OGH 1Ob117/00p

OGH1Ob117/00p30.5.2000

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schlosser als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Gerstenecker, Dr. Rohrer, Dr. Zechner und Dr. Prückner als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei G***** Gesellschaft mbH, ***** vertreten durch Dr. Franz Amler und Dr. Michael Schwarz, Rechtsanwälte in St. Pölten, wider die beklagte Partei A***** Gesellschaft mbH, ***** vertreten durch Dr. Peter Eigenthaler, Rechtsanwalt in Lilienfeld, wegen Aufkündigung infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts St. Pölten als Berufungsgericht vom 22. Februar 2000, GZ 36 R 28/00m-32, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Bezirksgerichts St. Pölten vom 13. Dezember 1999, GZ 6 C 151/99m-21, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die beklagte Partei hat die Kosten des Revisionsverfahrens selbst zu tragen.

Text

Begründung

Die klagende Partei kündigte der beklagten Partei ein Geschäftslokal zum 31. 12. 2000 auf und begehrte die Übergabe des geräumten Lokals. Die beklagte Partei betreibe im Mietobjekt illegale Glücksspiele, weshalb das "Kartenkasino" auch behördlich geschlossen worden sei. Durch die aus diesem Anlass veröffentlichten Presseberichte sei großer Schaden für den Ruf des Gesamtobjekts entstanden. Die Veranstaltung illegaler Glücksspiele stelle eine eigenmächtige Änderung des vertraglich festgelegten Verwendungszwecks des Mietobjekts dar.

Die beklagte Partei wendete ein, sie habe lediglich einem anderen Unternehmen gestattet, im angemieteten Geschäftslokal auf eigene Rechnung und Verantwortung erlaubte Spiele konzessionsgemäß abzuwickeln. Mit dieser Erlaubnis sei die Erwartung verknüpft gewesen, dass der Umsatz im Gastronomiebetrieb der beklagten Partei erhöht würde.

Das Erstgericht hob die am 24. 2. 1999 ausgesprochene Aufkündigung auf und wies das Klagebegehren ab.

Es stellte fest, das Mietobjekt umfasse ein Restaurant im Erdgeschoss, den Westtrakt des Obergeschosses, ein Kellerabteil und einen gemeinsamen Parkplatz. Es sei ausschließlich zu Geschäftszwecken, und zwar zum Betrieb eines Gastronomieunternehmens mit Automatenaufstellung und zum Betrieb eines Wettbüros vermietet worden. Jede widmungswidrige Verwendung des Mietgegenstands sei vertraglich ausdrücklich als Kündigungsgrund im Sinne des § 30 Abs 2 Z 13 MRG vereinbart worden. Die beklagte Partei habe einem anderen Unternehmen im Wege eines Untermietverhältnisses eine Teilfläche des Geschäftslokals zum Betrieb eines Kartenkasinos zur Verfügung gestellt. Durch die von der Untermieterin vorgenommene Aufstellung von fünf Pokertischen im Obergeschoss des Geschäftslokals sei keine maßgebliche Veränderung (des Lokals) eingetreten, weil es bereits vorher durch den Betrieb von Spielautomaten, Billardtischen und einer Bar genutzt worden sei. Eines der an den Pokertischen abgehaltenen Pokerspiele sei als verbotenes Glücksspiel zu werten, doch sei durch diese Nutzung des Lokals der klagenden Partei kein erheblicher Nachteil erwachsen.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung und sprach aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei. Das Erstgericht habe die richterliche Anleitungspflicht gemäß § 182 Abs 1 ZPO nicht verletzt, weil nicht verlangt werden könne, dass das Gericht seine Ansicht vom Wert bisheriger Beweismittel bekanntgeben und weitere Beweisanbote einmahnen müsse. Die beklagte Partei müsse als Bestandnehmerin für das Verhalten des Unternehmens einstehen, dem sie einen Teil des Bestandobjekts zum Zweck des Betriebs eines Kartenkasinos überlassen habe, wobei bedeutungslos sei, ob auch ein Untermietverhältnis begründet worden sei. Zu prüfen sei nur, ob die Veranstaltung von teils verbotenen Glücksspielen den Kündigungsgrund des erheblich nachteiligen Gebrauchs im Sinne des § 1118 ABGB und des § 29 Abs 1 Z 5 MRG verwirkliche. Allein aus der Tatsache, dass im Bestandobjekt eine verbotene Pokervariante gespielt worden sei, sei nicht abzuleiten, dass die beklagte Partei bzw das Unternehmen, das mit ihrem Wissen die Pokerspiele veranstaltet habe, der "organisierten Kriminalität" zuzurechnen sei. Es sei auch nicht nachvollziehbar, weshalb der Betrieb eines Kartenkasinos andere Besucher anlocken sollte als der ausdrücklich im Mietvertrag vorgesehene Verwendungszweck der Automatenaufstellung und des Wettbüros. Es reiche nicht aus, wenn ein Bestandnehmer vom Bestandgegenstand einen gesetzwidrigen bzw vertragswidrigen Gebrauch mache, sofern dieser für den Bestandgeber nicht zugleich auch "erheblich nachteilig" sei. Davon könne aber keine Rede sein, sodass der Ruf oder wichtige wirtschaftliche oder sonstige Interessen des Bestandgebers weder geschädigt noch gefährdet seien, weshalb ein für diesen nachteiliger Gebrauch nicht vorliege.

Die Revision der klagenden Partei ist unzulässig.

Rechtliche Beurteilung

Die Verweisung auf die "detaillierten Ausführungen in der vorangegangenen Berufung" durch die Revisionswerberin ist wirkungslos. Es ist unzulässig, den Inhalt eines anderen (Rechtsmittel- oder sonstigen) Schriftsatzes zum Inhalt eines Rechtsmittels zu machen. Es können nur solche Ausführungen Berücksichtigung finden, die im Rechtsmittel selbst oder zumindest ausdrücklich gegenüber dem Rechtsmittelgericht gemacht werden. Die Verweisung auf den Inhalt eines anderen Schriftsatzes verstößt gegen § 506 Abs 1 Z 2 ZPO und ist unbeachtlich (1 Ob 148/99t; SZ 69/209; ZVR 1993/137; 1 Ob 530/90).

Die Verletzung der richterlichen Anleitungspflicht begründet einen Verfahrensmangel (Fucik in Rechberger ZPO2 Rz 2 zu § 182). Das Vorliegen dieses von der klagenden Partei in deren Berufung gerügten Verfahrensmangels hat das Gericht zweiter Instanz - übrigens in rechtlich völlig einwandfreier Weise (vgl MietSlg 50.719; 3 Ob 303/97y; 3 Ob 506, 507/90 uva) - bereits verneint. Die neuerliche Geltendmachung der behaupteten Mangelhaftigkeit des erstinstanzlichen Verfahrens im Revisionsverfahren ist unzulässig (1 Ob 318/97i; SZ 62/157 uva).

Die Revisionswerberin meint, die Vorinstanzen hätten die Bedeutung der "niederösterreichischen Abgabegesetze", nach welchen zumindest teilweise eine Haftung der klagenden Partei möglich sei, außer Acht gelassen. Richtig ist, dass die klagende Partei bereits in der Aufkündigung ausgeführt hat, es bestehe die Gefahr, dass die Vermieterin gemäß den Bestimmungen des Nö Lustbarkeitsabgabegesetzes, LGBl 3703-2, für allfällige rückständige Steuern und Gebühren hafte. Auf dieses Vorbringen ist das Erstgericht tatsächlich nicht eingegangen, die klagende Partei kam aber in der Berufung auf ihre Ausführungen hiezu nicht mehr zurück und hielt damit diesen in erster Instanz - wenn auch äußerst abstrakt - geltend gemachten Rechtsgrund im Berufungsverfahren nicht mehr aufrecht. An diese Anfechtungsbeschränkung war das Berufungsgericht gebunden (EvBl 1985/154). Ein Wiederaufgreifen dieses Vorbringens im Revisionsverfahren ist unzulässig (MR 1989, 52; Kodek in Rechberger ZPO2 Rz 5 zu § 503).

Ein Bestandnehmer macht vom Bestandgegenstand nach ständiger Rechtsprechung dann "erheblich nachteiligen Gebrauch" im Sinne des § 30 Abs 2 Z 3 erster Fall MRG, wenn entweder durch eine wiederholte, länger währende vertragswidrige Benützung des Bestandobjekts oder durch eine längere Reihe von Unterlassungen notwendiger Vorkehrungen eine erhebliche Verletzung der Substanz des Mietobjekts erfolgte bzw auch nur droht oder dieses Verhalten geeignet ist, den Ruf oder wichtige wirtschaftliche oder sonstige Interessen des Vermieters zu schädigen oder zu gefährden. Dabei genügt eine "drohende Gefahr", eine gänzlich ungewisse künftige Möglichkeit kommt hingegen als wichtiger Auflösungs- bzw Kündigungsgrund nicht in Betracht. Ob ein der beklagten Partei anzulastender Nachteil, also insbesondere eine Rufbeeinträchtigung droht bzw bereits eingetreten ist, hängt von den konkreten Umständen des Einzelfalls ab, deren rechtliche Würdigung vom Obersten Gerichtshof nicht zu überprüfen ist, außer es läge eine auffallende und im Interesse der Rechtssicherheit zu korrigierende Fehlbeurteilung der Zumutbarkeit einer Fortsetzung des Bestandverhältnisses vor (10 Ob 270/99z; SZ 69/177). Eine derartige Fehlbeurteilung ist nicht zu erkennen.

Nicht jede gesetz- oder vertragswidrige Verwendung des Bestandgegenstands durch den Mieter rechtfertigt die Aufkündigung, sie gibt dem Vermieter vielmehr in erster Linie bloß das Recht, die Unterlassung der unzulässigen Benützung zu begehren. Zur Herstellung des Kündigungsgrunds des erheblich nachteiligen Gebrauchs durch eine derartige Vertragswidrigkeit ist daher erforderlich, dass wichtige Interessen des Vermieters verletzt werden (vgl WoBl 1992/113). Allein der Umstand, dass in den Bestandräumlichkeiten ein verbotenes Pokerspiel betrieben wurde, lässt nicht den Schluss darauf zu, dass die beklagte Partei bzw das Unternehmen, dem der Betrieb der Glücksspiele gestattet wurde, zum Dunstkreis der "organisierten Kriminalität" zu rechnen sei. Die Forderung, mittels Aufkündigung den Glücksspielbetrieb zu unterbinden, um der organisierten Kriminalität schon im Ansatz entgegenwirken zu können, ist überspitzt und bewegt sich im Bereich der Spekulation. Der von den Vorinstanzen festgestellte Sachverhalt rechtfertigt nicht die Annahme, dass wichtige Interessen der vermietenden klagenden Partei verletzt worden wären oder deren Verletzung drohte. Bei der Beurteilung, ob ein erheblich nachteiliger Gebrauch der Bestandsache vorliegt, ist nämlich von den Umständen des Einzelfalls, aber in ihrer Gesamtheit auszugehen. Die von der klagenden Partei dargestellten Pressemitteilungen, die auf die Bestandgeberin selbst keinen unmittelbaren Bezug nehmen, reichen für die Annahme einer Rufschädigung der klagenden Partei nicht aus (vgl MietSlg 40.167).

Inwiefern der Umstand, dass die beklagte Partei aus illegalen Glücksspielen Einkünfte erziele, einen (für die Revisionswerberin) erheblich nachteiligen Gebrauch darstellen sollte, ist nicht nachvollziehbar.

Insgesamt vermag die klagende Partei keine erheblichen Rechtsfragen im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO aufzuzeigen; die Revision ist demnach zurückzuweisen. An den gegenteiligen Ausspruch des Berufungsgerichts ist der Oberste Gerichtshof gemäß § 508a ZPO nicht gebunden.

Die beklagte Partei hat auf die Unzulässigkeit der Revision in ihrer Revisionsbeantwortung nicht hingewiesen. Die im Revisionsantrag enthaltene Wortfolge, die Revision "zu verwerfen", stellt keinen ausreichenden Hinweis auf die Unzulässigkeit der Revision dar. Die Revisionsbeantwortung befasst sich sonst ausschließlich materiell mit dem Revisionsvorbringen. Deshalb hat die beklagte Partei die Kosten des Revisionsverfahrens selbst zu tragen (§§ 40, 50 ZPO).

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