausgestaltung der Vertragsbedingungen zu beeinflussen. Sein Vertragspartner muss daher zu einer Abänderung des von ihm verwendeten Textes erkennbar bereit gewesen sein (RS0123499 [T17]).
[15] Vor dem Hintergrund, dass das Vertragswerk von der Maklerin des Versicherungsnehmers ausgearbeitet wurde und es den Beklagten nach den Feststellungen möglich war, den Vertragsinhalt zu gestalten, weil der Kläger zu einer Abänderung des Textes bereit war, ist der vorliegende Versicherungsvertrag als individuelle Vereinbarung anzusehen.
[16] 2.1. Für die Auslegung einer zwischen den Parteien schriftlich getroffenen Vereinbarung ist der Wortlaut maßgeblich, solange – wie hier – nicht behauptet und bewiesen ist, dass aufgrund außerhalb der Urkunde liegender Umstände sich ein übereinstimmender Parteiwille oder ein vom allgemeinen Sprachgebrauch abweichender objektiver Sinn der Erklärung ergibt (RS0043422 [T6, T13]). Bei Auslegung einer Willenserklärung nach den §§ 914 ff ABGB ist zunächst vom Wortsinn in seiner gewöhnlichen Bedeutung auszugehen, dabei aber nicht stehen zu bleiben, sondern der Wille der Parteien, das ist die dem Erklärungsempfänger erkennbare Absicht des Erklärenden, zu erforschen (RS0017915). Es ist dabei das gesamte Verhalten der Vertragsteile, das sich aus Äußerungen in Wort und Schrift sowie aus sonstigem Tun oder Nichttun zusammensetzen kann, zu berücksichtigen (RS0017915 [T15, T29, T44]). Letztlich ist die Willenserklärung so zu verstehen, wie es der Übung des redlichen Verkehrs entspricht, wobei die Umstände der Erklärung und die im Verkehr geltenden Gewohnheiten und Gebräuche heranzuziehen sind (RS0017915).
[17] 2.2. Unklarheiten gehen zu Lasten der Partei, die sie in das vertragliche Geschehen des zukünftigen Vertragspartners einführte und daher auch die Möglichkeit hatte, deutliche Formulierungen zu wählen (§ 915 zweiter Fall ABGB; RS0017992). Da die hier relevanten Vertragsbestimmungen von der vom Kläger beauftragten Versicherungsmaklerin in das vertragliche Geschehen eingeführt wurden, gehen Unklarheiten zu dessen Lasten. Dass die Maklerin im Zuge der Ausarbeitung des Vertragswerks als Grundlage ein gängiges Bedingungswerk herangezogen hat, hat keine Relevanz, ist dies doch bei der Erstellung von Verträgen regelmäßig der Fall.
[18] 2.3. Die Zweifelsregel des § 915 ABGB kommt nur zur Anwendung, wenn die erklärte Absicht der Parteien mit den Auslegungsregeln des § 914 ABGB nicht ermittelt werden kann (RS0109295; RS0017951). Kann mit den Auslegungsregeln des § 914 ABGB das Auslangen gefunden werden, liegt der Fall des § 915 zweiter Halbsatz ABGB (undeutliche Äußerung) nicht vor (RS0017752).
[19] 3.1. Der wesentliche Zweck des zwischen den Streitteilen geschlossenen Versicherungsvertrags bestand darin, die gesetzliche Pflichthaftpflichtversicherung der Mitglieder des Klägers zu ergänzen und auch von diesen (bzw deren Vertrauenspersonen) verursachte vorsätzliche Schädigungen unter Versicherungsschutz zu stellen. Es handelt sich daher um eine Versicherung für fremde Rechnung, weil der Kläger im eigenen Namen mit der Beklagten einen Vertrag geschlossen hat, der das (fremde) Interesse seiner Mitglieder zum Gegenstand hat (vgl RS0017123 [T3, T6]). Dies ist im Verfahren auch nicht strittig. Der Kläger ist jedoch der Ansicht, es wären auch seine Interessen und jene der Geschädigten mitversichert. Dies ist nicht zutreffend:
[20] 3.2. Der Versicherungsvertrag kann eigene und fremde Interessen parallel erfassen. Wurde das versicherte Interesse und/oder der Interesseträger nicht ausdrücklich zwischen Versicherungsnehmer und Versicherer vereinbart, ist dies durch Auslegung des Versicherungsvertrags im Sinn des § 914 ABGB zu ermitteln (Kraus in Fenyves/Perner/Riedler 3 § 74 VersVG Rz 30; Perner, Privatversicherungsrecht Rz 6.36 ff). Bei Unklarheiten sind neben § 915 ABGB die Zweifelsregeln der §§ 80 Abs 1 und 74 Abs 2 VersVG zu beachten (Kraus in Fenyves/Perner/Riedler 3 § 74 VersVG Rz 27 ff). Der Abschluss einer Versicherung für fremde Rechnung setzt nach der Rechtsprechung regelmäßig voraus, dass die Absicht des Versicherungsnehmers auf eine solche Versicherung gerichtet war und dass der Versicherer diese Absicht aus den Umständen erkennen konnte (RS0080895; Kraus in Fenyves/Perner/Riedler 3 § 74 VersVG Rz 20). Die Benennung der Person des Versicherten ist freilich nicht zwingend erforderlich (vgl RS0080895 [T1]).
[21] 3.3. Im vorliegenden Fall ergibt sich weder aus dem Versicherungsvertrag noch aus den sonstigen Umständen bei Vertragsabschluss ein Anhaltspunkt, dass ein eigenes Interesse des Klägers versichert wäre. Vielmehr wird der Kläger nicht nur im Versicherungsvertrag, sondern auch in der Vorkorrespondenz durchwegs nur als Versicherungsnehmer und Prämienzahler bezeichnet, während – im Gegensatz zu einschlägigen deutschen Versicherungsbedingungen, nur seine Mitglieder ausdrücklich als „Versicherte“, „versicherter Personenkreis“ sowie „versicherte Unternehmen“ (Art 5.1.) bezeichnet werden. Ausgehend vom konkret besprochenen Zweck der Versicherung (siehe Punkt 3.1. der Entscheidung) war das vom Kläger nunmehr behauptete eigene Interesse („Abwehr der Beeinträchtigung der Marktstellung seiner Mitglieder, Verhinderung von Umlagenausfällen wegen Reduktion der Mitgliederzahl“) auch nicht erkennbar.
[22] 3.4. Auch das Interesse der Geschädigten ist im vorliegenden Versicherungsvertrag nicht mitversichert: Dies ergibt sich zunächst ebenfalls aus dem Zweck des zwischen den Parteien geschlossenen Versicherungsvertrags, wonach die im Rahmen der gesetzlichen Pflichthaftpflichtversicherung für vorsätzliche Schädigungen bestehende Deckungslücke bei den Mitgliedern des Klägers geschlossen werden sollte. Deshalb werden ausschließlich die Mitglieder des Klägers als „Versicherte“, „versicherter Personenkreis“ sowie „versicherte Unternehmen“ beschrieben, nicht jedoch die Geschädigten. Auch die Bezugnahme auf § 154 VersVG in Ziffer 8.7 der Vertragsbestimmungen deutet darauf hin, dass die Parteien von einem haftpflichtversicherungsrechtlichen Konzept ausgingen.
[23] Dagegen kann dem Vergleich des Berufungsgerichts mit den Vertrauensschadenversicherungen der deutschen Notarkammern nicht gefolgt werden. Dort steht nämlich der Schutz des Geschädigten im Vordergrund: Der Rechtsverkehr soll angemessen vor pflichtwidrigem Verhalten in Ausübung der Notarstätigkeit geschützt werden (Langheid in MünchKommVVG3 § 43 VVG Rn 33), weshalb dort der Geschädigte versicherte Person ist und nicht der Notar (Grote in MünchKommVVG2 550 Vertrauensschadenversicherung Rn 180). Für einen derartigen, der Beklagten erkennbaren Vertragszweck, gibt es hier aber keine Anhaltspunkte. Aus Ziffer 1 lit a der Vertragsbestimmungen allein lässt sich im Gesamtzusammenhang eine derartige Verpflichtung nicht mit hinreichender Klarheit ableiten, ging es dem Kläger nach den Feststellungen doch um den Schutz seiner Mitglieder. Schließlich wird die Versicherung in der Polizze auch als „Vermögensschaden-Haftpflicht“ bezeichnet. Es gibt daher insgesamt keine ausreichend konkreten Anhaltspunkte für einen Einschluss des Interesses der Geschädigten, zumal letztlich auch die Unklarheitenregel des § 915 ABGB zu Lasten des Klägers ausschlagen würde.
[24] 3.5. Zusammengefasst handelt es sich hier um eine Versicherung für fremde Rechnung zugunsten der Mitglieder des Klägers.
[25] 4.1. Gemäß Ziffer 10.1 der Vertragsbestimmungen werden Schäden, die durch Personen im Sinne von Ziffer 3 verursacht werden, von denen ein versichertes Unternehmen bei Versicherungsbeginn bzw bei Einschluss in die Versicherung wusste, dass sie bereits einmal eine vorsätzliche Handlung im Sinne von Ziffer 1 begangen haben, nicht ersetzt.
[26] 4.2. Zur Abgrenzung zwischen Risikoausschluss und Obliegenheit besteht bereits umfangreiche Rechtsprechung. Bei der Unterscheidung kommt es auf den materiellen Inhalt einer Versicherungsbedingung an, nicht auf ihre äußere Erscheinungsform oder Wortwahl. Trotz Bezeichnung als Risikoausschluss kann eine sogenannte verhüllte Obliegenheit vorliegen (RS0103965). Bei einem Risikoausschluss begrenzt der Versicherer von vornherein den Versicherungsschutz. Diese Umstände kann der Versicherungsnehmer nicht durch sein späteres Verhalten beeinflussen oder kontrollieren. Die von der Einhaltung einer Obliegenheit durch den Versicherungsnehmer abhängig gemachte Deckungspflicht des Versicherers stellt dem Versicherungsnehmer gegenüber auf das Gebot gewisser Handlungen oder Unterlassungen ab, an deren Einhaltung der Versicherer ein legitimes Interesse hat (RS0080068). Bei der Unterscheidung zwischen einer Obliegenheit und einer Risikobegrenzung ist also maßgebend, ob in erster Linie ein vom Versicherungsnehmer einzuhaltendes Verhalten bedungen werden sollte oder ob der Versicherer von vornherein gewisse Tatsachen von seiner Haftung ausschließen wollte, die unmittelbar geeignet sind, zum Versicherungsfall zu führen und die gegenüber der allgemeinen Risikoumschreibung ein qualitativ abweichendes Risiko darstellen (RS0080063).
[27] 4.3. Nach diesen Grundsätzen kann nach dem eindeutigen, unmissverständlichen Wortlaut und auch nach dem Inhalt der Ziffer 10.1 der Vertragsbestimmungen keinerlei Zweifel daran bestehen, dass diese Bestimmung einen Risikoausschluss darstellt. Die Versicherung erstreckt sich gemäß Ziffer 1 und 3 der Vertragsbestimmungen zwar grundsätzlich auf vorsätzliche Schädigungshandlungen bestimmter Personen („Vertrauenspersonen“) der versicherten Unternehmen während der Versicherungszeit. Von dieser Risikoumschreibung werden aber durch Ziffer 10.1 der Vertragsbestimmungen von vornherein gewisse Umstände ausgeschlossen: Wenn eine vertrauensunwürdige Person – also eine Person, die bereits bei Versicherungsbeginn eine vorsätzliche Handlung im Sinn von Ziffer 1 begangen hat – einen Schaden herbeiführt und das versicherte Unternehmen bei Versicherungsbeginn von der Vertrauensunwürdigkeit wusste, soll kein Versicherungsschutz bestehen. Das Risiko für eine vertrauensunwürdige Person soll daher nicht versichert sein (vgl dazu den sogenannten Wiederholungstäterauschluss in der deutschen Vertrauensschadenversicherung, Grote in MünchKommVVG2 550. Vertrauensschadenversicherung Rn 138; Koch, Vertrauensschadenversicherung, Rn 225 ff).
[28] 5. Die Frage der Zulässigkeit des vereinbarten Risikoausschlusses (vgl Gruber, Grundlagen der Vertrauensschadenversicherung, wbl 2017, 316 [320 f]) bedarf im vorliegenden Fall keiner Erörterung, weil es dem Kläger als Fachverband der WKÖ schon nach Treu und Glauben (vgl RS0018055) sowie dem Grundsatz des venire contra factum proprium verwehrt ist, sich auf dessen Unwirksamkeit zu berufen, wurde diese Vertragsbestimmung doch von der von ihm beauftragten Versicherungsmaklerin formuliert und vom Kläger selbst in das vertragliche Geschehen eingeführt.
[29] 6. Eine juristische Person hat für das Verhalten und die Kenntnis ihrer Vertretungsorgane einzustehen (vgl RS0080502, RS0081066). Daher ist etwa das Wissen der beiden Vorstände über eine vor Versicherungsbeginn bestehende Verdachtslage in Bezug auf das Bestehen von Prospekthaftungsansprüchen der versicherten Aktiengesellschaft zuzurechnen und kann eine Verletzung der vorvertraglichen Anzeigeobliegenheit begründen (7 Ob 216/20w, Rz 70 ff, insb Rz 84). Gleiches gilt auch nach den vorliegenden Bedingungen: Das Wissen des Alleingeschäftsführers über bereits vor Versicherungsbeginn von ihm verursachte vorsätzliche schädigende Handlungen iSv Ziffer 1 der Vertragsbestimmungen ist der versicherten Hausverwaltung GmbH zuzurechnen.
[30] Die in ständiger Rechtsprechung vertretene Ausnahme, wonach das Wissen des schädigenden Vertreters um die Schädigung dem geschädigten Vertretenen bei Feststellung des Beginns der Verjährungsfrist sowohl bei Anspruchsdurchsetzung gegenüber einem dritten Schädiger als auch gegenüber dem schädigenden Vertreter nicht zuzurechnen sei (RS0009172 [T8]; RS0114717), ist hier mangels vergleichbarer Interessenlage nicht einschlägig. Die Ausnahmefälle hatten nämlich Ersatzansprüche des geschädigten Vertretenen (Gesellschaft) gegenüber dem Schädiger (Geschäftsführer oder Dritter) und nicht Ansprüche der geschädigten Gesellschaft gegen einen an der Schädigung nicht beteiligten Dritten, wie zB den Versicherer, zum Gegenstand. Verkehrsschutzüberlegen sprechen hier für die Wissenszurechnung, weil ansonsten ein vor Versicherungsbeginn gesetztes vorsätzliches Verhalten des Alleingeschäftsführers, von dem kein anderer Wissensvertreter (vgl dazu 6 Ob 183/13z mwN; U. Torggler in U. Torggler § 19 GmbHG Rz 4 f; Enzinger in Straube, WK GmbHG § 18 Rz 67 f) Kenntnis erlangt, stets unbeachtlich wäre, obwohl der Ausschluss die Begrenzung genau dieses Risikos bezweckt.
[31] 7. Zusammengefasst wusste daher die zweite Nebenintervenientin bei Versicherungsbeginn von der Vertrauensunwürdigkeit ihres Geschäftsführers, der die vom Kläger geltend gemachten Schäden allein verursacht hat, sodass die Beklagten aufgrund des vereinbarten Risikoausschlusses leistungsfrei sind.
[32] 8. Der Revision war daher Folge zu geben und die Entscheidung des Erstgerichts wiederherzustellen.
[33] 9. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 50, 41, 46 Abs 1 ZPO. Werden – wie hier – mehrere Beklagte unterschiedlich ohne Behauptung ihrer Solidarhaftung in Anspruch genommen, so erwerben sie bei Klagsabweisung ihren Kostenersatzanspruch nach Quoten (hier: 90 % zu 10 %) und nicht als Gesamthandforderung (Obermaier, Kostenhandbuch³ Rz 1.361).
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