European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0170OB00024.23P.0222.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Fachgebiet: Anfechtungsrecht
Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage
Spruch:
Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Begründung:
[1] Der Schuldner war Eigentümer einer Liegenschaft. Um sie dem exekutiven Zugriff seiner Gläubiger zu entziehen, brachte er einen über keinerlei kaufmännische Erfahrung verfügenden Arzt, mit dem ihn die gemeinsame Mitgliedschaft in einer Studentenverbindung verband, unter Verheimlichung seiner wahren und Vortäuschung einer falschen Intention dazu, als sein Treuhänder allein die beklagte GmbH zu gründen, als deren Geschäftsführer zu fungieren und als solcher mit ihm über die Liegenschaft einen Kaufvertrag zu schließen. Dabei wurden ein bestimmter Kaufpreis, ein lebenslängliches unentgeltliches Wohnrecht des Schuldners an der Liegenschaft und die Tragung der laufenden Kosten der Liegenschaft durch die Beklagte während der Wohnrechtsausübung vereinbart. Der Schuldner stellte sowohl das Gründungskapital als auch das für den Kaufpreis und die Tragung der laufenden Kosten nötige Geld der Beklagten zu Verfügung.
[2] Das Berufungsgericht bestätigte im zweiten Rechtsgang (zum ersten Rechtsgang: 17 Ob 5/22t = EvBl 2023/19 [Füreder]) nach Eintritt der im zwischenzeitlich über das Vermögen des Schuldners eröffneten Schuldenregulierungsverfahren bestellten Masseverwalterin nach § 37 Abs 3 IO als klagende Partei anstelle des vormals klagenden Gläubigers in den Prozess das der (auch) auf § 2 Z 1 AnfO gestützten Klage stattgebende, auf Duldung der Exekution in die Liegenschaft zur Hereinbringung von insgesamt 37.528,06 EUR samt näher genannten Zinsen lautende Ersturteil. Rechtlich übertrug es im Wesentlichen die Entscheidung 3 Ob 1/10h auf den vorliegenden Fall und kam so zum Ergebnis, dass die fehlende Kenntnis des Geschäftsführers der Beklagten von der Gläubigerbenachteiligungsabsicht des Schuldners der Bejahung des § 2 Z 1 AnfO nicht entgegenstehe, weil sich der Schuldner seiner als „uninformiertes Werkzeug“ bedient habe und wirtschaftlich betrachtet es an einer Trennung des Vermögens des Schuldners von jenem der Beklagten fehle.
Rechtliche Beurteilung
[3] Diese Beurteilung bedarf entgegen der Ansicht der Beklagten in ihrer außerordentlichen Revision keiner höchstgerichtlichen Korrektur.
[4] I.1. Im Anfechtungsrecht vertritt der Oberste Gerichtshof in ständiger Rechtsprechung, dass beim Handeln eines gesetzlichen Vertreters zwar grundsätzlich dessen Kenntnis maßgebend ist, aber, wenn etwa auf Betreiben des Vaters ein Kollisionskurator für einen Minderjährigen bestellt wird und sich der Vater des gutgläubigen, als Werkzeug missbrauchten Kurators bedient, das Wissen des Vaters dem Kind als Anfechtungsgegner zuzurechnen ist (RS0114517). Ausgehend von dieser Judikatur hat der Oberste Gerichtshof zu 3 Ob 1/10h die Kenntnis des Stifters einer liechtensteinischen Privatstiftung, der er rechtsmissbräuchlich Vermögen zugewendet hatte, den Organen der Stiftung zugerechnet. Dabei führte der dritte Senat aus, die Wissenszurechnung müsse jedenfalls für eine Stiftung gelten, die noch unter dem wirtschaftlichen Einfluss des Stifters stehe, wobei die zu beurteilende Stiftung als „in Wahrheit kein eigentümerloses, vom Stifter völlig getrenntes Vermögen“ qualifiziert wurde (3 Ob 1/10h [Pkt III.1]). Die zitierte (aus RS0114517 ersichtliche) Rechtsprechung sei wegen der wirtschaftlichen Betrachtungsweise im Anfechtungsrecht insofern vergleichbar, als es auch hier um die Einschaltung eines ahnungslosen Werkzeugs (der Organe der Stiftung) gehe. Auf deren Wissen über die Benachteiligungsabsicht des Stifters komme es aber nicht an. Die gegenteilige Auffassung machte das Anfechtungsrecht völlig „zahnlos“, könnten doch Schuldner ihr Vermögen jederzeit dem Zugriff ihrer Gläubiger über das „Vehikel“ einer liechtensteinischen Stiftung anfechtungsfest entziehen (3 Ob 1/10h [Pkt III.2]).
[5] I.2. Die Entscheidung 3 Ob 1/10h stieß in der Literatur auf Zustimmung (siehe insb König, Wissenszurechnung bei der Privatstiftung – Bemerkungen zur Entscheidung OGH 3 Ob 1/10h, PSR 2010, 164 [166 f]). Dass sie auch für die Wissenszurechnung bei der Anfechtung etwa von Einlagen an Kapitalgesellschaften oder bei einer zum Zwecke der Vermögensverschiebung erst gegründeten oder vom Alleingesellschafter faktisch beherrschten GmbH mit unwissendem Geschäftsführer Bedeutung haben werde, wurde bereits in der Literatur ausgeführt (Zollner, Anfechtung im Stiftungs- und Körperschaftsrecht, GES 2010, 210 [214]; Widhalm-Budak, Glosse zu 3 Ob 1/10h, GesRZ 2010, 358 [359]). Das Berufungsurteil steht damit im Einklang.
[6] Schon aufgrund derim Anfechtungsrecht gebotenen wirtschaftlichen Betrachtungsweise (6 Ob 172/06x [Pkt 1.2]; 17 Ob 5/22t [Rz 19]; König/Trenker, Die Anfechtung nach der IO6 [2020] Rz 2.29 mwN) ist im vorliegenden Fall wegen der Stellung des Schuldners als Treugeber und damit wirtschaftlich Berechtigten (vgl 8 Ob 12/09m [Pkt III] zum auch deshalb bestehenden Aussonderungsrecht des Treugebers nach § 44 IO im Konkurs des Treuhänders) die Zurechnung seines Wissens über seine eigene Benachteiligungsabsicht an die – zum Zwecke der Treuhand eigens gegründete – Beklagte bzw deren Geschäftsführer nicht zu beanstanden (iglS allgemein für Wissenszurechnung bei wirtschaftlicher Identität von Schuldner und Anfechtungsgegner Trenker, Insolvenzanfechtung gesellschaftsrechtlicher Maßnahmen [2012] 106 f, 226 f).
[7] Dass Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zu einem völlig gleich gelagerten Sachverhalt fehlt, begründet noch nicht das Vorliegen einer erheblichen Rechtsfrage (vgl RS0110702; RS0102181; RS0107773). Dies gilt insbesondere dann, wenn der Streitfall – wie hier geschehen – mit Hilfe vorhandener Leitlinien höchstgerichtlicher Rechtsprechung gelöst wurde (RS0042742 [T13]; RS0042656 [T48]).
[8] II. Die vom Senat in seiner im ersten Rechtsgang ergangenen Entscheidung 17 Ob 5/22t in Rz 19 angesprochene versicherungsmathematische Bewertung des Wohnrechts konnte, wie aus Rz 13 ff der Vorentscheidung ersichtlich, nur für die Frage des Vorliegens einer „unentgeltlichen Verfügung“ iSd § 3 Z 1 AnfO Bedeutung haben. Dass keine solche vorlag, hat der Senat in seinem Beschluss 17 Ob 5/22t bereits entschieden (dort Rz 20 f). Es bestand daher entgegen der Ansicht der Beklagten in ihrer außerordentlichen Revision keine Veranlassung zur Einholung eines versicherungsmathematischen Gutachtens über den Wert des Wohnrechts. Eine solche trug der Senat den Vorinstanzen in 17 Ob 5/22t auch nicht auf.
[9] III. Die Frage, ob sogenannte „überschießende“ Feststellungen in den Rahmen des geltend gemachten Rechtsgrundes oder der Einwendungen fallen (RS0037972; RS0040318) und daher nach der Rechtsprechung zu berücksichtigen sind, ist eine solche des Einzelfalls, der grundsätzlich keine über den einzelnen Rechtsstreit hinausgehende Bedeutung zukommt (6 Ob 64/22p [Rz 30] mwN). Eine korrekturbedürftige Fehlbeurteilung durch die zweite Instanz zeigt die Beklagte auch in dieser Hinsicht nicht auf.
[10] IV. Nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs können, wenn in der Berufung nur in bestimmten Punkten eine Rechtsrüge ausgeführt wurde, andere Punkte in der Revision nicht mehr geltend gemacht werden (RS0043338 [T27]). Weil die Beklagte ihre Gegenforderungen in ihrer Berufung nicht mehr geltend machte, ist es ihr folglich verwehrt, sich nunmehr in ihrer außerordentlichen Revision erneut auf diese zu berufen.
[11] Die außerordentliche Revision der Beklagten ist mangels Aufzeigens einer Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO zurückzuweisen. Einer weiteren Begründung bedarf dieser Zurückweisungsbeschluss nicht (§ 510 Abs 3 ZPO).
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)