OGH 1Ob151/20t

OGH1Ob151/20t23.9.2020

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Univ.‑Prof. Dr. Bydlinski als Vorsitzenden sowie die Hofräte und die Hofrätin Mag. Wurzer, Mag. Dr. Wurdinger, Dr. Hofer‑Zeni‑Rennhofer und Dr. Parzmayr als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei K* GmbH, *, vertreten durch Dr. Martin Löffler, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei E*, vertreten durch Mag. Markus Adam, Rechtsanwalt in Wien, wegen Aufkündigung, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgericht vom 24. Juni 2020, GZ 40 R 120/20y‑18, mit das Urteil des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien vom 3. April 2020, GZ 20 C 213/19b‑13, in der Fassung des Berichtigungsbeschlusses vom 10. April 2020 bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2020:E129503

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

1.1. Der Kündigungsgrund des unleidlichen Verhaltens iSd § 30 Abs 2 Z 3 zweiter Fall MRG stellt die mietrechtliche Konkretisierung der Unzumutbarkeit des Fortbestands des Dauerrechtsverhältnisses dar (RIS‑Justiz RS0014436). Er setzt eine erhebliche Störung des friedlichen Zusammenlebens voraus (RS0070437), die entweder durch längere Zeit fortgesetzt wird oder sich in häufigen Wiederholungen äußert (RS0067678). Ob es sich bei einem konkreten Verhalten um ein unleidliches Verhalten gemäß § 30 Abs 2 Z 3 zweiter Fall MRG handelt, begründet aufgrund der Einzelfallbezogenheit der dabei vorzunehmenden Abwägungen typischerweise keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO (vgl RS0070303 [T11]; RS0042984), es sei denn, es wäre der gesetzliche Ermessensspielraum überschritten worden (RS0042984 [T4]) oder eine auffallende und im Interesse der Rechtssicherheit zu korrigierende Fehlbeurteilung unterlaufen (RS0042984 [T5; T6; T8]). Dies ist hier nicht der Fall.

1.2. Das Erstgericht stellte – soweit für die Beurteilung der Revision relevant – fest, dass der Beklagte als Mieter eines Geschäftslokals in einem Einkaufszentrum eine dessen allgemeinen WC‑Bereich von einem ins Freie führenden (als Fluchtweg vorgesehenen) Gang abgrenzende Notausgangstüre mit verschiedenen Gegenständen „verbarrikadiert“ hatte, sodass diese nicht geöffnet werden konnte. Außerdem hatte er auf diesem Gang diverse Gegenstände abgestellt. Eine am Ende des Gangs ins Freie führende Türe hielt der Beklagte des öfteren versperrt. Nachdem er von der Hausverwaltung aufgefordert worden war, eine (andere) Türe seines Mietobjekts zu einem (anderen) Gang geschlossen zu halten und von ihm auf dem (nicht näher bezeichneten) Gang gelagerte Gegenstände zu entfernen, entfernte der Beklagte noch am selben Tag sämtliche ihm gehörenden Gegenstände von dem als Fluchtweg vorgesehenen Gang und er machte auch die zu diesem Zeitpunkt „verbarrikadierte“ (Notausgangs‑)Türe zugänglich und hielt die vom (Flucht‑)Gang ins Freie führende Türe seither unversperrt. Etwa eine Woche nach dieser Aufforderung brachte die Klägerin die Aufkündigung bei Gericht ein.

1.3. Das Berufungsgericht beurteilte diesen Sachverhalt – unter Zugrundelegung der eingangs dargestellten Grundsätze zum Kündigungsgrund des § 30 Abs 2 Z 3 zweiter Fall MRG – dahin, dass es darin (bei gebotener Gesamtbetrachtung des Verhaltens des Beklagten; RS0070321) noch keine derart erhebliche Störung des friedlichen Zusammenlebens erblickte, die der Klägerin eine Fortsetzung des Mietverhältnisses unzumutbar mache. Diese Einschätzung bewegt sich im Rahmen des bei der Anwendung dergenannten Kündigungsbestimmung bestehenden Beurteilungsspielraums. Dem Beklagten ist dabei vor allem zugutezuhalten, dass er sein ihm in der Aufkündigung als unleidlich vorgeworfenes Verhalten schon vorher (und ohne dass ihm diese angedroht worden wäre) eingestellt hat. Ist sogar die Einstellung eines dem Mieter zum Vorwurf gemachten Verhaltens nach Aufkündigung bei der Beurteilung, ob das Gesamtverhalten die Kündigung rechtfertigt, bzw für die Zukunftsprognose mitzuberücksichtigen (RS0067534 [T1; T2]), so muss dies um so mehr gelten, wenn er das als Kündigungsgrund angezogene (andauernde bzw wiederholte) Verhalten schon zuvor eingestellt hat (vgl 9 Ob 23/13t, wo es ebenfalls zu Gunsten des Mieters berücksichtigt wurde, dass dieser sein gefährliches Verhalten – die Lagerung von Propangasflaschen – vor der Aufkündigung [und sogar erst nach Aufforderung durch „die Behörde“] einstellte).

1.4. Die Revision hält der Beurteilung des Berufungsgerichts keine überzeugenden Argumente entgegen. Dass die „Verbarrikadierung“ der Notausgangstüre zu einer konkreten Gefährdung anderer Mieter oder Besucher des Einkaufszentrums geführt hätte, steht nicht fest und wurde auch gar nicht behauptet. Insoweit ist der vorliegende Fall nicht mit dem der Entscheidung 1 Ob 102/02k zugrundeliegenden Sachverhalt vergleichbar, wo durch das vorsätzliche Ansägen einer in Betrieb befindlichen Gasleitung eine konkrete (Explosions‑)Gefahr hervorgerufen wurde. Auch mit der zu 6 Ob 227/00a zu beurteilenden Lagerung von Sondermüll durch ein gewerbliches Unternehmen auf dem Freigelände des Mietobjekts und der Ableitung chemischer Substanzen durch die Dusche, wodurch diese in eine Sickergrube gelangten und den Klärschlamm verunreinigten, sodass eine normale Entsorgung nicht mehr möglich war, kann der vorliegende Fall nicht verglichen werden; ebensowenig mit der in der Entscheidung 1 Ob 550/88 dem dortigen Mieter vorgeworfenen „feuerpolizeiwidrigen“ Lagerung brennbarer Gegenstände auf einem nicht mitgemieteten Dachboden trotz mehrfachen Einschreitens der Bau‑ und Feuerpolizei sowie mehrfacher Abmahnungen durch den Vermieter (wobei in dieser Entscheidung der Kündigungsgrund des erheblich nachteiligen Gebrauchs geprüft wurde).

1.5. Dafür, dass der Beklagte vorsätzlich das Leben anderer Mieter bzw von Kunden des Einkaufszentrums gefährdet hätte, bieten die Feststellungen keinen Anhaltspunkt. Soweit die Klägerin erstmals in dritter Instanz behauptet, der Beklagte habe durch das Abstellen von Gegenständen (insbesondere eines Grillers) am (Flucht‑)Gang eine Brandgefahr geschaffen, verstößt sie gegen das im Revisionsverfahren geltende Neuerungsverbot. Auf den Vorwurf, der Beklagte sei bereits 2012 aufgefordert worden, das Abstellen von Gegenständen im Gangbereich zu unterlassen (der Beklagte kam dieser Aufforderung umgehend nach), muss nicht näher eingegangen werden, weil die Klägerin die Kündigung in dritter Instanz nur auf das „Verstellen“ bzw „Verbarrikadieren“ des Fluchtwegs stützt und sich weder aus dem festgestellten Sachverhalt noch dem Klagevorbringen ergibt, dass sich auch die Aufforderung im Jahr 2012 darauf bezog.

2.1. Die Aufkündigung wurde von der Klägerin auch darauf gestützt, dass der Beklagte mit seinem Verhalten einen erheblich nachteiligen Gebrauch vom Mietgegenstand iSd § 30 Abs 2 Z 3 erster Fall MRG gemacht habe. Dies setzt eine wiederholte, länger währende vertragswidrige Benützung des Bestandobjekts oder eine durch eine längere Reihe von Unterlassungen notwendiger Vorkehrungen erfolgte oder drohende erhebliche Verletzung der Substanz des Mietgegenstands (RS0067832; RS0068076; RS0102020 ua) oder die Gefährdung wichtiger wirtschaftlicher oder sonstiger Interessen des Vermieters oder anderer Mieter durch das nachteilige Verhalten des (gekündigten) Mieters voraus (RS0021031; RS0070348).

2.2. Eine Substanzbeeinträchtigung wurde von der Klägerin nicht behauptet. Ohne eine solche kann die Verletzung vertraglicher oder gesetzlicher Pflichten aber nur dann unter § 30 Abs 2 Z 3 erster Fall MRG subsumiert werden, wenn die Interessen des Vermieters erheblich beeinträchtigt werden (vgl RS0133130). Eine konkrete Beeinträchtigung ihrer wirtschaftlichen Interessen legt die Revisionswerberin gar nicht dar. Dass aufgrund der zeitweiligen Unzugänglichkeit des von der Toilettenanlage des Einkaufszentrums ins Freie führenden Fluchtwegs „saftige Strafen“ gegen sie verhängt werden hätten können, zeigt eine Unzumutbarkeit der Vertragsfortsetzung schon deshalb nicht auf, weil nicht behauptet wurde, dass die Einleitung eines Verwaltungsstrafverfahrens konkret gedroht hätte. Eine nicht näher konkretisierte „Existenzgefährdung“ der Klägerin ist nicht erkennbar.

2.3. Dass auch – da der Bestandgeber gegenüber der Bau‑ und Feuerpolizei für die Einhaltung der einschlägigen Vorschriften und Auflagen verantwortlich ist – durch bauordnungs‑ oder feuerpolizeiwidrige Einrichtungen oder Unterlassungen eine erhebliche Verletzung der Interessen des Vermieters eintreten kann, ist zwar zutreffend (vgl 7 Ob 321/99b mwN), bedeutet aber nicht, dass dies stets zwingend der Fall wäre, hängt doch auch die Beurteilung des Kündigungsgrundes des § 30 Abs 2 Z 3 erster Fall MRG von den jeweiligen Umständen des Einzelfalls ab (vgl RS0021018; RS0113693). Dass das Berufungsgericht – das auchdarauf hinwies, dass nicht jede gesetz‑ oder vertragswidrige Verwendung des Bestandgegenstands durch den Mieter zur Aufkündigung berechtigt, wenn diesem Verhalten auch mit Unterlassungsklage begegnet werden könnte (5 Ob 501/92; 1 Ob 117/00p; 7 Ob 242/10d; vgl auch 1 Ob 33/16h zum Kündigungsgrund des unleidlichen Verhaltens) –diesen Kündigungsgrund als nicht verwirklicht ansah, bewegt sich vor allem wieder im Hinblick darauf, dass der Beklagte das ihm in der Aufkündigung vorgeworfene Verhalten bereits zuvor eingestellt hatte, im Rahmen des bestehenden Beurteilungsspielraums.

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