Spruch:
Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.
Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden aufgehoben. Dem Erstgericht wird die Durchführung des gesetzlichen Verfahrens über den Antrag unter Abstandnahme vom gebrauchten Zurückweisungsgrund aufgetragen.
Text
Begründung
Der mj. Antragsteller ist deutscher Staatsangehöriger und lebt bei seiner Mutter in Deutschland. Der in Salzburg wohnhafte Vater wurde mit Beschluss des Amtsgerichts L***** zur Zahlung eines monatlichen Unterhaltsbetrags von EUR 176,40 verpflichtet.
Mit seinem an das Erstgericht gerichteten Antrag begehrte der Antragsteller Unterhaltsvorschüsse nach den §§ 3, 4 Z 1 UVG in Höhe von monatlich EUR 65,40. Mit Bescheid des Kreisjugendamts B***** sei ihm für die Zeit vom 1. 1. 2002 bis 31. 10. 2003 ein monatlicher Unterhaltsvorschuss von EUR 111,-- gewährt worden. Nach der Judikatur des EuGH habe er als in Deutschland aufhältiger Minderjähriger mit deutscher Staatsangehörigkeit einen Anspruch auf Unterhaltsvorschussleistung der Republik Österreich, weil sein Vater in Österreich tätiger Arbeitnehmer sei. Eine Exekution auf dessen Arbeitseinkommen habe den laufenden Unterhalt für die letzten sechs Monate vor Antragstellung nicht gedeckt. Der geltend gemachte Unterhaltsvorschuss stelle die Differenz zwischen dem gerichtlich festgesetzten Kindesunterhalt und den in Deutschland bezogenen Unterhaltsvorschüssen dar.
Das Erstgericht wies den Antrag wegen fehlender inländischer Gerichtsbarkeit zurück. Gemäß § 110 JN sei für die in § 109 JN genannten Angelegenheiten die inländische Gerichtsbarkeit gegeben, wenn der Minderjährige oder sonstige Pflegebefohlene österreichischer Staatsbürger sei oder seinen gewöhnlichen Aufenthalt oder - soweit es um dringende Maßnahmen gehe - zumindest einen Aufenthalt oder Vermögen im Inland habe, soweit es um dieses Vermögen betreffende Maßnahmen gehe. Da der Antragsteller deutscher Staatsangehöriger mit gewöhnlichem Aufenthalt in Deutschland sei, sei die inländische Gerichtsbarkeit nicht gegeben.
Das Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung und erklärte den ordentlichen Revisionsrekurs für zulässig. Keiner der in § 110 JN genannten Anknüpfungspunkte sei gegeben. Auch in bilateralen und multilateralen Abkommen fänden sich, soweit überblickbar, keine Sondervorschriften, die eine staatsvertragliche Verpflichtung Österreichs zur Ausübung der Gerichtsbarkeit in Unterhaltsvorschusssachen für Minderjährige, die weder österreichische Staatsbürger sind noch einen (gewöhnlichen) in Österreich haben, statuieren würden. Die EuGVVO regle die inländische Gerichtsbarkeit für das Erkenntnis- und Provisorialverfahren, und zwar zwischen Unterhaltspflichtigen und Unterhaltsberechtigten. Dazu könne aber das Unterhaltsvorschussverfahren nicht gezählt werden. Eine Gesetzeslücke liege nicht vor. Mangels inländischer Gerichtsbarkeit sei nicht zu prüfen, ob die materiellen Voraussetzungen für die Gewährung von Unterhaltsvorschüssen vorliegen. Der Revisionsrekurs sei zulässig, weil zu den relevierten erheblichen Rechtsfragen höchstgerichtliche Rechtsprechung fehle.
Rechtliche Beurteilung
Der Oberste Gerichtshof hat im Anschluss an Entscheidungen des EuGH (C-85/99 -Offermanns; C-255/99 -Humer) wiederholt ausgesprochen, die Regelung des § 2 Abs 1 UVG, die den Kreis der vorschussberechtigten Personen bestimme, sei im Verhältnis zu den Bestimmungen der Wanderarbeitnehmerverordnung (Verordnung [EWG] Nr 1408/71 des Rates vom 14. 6. 1971 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie der Familienangehörigen, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern) unvollständig. Die Art 73 und 74 dieser - auch im innerstaatlichen Rechtsbereich unmittelbar anzuwendenden - Verordnung seien so auszulegen, dass ein minderjähriges Kind, das zusammen mit dem sorgeberechtigten Elternteil in einem anderen als dem die Leistung erbringenden Mitgliedstaat wohnt und dessen anderer, zu Unterhaltszahlungen verpflichteter Elternteil in dem die Leistung erbringenden Mitgliedstaat tätiger oder arbeitsloser Arbeitnehmer ist, Anspruch auf eine Familienleistung wie den Unterhaltsvorschuss nach dem UVG habe (1 Ob 86/01f = ÖA 2001, 314; 7 Ob 39/02i ua). Ein unterhaltsberechtigter Minderjähriger habe nach diesen Normen des Gemeinschaftsrechts trotz Fehlens eines gewöhnlichen Aufenthalts in Österreich entgegen § 2 Abs 1 UVG Anspruch auf Gewährung von Unterhaltsvorschüssen, sofern sein Vater in Österreich berufstätig ist oder aber arbeitslos ist und Arbeitslosengeld bezieht. Voraussetzung ist nicht eine berufliche Tätigkeit oder Beschäftigungslosigkeit des in einen Mitgliedstaat der Gemeinschaft verzogenen obsorgeberechtigten Elternteils, vielmehr genüge es, dass der im Inland verbleibende andere Elternteil berufstätig oder beschäftigungslos ist. Ob die Eltern verheiratet sind oder waren, ist nicht entscheidungswesentlich (1 Ob 289/01h zur Frage der Einstellung gewährter Unterhaltsvorschüsse).
Zutreffend verweist der Revisionsrekurswerber nun darauf, dass die Gewährung materieller Ansprüche nach dem UVG auch die inländische Gerichtsbarkeit nach sich ziehen müsse. Auch wenn in Österreich ungeachtet der neueren Judikatur des EuGH zum Kreis der Anspruchsberechtigten weder die Bestimmungen des UVG noch jene der Verfahrensgesetze entsprechend angepasst worden seien, müssten bestehende Gesetzeslücken in der Weise gefüllt werden, dass die Gerichte im Hinblick auf die materiell-rechtliche Lage in den fraglichen Fällen die inländische Gerichtsbarkeit als gegeben betrachten.
Aus den verfahrensrechtlichen Bestimmungen des UVG ist abzuleiten, dass der Gesetzgeber davon ausgeht, über Anträge auf nach dem österreichischen UVG zu gewährende Unterhaltsvorschüsse sei von österreichischen Gerichten zu erkennen (vgl §§ 10, 34 UVG); auch die dem Präsidenten des Oberlandesgerichts eingeräumte verfahrensrechtliche Stellung (vgl nur §§ 14, 15 Abs 1, 32 UVG) setzt ersichtlich ein Verfahren vor einem österreichischen Gericht voraus, zumal auch die Auszahlung der Vorschüsse durch den Präsidenten des Oberlandesgerichts zu verfügen ist (§ 13 Abs 1 Z 3, § 17 Abs 1 UVG). Es erschiene daher problematisch, den Antragsteller darauf zu verweisen, Unterhaltsvorschüsse nach den Bestimmungen des österreichischen UVG in einem Verfahren vor dem (ausländischen) Pflegschaftsgericht seines Wohnsitzes zu begehren.
Darüber hinaus ist nicht zu übersehen, dass § 110 Abs 1 JN das Vorliegen der österreichischen inländischen Gerichtsbarkeit nicht ausschließlich von der (österreichischen) Staatsbürgerschaft bzw vom Aufenthalt des Pflegebefohlenen im Inland abhängig macht. Nach § 110 Abs 1 Z 3 JN liegt die inländische Gerichtsbarkeit auch dann vor, wenn der Pflegebefohlene Vermögen im Inland hat, soweit es um dieses Vermögen betreffende Maßnahmen geht. Nach den - durch Vorlage entsprechender Urkunden bescheinigten - Behauptungen des Antragstellers besitzt er einen Unterhaltsanspruch in Höhe von monatlich EUR 176,40 gegen seinen in Salzburg wohnhaften (berufstätigen) Vater. Damit ist die Voraussetzung des inländischen Vermögens erfüllt, weil bei Forderungen der Wohnsitz oder der gewöhnliche Aufenthalt des Schuldners als der Ort gilt, an dem sich das Vermögen befindet (§ 99 Abs 2 Satz 1 JN). Da § 1 UVG bestimmt, dass der Bund auf den gesetzlichen Unterhalt minderjähriger Kinder Unterhaltsvorschüsse zu gewähren hat, kann - jedenfalls bei auch den europarechtlichen Aspekt einschließender verfassungskonformer Interpretation - durchaus gesagt werden, dass die Geltendmachung von Unterhaltsvorschüssen eine Maßnahme darstellt, die das im Unterhaltsanspruch bestehende Vermögen des Minderjährigen betrifft.
Da somit die Tatbestandsvoraussetzungen des § 110 Abs 1 Z 3 JN erfüllt sind, ist die inländische Gerichtsbarkeit gegeben.
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