OGH 8Ob140/15v

OGH8Ob140/15v17.8.2016

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Vizepräsidenten Prof. Dr. Spenling als Vorsitzenden, die Hofrätin Dr. Tarmann-Prentner, den Hofrat Dr. Brenn sowie die Hofrätinnen Mag. Korn und Dr. Weixelbraun‑Mohr als weitere Richterin der Rechtssache der klagenden Partei N*****gesellschaft mbH, *****, vertreten durch Dr. Michael Brunner, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei I***** GmbH, *****, vertreten durch Biedermann & Belihart Rechtsanwälte OG in Wien, wegen 6.004,43 EUR sA und Feststellung, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Wiener Neustadt als Berufungsgericht vom 28. September 2015, GZ 58 R 51/15w‑30, mit dem das Urteil des Bezirksgerichts Wiener Neustadt vom 17. April 2015, GZ 14 C 870/13b‑24, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2016:0080OB00140.15V.0817.000

 

Spruch:

 

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Entscheidung des Berufungsgerichts wird dahin abgeändert, dass das Urteil des Erstgerichts einschließlich seiner Kostenentscheidung wiederhergestellt wird.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen die mit 3.191,52 EUR (darin 304,92 EUR USt und 1.362 EUR Barauslagen) bestimmten Kosten des Berufungs- und Revisionsverfahrens zu ersetzen.

 

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin ist Eigentümerin einer Wohnhausanlage. Für die Wintersaison 2009/10 erteilte sie der Beklagten den Auftrag, in dieser Anlage die Winterbetreuung durchzuführen. Die Beklagte war nach den Auftragsbedingungen verpflichtet, während der Saison den Parkplatz und die Rangierfläche, den Gehweg, Hauszugang, Vorgartenweg und die Stufen der Wohnhausanlage bei Schnee zu reinigen und bei Vorherrschen von Glatteis zu bestreuen. Unbegehbare, verstellte und sonst unzugängliche Verkehrsflächen mussten nicht geräumt werden. Die Betreuung hatte längstens innerhalb von sieben Stunden ab Beginn des Niederschlags in Intervallen von vier bis sieben Stunden bei Bedarf zu erfolgen. Ausgeschlossen wurde eine Haftung der Beklagten für durch Dritte herbeigeführte Verunreinigungen auf bereits geräumten Flächen. Eine von der Beklagten zusätzlich angebotene „Tauwetterkontrolle“ (Beilage ./1), die unabhängig von der Witterung tägliche Kontrollgänge vorgesehen hätte, war zwischen den Parteien nicht vereinbart.

Während der Saison kam es wiederholt zu Beschwerden der Mieter über unzureichende Winterbetreuung. Am 12. 2. 2010 führte die Beklagte nachts eine Schneeräumung in der gegenständlichen Wohnhausanlage durch, wobei sie den verstellten Parkplatz nicht flächig räumte. Die nächste Kontrolle nahm sie erst wieder im März 2010 vor.

In der Nacht zum 20. 2. 2010 setzte im Bereich der Anlage Regen gemischt mit Schnee ein, der bei Temperaturen um 1–3° C bis zum Vormittag andauerte. In den folgenden Tagen kam es durch das Abkehren von Fahrzeugen zu weiteren Schneeresten auf den Parkplätzen. Am 21. 2. 2010 schmolz der Schnee, in der Nacht zum 22. 2. gefror das Schmelzwasser, sodass es am Morgen stellenweise schnee- und eisglatt war.

Am 22. 2. 2010 kam eine Mieterin der Anlage auf einer vereisten Stelle der Rangierfläche des Parkplatzes zu Sturz und verletzte sich.

Die Klägerin wurde in einem von der Mieterin angestrengten Vorprozess wegen Verletzung mietvertraglicher Nebenleistungspflichten rechtskräftig zum Ersatz von 50 % des unfallkausalen Schadens verpflichtet, weiters wurde ihre Haftung zu 50 % für mögliche künftige Schäden festgestellt. Die Beklagte war an diesem Verfahren als Nebenintervenientin auf Seiten der nunmehrigen Klägerin beteiligt.

In der vorliegenden Klage werden der Ersatz der im Vorprozess entstandenen bzw zuerkannten Aufwendungen sowie die Feststellung begehrt, dass die Beklagte der Klägerin für allfällige künftige Schäden aus dem Ereignis vom 22. 2. 2010 hafte. Die Höhe der Klagsforderung ist unstrittig.

Die Beklagte bestritt, ihre Vertragspflichten verletzt zu haben. Das am Unfallstag vorhandene Glatteis sei durch Einwirkungen Dritter (Abkehren) und aus geschmolzenen Schneeresten zwischen den geparkten Fahrzeugen entstanden. Die Beseitigung dieser Ursachen sei von der übernommenen Räumpflicht nicht umfasst gewesen.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt.

Die Beklagte habe sich entgegen den Vertragsbedingungen weder um die nach der Räumung vom 12. 2. 2010 auf den verstellten Parkplatzteilen zurückgebliebenen Schneereste gekümmert, noch nach den neuerlichen Niederschlägen vom 20. 2. 2010 eine Kontrolle durchgeführt. Den Beweis, dass diese Versäumnisse nicht unfallkausal gewesen wären, habe sie nicht erbracht.

Das Berufungsgericht gab dem Rechtsmittel der Beklagten, das nur eine Rechtsrüge enthielt, Folge und wies das Klagebegehren ab.

Aus dem festgestellten Sachverhalt ergebe sich, dass die Mieterin auf Schneeresten ausgerutscht sei, die (auch händisch) nicht räumbar gewesen wären bzw nachträglich durch das Abkehren von Fahrzeugen hinzugekommen seien. Für solche Schadensursachen habe die Beklagte aber nach den Vertragsbedingungen nicht einzustehen. Die ordentliche Revision sei zulässig, weil zur Abgrenzung der vertraglich nicht geschuldeten Tauwetterkontrolle von der Winterbetreuung samt Schneeräumverpflichtung keine höchstgerichtliche Rechtsprechung bestehe.

Die Revision der Klägerin macht Aktenwidrigkeit der Begründung des Berufungsgerichts und unrichtige rechtliche Beurteilung geltend.

Die Beklagte hat eine Revisionsbeantwortung erstattet.

Rechtliche Beurteilung

Das Rechtsmittel der Klägerin ist zulässig, weil die Entscheidung des Berufungsgerichts iSd § 502 Abs 1 ZPO korrekturbedürftige Mängel aufweist. Die Revision ist dementsprechend auch berechtigt.

1. Die Revision erhebt den Vorwurf, das Berufungsgericht habe die unangefochtenen wesentlichen Tatsachenfeststellungen des erstinstanzlichen Urteils, die der rechtskräftigen Entscheidung im Vorprozess entsprachen, durch eigene, in wesentlichen Teilen abweichende Schlussfolgerungen ersetzt und seine rechtliche Beurteilung auf aktenwidrige Sachverhaltsannahmen gegründet.

Dieser Vorwurf ist berechtigt.

Es steht unangefochten fest, dass die verunglückte Mieterin auf einer eisigen Stelle auf der Rangierfläche des Parkplatzes ausgerutscht ist. Dieses Eis hatte sich aus Schmelzwasser gebildet, das wiederum von alten, nicht geräumten Schneeresten und abgekehrtem Schnee stammte.

Das Berufungsgericht hat seiner rechtlichen Beurteilung aus nicht nachvollziehbaren Gründen einen ganz anderen Unfallhergang zugrundegelegt, nämlich dass die Mieterin auf Schneeresten ausgerutscht sei, die nicht einmal händisch räumbar gewesen wären, woraus es folgerte, dass der Unfall nicht auf eine Pflichtverletzung der Beklagten zurückzuführen sei. Auf Grundlage der tatsächlichen Feststellungen des Erstgerichts ist dieses rechtliche Ergebnis aber nicht haltbar.

2. Die Beklagte hat sich in ihrem Winterbetreuungsvertrag nicht nur zur Schneeräumung, sondern auch zur Streuung bei Glatteis verpflichtet.

Gerade weil die Beklagte bei der letzten Schneeräumung am 12. 2. 2010 den Parkplatz, der nachts mit Fahrzeugen verstellt war, nicht flächig räumen konnte, musste ihr klar sein, dass die zwischen den Fahrzeugen nicht beseitigten Schneereste bei ansteigenden Temperaturen schmelzen und es dadurch notorisch bei nächtlichen Minustemperaturen zur Glatteisbildung kommen würde, umso mehr, nachdem am 20. 2. 2010 auch noch stundenlang Schneeregen gefallen war.

Die Prämisse des Berufungsgerichts, der Unfall habe sich an einer „nicht einmal händisch räumbaren“ Stelle des Parkplatzes ereignet, kann nicht nachvollzogen werden, ist die Mieterin doch nicht zwischen parkenden Fahrzeugen, sondern auf der Rangierfläche ausgerutscht. Eisige Flächen wären zudem in erster Linie zu streuen gewesen. Hindernisse, die nicht nur die Schneeräumung, sondern auch eine Streuung unmöglich gemacht hätten, wurden von der Beklagten aber nicht behauptet.

Die von der Beklagten angebotene, aber zwischen den Parteien nicht vereinbarte „Tauwetterkontrolle“ ist für die Entscheidung nicht relevant. Das Berufungsgericht hat nicht den gesamten Angebotstext dieser Zusatzleistung in seine Überlegungen einbezogen. Dieser ist (Beilage ./1) unstrittig, daher auch ohne ausdrückliche Feststellung der Entscheidung zugrundezulegen und lautet: „Aus Haftungsgründen empfehlen wir auf öffentlichen Gehsteigflächen die Zusatzleistung Tauwetterkontrolle (…)“. Im Punkt 1.9. der Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Beklagten, auf den das Angebot verweist, heißt es dazu: „Die Tauwetterkontrolle ist ein Zusatzservice gegen gesonderte Verrechnung zur einmal täglichen Kontrolle bezüglich des Vorhandenseins von Dachlawinen an Tagen ohne natürlichen Niederschlag, wenn die Bildung von Vereisung durch Schmelzwasser oder das Abgehen von Dachlawinen möglich erscheint. (…) Die Tauwetterkontrolle umfasst das einmal Aufstellen von Warnstangen und die Kontrolle der vom öffentlichen Grund einsehbaren Dächer auf das Vorhandensein von möglichen Dachlawinen (…)“.

Der vorliegende Unfall hat sich nicht auf einem Gehsteig zugetragen und wurde nicht durch eine Dachlawine verursacht. Eine wie immer geartete Einschränkung der vertraglich übernommenen Streupflichten der Beklagten bei Glatteislage ist aus der Existenz des Zusatzangebots „Tauwetterkontrolle“ nicht abzuleiten.

Von den parkenden Fahrzeugen abgekehrter Schnee kann auch bei weitester Auslegung nicht als „Verschmutzung durch Dritte auf bereits geräumten“ Flächen verstanden werden, zumal die Beklagte beim letzten Schneefall am 12. 2. 2010 um die Fahrzeuge herum gerade nicht geräumt hat.

Die Mieterin ist auch nicht auf Schnee, sondern auf Eis ausgerutscht. Für die Gefahr der Entstehung von Eisflächen spielt es keine Rolle, ob Schneereste von parkenden Fahrzeugen abgekehrt werden und dann am Boden schmelzen, oder ob auf dem Fahrzeug liegengebliebener Schnee schmilzt und zu Boden tropft.

Die Beklagte hat sich ungeachtet der festgestellten ungünstigen Witterungs- und Umgebungsverhältnisse, bei denen eine Glatteisbildung höchst wahrscheinlich war, mehrere Wochen nicht um die Anlage gekümmert. Nicht einmal die Niederschläge vom 20. 2. 2010 haben sie dazu veranlasst, vereinbarungsgemäß (innerhalb von sieben Stunden) eine Glatteiskontrolle und Streuung durchzuführen, wodurch sie ihre übernommenen Vertragspflichten verletzt hat.

Irgendwelche Gründe, aus denen sie ohne Verschulden an der Erfüllung der Streupflicht (§ 1298 ABGB) verhindert gewesen wäre, hat die dafür behauptungs- und beweispflichtige Beklagte nicht vorgebracht.

Im Hinblick auf die erstgerichtliche Entscheidungsbegründung ist zur Klarstellung noch festzuhalten, dass der Kausalzusammenhang zwischen Vertragsverletzung und Schadenseintritt auch bei vertraglichen Schadenersatzansprüchen nach § 1298 ABGB vom Geschädigten zu beweisen ist (RIS‑Justiz RS0022686). Die Beweislastumkehrung dieser Bestimmung betrifft nur den Verschuldensbereich.

Die Anforderungen an den Beweis des hypothetischen Kausalverlaufs sind bei einer Schädigung durch Unterlassen aber geringer als jene an den Nachweis der Verursachung bei einer Schadenszufügung durch positives Tun, weil sich naturgemäß nie mit letzter Sicherheit beantworten lässt, wie sich das Geschehen unter ganz anderen Voraussetzungen entwickelt hätte (RIS‑Justiz RS0022900 [T14]). Es genügt die überwiegende Wahrscheinlichkeit, dass der Schaden auf das Unterlassen des pflichtgemäßen Handelns zurückzuführen ist (4 Ob 145/11v; RIS‑Justiz RS0022700 [T5 und T7]; RS0022900 [insb T8]).

Dieser Beweis ist der Klägerin auch gelungen. Die Mieterin ist auf einer nicht bestreuten und daher rutschigen Eisfläche gestürzt, sodass zumindest überwiegend wahrscheinlich ist, dass das Unterlassen einer fachgerechten Streuung den Schaden verursacht hat. Die Beklagte hat auch gar nicht eingewendet, dass der Unfall genauso geschehen wäre, wenn der Parkplatz gestreut gewesen wäre.

Der Berufung war daher Folge zu geben und die Entscheidung des Erstgerichts wiederherzustellen.

Hat das Berufungsgericht einer Berufung stattgegeben und das erstgerichtliche Urteil abgeändert, wodurch ein gegen dieses Urteil erhobener Kostenrekurs gegenstandslos wurde, und stellt der Oberste Gerichtshof das erstinstanzliche Urteil wieder her, so hat der Oberste Gerichtshof auch über den Kostenrekurs zu entscheiden (RIS‑Justiz RS0036069 [T1]; 6 Ob 45/16k).

Dem Rekurs der klagenden Partei kommt keine Berechtigung zu. Sie begehrte damit den Ersatz der Kosten der vorbereitenden Tagsatzung vom 11. 2. 2014, die von der Beklagten versäumt wurde, weil ihr Klage und Ladung nicht ordnungsgemäß zugestellt worden waren. Ursache des Zustellmangels war der Umstand, dass die Klägerin eine falsche Adresse angegeben hatte. Die ihr dadurch entstandenen, zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung nicht notwendigen Kosten hat die Beklagte nicht zu ersetzen (§§ 40, 51 ZPO).

Die Entscheidung über die Kosten des Rechtsmittelverfahrens stützt sich auf §§ 4150 ZPO. Für den erfolglosen Kostenrekurs gebührt kein Kostenersatz.

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