Spruch:
Dem Rekurs wird Folge gegeben.
Der angefochtene Beschluss wird dahin abgeändert, dass das Urteil des Erstgerichts wiederhergestellt wird.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei binnen 14 Tagen die mit 3.566,99 EUR (darin 417,06 EUR Umsatzsteuer und 1.064,63 EUR Barauslagen) bestimmten Kosten des Rechtsmittelverfahrens zu zahlen.
Text
Entscheidungsgründe:
Der Beklagte führte am 3. 10. 2000 am rechten Fuß und am 15. 11. 2000 am linken Fuß der Klägerin eine Hammerzehenoperation durch.
Die Klägerin begehrte die Zahlung von letztlich 15.247,69 EUR (aus den Titeln Schmerzengeld, Verdienstentgang, "pauschalierte Unkosten") und die Feststellung, dass der Beklagte der Klägerin für sämtliche Folgen aus den Operationen vom 3. 10. und vom 15. 11. 2000 "für die Zukunft" hafte. Ursprünglich begründete sie ihr Begehren damit, dass der Heilungsprozess infolge eines ärztlichen Kunstfehlers des Beklagten nicht ordnungsgemäß verlaufen sei und sie sich einer weiteren Operation habe unterziehen müssen. Nach Erstattung des orthopädischen Gutachtens stützte die Klägerin ihr Begehren ergänzend darauf, dass sie der Beklagte vor der Operation nicht darüber aufgeklärt habe, dass nach der Operation eine Schwellneigung der Zehen und im Fußbereich auftreten könne; wäre entsprechende Aufklärung erfolgt, hätte sie die Operation nicht durchführen lassen. Sie leide auch heute noch unter Schmerzen, könne ihren Beruf nicht mehr ausüben und habe sich in psychiatrische Behandlung begeben müssen.
Der Beklagte wendete ein, die Operationen lege artis durchgeführt zu haben. Er habe die Klägerin auch mündlich über die zu erwartenden Folgen der Operation aufgeklärt und ihre Zustimmung zur Operation eingeholt. Eine schriftliche Dokumentation seines Vorgehens sei nicht nötig gewesen. Es mangle an rechtlichem Interesse der Klägerin an der gewünschten Feststellung.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab.
Es stellte fest, die Klägerin habe den Beklagten im Sommer 2000 in dessen Ordination gemeinsam mit ihrer Tochter, an der er eine Operation vorgenommen habe, aufgesucht. In Anbetracht der "Hammerzehen" der Klägerin habe er dieser mitgeteilt, er könne diese in seiner Ordination ambulant operieren, wobei er den operativen Eingriff erklärt habe. Er habe sie darüber aufgeklärt, dass sie mit etwa 4 bis 8 Wochen "eingeschränkter Berufsunfähigkeit" (teils Krankenstand, teils Schonung) rechnen müsse und dass eine Schwellneigung auftreten und je nach Belastung auch längere Zeit anhalten könne. Sie werde Schmerzen haben, es handle sich nicht zwangsläufig um einen endgültigen Eingriff, weil Fußfehlstellungen rezidivierten und auch andere Zehen betroffen sein könnten. Diese im Zuge der an der Tochter der Klägerin vorgenommenen Operation ausschließlich mündlich erteilte Aufklärung habe die Klägerin zum Anlass genommen, ihr Einverständnis zur Operation an beiden Füßen - mündlich - zu erteilen. Der Beklagte habe die beiden Operationen den Regeln der medizinischen Kunst entsprechend durchgeführt. Aus nicht vom Beklagten zu vertretenden Gründen sei es in der Folge zu einer zunehmenden Schwellneigung und einem Rezidiv, also dem Wiederauftreten der Hammerzehen an beiden Füßen, gekommen, was mit Schmerzen verbunden gewesen sei. Im Juni 2001 habe sich die Klägerin in einem Krankenhaus einer weiteren Operation an beiden Füßen unterzogen. Bei der Untersuchung durch den im Rechtsstreit beigezogenen Sachverständigen sei die Fußform sowohl am 10. 5. 2002 wie auch am 20. 11. 2002 schön gewesen, lediglich im Zehenbereich habe eine geringe Schwellneigung bestanden, die aber keine Beeinträchtigung oder Schmerzen nach sich gezogen habe; das Tragen von normalem Schuhwerk sei möglich. Operationskausale Schmerzen und Folgeschäden seien für die Zukunft auszuschließen, die Erwerbsfähigkeit der Klägerin sei nicht gemindert. Der Beklagte habe den Eingriff lege artis durchgeführt, er sei auch der ihm obliegenden Aufklärungspflicht nachgekommen. Die Unterlassung einer Dokumentation sei nicht von Bedeutung, weil der Beklagte die Operation kunstgerecht vorgenommen und die Klägerin entsprechend aufgeklärt habe.
Das Berufungsgericht hob dieses Urteil auf und sprach aus, dass der Rekurs an den Obersten Gerichtshof zulässig sei. Es nahm (durch Verlesung) eine Beweiswiederholung vor und traf folgende gegenüber dem Urteil erster Instanz abweichende Feststellungen:
"Es kann nicht festgestellt werden, ob der Beklagte seiner ärztlichen Aufklärungspflicht vor der zweiten Operation nachgekommen ist und daher auch nicht, ob sich ein solches Gespräch auf das mögliche Auftreten von Schwellungen und die Möglichkeit ihrer Erfolglosigkeit bezogen hat. Eine schriftliche Dokumentation des Beklagten über die Aufklärung gibt es nicht, schon gar nicht eine schriftliche Bestätigung der Klägerin über das Aufklärungsgespräch."
Des Weiteren führte das Berufungsgericht aus, der Vorwurf eines Kunstfehlers sei im Berufungsverfahren nicht mehr aufrecht erhalten worden und es sei auch unbestritten, dass die Klägerin über die Gefahr der nunmehr eingetretenen Komplikationen vor der Operation habe belehrt werden müssen. Es habe nicht festgestellt werden können, dass der Beklagte überhaupt ein Aufklärungsgespräch geführt habe, und dies wirke sich mangels entsprechender Dokumentation durch den Beklagten zu dessen Nachteil aus. Die dem Beklagten obliegende Dokumentationspflicht ergebe sich schon aus dem Behandlungsvertrag und habe unter anderem den Zweck der Beweissicherung. Der Klägerin komme eine der Schwere der Dokumentationspflichtverletzung entsprechende Beweiserleichterung zugute; diese Erleichterung begründe die Vermutung, dass eine nicht dokumentierte Maßnahme - hier: ärztliche Aufklärung - vom Arzt auch nicht getroffen worden sei. Dieser wäre verpflichtet gewesen, Aufzeichnungen über Art und Umfang seiner beratenden Leistungen zu führen. Das Erstgericht werde prüfen müssen, ob die Verletzung der Aufklärungspflicht durch den Beklagten für die Folgen der - nach den Regeln der ärztlichen Kunst vorgenommenen - Operation kausal gewesen sei, wobei es darauf ankomme, ob sich die Klägerin bei umfassender Aufklärung ebenso zur Operation entschlossen hätte; bei Bejahung dieser Frage könnten dem Beklagten die aufgetretenen Komplikationen nicht angelastet werden. Der Rekurs an den Obersten Gerichtshof sei zuzulassen, weil die höchstgerichtlichen Entscheidungen zur Dokumentationspflicht weit überwiegend Spitalsärzte und nicht freiberufliche Ärzte beträfen.
Rechtliche Beurteilung
Der Rekurs des Beklagten ist zulässig und im Ergebnis auch berechtigt.
Der Oberste Gerichtshof hat in reichhaltiger Judikatur Grundsätze über die Erforderlichkeit und den Umfang der ärztlichen Aufklärung entwickelt. Danach ist schon aus dem Behandlungsvertrag die Pflicht des Arztes abzuleiten, den Patienten über die Art und Schwere sowie die möglichen Gefahren und die schädlichen Folgen einer Behandlung zu unterrichten. Für die nachteiligen Folgen einer ohne Einwilligung oder ausreichende Aufklärung vorgenommenen Behandlung des Patienten haftet der Arzt selbst dann, wenn ihm bei der Behandlung - wie im vorliegenden Fall - kein Kunstfehler unterlaufen ist, es sei denn, er beweist, dass der Patient auch bei ausreichender Aufklärung in die Behandlung eingewilligt hätte. Zweck der ärztlichen Aufklärung ist es, dem Patienten die für seine Entscheidung maßgebenden Kriterien zu liefern und ihn in die Lage zu versetzen, die Tragweite seiner Einwilligung zur Behandlung bzw zum Eingriff zu überschauen. Der Patient kann nur dann wirksam seine Einwilligung geben, wenn er über die Bedeutung des vorgesehenen Eingriffs und seine möglichen Folgen hinreichend aufgeklärt wurde. Nach ständiger Judikatur reicht die ärztliche Aufklärungspflicht umso weiter, je weniger der Eingriff aus der Sicht eines vernünftigen Patienten vordringlich oder gar geboten ist. Die ärztliche Aufklärungspflicht ist selbst dann zu bejahen, wenn erheblich nachteilige Folgen wenig wahrscheinlich sind. Ist der Eingriff medizinisch empfohlen, aber nicht eilig, so ist grundsätzlich eine umfassende Aufklärung nötig. Der Umfang der im konkreten Fall vorzunehmenden Aufklärung ist von den Umständen des Einzelfalls abhängig (7 Ob 15/04p; RdM 2002, 23; 8 Ob 103/01g; 6 Ob 318/00h; SZ 72/183 uva).
Die Beweislast dafür, dass der Patient auch bei ausreichender Aufklärung die Zustimmung zum Eingriff erteilt hätte, trifft für den Fall der Verletzung der Aufklärungspflicht den Arzt bzw den für das Fehlverhalten seiner Ärzte haftenden Krankenhausträger. Hat der Arzt die erforderliche Aufklärung unterlassen und verwirklicht sich in der Folge - trotz des lege artis vorgenommenen Eingriffs - ein Risiko, auf das der Arzt hätte hinweisen müssen, dann kommen Schadenersatzansprüche in Betracht, sofern der Patient darlegen kann, dass er sich bei entsprechender Aufklärung dem Eingriff nicht unterzogen hätte (RdM 2004, 58; RdM 2002, 23; 3 Ob 130/01s; JBl 2000, 169; SZ 72/183; SZ 69/199; RdM 1996, 151; JBl 1994, 336).
Gemäß § 51 Abs 1 ÄrzteG 1998 - vormals in den wesentlichen Punkten gleichlautend § 22a ÄrzteG 1984 - ist jeder Arzt verpflichtet, Aufzeichnungen über jede zur Beratung oder Behandlung übernommene Person, insbesondere über den Zustand der Person bei Übernahme der Beratung oder Behandlung, die Vorgeschichte einer Erkrankung, die Diagnose, den Krankheitsverlauf sowie über Art und Umfang der beratenden, diagnostischen oder therapeutischen Leistungen zu führen. Diese Dokumentationspflicht trifft jeden Arzt und gewiss nicht nur die in Spitälern tätigen Ärzte, für die zusätzlich maßgeblich ist, dass gemäß § 10 Abs 1 Z 2 Krankenanstalten- und Kuranstaltengesetz (KAKuG) die Krankenanstalten im Wege der Landesgesetzgebung zu verpflichten sind, Krankengeschichten anzulegen, in denen unter anderem auch die erbrachten ärztlichen Leistungen und die Aufklärung "des Pfleglings" darzustellen sind. In vielen Entscheidungen des Obersten Gerichtshofs wurde auf diese nach dem Ärztegesetz 1998 bzw 1984 bestehende Dokumentationspflicht hingewiesen, und mannigfaltige Entscheidungen betrafen auch frei praktizierende (Fach-)Ärzte (siehe nur RdM 2002, 27; EvBl 1998/24). Je nach Art Behandlung und gewiss auch unter Bedachtnahme auf die berufsrechtliche Stellung der behandelnden Ärzte (Spitals-, Fach- oder praktische Ärzte) wird der Umfang der Dokumentationspflicht unterschiedlich sein. Nicht zu bezweifeln ist aber, dass jeder Arzt schon aufgrund des Behandlungsvertrags zur Führung von Aufzeichnungen iSd § 51 Abs 1 ÄrzteG 1998 verpflichtet ist, wobei ein wesentlicher Zweck der der Beweissicherung ist. Verletzungen der Dokumentationspflicht haben als beweisrechtliche Konsequenz zur Folge, dass dem Patienten zum Ausgleich der dadurch eingetretenen größeren Schwierigkeiten beim Nachweis ärztlicher Behandlungsfehler eine der Schwere der Dokumentationspflichtverletzung entsprechende Beweiserleichterung zusteht: Die unterlassene Dokumentation einer Maßnahme begründet die Vermutung, dass diese vom Arzt auch nicht getroffen wurde (JBl 2003, 118; 9 Ob 6/02a; RdM 2002, 27; EvBl 1998/24; SZ 67/9). Die Frage nach der Verteilung der Beweislast bei Unterlassung einer Dokumentation - hier: der Aufklärung über die aus den beiden Operationen resultierenden Risken - kann aber erst dann bedeutsam werden, wenn die für den Streitausgang als wesentlich erachteten Tatsachen nicht festgestellt werden können (RdM 1997, 26).
Nun hat das Berufungsgericht abweichend von den Feststellungen des Erstgerichts die (Negativ-)Feststellung getroffen, es könne nicht festgestellt werden, ob der Beklagte seiner ärztlichen Aufklärungspflicht vor der zweiten Operation nachgekommen sei und daher auch nicht, ob sich ein solches Gespräch auf das mögliche Auftreten von Schwellungen und die Möglichkeit ihrer Erfolglosigkeit bezogen habe (S 9 der Berufungsentscheidung). Die Überprüfung der daran anschließenden Beweiswürdigung des Gerichts zweiter Instanz (S 9 bis 11 des Aufhebungsbeschlusses) ist dem Obersten Gerichtshof entzogen (Kodek in Rechberger, ZPO2, Rz 1 zu § 503 mwN). Die von den Feststellungen des Erstgerichts abweichende Feststellung des Berufungsgerichts betrifft lediglich die Aufklärung vor der zweiten Operation, sodass nach wie vor feststeht, dass der Beklagte - so die Feststellungen des Erstgerichts (S 5 f des Ersturteils) - die Klägerin vor der ersten an ihr vorgenommenen Operation auf die zu erwartende Berufseinschränkung bzw -unfähigkeit, die Möglichkeit des Auftretens einer Schwellneigung, die längere Zeit anhalten und Schmerzen verursachen könne, sowie eines Rezidivs hingewiesen hat. War dies aber - und von diesen Feststellungen ist auszugehen - der Fall, dann war eine ärztliche Aufklärung vor der zweiten Operation nicht weiter nötig, betraf die Operation doch die bei der Klägerin vorhandenen Hammerzehen am rechten bzw linken Fuß, und hat die Klägerin gar nicht behauptet, dass eine "fußbezogene" - den linken oder rechten Fuß betreffende - Aufklärung speziell nötig gewesen wäre.
In seiner rechtlichen Beurteilung geht das Gericht zweiter Instanz allerdings nicht vom (insgesamt) festgestellten Sachverhalt aus, weshalb die Rechtsrüge des Beklagten erfolgreich ist, ist doch der festgestellte Sachverhalt in rechtlicher Hinsicht nach allen Richtungen zu überprüfen. Entgegen den Darlegungen in der rechtlichen Beurteilung des Aufhebungsbeschlusses (S 12) wurde ein entsprechendes Aufklärungsgespräch vor der ersten Operation - diesbezüglich gibt es keine "abweichende Feststellung" - festgestellt und war dieses auch ausreichend, denn gerade auf die Beschwerden, die bei der Klägerin in der Folge aufgetreten sind, hat sie der Beklagte ausdrücklich hingewiesen. Die Unterlassung der ärztegesetzlich gebotenen Dokumentation hat somit im vorliegenden Fall, weil der Beklagte die ordnungsgemäße Aufklärung der Klägerin beweisen konnte, keine (beweisrechtliche) Konsequenz. Dem Begehren der Klägerin kann kein Erfolg beschieden sein, weil sie sich trotz umfassender Aufklärung zur Operation entschlossen hatte.
Die vom Berufungsgericht verfügte Aufhebung der erstinstanzlichen Entscheidung erweist sich demnach aus rechtlichen Gründen als entbehrlich, sodass in Stattgebung des Rekurses des Beklagten die Entscheidung des Erstgerichts wieder herzustellen ist.
Der Ausspruch über die Kosten des Rechtsmittelverfahrens beruht auf den §§ 41 und 50 ZPO. Der vom Beklagten im Berufungsverfahren verzeichnete Einheitssatz ist auf die gesetzlich vorgesehene Höhe (§ 23 Abs 3 RATG) zu kürzen.
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