Spruch:
Valentina D***** wurde im Grundrecht auf persönliche Freiheit nicht verletzt.
Die Grundrechtsbeschwerde wird abgewiesen.
Text
Gründe:
Mit auch (Teil-)Freisprüche und Schuldsprüche anderer Personen enthaltendem Urteil des Landesgerichts Leoben als Schöffengericht vom 28. April 2009 (ON 492/XV) wurde die Angeklagte Valentina D***** des Verbrechens des grenzüberschreitenden Prostitutionshandels nach § 217 Abs 1 zweiter Fall StGB (A./), der Vergehen der Zuhälterei nach § 216 Abs 1, 2 und 3 StGB (B./I./), des Vergehens der kriminellen Vereinigung nach § 278 Abs 1, 2 und 3 StGB (C./), der Vergehen der vorsätzlichen Gefährdung von Menschen durch übertragbare Krankheiten nach § 178 StGB iVm § 12 zweiter Fall StGB (D./) und des Verbrechens der schweren Erpressung nach den § § 144 Abs 1, 145 Abs 1 Z 1 StGB iVm § 12 zweiter Fall StGB (E./) schuldig erkannt.
Danach hat sie mit folgenden Mittätern in Wien und an anderen Orten A./ folgende Personen, mögen sie teilweise auch bereits der Prostitution nachgegangen sein, mit dem Vorsatz, dass sie in einem anderen Staat, als in dem, dessen Staatsangehörigkeit sie besitzen oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben, der Prostitution nachgehen, und in der Absicht, sich durch die wiederkehrende Tatbegehung eine fortlaufende Einnahme zu verschaffen, der Prostitution in einem anderen Staat als in dem, dessen Staatsangehörigkeit sie besitzen oder in dem sie ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben, zugeführt und sie hiefür angeworben und zwar im bewussten und gewollten Zusammenwirken mit Miroslava T*****, Yulia Y***** und anderen Personen durch arbeitsteiliges Vorgehen, indem sie die nachangeführten Prostituierten in Bulgarien teils für die Prostitution in Österreich rekrutierten, teils aufgrund des bestehenden Abhängigkeitsverhältnisses nach Österreich „versendeten", die Bustickets von Sofia nach Wien und Graz besorgten, die Prostituierten in Wien abholten, in die Bordelle „R*****" und „S*****" nach Graz brachten und dafür Sorge trugen, dass sie in das jeweilige Bordell unmittelbar nach ihrer Ankunft eingegliedert wurden und ihnen dort Unterkunft zur Ausübung der Prostitution gegen die Abnahme eines großen Teils des Lohns und der Provisionen für Getränke gewährt wurde, sowie die Verpflegung und das kontinuierliche Bereitstellen von Räumlichkeiten zur Ausübung der Prostitution gewährleisteten, und zwar
1./ im Herbst/Winter 2003 Tania M*****
sowie eine Person mit dem Spitznamen „Cveti";
2./ Anfang 2003 Marina P*****;
3./ Anfang 2004 Stanimira N*****;
4./ im Jahr 2004 Elka S*****;
5./ im Jahr 2004 Tsvetelina M*****;
B./ mit dem Vorsatz, sich aus der Prostitution einer anderen Person eine fortlaufende Einnahme zu verschaffen, teils als Mitglied einer kriminellen Vereinigung (1./ und II./) folgende Personen ausgenützt, ausgebeutet, sie teils eingeschüchtert, ihnen die Bedingungen der Ausübung der Prostitution vorgeschrieben und mehrere solche Personen zugleich ausgenützt, indem sie ihnen den gesamten oder einen Großteil des Lohns abnahmen oder abnehmen ließen, ihnen die Bedingungen vorschrieben oder vorschreiben ließen, unter welchen sie der Prostitution nachzugehen hatten, so insbesondere hinsichtlich Zeit, Ort, Art der Ausübung der Prostitution und Anordnungen darüber, welche Kunden sie zu bedienen hatten, sowie hinsichtlich des zu verlangenden Entgelts, es ihnen untersagten, außerhalb der jeweiligen Bordellbetriebe der Prostitution nachzugehen und sie teils (unter 1./) durch massive Gewaltausübung bereits im Vorfeld in Bulgarien in einen psychischen Zustand versetzten, in welchem sich die Prostituierten aus Angst nicht mehr frei entscheiden konnten (mitverfolgte Gewalttätigkeiten gegen Dritte, Einsperren, Strafen bei nicht zufriedenstellenden Prostitutionsleistungen, Schilderungen von Gewalttätigkeiten gegenüber anderen Prostituierten - insbesondere auch für den Fall der versuchten Flucht - durch die Angeklagten) einzuschüchtern, und zwar
1./ gemeinsam mit Miroslava T*****, Yulia Y*****, teils auch mit anderen Personen im bewussten und gewollten Zusammenwirken als unmittelbare Täter, teils als Beitragstäter, teils als Bestimmungstäter
1./ im Herbst/Winter 2003 bis Ende 2004 Tania M*****;
2./ von Herbst/Winter 2003 bis Anfang 2004 eine Person mit dem Spitznamen „Cveti";
3./ von Anfang 2004 bis Jänner/Februar 2006 Stanimira N*****;
4./ von Anfang 2004 bis Jänner/Februar 2006 Marina P*****;
5./ im Herbst/Winter 2003 bis Anfang 2004 Tsvetelina M*****;
6./ von 23. Februar 2004 bis zumindest 26. Juli 2004 Elka S*****;
C./ gemeinsam mit Miroslava T***** und Yulia Y***** seit zumindest Anfang 2004 durch die zumindest konkludente Vereinbarung, künftig gemeinsam mit weiteren nicht näher bekannten Personen Verbrechen nach § 217 Abs 1 zweiter Fall StGB durch Verbringung von im Ausland lebenden Ausländerinnen in die Bordelle „V*****", „R*****", „S*****" zum Zweck der Prostitutionsausübung zu begehen, eine kriminelle Vereinigung gegründet, sowie sich durch die unter A./1./ geschilderten Tathandlungen an der kriminellen Vereinigung als Mitglied beteiligt;
D./ gemeinsam mit Miroslava T*****, und Yulia Y***** im bewussten und gewollten Zusammenwirken Tania M***** von August bis 15. November 2004 dazu bestimmt, eine Handlung zu begehen, die geeignet ist, die Gefahr der Verbreitung einer übertragbaren Krankheit herbeizuführen, indem sie Tania M***** durch die unter B./1./ dargestellten Zuhältereihandlungen im Rahmen der kriminellen Vereinigung ungeachtet der Tatsache, dass Tania M***** an Hepatitis C, sohin an einer gemäß § 1 Abs 1 Z 1 Epidemiegesetz 1950 nach ihrer Art zumindest beschränkt anzeige- oder meldepflichtigen Krankheit litt, dazu veranlassten, entgegen dem amtsärztlichen Verbot weiterhin der Prostitution nachzugehen;
E./ als Bestimmungstäterin die unmittelbaren Täter Miroslava T*****, Yulia Y*****, Lyudmil V***** und eine weitere Person im Dezember 2004 dazu bestimmt, mit dem Vorsatz, sich oder einen Dritten dadurch unrechtmäßig zu bereichern, Tania M***** und Alois M***** durch die unter dem Eindruck der unter B./1./ gesetzten Tathandlung getätigten Äußerungen, wenn sie nicht 5.000 Euro an „Strafe für ihre Flucht" bezahlten, würden sie Tania M***** finden, zusammenschlagen und umbringen sowie, dass sie um ihre Familie Angst haben müsse, wobei die Drohungen durch die Anwesenheit und Drohgebärden des Lyudmil V***** und einer weiteren Person untermauert wurden, sohin durch gefährliche Drohung mit dem Tod sowie zumindest einer Verletzung am Körper, zur Übergabe des genannten Geldbetrags, sohin zu einer Handlung, die Alois M***** am Vermögen schädigen sollte, zu nötigen, wobei D***** gemeinsam mit T***** und Y***** den Tatplan besprach und V***** sowie die weitere Person gegen Bezahlung eines Entgelts für die dargestellte Tathandlung anheuerte,
Dieses Urteil bekämpft ua die Angeklagte Valentina D***** mit Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung; über dieses Rechtsmittel wurde noch nicht entschieden.
Mit Beschluss vom 28. April 2009 wurde die über Valentina D***** am 29. Mai 2008 verhängte und wiederholt fortgesetzte Untersuchungshaft wegen Fortbestehens des Haftgrunds der Tatbegehungsgefahr nach § 173 Abs 1 Z 3 lit a und b StPO fortgesetzt (ON 490/XV). Der dagegen erhobenen Beschwerde der Genannten gab das Oberlandesgericht Graz mit Beschluss vom 25. Mai 2009, AZ 10 Bs 190/09f (ON 521/XVI), nicht Folge und ordnete die Fortsetzung der Untersuchungshaft aus dem vom Erstgericht angenommenen Haftgrund an.
Rechtliche Beurteilung
Die gegen diesen Beschluss erhobene rechtzeitige Grundrechtsbeschwerde ist ungeachtet des Umstands als zulässig anzusehen, dass in ihr der Tag, der für den Beginn der Beschwerdefrist maßgeblich ist, nicht angeführt und somit gegen das Formgebot des § 3 Abs 1 letzter Satz GRBG verstoßen wurde. Denn es kommt bei der Beurteilung der Rechtzeitigkeit einer Grundrechtsbeschwerde nicht auf die Angaben des Beschwerdeführers, sondern auf den wirklichen Beginn der Frist an (vgl Hager/Holzweber, GRBG, 39), sodass - dem Zweck der Bestimmung entsprechend - der Umstand einer falschen Datumsnennung, demnach aber auch jener des völligen Fehlens dieser Anführung, die Zulässigkeit der Beschwerde nicht hindert. Dabei ist auch ohne Relevanz, ob sich die Rechtzeitigkeit aus den Akten ergibt (oder erst erhoben werden muss: § 10 GRBG iVm § 285f StPO). In Weiterentwicklung der zu RIS-Justiz RS0061460 und RS0114092 zusammengefassten Judikatur misst der Oberste Gerichtshof somit dem gesetzlichen Erfordernis des § 3 Abs 1 letzter Satz GRBG nur mehr regulative Bedeutung zu.
Die Grundrechtsbeschwerde verfehlt jedoch ihr Ziel. Der (unter Hinweis auf das Alter der Beschwerdeführerin, ihre Unbescholtenheit, ihre Distanzierung „von dem inkriminierten Tatverhalten" und die bisherige Dauer der Untersuchungshaft aufgestellten) Beschwerdebehauptung, die Untersuchungshaft sei mit Blick auf die „Möglichkeit einer zu bejahenden bedingten Entlassung aus der Freiheitsstrafe" unverhältnismäßig, ist zu entgegnen, dass die im 5. Abschnitt des allgemeinen Teiles des StGB geregelte Frage, ob und unter welchen Bedingungen es zum Vollzug der Strafe kommt (und somit auch die von der Beschwerde aufgezeigte Möglichkeit einer bedingten Entlassung), kein gesetzliches Kriterium der Verhältnismäßigkeitsprüfung nach § 173 Abs 1 letzter Satz StPO darstellt (RIS-Justiz RS0123343; RS0118876 [insbesondere T4 und T5]). Ebenso spielt die Frage, wann mit einer Entscheidung des - mittels Nichtigkeitsbeschwerde angerufenen - Obersten Gerichtshofs in concreto zu rechnen ist, bei Prüfung der Gesetzmäßigkeit einer Untersuchungshaft keine Rolle. Bloß am Rande sei angemerkt, dass die gemäß § 285 Abs 1 StPO gestellten Anträge der Mitangeklagten T***** und Y***** auf Verlängerung der Frist zur Ausführung der angemeldeten Rechtsmittel abgewiesen wurden (ON 525 und 530/XVI). Die bis zum Zeitpunkt der angefochtenen Entscheidung knapp ein Jahr währende Untersuchungshaft ist - gemessen an der maßgeblichen (vgl RIS-Justiz RS0108401) vom Erstgericht verhängten Freiheitsstrafe von drei Jahren und mit Blick auf die Bedeutung der Sache - nicht als unverhältnismäßig anzusehen.
Soweit die Grundrechtsbeschwerde das Vorliegen der Haftgründe bestreitet, scheitert sie an der Nichterschöpfung des Instanzenzugs, wurde doch ein entsprechendes Vorbringen in der Haftbeschwerde (ON 502/XV) nicht erstattet (RIS-Justiz RS0114487).
Der Verneinung der Substituierbarkeit der Haft durch gelindere Mittel wird durch die bloße Bestreitung der Richtigkeit dieser Prognose des Oberlandesgerichts und mit dem Hinweis darauf, dass „die Beschwerdeführerin jedenfalls gewillt ist, zu geloben keinerlei Kontakt mehr mit ihren aktenkundigen Lokalen aufzunehmen", nicht wirksam begegnet. Mit Blick auf die indizierte Delinquenz und die zur Begründung der Tatbegehungsgefahr auf BS 10 f angeführten Umstände erweist sich die Annahme der mangelnden Substituierbarkeit der Haft durch gelindere Mittel nicht als willkürlich.
Die Beschwerdeführerin wurde daher durch die Entscheidung des Oberlandesgerichts im Grundrecht auf persönliche Freiheit nicht verletzt, weshalb ihre Grundrechtsbeschwerde ohne Kostenausspruch (§ 8 GRBG) abzuweisen war.
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