OGH 1Ob115/17v

OGH1Ob115/17v12.7.2017

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Sailer als Vorsitzenden sowie die Hofräte Univ.‑Prof. Dr. Bydlinski, Mag. Wurzer, Mag. Dr. Wurdinger und die Hofrätin Dr. Hofer‑Zeni‑Rennhofer als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei K***** T*****, vertreten durch die Nitsch Pajor Zöllner Rechtsanwälte OG, Mödling, gegen die beklagte Partei P*****, vertreten durch Mag. Christoph Hatvagner, Rechtsanwalt in Oberwart, wegen 7.785,69 EUR sA und Feststellung (Streitwert 1.500 EUR) über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Wiener Neustadt als Berufungsgericht vom 23. Februar 2017, GZ 18 R 81/16i‑15, mit dem das Urteil des Bezirksgerichts Neunkirchen vom 7. Juli 2016, GZ 4 C 760/15b‑11, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2017:0010OB00115.17V.0712.000

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 833,88 EUR (darin 138,98 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Begründung:

Die Klägerin befand sich in der Zeit vom 11. 12. 2014 bis 8. 1. 2015 in einer Sonderkrankenanstalt der Beklagten in stationärer Rehabilitation. Sie hatte ihren PKW auf dem zur Krankenanstalt gehörigen Parkplatz abgestellt. Bei winterlichen Verhältnissen wird der Parkplatz regelmäßig geräumt und gestreut, wobei für die Salzstreuung ein Streurad verwendet wird. Dieses ist so eingestellt, dass bis zu den abgestellten PKW Salz verteilt wird, ohne die Fahrzeuge selbst mit Salz zu bedecken. Zwischen den abgestellten Fahrzeugen wird weder geräumt noch gestreut. Werden Parkplätze frei, werden diese geräumt und gestreut. In der Nacht auf den 3. 1. 2015 fielen die Temperaturen unter den Gefrierpunkt, sodass das tagsüber durch das Auftauen von Schneeresten gebildete Schmelzwasser gefrieren konnte. Beim letzten Kontrollgang um 7:00 Uhr fielen dem zuständigen Techniker keine Eis‑ oder Schneeflächen auf. Da in der Folge die Temperatur stieg, erfolgten keine weiteren Kontrollgänge. Zwischen 9:00 Uhr und 10:00 Uhr begab sich die Klägerin zu ihrem PKW, um dort Gegenstände zu verstauen; die Hauptwege des Parkplatzes waren zu dieser Zeit alle vom Schnee befreit und großteils trocken. Zwischen ihrem PKW und dem daneben parkenden befand sich eine weißgraue, dünne Eisfläche, die bei genauem Hinsehen aus nächster Nähe erkennbar gewesen wäre; die Klägerin hatte schon bei ihren Gängen zum Fahrzeug in den Tagen davor sehen können, dass immer wieder Schnee von parkenden Fahrzeugen rutschte und sich um die Fahrzeuge „Schneerahmen“ bildeten. Ungefähr auf Höhe des rechten Hinterrads ihres PKWs stürzte die Klägerin und verletzte sich am linken Ellenbogen.

Sie begehrt nun – unter Anrechnung eines 25%igen Mitverschuldens – Schadenersatz sowie die Feststellung der Haftung der Beklagten für „sämtliche Spät- und Dauerfolgen“ aus dem Unfall. Diese habe den Parkplatz nicht ordnungsgemäß geräumt und damit ihre Verletzung verschuldet.

Die Beklagte wandte im Wesentlichen ein, sie sei ihren Räum‑ und Streupflichten nachgekommen, die Klägerin müsse daher aus eigener Unachtsamkeit zu Sturz gekommen sein. Schon aufgrund der Größe des Areals sei es für die Beklagte unzumutbar, es ständig auf jegliche Schneefläche zu kontrollieren. Zudem handle es sich um einen Arbeitsunfall oder zumindest um einen einem Arbeitsunfall gleichzustellenden Unfall, weshalb der Beklagten das Dienstgeberhaftungsprivileg gemäß § 335 Abs 3 iVm § 333 Abs 1 ASVG zukomme.

Die Vorinstanzen wiesen das Klagebegehren ab; das Berufungsgericht erklärte die ordentliche Revision letztlich für zulässig. Es vertrat die Rechtsansicht, dass der Verkehrssicherungspflichtige – auch im Zusammenhang mit der Räumung und Streuung von Verkehrsflächen – die notwendige Sorgfalt zu beachten habe, wenn auch die Sorgfaltspflicht nicht überspannt werden dürfe und die Grenzen des Zumutbaren zu beachten seien. Eine Pflicht, am Parkplatz auch zwischen den geparkten Fahrzeugen zu kontrollieren und erforderlichenfalls zu räumen und zu streuen, würde die Sorgfaltspflichten auch einer Sonderkrankenanstalt überspannen. Eine derartige Maßnahme würde nicht nur einen erheblich höheren Personaleinsatz als das Durchfahren auf den zwischen den Parkreihen befindlichen Wegen mit einem Streuwagen erfordern, sondern würde auch nicht zu einer gänzlichen Eisfreiheit der Parkplatzfläche führen. Gerade beim gelegentlichen Abschmelzen von Schneeresten und deren Gefrieren könnte sich nämlich ohne weiteres auch unter den Fahrzeugen Eisglätte bilden, die zunächst nicht beseitigt werden könne. Eine Pflicht, eine Parkplatzfläche immer gänzlich eisfrei zu halten, würde daher dem Erfordernis der durchgehenden Überwachung entsprechen, um nach dem Wegfahren eines Fahrzeugs sofort die dort befindliche Fläche zu kontrollieren und zu bestreuen. Dass Derartiges die Sorgfaltspflicht überspannen würde, bedürfe keiner weiteren Erörterung. Damit wäre aber die von der Klägerin angestrebte Situation eine solche, die nur graduell eine Verbesserung gegenüber dem Nichtstreuen der Zwischenräume zwischen den parkenden Fahrzeugen bewirken würde. Gerade wenn zwischen den geparkten Fahrzeugen ersichtlich nicht geräumt sei, erwarte der Benutzer eines Parkplatzes eine derartige Räumung auch nicht und könne sich dementsprechend durch vorsichtigere Gehweise auf allenfalls bestehende Straßenglätte einstellen.

Rechtliche Beurteilung

Die dagegen erhobene Revision der Klägerin ist ungeachtet des den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Zulässigkeitsausspruchs des Berufungsgerichts nicht zulässig, weil die Revisionswerberin nicht aufzeigen kann, dass die Entscheidung von der Lösung einer iSd § 502 Abs 1 ZPO erheblichen Rechtsfrage abhinge. Die stets einzelfallbezogen zu beantwortende Frage, ob unter bestimmten Umständen Streumaßnahmen auch zwischen den auf einem Parkplatz abgestellten Fahrzeugen vorzunehmen sind, bedarf keiner grundsätzlichen Untersuchung durch den Obersten Gerichtshof.

Wie schon das Berufungsgericht betont hat, ist die Sorgfaltspflicht eines Verkehrssicherungspflichtigen, der die verkehrsübliche Aufmerksamkeit anzuwenden und die notwendige Sorgfalt zu beachten hat, nicht zu überspannen, wobei insbesondere die Grenzen des Zumutbaren zu beachten sind (RIS‑Justiz RS0023487; RS0023397). Auch im Zusammenhang mit der Streupflicht sind objektive Gesichtspunkte maßgeblich; die Grenze der Streupflicht orientiert sich einerseits an den Verkehrsbedürfnissen, andererseits an der Zumutbarkeit für den Streupflichtigen (RIS‑Justiz RS0023277). Ebensowenig wie vom Halter eines Parkplatzes verlangt werden kann, diesen gleichzeitig an allen Stellen zu räumen und zu streuen (RIS‑Justiz RS0023558), erscheint die Auffassung des Berufungsgerichts korrekturbedürftig, das Unterlassen von Streumaßnahmen auf den (rund 1 m breiten) Zwischenräumen zwischen den geparkten Fahrzeugen sei der Beklagten unter den festgestellten Umständen nicht als schuldhafte Sorgfaltspflichtverletzung anzulasten. Einerseits handelte es sich um ganz geringfügige Restmengen von während der Nacht gefrorener Feuchtigkeit, andererseits befanden sich die Temperaturen beim letzten Kontrollgang bereits wieder in einem höheren Bereich. Damit war das Risiko einer gefährlichen Bodenglätte schon gering und hätte nur durch erheblichen Arbeitsaufwand weiter minimiert werden können.

Insgesamt kann dem Berufungsgericht nicht der Vorwurf gemacht werden, die stets einzelfallbezogene Frage (vgl nur RIS‑Justiz RS0111380) der Zumutbarkeit weiterer oder erhöhter Verkehrssicherungsmaßnahmen in korrekturbedürftiger Weise unrichtig beantwortet zu haben. Wenn die Revisionswerberin vermeint, dass Urteil des Berufungsgerichts stünde mit zwei bestimmten Entscheidungen des Obersten Gerichtshofs in Widerspruch, übersieht sie offenbar, dass zu 6 Ob 180/14k ein Unfall zu beurteilen war, der sich auf einer „zwischen den Parkreihen liegenden Gehfläche“ ereignet hatte, aber keine Rede davon war, dass diese Fläche vergleichbar schwer eisfrei zu halten gewesen wäre wie der hier zu beurteilende Bereich zwischen den parkenden Autos. Zu 8 Ob 140/15v ging es um einen Sturz in einem eisigen Bereich der „Rangierfläche“ eines Parkplatzes, wobei der Oberste Gerichtshof betonte, dass der Unfall gerade nicht zwischen parkenden Fahrzeugen erfolgt ist; darüber hinaus war zehn Tage lang keine Schneeräumung oder ‑streuung vorgenommen worden, obwohl zwei Tage vor dem Unfall stundenlang Schneeregen gefallen war.

Einer weiteren Begründung bedarf es nicht (§ 510 Abs 3 ZPO).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 50 Abs 1 iVm § 41 Abs 1 ZPO. Die Revisionsgegnerin hat auf die mangelnde Zulässigkeit des Rechtsmittels hingewiesen, sodass ihre Revisionsbeantwortung als zweckentsprechende Rechtsverteidigungsmaßnahme zu qualifizieren ist.

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