European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:E130340
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Spruch:
Der Revision wird Folge gegeben.
Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben.
Die Rechtssache wird zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurückverwiesen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.
Begründung:
[1] Auf einem Grundstück der Klägerin sollten über eine GmbH als Bauträgerin Eigentumswohnungen errichtet und verkauft werden. Der Lebensgefährte der Klägerin war der Geschäftsführer und 50 %-Gesellschafter dieser GmbH. Als über deren Vermögen der Konkurs eröffnet wurde, folgte die Klägerin dem Rat des bis dahin für die GmbH tätigen Anwalts, sie selbst solle das Bauprojekt „auf Bauträgerseite fortführen“; sie müsse sich um nichts kümmern, er würde alles machen. Die Klägerin vertraute ihm „bis zum Schluss“. Sie trat nun als Bauträgerin auf; faktisch erfolgte die Abwicklung des Projekts aber durch den Lebensgefährten gemeinsam mit dem Anwalt. „Eigentlich“ erledigte der Anwalt „alles“, so zahlte er Rechnungen für die Klägerin, übernahm dazu auch von ihr und dem Lebensgefährten Zahlscheine und teilte ihr und ihrem Lebensgefährten im Zusammenhang damit auch mit, dass er Konten eröffnen werde, um Zahlungen tätigen zu können.
[2] Beim Verkauf zweier Wohnungen kam es im Jahr 2013 zu dem Vorfall, der Anlass für den vorliegenden Rechtsstreit mit der beklagten Rechtsanwaltskammer für * (im Weiteren nur mehr: Rechtsanwaltskammer oder Kammer) ist. Der Anwalt, der Mitglied dieser Rechtsanwaltskammer gewesen war, war von den Käufern und der Klägerin zum Treuhänder nach dem Bauträgervertragsgesetz bestellt worden. Zu beiden Treuhandschaften bestätigte die Rechtsanwaltskammer die Meldung „im Rahmen des Treuhandverbands“.
[3] Der Anwalt eignete sich auf folgende Weise widerrechtlich Teile der von den Käufern bezahlten Kaufpreise zu:
[4] Nach den beiden Treuhandverträgen, in denen das Statut des Treuhandverbands (der Treuhandeinrichtung) der Kammer als „integrierte[r] Bestandteil“ bezeichnet wird, sollte (was in der Folge auch geschah) vom Kunden der Kaufpreis samt Grunderwerbsteuer und Eintragungsgebühr auf ein vom Treuhänder bei der Nebenintervenientin (einer Bank; im weiteren „Treuhandbank“) eröffnetes Anderkonto mit genau bezeichneter Kontonummer und dem Kontowortlaut „[Klägerin]/[Käufer]“ bezahlt werden. Der Anwalt erhielt mit der Treuhandvereinbarung den einseitig unwiderruflichen Auftrag, nach Eintritt der im Bauträgervertrag angeführten Bedingungen den Kaufpreis zur Gänze oder in Teilen von diesem Treuhandkonto ausschließlich auf das „Konto des BAUTRÄGERS“ bei einer (anderen) Bank, [Bankleitzahl], [Kontonummer], lautend auf [letztlich] „Bauvorhaben [Ortsbezeichnung]“ und die Nebengebühren an Finanzamt und Gericht zu überweisen. Auch die Nebenintervenientin unterfertigte die Vereinbarung und verpflichtete sich darin, „Überweisungen vom vorgenannten Treuhandkonto ausschließlich an die in dieser Vereinbarung genannten Zahlstellen durchzuführen“ und jede Vertragspartei von jeder Kontobewegung zu verständigen.
[5] Tatsächlich handelte es sich beim Empfängerkonto nicht – wie angegeben – um ein Konto der Bauträgerin („Konto des BAUTRÄGERS“), sondern um ein vom Anwalt als „allgemeines Anderkonto, wo die Beträge 40.000 EUR nicht übersteigen“, eröffnetes Konto, über das allein er (als dessen Inhaber) verfügungsberechtigt war. Dadurch konnte er sich nach Einlangen der Kaufpreise (111.000 EUR und 119.000 EUR) auf dem nach der Treuhandvereinbarung eingerichteten („gesicherten“) Treuhandkonto und deren Überweisung auf das in der Treuhandvereinbarung angegebene (angebliche) „Empfängerkonto“ sowie einer (von ihm als Kontoinhaber beauftragten) „Weiterüberweisung“ von diesem „Empfängerkonto“ aus Beträge zueignen; und zwar 40.000 EUR im Mai 2013 (schon vor der „Kammermeldung“ der Treuhandschaft beim ersten Kaufvertrag) und 32.000 EUR im August 2013.
[6] Dieses in der Treuhandvereinbarung angegebene (Empfänger‑)Konto „des BAUTRÄGERS“ und „die Handlungen und Kontoeröffnungen“ des Anwalts waren von der Klägerin und ihrem Lebensgefährten „nicht näher hinterfragt“ worden. Er hat beide über die Verfügungsberechtigung auf diesem Konto und auch über die späteren „Behebungen“ davon getäuscht.
[7] Die Treuhandbank übermittelte vereinbarungsgemäß Kontoauszüge über die Ein- und Ausgänge auch an die Klägerin per Postversand an die in den Verträgen angegebene Adresse (wobei allerdings die Postleitzahl nicht mit der in der Klage angegebenen Adresse der Klägerin übereinstimmte). Zum (bei einer anderen Bank geführten) „Empfängerkonto“ erhielt die Klägerin keine Kontoauszüge, sondern bloß vom Anwalt selbst erstellte Excel‑Listen mit lückenhaften Aufstellungen über die Ein- und Ausgänge, schienen doch darin die Überweisungen, mit denen er sich die vorgenannten Beträge zugeeignet hatte, nicht auf. Von den widerrechtlichen Zuwendungen des Anwalts, der per 8. 5. 2014 auf die Ausübung der Rechtsanwaltschaft verzichtete, erfuhr sie erstmals nach Konkurseröffnung über sein Vermögen (am 18. 12. 2014).
[8] Die von der Klägerin angemeldete (und später wegen der Aufrechnung mit einem in einem Prozess vom Anwalt zu seinen Gunsten erwirkten Titel um 24.290,22 EUR eingeschränkte) Forderung wurde vom Masseverwalter zur Gänze bestritten.
[9] Der Anwalt wurde (unter anderem auch wegen der in Rede stehenden widerrechtlichen Zueignungen) wegen des Verbrechens der Veruntreuung nach § 133 Abs 1 und 2 (zweiter Fall) StGB und weiters noch (wegen anderer Vorfälle) wegen des Verbrechens der Untreue nach § 153 Abs 1 und 3 (zweiter Fall) StGB rechtskräftig verurteilt.
[10] Im Rahmen der von ihr geführten Treuhandeinrichtung nimmt die Rechtsanwaltskammer Überprüfungen der von ihren Rechtsanwälten übernommenen Treuhandschaften vor. Diese lässt sie durch erfahrene emeritierte Rechtsanwälte durchführen. „Im Normalfall“ nimmt der Prüfer in der Kanzlei des zu prüfenden Rechtsanwalts in die fortlaufende Liste, die die Anwälte über die von ihnen übernommenen Treuhandschaften führen müssen, Einsicht und nimmt dann stichprobenartige Kontrollen vor. Er lässt sich dabei üblicherweise vier bis sechs Akten vorlegen; gäbe es konkrete Beschwerden oder Verdachtsfälle, würde sich ein Prüfer diese konkreten Treuhandschaften vorlegen lassen.
[11] Hätte man diese beiden Fälle überprüft, wäre der Prüfer mit der Meldung der Treuhandschaft in der Kanzlei des Anwalts erschienen und hätte sich diese Akten vorlegen lassen. Entsprechend dem Statut des Treuhandverbands der Rechtsanwaltskammer für * hatten auch hier sämtliche Vertragsparteien den Treuhänder und die Bank hinsichtlich des Treuhandkontos gegenüber der Kammer und den von ihr bestellten Prüfern vom Bankgeheimnis entbunden. Es wäre überprüft worden, ob der Treuhandvertrag im Original vorhanden und von allen Parteien unterschrieben worden ist, ob die in der Treuhandvereinbarung angegebenen Konten mit den im Bauträgervertrag genannten übereinstimmen und ob die Überweisung auf das in der Treuhandvereinbarung angegebene Konto erfolgt ist. Eine Einsichtsmöglichkeit der Rechtsanwaltskammer in das „Bauträgerkonto“ selbst bestand nicht, weil es sich bei jenem Konto nicht um ein Treuhandkonto nach dem Statut handelte. Bis zum gegenständlichen Fall war es nie vorgekommen, dass ein „Bauträgerkonto“ tatsächlich ein Konto eines Rechtsanwalts gewesen war.
[12] Dieser Anwalt war zuletzt im Dezember 2012 von einem Prüfer der beklagten Kammer ohne Beanstandungen überprüft worden. „Die Rechtsanwaltskammer“ wusste zwar, dass Exekutionen gegen ihn anhängig waren, jedoch waren ihr weder deren genaue Anzahl noch die genaue Höhe der betriebenen Forderungen bekannt. Sie hatte selbst Exekutionsverfahren gegen ihn geführt, und zwar eines im Jahr 2009, zwei im Jahr 2011 und eines im Jahr 2013. Diese Rückstände wurden von ihm bezahlt und er konnte bei der Überprüfung durch die Rechtsanwaltskammer nachweisen, dass deren Zahlung aus Honorareingängen erfolgt war. Bis zur widerrechtlichen Behebung im August 2013 waren dreizehn Exekutionsverfahren anhängig.
[13] Von den drei im Jahr 2011 gegen den Anwalt geführten Disziplinarverfahren endete eines (wegen der Umgehung eines Kollegen) zum Teil mit Freispruch, das zweite betraf die Verletzung von Schutzpflichten nach § 9 BTVG und § 40 WEG wegen verfrühter Auszahlung und endete mit einem verurteilenden Erkenntnis (zu einer Geldstrafe); ebenso das dritte wegen eines bei der Krankenversicherung aufgelaufenen Prämienrückstands. Eine massive Häufung von Disziplinaranzeigen gegen ihn gab es erst im Jahr 2014.
[14] Die Rechtsanwaltskammer vertrat zum eingetretenen Schaden den Standpunkt, es sei der Haftungsausschluss nach Punkt 9.1 der Allgemeinen Versicherungsbedingungen der von ihr abgeschlossenen Vertrauensschadensversicherung gegeben, weil die Mitteilung der Klägerin „in Zusammenwirken“ mit dem Anwalt in der Treuhandvereinbarung, dass dort „ihr Bauträgerkonto“ angeführt sei, unrichtig gewesen sei und der Verstoß der Eigenüberweisung nach dem Treuhandstatut vorgelegen sei. Sie unterließ daher die Fassung eines Beschlusses nach Punkt 3. der Versicherungsbedingungen. Die maßgeblichen Bestimmungen dieser allgemeinen Versicherungsbedingungen lauten auszugsweise wie folgt:
„2. Gegenstand der Versicherung
2.1 Der Versicherer ersetzt nach Maßgabe der nachstehenden Bestimmungen Vertrauensschäden im Sinn des Punktes 3.
2.2 Unter Versicherungsschutz stehen jene Vermögensschäden, die
2.2.1 durch eine(n) in den Versicherungsschutz eingeschlossene(n) Vertrauensperson/Versicherten im Rahmen ihrer/seiner Berufsausübung und
2.2.2 infolge vorsätzlich unerlaubter Verfügung über ein im Rahmen einer vertraglich übernommenen Treuhandschaft anvertrautes Gut einem Klienten zugefügt werden. Schadensstiftung durch wissentliche Abweichung von Gesetz, Vorschrift, Anweisung oder Bedingung des Machtgebers (Berechtigten) oder durch sonstige wissentliche Pflichtverletzung gilt mitversichert.
Vertraglich übernommene Treuhandschaften sind alle entgeltlichen oder unentgeltlichen Mandatsverträge, in deren Rahmen der Rechtsanwalt den ausdrücklichen schriftlichen Auftrag zur Verwahrung und späteren Ausfolgung eines bei ihm hinterlegten Geld bzw Geldwerten für den Fall des Eintrittes einer oder mehrerer vorher bestimmter Bedingungen an einen oder mehrere ihm als Begünstigte genannte Dritte erhält.
3. Versicherungsfall
Versicherungsfall ist der Beschluss der Rechtsanwaltskammer […], mit welchem der eingetretene Vertrauensschaden festgestellt wird. Die Rechtsanwaltskammer wird die vom Versicherer erhaltenen Beträge nach ihrem eigenen Aufteilungsschlüssel zum Ersatz des eine[m] Klienten entstandenen Vermögensschaden[s] weiterleiten.
[…]
4. Versicherte/Vertrauensperson
Versicherte/Vertrauensperson sind alle Mitglieder der Rechtsanwaltskammer für * einschließlich deren Rechtsanwaltsanwärter und Kanzleikräfte sowie Mitarbeiter der Rechtsanwaltskammer.
[…]
9. Ausschlüsse
Nicht unter diese Versicherung fallen
9.1 Treuhandschaften, die nicht im Sinne des Statutes des Treuhandverbandes der Rechtsanwaltskammer für * abgewickelt werden und keiner Dispositionskontrolle bei einer Bank unterworfen sind.
9.2 Unerlaubte Verfügung während aufrechter Versicherungsdauer, zu denen die Rechtsanwaltskammer für * nicht innerhalb von drei Jahren den Versicherungsfall und die Höhe des Schadens feststellt oder die Einleitung eines Strafverfahrens gegen einen der Versicherten nachweist;
9.3 mittelbare Schäden (entgangener Gewinn und Zinsverlust werden den mittelbaren Schäden gleichgehalten);
9.4 fahrlässig verursachte Vermögensschäden;
9.5 Aufwendungen für Personen- und Sachschäden einschließlich deren Folgeschäden.
10. Obliegenheiten der Rechtsanwaltskammer für *
10.1 Die Rechtsanwaltskammer für * ist verpflichtet, dem Versicherer unverzüglich nach Kenntnisnahme durch den Ausschuss der Rechtsanwaltskammer zur Klärung des Sachverhaltes schriftlich anzuzeigen:
10.1.1 jede Anspruchserhebung gegenüber der Rechtsanwaltskammer oder gegenüber dem Rechtsanwalt selbst, sobald diese davon Kenntnis erlangt;
10.1.2 jedes Ereignis, das zu einem Versicherungsfall führen könnte;
10.1.3 die Beschlussfassung (Versicherungsfall), und zwar auch dann, wenn keine Versicherungsansprüche geltend gemacht werden.
[…]“
[15] Einen Fernsehbeitrag, in dem der Präsident der Beklagten sinngemäß äußerte, Treuhandschaften würden von der Rechtsanwaltskammer geprüft, sah die Klägerin erst nach Abschluss der Treuhandverträge.
[16] Die Klägerin begehrt von der Rechtsanwaltskammer Ersatz für den ihr durch die widerrechtliche Zueignung des Anwalts entstandenen Schaden; die Kammer meint – von der Nebenintervenientin unterstützt –, es bestehe ihr gegenüber kein Anspruch. Die wechselseitigen Standpunkte stellen sich – stark zusammengefasst und unter Außerachtlassung von nicht erweislichem Vorbringen oder nicht mehr thematisierten Gesichtspunkten – wie folgt dar:
[17] Die Klägerin stützt sich als Haftungsgrundlage auf Pflichtverletzungen der Kammer als Selbstverwaltungskörper. Sie wirft ihr vor, dem gesetzlichen Auftrag, eine zur Sicherung von Treuhanderlägen geeignete Sicherungseinrichtung zu schaffen, nicht entsprochen zu haben. Die Vertrauensschadenversicherung sei entweder nicht in ausreichendem Umfang abgeschlossen worden oder es seien ihre Bedingungen von der Beklagten in unvertretbarer Weise ausgelegt worden. Zudem soll die Kammer ihre Aufsichtspflicht verletzt haben, weil der betroffene Anwalt strenger kontrolliert hätte werden müssen; es hätten Berufsverbote oder einstweilige Maßnahmen ausgesprochen werden müssen.
[18] Die Beklagte erachtet ihre Treuhandeinrichtung und die abgeschlossene Versicherung als dem gesetzlichen Auftrag entsprechend. Sie habe auch ihrer Aufsichtspflicht entsprochen und sei ihren Kontrollpflichten im Rahmen der Treuhandeinrichtung bestmöglich nachgekommen. Eine lückenlose Kontrolle sei aber unmöglich. Sie wies der Klägerin die alleinige Verantwortung (bzw das jedenfalls überwiegende Mitverschulden) für den Zugriff des Anwalts auf den Treuhanderlag zu, habe diese doch selbst bestätigt, dass das Empfängerkonto ihr Konto sei. An ihr wäre es gelegen, sicherzustellen, dass ausschließlich sie auf den in den Treuhandverträgen angeführten Bauträgerkonten zeichnungs‑ und verfügungsberechtigt gestellt wird. Erst durch ihr Verhalten sei der Anwalt in die Lage versetzt worden, den Treuhanderlag auf ein eigenes Konto zu überweisen, was nach Ihrem Statut unzulässig gewesen sei.
[19] Gegen diesen Vorwurf setzt sich die Klägerin damit zur Wehr, dass sie ihrem Anwalt vertraut habe und er das ihm gehörige Konto „listig“ als ihr Konto ausgegeben habe.
[20] Nachdem die Beklagte der Treuhandbank den Streit verkündete, weil diese „allenfalls entgegen dem Statut ... Überweisungen auf ein Eigenkonto des [Anwalts] durchgeführt habe“, trat diese dem Rechtsstreit auf Seiten der Beklagten als Nebenintervenientin bei. Sie trug vor, sie habe ihr auferlegte Kontrollpflichten nicht verletzt und verteidigte sich damit, dass sie gar nicht verifizieren hätte können, dass das Konto auf das vom Treuhandkonto aus überwiesen worden ist, tatsächlich – obwohl die Klägerin als Kontoinhaberin in der von ihr mitunterfertigten Treuhanderklärung ausgewiesen war – kein Konto der Klägerin war. Es sei trotz Übermittlung der Kontoauszüge auch an die Klägerin niemals eine Meldung erfolgt, dass dieses Konto nicht ihres sei.
[21] Das Erstgericht erachtete den Verjährungseinwand der Beklagten als unberechtigt, gelangte aber zum Ergebnis, dass, auch wenn grundsätzlich die Möglichkeit einen Selbstverwaltungskörper wie die Rechtsanwaltskammer nach dem Amtshaftungsgesetz in Anspruch zu nehmen bestehe, diese im vorliegenden Fall nicht hafte. Die außerhalb eines Disziplinarverfahrens auszuübende Standesaufsicht stelle nur einen programmatischen, die Aufsichtsziele umschreibenden Auftrag an die jeweils zuständigen Organe der Rechtsanwaltskammer dar, auf dessen Durchführung aber niemand einen Rechtsanspruch habe. Hinweise für ein betrügerisches Vorgehen des Anwalts seien der Rechtsanwaltskammer im damaligen Zeitpunkt nicht in ausreichendem Maße vorgelegen. Der Kenntnisstand der Rechtsanwaltskammer hätte keine Grundlage für die Erteilung entsprechender Aufträge, bei denen davon ausgegangen werden könnte, dass sie eine Schädigung der Klägerin verhindert hätten, geboten. Ihren Prüfpflichten sei die Kammer ohnehin nachgekommen; sie habe dabei keine Auffälligkeiten festgestellt.
[22] So wie es für die Klägerin nicht erkennbar gewesen sei, dass das in den Vertragsurkunden als Konto des Bauträgers bezeichnete Konto dies in Wahrheit nicht war, wäre es ebenso wenig für die beklagte Kammer erkennbar gewesen, selbst wenn sie die diesbezüglichen Unterlagen geprüft hätte. Es müsse beachtet werden, dass die Klägerin selbst durch Unterfertigung der Treuhandverträge (samt den Kontoausführungsaufträgen), nach außen hin zum Ausdruck gebracht habe, dass der Kaufpreis auf dieses Konto „der Bauträgerin“ überwiesen werden dürfe. Aufgrund dieses Umstands erscheine die Rechtsmeinung der Rechtsanwaltskammer, dass im vorliegenden Fall – aufgrund des Haftungsausschlusses [nach Punkt 9.1 der Versicherungsbedingungen] – keine Deckung durch die abgeschlossene Vertrauensschadenhaftpflichtversicherung übernommen werden würde und daher eine Versicherungsmeldung unterblieb, vertretbar.
[23] Der gegen dieses Urteil erhobenen Berufung gab das Berufungsgericht nicht Folge. Es verneinte ebenfalls ein (amts-)haftungsbegründendes rechtswidriges oder schuldhaftes Verhalten der Organe der Rechtsanwaltskammer. Diese seien ihren Aufsichts‑ und Kontrollpflichten nach der RAO und dem Treuhandstatut ordnungsgemäß nachgekommen. Die Kammer habe im Zeitpunkt der Schädigungshandlungen keine entsprechenden Anhaltspunkte für die Erteilung von Aufträgen oder die Einleitung eines Disziplinarverfahrens gehabt.
[24] Zur Treuhandeinrichtung und der Abwicklung im konkreten Fall hielt das Berufungsgericht der Klägerin vor, sie übersehe, dass die Kammer bzw ihre Organe nicht hätten erkennen können, dass es sich bei dem Konto, auf das die Überweisungen nach den Treuhandverträgen von den gesicherten Treuhandkonten aus hätten erfolgen sollen, um ein Anderkonto gehandelt hatte, über das ausschließlich der Rechtsanwalt verfügungsberechtigt gewesen war. Sie selbst habe durch ihre Unterschrift unmissverständlich bestätigt, dass es sich um ein Konto des Bauträgers, somit um ihr eigenes Konto, handeln würde. Es hätten daher sowohl die Beklagte als auch die Nebenintervenientin darauf vertrauen können und müssen, dass dies richtig sei und dem Anwalt über dieses Konto keine Verfügungsberechtigung zukomme, sei doch der Beklagten eine Einsichtnahme in das (Privat‑)Konto, auf das die Beträge vom gesicherten Treuhandkonto überwiesen wurden, verwehrt gewesen.
[25] Wie schon das Erstgericht befand auch das Berufungsgericht, dass die Beklagte im Hinblick auf den Gegenstand der Versicherung und den Ausschluss gemäß Punkt 9.1 der Versicherungsbedingungen vertretbar davon habe ausgehen dürfen, dass der Schadensfall nicht gedeckt und daher kein Beschluss auf Feststellung des eingetretenen Vertrauensschadens bzw einer Schadensmeldung an die Versicherer zu fassen gewesen sei. Die Überweisung vom gesicherten Treuhandkonto auf das nicht gesicherte vermeintliche Konto der Klägerin sei nicht der Dispositionskontrolle der Bank unterlegen, „sondern“ habe dem ausdrücklichen Auftrag in der Treuhandvereinbarung entsprochen, weswegen der Schadensfall nicht von der Treuhandversicherung des Treuhandstatus umfasst, sondern außerhalb des Schutzbereichs der Treuhandversicherung gelegen sei. Dieser Deckungsausschluss sei auch nicht unsachlich begrenzend und den Versicherungsschutz über Gebühr einschränkend, wenn man berücksichtige, dass im Treuhandvertrag ein „unrichtiges Konto“ angegeben worden sei, dieses Konto der Dispositionskonrolle der Treuhandbank „zur Gänze entzogen“ gewesen sei und die Klägerin als Treugeberin diese unrichtige Kontoangabe zumindest grob fahrlässig übersehen habe. Ein durch ein solches Fehlverhalten bewirkter Schaden sei nicht mehr vom „üblichen Deckungsumfang“ einer Vertrauensschadenhaftpflichtversicherung umfasst. Die Rechtsauffassung der Beklagten, dass im konkreten Fall ein Deckungsausschluss gegeben gewesen sei, sei jedenfalls vertretbar. Die Klägerin habe sich ihren Schaden selbst zuzurechnen, indem sie die in den Treuhandverträgen angegebenen Konten als ihre eigenen Konten (mit Unterschrift) bestätigt und die unrichtigen Kontoangaben grob fahrlässig übersehen habe. Zudem habe sie den Nachweis, dass der Haftpflichtversicherer der Beklagten im Rahmen der Vertrauensschadenversicherung den geltend gemachten Schaden bei entsprechender Meldung ersetzt hätte, nicht erbracht.
Rechtliche Beurteilung
[26] Die dagegen von der Klägerin erhobene außerordentliche Revision, ist zulässig, weil Rechtsprechung zum Umfang der konkreten Pflichten sowie der Haftung einer Rechtsanwaltskammer im Zusammenhang mit der Treuhandeinrichtung und Vertrauensschadenversicherung fehlt. Sie ist im Sinn des in jedem Abänderungsantrag implizit enthaltenen Aufhebungsantrags auch berechtigt.
[27] 1. Die Klägerin legt dar, eine Treuhandschaft beginne mit der Verwahrung des Geldes beim Treuhänder und ende erst mit der Auszahlung an den Treugeber. Die Ende der 80er‑ bis Mitte der 90er‑Jahre des 20. Jahrhunderts während Treuhandschaften eingetretenen zahlreichen Untreuefälle hätten den Gesetzgeber dazu veranlasst, in der RAO die verpflichtende Schaffung einer Treuhandeinrichtung einzuführen. Hauptfall sei damals die Veruntreuung des Geldes durch den Anwalt gewesen. Fälle, in denen der Eintritt des Schadens durch nach den Treuhandbedingungen vorzeitige (oder verspätete) Zahlung eingetreten seien, träten dagegen in den Hintergrund. Das gesamte System des Treuhandbuchs sei – mit dem Ziel, Barabhebungen zu vermeiden – darauf aufgebaut, dass über „gesicherte Treuhandkonten“ nur durch Überweisungen (aufgrund des Treuhandvertrags samt Kontoverfügungsauftrag) verfügt werden könne. Um sich daher Geld zueignen zu können, müsse der Anwalt entweder die Unterschriften der Parteien fälschen oder diese durch Täuschung dazu bringen, Aufträge ohne Kontrolle der IBAN‑Kontonummer zu erteilen. Ansonsten bliebe ihm – um für sich eine solche Möglichkeit „legal“ zu schaffen – nur die Möglichkeit, eine Untersagungserklärung unterfertigen zu lassen.
[28] Die Kammer wäre nach dem Ziel des gesetzlichen Auftrags verpflichtet gewesen, ein „proaktives“ „System zu implementieren“, das „sicher“ sei, dieses laufend zu „evaluieren“, auf Umgehungsmöglichkeiten hin zu überprüfen und einem „Stresstest“ zu unterziehen sowie außerdem für den Fall, dass es einem Treuhänder dennoch gelänge, dieses System „auszutricksen“, dafür zu sorgen, dass „ein Versicherungsschutz vorhanden“ sei. Da mit dem am 1. 11. 2009 in Kraft getretenen Zahlungsdienstegesetz keine Verpflichtung der Empfängerbank mehr bestanden habe, einen Abgleich zwischen der Kontonummer und dem angegebenen Empfängernamen vorzunehmen und die den Auftrag gebende Bank (Nebenintervenientin) dazu gar nicht in der Lage sei, habe das Treuhandstatut einfach umgangen werden können.
[29] Risikobeschränkungen und ‑ausschlüsse von Versicherungen dürften den Schutz des Dritten nicht entscheidend untergraben. Bei bloßer Fahrlässigkeit des Anwalts wäre ohnehin ein bereits von der Berufsschadenhaftpflichtversicherung des Rechtsanwalts gedeckter Schaden vorgelegen. Entweder sei der Abschluss einer entsprechend ausreichenden Versicherung unterblieben, dann liege im Abschluss einer Versicherung, die eine derartige Ausschlussklausel [angeblich] kenne, ein Pflichtverstoß der Kammer, oder es sei deren unrichtige Auslegung der getroffenen Vereinbarung, wie auch die Nichtbeschlussfassung darüber, dass ein Schadensfall vorliegt, unvertretbar falsch. Im vorliegenden Fall wäre die Kammer verpflichtet gewesen, den Eintritt des Versicherungsfalls festzustellen, was dann zur Liquidation des Schadens geführt hätte.
[30] Eine Partei, die von ihrem Rechtsanwalt getäuscht wurde, obwohl sie ihm vertraut habe und vertrauen habe dürfen, handle nicht grob fahrlässig und verliere dadurch auch nicht den Versicherungsschutz, sei doch das Verhältnis zwischen dem Rechtsanwalt und seinem Klienten durch ein besonderes Vertrauensverhältnis geprägt.
[31] Zuletzt tritt die Revisionswerberin der Ansicht entgegen, die zahlreichen Exekutionsverfahren hätten keinen Schluss auf die (fehlende) Ordnungsgemäßheit der Kanzleiführung zugelassen. Es sei unerfindlich wieso in dieser Situation nicht verstärkt Kontrollen vorgenommen worden seien und nicht die einstweilige Maßnahme der engmaschigen Überwachung der Kanzleiführung durch den Ausschuss nach § 19 Abs 1a DSt möglich gewesen wäre. Eine „solche Person“ hätte dann in sämtliche Konten Einsicht nehmen und die vom Bankensystem nicht mehr gewährleistete Überprüfung der Empfängerbezeichnung und des Kontoinhabers einer Überprüfung zuführen können, habe es doch im Jahr 2011 bereits drei Disziplinarverfahren gegen den Anwalt wegen Verletzung der Schutzpflichten nach § 9 BTVG und § 40 WEG gegeben.
[32] 2. Die Kammer und die Treuhandbank halten in den ihnen freigestellten Revisionsbeantwortungen wie schon bisher dagegen, dass die Klägerin nicht für ihre eigene Sorglosigkeit Schadenersatz fordern könne. Sie beharren trotz der gegenteiligen Feststellung des Erstgerichts darauf, dass die Klägerin bewusst unrichtige Erklärungen abgegeben habe, werfen ihr im Zusammenhang damit aber auch (grob) fahrlässiges Verhalten vor. Die Kammer wiederholt ihre Auffassung, dass sie im Zusammenhang mit den sie treffenden Pflichten weder rechtswidrig noch schuldhaft gehandelt habe.
[33] 3. Zur Treuhandeinrichtung:
[34] 3.1. Die beklagte Rechtsanwaltskammer ist ein (seit der Novelle BGBl I 2008/2 auf Art 120b B‑VG beruhender) nicht territorialer Selbstverwaltungskörper (Personalkörperschaft). Ihr kommt gemäß § 23 Abs 6 RAO (idF des Berufsrechts-Änderungsgesetzes 2020 – BRÄG 2020, BGBl I 2020/19; im Zeitpunkt der Vorfälle gemäß § 23 Abs 4 RAO idF des Berufsrechts-Änderungsgesetzes 2010 – BRÄG 2010, BGBl I 2009/141) (unter anderem) die Aufgabe zu, „eine Treuhandeinrichtung, die dem Schutz der Abwicklung von Treuhandschaften nach § 10a Abs. 2 dient, zu errichten und zu führen sowie die Einhaltung der Pflichten der Rechtsanwälte nach § 10a und nach den Richtlinien gemäß § 27 Abs. 1 lit. g zu überprüfen“. Ferner muss sie eine Versicherung zur Sicherung der Rechte der Treugeber am Treuhanderlag abschließen, deren Treuhandschaften über die von der Rechtsanwaltskammer zu führende Treuhandeinrichtung abgewickelt werden. Ihr (der Plenarversammlung) ist mit § 27 Abs 1 lit g RAO die (näher konkretisierte) Ermächtigung zur Erlassung von Richtlinien für die Erfüllung dieser Verpflichtung eingeräumt. Das darauf beruhende und im Zeitpunkt der Vorfälle geltende Statut des Treuhandverbands der beklagten Rechtsanwaltskammer regelte dementsprechend den genaueren Ablauf der Treuhandschaft samt ihrer Kontrolle. Hervorzuheben ist für den vorliegenden Rechtsstreit im Besonderen:
„III. Anwendungsbereich
[...]
2. Dieses Statut ist sachlich auf alle Treuhandschaften im Sinne des Punktes II., soferne der beim Rechtsanwalt hinterlegte Geldeswert den Betrag von € 40.000,00 übersteigt, […] Der Rechtsanwalt ist verpflichtet, vertraglich übernommene Treuhandschaften im Sinne dieses Statutes abzuwickeln.
[...]
IV. Rechte und Pflichten des Rechtsanwaltes
3. Die Treuhandvereinbarung ist schriftlich mit allen Treugebern abzuschließen ...
4. Der Rechtsanwalt ist verpflichtet, für jede Treuhandschaft ein Anderkonto bei einem Kreditinstitut, das der öffentlichen Aufsicht unterliegt, einzurichten. Bei der Kontoeröffnung ist zu vereinbaren, dass dieses Konto nach den Bestimmungen dieses Treuhandstatutes geführt wird. Eine Überweisung von dem nach diesem Statut eingerichteten Anderkonto auf ein anderes Konto des Rechtsanwaltes ist unzulässig. Im Kontoverfügungsauftrag ist daher auch die Anführung eines Eigenkontos des Treuhänders, eines Kontos seines Kanzleipartners oder eines Kontos eines Gesellschafters der als Treuhänderin fungierenden Rechtsanwaltsgesellschaft als Empfänger unzulässig. Auch eine Barbehebung ist unzulässig.
Über jede diesem Statut unterliegende Treuhandschaft ist eine eigene schriftliche Treuhandvereinbarung zwischen den Treugebern, dem Kreditinstitut und dem Rechtsanwalt im Sinne der Beilage ./3 dieses Statutes abzuschließen.
Der Rechtsanwalt hat dafür Sorge zu tragen, dass der Kontoverfügungsauftrag an das anderkontoführende Kreditinstitut (Dispositionskontrolle) nachweislich umgehend, spätestens aber vor der ersten Verfügung über den Treuhanderlag, übermittelt wird.
[...]
VIII. Versicherungen
Die Rechtsanwaltskammer für * schließt zur Sicherung der Treuhandabwicklung gemäß § 23 Abs 4 RAO eine Vertrauensschadenversicherung gegen jene Schäden ab, die infolge vorsätzlich unerlaubter Verfügung über den im Rahmen der Treuhandschaft anvertrauten Treuhanderlag dem/den Treugeber(n) zugefügt werden. Der Versicherungsschutz unterliegt den in der jeweiligen Polizze dargestellten, insbesondere persönlichen, zeitlichen und räumlichen Beschränkungen, wobei derzeit Vermögensschäden pro Versicherungsfall bis zu € 7.267.284,00 gedeckt sind. Ausgenommen vom Versicherungsschutz sind Treuhandschaften, die nicht nach diesem Statut abgewickelt werden, insbesondere Treuhandschaften bei denen eine Untersagungserklärung gemäß Beilage ./5 vorliegt.“
[35] Einen Rechtsanwalt selbst trafen damals (und treffen heute) – abgesehen von den im jeweiligen Statut normierten Verpflichtungen – schon nach dem Gesetz (§ 10a RAO) unter anderem die Pflichten, die von ihm im Rahmen der Treuhandschaft zu besorgenden Aufgaben vollständig in dem schriftlich abzuschließenden Treuhandauftrag festzulegen, die von ihm übernommenen Treuhandschaften in ein Verzeichnis mit fortlaufender Nummerierung einzutragen (§ 10a Abs 1 RAO) und sie (im Regelfall) bei einem 40.000 EUR übersteigenden Betrag jedenfalls über eine von der Rechtsanwaltskammer zu führende Treuhandeinrichtung abzuwickeln (Abs 2 leg cit). Diese Verpflichtung hätte (grundsätzlich) nur bei schriftlich erteilter Untersagung [durch die Treugeber] – nach Belehrung über den Entfall der Sicherung (einschließlich eines Versicherungsschutzes) – wegfallen können. Im vorliegenden Fall wäre die Abwicklung über die Treuhandeinrichtung aber schon deshalb „unverzichtbar“ (also nicht „untersagbar“) gewesen, weil ein Fall einer Treuhandschaft, für die eine Absicherung in einer Treuhandeinrichtung der Rechtsanwaltskammer in einer anderen gesetzlichen Vorschrift (hier: § 12 Abs 3 BTVG) angeordnet ist (§ 10a Abs 3 RAO), vorlag. Ebenfalls schon im Gesetz verankert waren und sind Meldepflichten, die Pflicht, bei der Überprüfung mitzuwirken und für die Entbindung von der Verschwiegenheit im geforderten Ausmaß zu sorgen, sowie die Beitragspflicht zur Vertrauensschadenversicherung (§ 10a Abs 4 bis 6 RAO).
[36] 3.2. Die Einführung des „anwaltlichen Treuhandbuchs“ war – worauf schon die Klägerin in ihrer Revision hingewiesen hat – eine Reaktion auf eine unerfreuliche Kette von Veruntreuungshandlungen von Rechtsanwälten, die durch entsprechende Pressemeldungen zu einer massiven Verunsicherung der Bevölkerung und auch der beteiligten Bankinstitute geführt hatte (Gartner, Die Abwicklung von Geldtreuhandschaften nach § 10a RAO unter Berücksichtigung des neuen Status 2010 des elektronischen Treuhandbuchs der Rechtsanwaltskammer Wien, Jahrbuch Anwaltsrecht 2011, 73 ff [80]). Die österreichischen Rechtsanwaltskammern eröffneten ihren Mitgliedern deswegen ab dem Jahr 1995 die Möglichkeit, sich freiwillig einer Kontrolle durch die zuständige Kammer zu unterwerfen und richteten einen Notfallfonds ein, aus dessen Mitteln allfällige Schäden aufgrund fehlerhafter Abwicklung abgedeckt werden konnten (Hochegger, Die Treuhand‑Einrichtungen der österreichischen Rechtsanwaltskammern, immolex 2002, 23 ff [23]). Dem folgte wenige Jahre später die mit dem Rechtsanwalts-Berufsrechts‑Änderungsgesetz 1999 (BGBl I 1999/71) in der RAO implementierte Erweiterung der Richtlinienkompetenz des Österreichischen Rechtsanwaltskammertags um die Erlassung von Richtlinien für die Festlegung von Pflichten im Zusammenhang mit der Übernahme und Durchführung von Treuhandschaften sowie für die Schaffung und Führung von Treuhandeinrichtungen. Weil diese Bestimmung (samt der dazu erlassenen Verordnung) wegen des Verstoßes gegen das Determinierungsgebot und der wesentlichen Eingriffsbefugnisse auch in die Rechte und Pflichten Dritter als verfassungswidrig bzw gesetzwidrig aufgehoben wurde (VfGH 4. 12. 2008, G 15/08 ua VfSlg 18.637), wurde mit dem BRÄG 2010 der (nun näher konkretisierte) gesetzliche Auftrag zur Einrichtung und Führung einer Treuhandeinrichtung samt Vertrauensschadenversicherung, wie er heute in § 23 Abs 6 RAO idF BGBl I 2020/19 enthalten ist, in der RAO verankert (zuvor § 23 Abs 4 RAO idF BRÄG 2010). Treuhandeinrichtung und Versicherung sollten dem Klientenschutz dienen (ErläutRV 483 BlgNR 24. GP 4) und das Vertrauen der Bevölkerung in die Rechtsanwaltschaft insgesamt (wieder) stärken bzw den Berufsstand vor Vertrauensverlusten bewahren (VfGH 13. 12. 2011, B 1721/10, VfSlg 19.588).
[37] 3.3. Kernanliegen des gesetzlichen Auftrags war es also, den Zugriff eines Anwalts auf das in seiner Verwahrung befindliche Geld des einen bis zur (nach Bedingungseintritt zu bewirkenden) Auszahlung an den anderen zu verhindern. Mit der Einbindung der Bank, bei der das Treuhandkonto geführt wird (und dadurch „gesichert ist“), hat die beklagte Kammer im Rahmen ihres Treuhandverbands erreicht, dass der Anwalt nur mehr durch Überweisung über den darauf erliegenden Geldbetrag verfügen kann. Eine Barabhebung ist ihm nicht nur verboten, sondern auch faktisch nicht mehr möglich. Die von ihm beauftragte Überweisung unterliegt nämlich der Kontrolle durch die („Treuhand“-)Bank, und zwar dahin, ob sie den vom Empfänger bestätigten Kontodaten entspricht. Durch diese der Bank auferlegte Verpflichtung wird abgesichert, dass jede Verfügung, welche den bekanntgegebenen und vom Treugeber bestätigten Daten widerspricht, unterbleibt (Hochegger, Die Treuhand‑Einrichtungen der österreichischen Rechtsanwaltskammern, immolex 2002, 23 ff [26]). Ob der Treuhänder seiner Verpflichtung und die Bank ihrer Sperr-/Kontrollfunktion in der Praxis tatsächlich auch nachkommt, wird zudem stichprobenartig durch Revisoren überprüft. Die von der Rechtsanwaltskammer geschaffene Einrichtung bei der Handhabung und Kontrolle der Abwicklung von Treuhandschaften ist – gemessen am Gesetzeszweck des Klientenschutzes und der Wahrung des Standesansehens – als zielführend und ausreichend zu beurteilen.
[38] Kein („vernünftiges“) System, bei dem die Sorgfaltspflichten und der betriebene [wirtschaftliche] Aufwand nicht überspannt werden, kann lückenlosen Rechtsschutz vor allen erdenklichen kriminellen und gesetzwidrigen Handlungen bieten. Die Forderung der Klägerin, die Rechtsanwaltskammer hätte „ein System zu schaffen“ gehabt, in dem „derartige Umtriebe nicht möglich“ sind, ist überzogen. Für von ihr als notwendig angesehene laufende Evaluierungen oder „Stresstests“ kann sie keine im Gesetz normierten Vorgaben nennen. Zum anzuwendenden Sorgfaltsmaßstab räumen schon die Gesetzesmaterialien ein, dass die Pflichten der Rechtsanwaltskammer im Zusammenhang mit der Überprüfung der Einhaltung der Pflichten des Anwalts nach § 10a RAO und nach den Richtlinien gemäß § 27 Abs 1 lit g RAO nicht überspannt werden dürfen (ErläutRV aaO 10; siehe auch Rohregger in Engelhart/Hoffmann/Lehner/Rohregger RAO10 § 23 Rz 25). Die abstrakt zur Verfügung stehenden Mittel sind daher zum einen auf ihre Zumutbarkeit hin zu hinterfragen. Dies gilt nicht nur in Ansehung des personellen und wirtschaftlichen Aufwands der Kammer, sondern es ist bei den Kontrollmaßnahmen auch die Invasivität in die Privatsphäre der Treugeber mit der Wahrscheinlichkeit des Eintritts von zu erwartenden Zugriffsfällen durch Rechtsanwälte abzuwägen. Ein Mitglied der beklagten Rechtsanwaltskammer kann sich – angesichts der geschaffenen Treuhandeinrichtung – das treuhändig gehaltene Geld nur mehr in seltenen Ausnahmekonstellationen zueignen. Etwa dann, wenn das damit geschaffene „Vier-Augen-Prinzip“ versagt, weil neben dem vorsätzlich handelnden Anwalt dem Mitarbeiter der Bank ein Fehler unterläuft (sei es unabsichtlich oder aber in dolosem Zusammenwirken mit dem Anwalt) oder – wie der vorliegende Fall zeigt – wenn ein „materiell“ unrichtiges (aber vom Treugeber als sein Empfängerkonto bestätigtes) Konto angegeben wird. Bei Berücksichtigung der zur Prüftiefe in den Gesetzesmaterialien gegebenen Erläuterung, dass der Kammer nicht aufgebürdet werden sollte, die Treuhandbedingungen im Einzelnen zu prüfen ([„keine Verpflichtung ... den konkreten Treuhandauftrag auf seine inhaltliche Ausgestaltung zu überprüfen oder etwa die Einhaltung der sich aus dem Auftrag ergebenden Auszahlungsbedingungen zu überwachen“] ErläutRV aaO), ist die von der Klägerin geforderte Verschaffung der Kenntnis des tatsächlichen Vorliegens der (Allein‑)Verfügungsberechtigung des Empfängers am Empfängerkonto durch die Treuhandeinrichtung als überzogen zu beurteilen. Den Klienten wäre dazu abzuverlangen, dem Treuhandverband Einsicht in ihre Konten zu gewähren und ihre jeweilige (eigene) Bank über das Treuhandkonto hinaus vom Bankgeheimnis zu entpflichten. Dem steht aber das im Regelfall zu vermutende Interesse jeder Partei auf Geheimhaltung dieser Daten entgegen; umso mehr, als erwartet werden kann, dass grundsätzlich jedermann seine eigenen Kontodaten kennt und vor der Bestätigung des Empfängerkontos überprüft.
[39] 3.4. Die Klägerin hat daher ihren Vorwurf, die Rechtsanwaltskammer hätte eine unzureichende Treuhandeinrichtung errichtet und „zu wenig tiefgehende“ Überprüfungen durchgeführt, zu Unrecht erhoben. Die von ihr geschaffene Treuhandeinrichtung verfolgt mittels geeigneter und ausreichender Vorkehrungen das hinter der gesetzlichen Anordnung stehende Ziel, dem Klientenschutz zu dienen (ErläutRV 483 BlgNR 24. GP 4) und das Vertrauen der Bevölkerung in die Rechtsanwaltschaft insgesamt zu stärken bzw den Berufsstand vor Vertrauensverlusten zu bewahren (VfGH 13. 12. 2011, B 1721/10, VfSlg 19.588). Die Kammer hat also ihrem gesetzlichen Auftrag insoweit entsprochen.
[40] 4. Zu „Werbeaussagen“ und Maßnahmen nach § 19 Abs 1a DSt:
[41] Auch besteht keine Haftung wegen „öffentlicher Äußerungen“ des Präsidenten der beklagten Kammer oder (angeblich pflichtwidrig) unterlassener einstweiliger Maßnahmen nach § 19 Abs 1a DSt über den Anwalt.
[42] 4.1. Die Klägerin gründet ihren Anspruch auch auf eine „(Werbe‑)Aussage der beklagten Partei, insbesondere auch der öffentlichen Äußerung ihres Präsidenten, dass – wenn etwas passiere – ein Versicherungsschutz gegeben sei“. Welche Schadenersatzforderung aus der tatsächlich (und nur sinngemäß) festgestellten Äußerung, dass Treuhandschaften von der Rechtsanwaltskammer geprüft werden, überhaupt denkmöglich ableitbar sein sollte, bemüht sich die Klägerin gar nicht auszuführen. Auf die Begründung des Berufungsgerichts, dass allfällige „Werbeaussagen“ des Präsidenten der Rechtsanwaltskammer nicht kausal für den eingetretenen Schaden sein könnten, weil die Klägerin überhaupt erst später davon Kenntnis erlangt habe, geht sie mit keinem Wort ein. Damit bleibt die Behauptung, daraus leite sich eine Schadenersatzpflicht der Beklagten ab, unnachvollziehbar.
[43] 4.2. Zu den – ihrer Ansicht nach geboten gewesenen – einstweiligen Maßnahmen (Kontrolle der Kanzleiführung durch den Ausschuss oder vorläufige Untersagung der Ausübung der Rechtsanwaltschaft) legt sie zugrunde, dass es drei Disziplinarverfahren gegen den Anwalt wegen Verletzung der Schutzpflichten nach § 9 BTVG und § 40 WEG im Jahr 2011 „gegeben“ hätte. Damit entfernt sie sich vom festgestellten Sachverhalt und führt die Rechtsrüge insoweit nicht gesetzmäßig aus (RIS‑Justiz RS0043603 [T2, T8]). Das (eine) Verfahren wegen einer Verletzung der Schutzpflichten nach § 9 BTVG und § 40 WEG im Jahr 2011 betraf eine verfrühte Auszahlung und begründet damit keineswegs den Verdacht, der Anwalt wolle sich selbst in unredlicher Weise Gelder zueignen. Anhängige Exekutionsverfahren lassen (abgesehen von nachlässigem Umgang mit Zahlungspflichten) zwar zumeist Rückschlüsse auf wirtschaftliche Schwierigkeiten zu, nicht aber auf die mangelnde Redlichkeit des Verpflichteten. Aus den festgestellten Vorfällen kann daher die dringende Besorgnis, dass die weitere Berufsausübung zu einer „erheblichen Beeinträchtigung“ anvertrauten fremden Vermögens, insbesondere im Zusammenhang mit der Fremdgeldgebarung des Rechtsanwalts, führen könnte, die aber Voraussetzung für die von der Klägerin als geboten angesehene Überwachung (nunmehr Kontrolle; vgl § 19 Abs 1a und Abs 3 Z 1 lit a DSt idF BGBl I 2020/19) ist (26 Ds 4/20t), nicht abgeleitet werden; demgemäß auch nicht die Berechtigung eines Amtshaftungsanspruchs wegen der Unterlassung der Verhängung einer solchen Maßnahme.
[44] 5. Zur Vertrauensschadenversicherung:
[45] Damit ist zuletzt ihr Vorwurf eines Fehlverhaltens der Kammer im Zusammenhang mit der abgeschlossenen Vertrauensschadenversicherung zu prüfen.
[46] 5.1. Den Überlegungen dazu sei vorangestellt, dass mit dem Begriff Vertrauensschaden im Rahmen einer sogenannten „Vertrauensschadensversicherung“ nicht jener Schaden gemeint ist, der im (allgemeinen) Zivilrecht ansonsten unter dem geläufigen Begriff „Vertrauensschaden“ (das negative Interesse) verstanden wird. Im Zusammenhang mit der Vertrauensschadenversicherung soll jener Schaden ersetzt werden, der durch vorsätzliche Handlungen einer „Vertrauensperson“ verursacht worden ist. Ihr historischer Ausgangspunkt ist eine Versicherung gegen Veruntreuung oder Unterschlagung (Gruber, Grundlagen der Vertrauensschadenversicherung, wbl 2017, 316 ff [316]).
[47] Die hier zu beurteilende Vertrauenschadenversicherung soll – nach der erkennbaren Absicht des Gesetzgebers – eine „Lücke“ schließen, die (aus Sicht des Klientenschutzes) im Bereich der (gemäß § 21a RAO von jedem Anwalt vor Eintragung in die Liste der Rechtsanwälte abzuschließenden) Berufshaftpflichtversicherung besteht. In deren Rahmen besteht nämlich keine Deckung für Schäden, die durch wissentliches Abweichen von Gesetz, Vorschrift, Anweisung oder Bedingung des Machtgebers oder durch sonstige wissentliche Pflichtverletzung verursacht werden (Aichinger/Koban, Die Haftpflichtversicherung für Rechtsanwälte, FS Fenyves [2013] 437 ff [443 f]; vgl auch § 152 VersVG). Vor dem Hintergrund der fehlenden Haftpflichtdeckung bei vorsätzlichem Verhalten („während Schäden der Partei auf Grund eines fahrlässigen Fehlverhaltens des Rechtsanwalts im Rahmen der Abwicklung der Treuhandschaft dagegen regelmäßig Deckung in der vom Rechtsanwalt nach § 21a RAO abzuschließenden Berufshaftpflichtversicherung finden werden“) sollte die nach § 23 RAO von der Kammer abzuschließende Versicherung „jedenfalls solche Schäden abdecken, die der Partei aufgrund einer vorsätzlichen unerlaubten Verfügung über den im Rahmen der Treuhandschaft anvertrauten Treuhanderlag zugefügt werden (Vertrauensschadenversicherung)“ (ErläutRV aaO 9 f).
[48] 5.2. Dieser Intention des Gesetzgebers folgt die abgeschlossene Versicherung auch:
[49] Sie deckt gerade jene Schäden, die durch eine(n) in den Versicherungsschutz eingeschlossene(n) Vertrauensperson/Versicherten im Rahmen ihrer/seiner Berufsausübung und „infolge vorsätzlich unerlaubter Verfügung über ein im Rahmen einer vertraglich übernommenen Treuhandschaft anvertrautes Gut einem Klienten zugefügt“ werden. Ausdrücklich ist „Schadensstiftung durch wissentliche Abweichung von Gesetz, Vorschrift, Anweisung oder Bedingung des Machtgebers (Berechtigten) oder durch sonstige wissentliche Pflichtverletzung mitversichert (Punkt 9.2.2 der Versicherungsbedingungen).
[50] Der Anwalt war Versicherter, er hatte die Treuhandschaft im Rahmen seiner Berufsausübung übernommen. Dass eine „wissentliche Abweichung von Vorschrift(en)“ vorlag, zumal nach dem Treuhandstatut – insoweit ebenfalls unstrittig – die in den Treuhandvertrag aufgenommene und später auch durchgeführte Überweisung vom sogenannten „gesicherten“ Treuhandkonto auf ein „anderes Konto“ des Anwalts nach Punkt IV.4. des Statuts unzulässig und damit nach einer im Range einer Verordnung stehenden Vorschrift verboten war, hat die beklagte Kammer gar nicht bestritten. Wenn es im Rahmen der von den Anwälten selbst abzuschließenden Berufshaftpflichtversicherung für den Ausschluss vom Versicherungsschutz genügt, dass der Anwalt seine Pflichtverletzung(en) positiv kannte und der Pflichtverstoß für den Schaden ursächlich war (bedingter Vorsatz, RS0081984 [auch T1]), sich das in den dabei zugrunde gelegten Versicherungsbedingungen verwendete Wort „wissentlich“ also nur auf das Abweichen von Gesetz, Vorschrift, Anweisungen oder Bedingungen des Auftraggebers erstreckt, aber nicht auch die Schadensfolgen umfassen muss (zuletzt 7 Ob 161/19b mwN), reicht – im umgekehrten Fall der vereinbarten Deckung gerade solcher wissentlicher Pflichtverletzungen – in gleicher Weise die Ursächlichkeit des wissentlichen Pflichtverstoßes (für den Schaden) aus; es müssen die Schadensfolgen vom bedingten Vorsatz nicht (mit-)umfasst sein.
[51] Der Beklagten muss eingeräumt werden, dass sie ausgehend von ihrem – durchaus angemessenen – Sicherheitssystem den vom Anwalt begangenen Verstoß nicht hätte aufdecken können. Weder sie noch die Bank konnten (und durften aufgrund des Bankgeheimnisses) wissen, wer Inhaber des Empfängerkontos oder wer darüber verfügungsberechtigt war. Für die Versicherungsdeckung geht es aber nicht darum, ob ihr (oder der Treuhandbank) ein Pflichtverstoß anzulasten ist. Die abgeschlossene Versicherung dient nach ihrer Zielsetzung ja nicht dazu, Versäumnisse der Kammer abzudecken, sondern jenen Schaden, der (mit besonderem Verschuldensgrad) durch ihre versicherten Mitglieder – trotz ihrer Treuhandeinrichtung (eben durch deren Unterlaufen) – verursacht wird. „Aufgefangen“ sollen erkennbar (vor allem) gerade jene Fälle werden, in denen eine mit zumutbaren Mitteln nicht zu verhindernde „Lücke“ durch einen vorsätzlich handelnden Anwalt ausgenutzt wird. Für diese Fälle hatte sie, nach dem Auftrag des Gesetzes eine Versicherung abzuschließen und auch entsprechend dem beabsichtigten Klientenschutz abzuwickeln.
[52] 5.3. Dazu gehört es (aufgrund der durch die vertragliche Vereinbarung zwischen ihr und dem Versicherer geschaffene Konstruktion des Eintritts des Leistungsfalls durch ihren Beschluss gemäß Punkt 3. der Versicherungsbedingungen), einen Schadensfall beschlussmäßig festzustellen, um eine notwendige Voraussetzung für die Leistungspflicht des Versicherers zu schaffen, wie sie auch die damit zusammenhängenden Obliegenheiten (im Verfahren mit „Vorsichtsmeldung“ umschrieben, s Punkt 10. der Bedingungen) einzuhalten hat.
[53] 5.4. Ein solcher (den Versicherungsfall auslösender) Beschluss wurde nicht gefasst, weil „die Rechtsanwaltskammer“ zum eingetretenen Schaden den – von den Vorinstanzen als vertretbar angesehenen – Standpunkt einnahm, es käme im vorliegenden Fall der Haftungsausschluss nach Punkt 9.1 der Allgemeinen Versicherungsbedingungen zum Tragen.
[54] Der erkennende Senat teilt diese Beurteilung nicht. Die Auffassung, es liege der Ausschlussgrund des Punkts 9.1 (Treuhandschaften, die nicht im Sinne des Statuts des Treuhandverbands der Rechtsanwaltskammer für * abgewickelt werden und keiner Dispositionskontrolle bei einer Bank unterworfen sind) vor, konnte nicht „mit gutem Grund“ vertreten werden. Ebensowenig schließt sich der Senat der Meinung des Berufungsgerichts an, der Schaden sei nicht mehr „als vom üblichen Deckungsumfang einer Vertrauensschaden-Haftpflichtversicherung umfasst zu erachten“. Beispiele und Belege für einen „üblichen“ Deckungsumfang in der Vertrauensschadens-Haftpflichtversicherung fehlen. Die vom Berufungsgericht zitierte Entscheidung zu 7 Ob 33/10v (= RS0080651 [T1]) befasste sich mit einer Berufshaftpflichtversicherung (und eben nicht mit einer Vertrauensschadenversicherung) eines Wertpapierdienstleistungsunternehmens. Wenn darin die Ausschlüsse von Ansprüchen „aufgrund der Hinterlegung von Finanzinstrumenten oder Kundengeldern bei Unternehmen oder Personen, die im Gemeinschaftsgebiet hierzu nicht befugt sind oder bei Unternehmen oder Personen in Drittstaaten, die keine Kreditinstitute oder qualifizierte Geldmarktfonds sind“ oder „aus der Beratung und/oder Vermittlung von prospektpflichtigen ... Veranlagungen und Wertpapieren nach dem Kapitalmarktgesetz, wenn nicht die jeweiligen … geprüften ... Prospekte der Beratung/Vermittlung zugrundegelegt wurden“ als weder unüblich noch unsachlich begrenzend, und damit als zulässig vereinbart, qualifiziert wurden, ist keine Parallele zum vorliegenden Fall gegeben. Die Klauseln wurden mit der Begründung, sie behandelten Fälle der Vermittlung der Veranlagung bei nicht befugten Unternehmen oder solche unter Missachtung der gesetzlichen Prospektpflicht und seien wegen des darin enthaltenen Ausschlusses der Haftung von (jeweils) gesetzwidrigen Vorgehens oder zumindest des Inkaufnehmens von Gesetzesverstößen – durch den versicherten Wertpapierdienstleister – zulässig, weil ein durch ein solches Fehlverhalten bewirkter Schaden nicht mehr „als aus der (normalen) Geschäftstätigkeit eines Wertpapierdienstleistungsunternehmen resultierend“ bezeichnet werden könne. Soweit diese in einem anderen Geschäftsbereich und vom versicherten Wertpapierdienstleistungsunternehmen selbst abgeschlossene Berufshaftplichtversicherung überhaupt mit einer Anwälte betreffenden (Haftpflicht-)Versicherung für vergleichbar gehalten werden kann, wäre der Vergleich viel eher mit der nach § 21a RAO von den Anwälten (jeweils selbst) abgeschlossenen, „normalen“ Berufshaftpflichtversicherung zu ziehen. In dieser wird (ebenso) die Haftung für ihr vorsätzliches Verhalten ausgeschlossen (was ja Anlass des Auftrags des Gesetzgebers war, der Kammer den Auftrag zu erteilen, gerade dafür eine andere Versicherung – eben die in Rede stehende Vertrauensschadenversicherung – abzuschließen). Die Abwicklung einer Treuhandschaft gehört grundsätzlich zur „normalen Geschäftstätigkeit“ des Anwalts, nicht aber vorsätzliches pflicht- und gesetzwidriges Verhalten. Wenn nun aber gerade vorsätzliches Verhalten versichert sein soll, erschließt sich dazu ein „üblicher“ Umfang oder eine insoweit „normale“ Geschäftstätigkeit nicht.
[55] Nach dem (im Verfahren erster Instanz geäußerten) Verständnis der Beklagten von der Versicherung, sei (zwar) ein Versicherungsschutz immer gegeben gewesen, (aber) nur „für den Fall, dass eine Treuhandschaft“ (offenbar gemeint auch im materiellen Sinne) „nach dem Statut abgewickelt wird und dennoch eine Defraudation stattfindet“. Sie versteht damit den Ausschluss in Punkt 9.1 (dessen Auslegung der Grund dafür war, dass die Kammer keinen Beschluss über die Feststellung des Schadensfalls fasste) offenbar so, dass Treuhandschaften, die zwar formell nach dem Treuhandbuch abgewickelt werden und bloß „materiell/inhaltlich“ tatsächlich nicht (in jedem Punkt) im Sinne des Statuts des Treuhandverbands durchgeführt werden, nicht darunter fallen.
[56] Dann wäre aber die Frage zu stellen, welchen Sinn eine solche Versicherung – gerade in Ansehung des Kernanliegens der Schaffung der Treuhandeinrichtung (Abdeckung des durch widerrechtliche Zueignung des Anwalts entstandenen Schadens) – überhaupt haben sollte. Ohne jeden Verstoß gegen das Treuhandstatut liefe eine Treuhandschaft in dieser Hinsicht stets auch „inhaltlich richtig“ ab und ein Schaden könnte gar nicht eintreten.
[57] Die (bedeutungsgleichen) Formulierungen „Treuhandschaft im Sinne des Status“ oder „nach dem Statut“ werden im Statut selbst an mehreren Stellen gebraucht. Wenn etwa in Punkt IV.9. festgehalten ist, dass bei „Treuhandschaften, die gemäß III.3.lit e) dieses Statutes nicht nach diesem Statut abgewickelt werden“ [dies betrifft Fälle, in denen dem Rechtsanwalt die Anwendung oder Abwicklung des Statuts untersagt wurde], der Anwalt diese „unter Verwendung fortlaufender Nummern in ein gesondertes Verzeichnis […] einzutragen […] hat“ und er (grundsätzlich) nach Punkt III.2. verpflichtet ist, vertraglich übernommene Treuhandschaften im Sinne dieses Status abzuwickeln, ist damit ganz klar das formale Dem-Statut-unterstellt-sein gemeint, also eine Treuhandschaft, bei der die Abwicklung im Sinne des Statuts vorgenommen werden soll (und nach dem äußeren Anschein auch wird). Die hier zu beurteilenden Treuhandschaften, deren Meldung die Kammer bestätigte, sind evidentermaßen nicht solche und mussten nach ihren Beträgen (den Kaufpreisen), dem Fehlen einer Untersagungserklärung, aber auch schon deswegen, weil sie dem BVTG unterstellt waren, jedenfalls nach dem Statut abgewickelt werden. Sie sind keine Treuhandschaften, die „nicht im Sinne des Statuts des Treuhandverbands … abgewickelt werden“ und damit vom vereinbarten Ausschluss nach Punkt 9.1 nicht umfasst.
[58] Daran ändert auch der an diesen Passus angefügte Zusatz („Nicht unter diese Versicherungen fallen ... Treuhandschaften, die nicht im Sinne des Status des Treuhandsverbands [der Beklagten] abgewickelt werden“) „und keiner Dispositionskontrolle durch die Bank unterliegen“ nichts. Die von der Kammer erlassene Verordnung (das Statut) stellt klar, was unter „Dispositionskontrolle“ zu verstehen ist. Der Anwalt hat dafür zu sorgen, dass der Kontoverfügungsauftrag „an das anderkontoführende Kreditinstiut (Dispositionskontrolle)“ vor der ersten Verfügung über den Treuhanderlag übermittelt wird (Punkt IV.4.). Mit „Dispositonskontrolle“ kann daher nur die einzige nach den Statuten ermöglichte Kontrolle der Bank gemeint sein, also ihre Verpflichtung, anhand des Kontoverfügungsauftrags vor der Durchführung der vom Treuhänder erteilten Überweisungsaufträge zu überprüfen, ob sich diese tatsächlich auf das darin angegebene nach der IBAN identifizierte (und für sie auch nur auf Übereinstimmung damit überwachbare) Konto bezieht. Wenn die Beklagte daher die Auffassung, die (Treuhand-)Bank habe im vorliegenden Fall nicht „mehr“ überprüfen können, als ob die Überweisung auf jenes Konto erfolgte, dessen IBAN im Kontoverfügungsauftrag angegeben ist, weswegen „keine Dispositionskontrolle“ (wie sie offenbar in den Versicherungsbedingungen angesprochen sein soll) erfolgt sei, als gut begründbaren Standpunkt zu präsentieren versucht, ist ihr zu erwidern, dass dann das Statut und vor allem der Sinn der Versicherung unverständlich wäre. Wäre nämlich mit den Worten „Dispositionskontrolle der Bank“ tatsächlich der Fall bezeichnet, dass die Bank zu kontrollieren hätte, ob der/die im Kontoverfügungsauftrag genannte Kontoinhaber auch tatsächlich der Verfügungsberechtigte über dieses Konto ist, fehlte im Statut jede Vorsorge dafür, dass die Bank eine solche Kontrolle überhaupt bewerkstelligen könnte, was die Beklagte ja auch vehement bestreitet. Sie pocht vielmehr an mehreren Stellen und mit der zutreffenden Begründung, dass sie und die Treuhandbank wegen des Bankgeheimnisses keine Einsichtsmöglichkeit in diese Daten haben, darauf, dass die Kontrolle von Übereinstimmung zwischen angegebenem Empfänger und Inhaber des genannten Kontos unmöglich ist. Kann aber eine solche Kontrolle bei der Abwicklung nach dem Treuhandstatut (standardmäßig) nicht durchgeführt werden, dann wären – unter Zugrundelegung der Auslegung der Beklagten – alle (ansonsten) nach den Regeln des Treuhandstatuts abgewickelten Treuhandschaften, wie sie tatsächlich durchgeführt werden, ohne eine (so verstandene) Dispositionskontrolle abgelaufen. Es könnte dann überhaupt keine Treuhandschaft unter Versicherungsschutz stehen; alle abgeschlossenen und bisher abgewickelten Treuhandverträge fielen aus dem Versicherungsschutz heraus. Ausgenommen könnten faktisch und rein zufällig allenfalls jene Treuhandschaften sein, in denen auch das Empfängerkonto bei der Treuhandbank geführt wird.
[59] „Treuhandschaften die nicht im Sinne des Statuts des Treuhandverbands der [Beklagten] abgewickelt werden und keiner Dispositionskontrolle bei einer Bank unterworfen sind“, können daher ganz offenkundig nur solche sein, die – nach dem Willen der Beteiligten – überhaupt außerhalb des Treuhandbuchs und ohne Einbindung des Kreditinstituts, das nach Punkt IV.4. die Treuhandvereinbarung ebenfalls (mit-)abzuschließen hat, abgewickelt werden (sollen).
[60] 5.5. Dass der Versicherungsschutz mit der Überweisung auf ein bloß als Empfängerkonto ausgegebenes Konto (das faktisch aber kein Empfängerkonto ist) zeitlich „ende“ und daher kein Schadensfall vorliegen soll (offenbar getragen von der Sichtweise, dass in diesem Zeitpunkt noch keine Weiterüberweisung vom „Empfängerkonto“ weg erfolgt war), lässt sich ebensowenig aus den Bedingungen ableiten. Nach diesen (Punkt 2.2.2) führt vorsätzlich unerlaubte (also wissentliche) Abweichung von einer Bestimmung des Statuts dazu, dass der Versicherer den dadurch verursachten Vermögensschaden zu ersetzen hat. Erst durch den wissentlichen Verstoß des Rechtsanwalts (Überweisung auf ein Konto, dessen Inhaber und Verfügungsberechtigter allein er war) waren die späteren „Weiterüberweisungen“ möglich. Das Treugut langte (entgegen der Intention des Treuhandstatuts) durch die Überweisung vom Treuhandkonto auf ein Konto des Anwalts nicht beim Empfänger ein. Abgeschlossen oder beendet ist eine Treuhandschaft aber nach dem an mehreren Stellen aus dem Statut hervorleuchtenden Verständnis erst, wenn das – nach Überweisung des von dem einen Treugeber auf dem vom Treuhänder gehaltenen Treuhandkonto – erlegte Treugut auf das Konto des Empfängers = Begünstigten transferiert wurde, das verwahrte Gut also von der Gewahrsame des Anwalts in die Gewahrsame des Begünstigten übergeben wurde. Die Überweisung vom Treuhandkonto hätte dementsprechend nach dem „integrierten“ Bestandteil des Statuts Beilage ./3 auf ein Empfängerkonto jenes Treugebers, der in dieser (Muster-)„Treuhandvereinbarung gemäß § 10a RAO mit Kontoverfügungsauftrag“ als „Veräußerer“ bezeichnet wird, zu erfolgen gehabt. Den Anwalt traf nämlich nach dem Statut die Pflicht, eine Treuhandvereinbarung im Sinne der Beilage ./3 abzuschließen (Punkt IV.4.) und der Kammer neben der Bankverbindung des (Treuhand‑)Anderkontos (nur) die Kontoverbindungen beider Treugeber, und zwar in Bezug auf den Treugeber, der das Treugut erhalten soll „Name, Adresse und Kontonummer der aus dem Treuhandvertrag begünstigten Personen(en)“, zu melden (Punkt VI.a.2.). Dies hätte hier in allen Belangen, also auch in Bezug auf die Innehabung des Kontos, die Klägerin sein müssen. Dass – anders als nach dem Statut angeordnet – das Geld, weil diesen Regeln nicht entsprochen wurde, nicht auf ihrem Konto einlangte, verursachte ihr zweifelsfrei einen Schaden durch wissentliche Pflichtverletzung über ein im Rahmen einer vertraglich übernommenen Treuhandschaft anvertrautes Gut.
[61] 5.6. Die Beklagte und die Nebenintervenientin gehen trotz der gegenteiligen Feststellungen des Erstgerichts an einigen Stellen ihrer Rechtsmittelbeantwortungen noch immer davon aus, dass die Klägerin bei Bestätigung der Kontodaten (Angabe eines in Wahrheit nicht ihr gehörigen Kontos als ihr Konto [als Bauträgerin]) und beim Unterbleiben einer Reaktion ihr gegenüber, nachdem der Klägerin die Bestätigung der Meldung der Treuhandschaft übermittelt worden war, vorsätzlich gehandelt habe. Allerdings berufen sie sich wiederum mehrmals auch darauf, dass die Klägerin „zumindest grob fahrlässig“ unrichtige Erklärungen abgegeben habe. Erstmals in der Revisionsbeantwortung zielt die Beklagte – wie aus der mit den festgestellten Versicherungsbedingungen übereinstimmenden Formulierung erkennbar wird – darauf ab, dass ein Anwendungsfall für den Haftungsausschluss nach Punkt 9.4 der Bedingungen vorliegen soll. Es seien nach der von ihr abgeschlossenen Vertrauensschadenversicherung „unter anderem fahrlässig verursachte Vermögensschäden“ ausgeschlossen, weswegen „keine Deckung bestanden“ habe; die Klägerin habe durch mehrmalige unrichtige Erklärung hinsichtlich ihrer Kontoverbindung „grob fahrlässig“ gehandelt und darüber hinaus auch nicht auf die Übermittlung der Bestätigung der Treuhandmeldung mit diesen Daten reagiert.
[62] Die Beklagte hat im Verfahren erster Instanz zur abgeschlossenen Versicherung auf die Punkte 3. und 9. der Versicherungsbedingungen verwiesen und Tatsachensubstrat zum Verhalten der Klägerin im Zusammenhang mit der Unrichtigkeit der Kontodaten erstattet, und zwar sowohl in Richtung von vorsätzlichem Vorgehen dabei, als auch in Richtung Fahrlässigkeit (die Klägerin soll danach „bewusst unrichtig“, „listig“, „vorsätzlich oder zumindest grob fahrlässig“ unrichtige Erklärungen abgegeben haben). Sie hat unter anderem auch den Vorwurf erhoben, die Klägerin hätte sie auf die Unrichtigkeit der Kontodaten hinweisen können, habe dies aber nicht getan, und der Klägerin vorgehalten, dass der Schaden nicht eingetreten wäre, wenn sie auf die Einrichtung eines Eigenkontos mit alleiniger Zeichnungsbefugnis bestanden hätte; ihr sorgloses Verhalten habe einen allfällig vom Anwalt verursachten Schaden überhaupt erst ermöglicht.
[63] Wenn sie zu den festgestellten Tatsachen nun in der Revisionsbeantwortung mit einem neuen rechtlichen Gesichtspunkt argumentiert, ist ihr dies nicht verwehrt, weil das Neuerungsverbot nur den Tatsachenbereich betrifft (RS0016473 [T6]).
[64] 5.7. Zum Ausschlussgrund nach Punkt 9.1. der Allgemeinen Versicherungsbedingungen ist abschließend festzuhalten, dass die Verweigerung der Beschlussfassung nach Punkt 3. der Versicherungsbedingungen aus dem einzig tatsächlich vorgelegenen Grund (Annahme des Vorliegens eines Haftungsausschlusses nach Punkt 9.1) nicht mit „gutem Grund“ vertreten werden konnte, also auf einer unvertretbaren Rechtsansicht beruhte. Eine Berufung darauf könnte ihre Haftung nicht hindern.
[65] 6.1. Die Beklagte hat aber ihren ursprünglich allgemein (und unerörtert) gebliebenen Verweis auf Punkt 9. nun dahin konkretisiert, dass der Ausschlussgrund nach Punkt 9.4 gegeben sei. Für die Klägerin war es aber nach dem Verfahrensablauf bisher gar nicht geboten, zu Punkt 9.4 Vorbringen zu erstatten. Auch mit der Beklagten sind dazu noch weitere Erörterungen angebracht, weswegen es der Aufhebung der Entscheidungen der Vorinstanzen und der Zurückverweisung der Rechtssache an das Erstgericht bedarf.
[66] 6.2. Die Beklagte fasst den Ausschlussgrund ganz offenkundig so auf, dass durch Punkt 9.4 der Bedingungen die Deckung von solchen Vermögensschäden ausgeschlossen wird, die auf fahrlässiges Verhalten des Treugebers zurückgehen. Sie wird zuallererst zu erklären haben, warum diese Bestimmung der Versicherungsbedingungen nicht im „Gleichklang“ mit jenen zu der von den Anwälten nach § 21a RAO abzuschließenden Berufshaftpflichtversicherung vereinbarten Bedingungen auszulegen sein sollte, sie also durch den Treugeber (und nicht durch den Treuhänder) „fahrlässig verursachte Vermögensschäden“ umfassen sollte, während bei der Berufshaftpflichtversicherung der Rechtsanwälte mit den zugehörigen Versicherungs-bedingungen [„spiegelbildlich“] der Haftungsausschluss bei vorsätzlichem Handeln des versicherten Anwalts vereinbart (7 Ob 31/16h; 7 Ob 161/19f), also dessen Verhalten angesprochen wird. Für den Fall der Darlegung von weiterem Vorbringen der Beklagten dazu, sei diese an die (Formal‑)Erfordernisse der österreichischen Zivilprozessordnung (§§ 176 ff ZPO) erinnert. Anstelle eines Vorbringens kann vom Rechtsvertreter einer Partei nicht bloß auf deren Aussage verwiesen werden (hier in Form des „Erhebens zum Vorbringen“), zumalnach den Grundsätzen der ZPO die Parteiaussage fehlendes Vorbringen nicht ersetzen kann (vgl RS0038037; RS0043157).
[67] Sollte sich im weiteren Verfahren ergeben, dass sich Punkt 9.4 auf fahrlässiges Verhalten des Rechtsanwalts – und nicht des geschädigten Treugebers – bezieht, könnte sich die Beklagte auch auf diesen Deckungsausschluss nicht berufen. Es wäre dann weder ein Deckungsausschluss vorgelegen, noch hat es „gute Gründe“ für die (verfehlte) Auslegung des Punktes 9.1 gegeben, derentwegen aber – wie festgestellt – die Kammer die Beschlussfassung nach Punkt 3. der Bedingungen verweigerte. Sie hätte dann vielmehr im Interesse der Klägerin bei gegebener Deckungspflicht des Versicherers die Beschlussfassung wegen eines unvertretbar eingenommenen Standpunkts verweigert. Obwohl sie die mit ihr im Rahmen des Versicherungsvertrags statuierten Obliegenheiten zu erfüllen gehabt und den für eine Auszahlung erforderlichen Beschluss fassen hätte müssen, hätte sie dies schuldhaft unterlassen.
[68] Angemerkt sei in diesem Zusammenhang, dass es, abgesehen davon, dass die Rechtsanwaltskammer dem Vorbringen der Klägerin, der Versicherer hätte, wenn die Beklagte pflichtgemäß „eine Meldung gemacht“ hätte, auch bezahlt, ohne Darlegung von Sachsubstrat entgegentrat, nicht darauf ankommt, ob der Versicherer (freiwillig) gezahlt hätte, sondern darauf, ob sie dazu verpflichtet gewesen wäre und dazu verhalten hätte werden können.
[69] Sollte sich dagegen ergeben, dass mit der (insoweit sprachlich offenen) Formulierung in Punkt 9.4 fahrlässiges Verhalten des Treugebers gemeint ist, wäre der Klägerin Gelegenheit zur Erwiderung des Vorbringens der Gegenseite zu geben. Sie hat schon bisher allgemein eingewendet, die Beklagte habe keine „Versicherung in ausreichendem Ausmaß“ abgeschlossen und – entsprechend dem Gang des Verfahrens – nur zur (von den Vorinstanzen herangezogenen) Auslegung des Punktes 9.1 (im Hinblick auf eine ihrer Ansicht nach damit herbeigeführte Aushöhlung des Versicherungsschutzes) konkret Stellung bezogen, nicht aber zu Punkt 9.4.
[70] 7. Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 Abs 1 ZPO.
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