OGH 15Os85/16p

OGH15Os85/16p12.10.2016

Der Oberste Gerichtshof hat am 12. Oktober 2016 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Danek als Vorsitzenden sowie den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Mag. Lendl und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel‑Kwapinski, Mag. Fürnkranz und Dr. Mann in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Beran als Schriftführer in der Strafsache gegen Daniel‑Sorin M***** und andere Angeklagte wegen des Verbrechens des grenzüberschreitenden Prostitutionshandels nach § 217 Abs 1 erster Fall StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten Daniel‑Sorin M***** gegen das Urteil des Landesgerichts Innsbruck als Schöffengericht vom 29. Jänner 2016, GZ 25 Hv 116/15b‑312, sowie die Beschwerde des Genannten gegen den zugleich gemäß § 494a StPO gefassten Beschluss nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2016:0150OS00085.16P.1012.000

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung und die Beschwerde werden die Akten dem Oberlandesgericht Innsbruck zugeleitet.

Dem Angeklagten Daniel‑Sorin M***** fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

 

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil, das auch rechtskräftige Schuldsprüche zweier Mitangeklagter und darüber hinaus in Rechtskraft erwachsene Freisprüche hinsichtlich sämtlicher Angeklagter enthält, wurde Daniel‑Sorin M***** der Verbrechen des grenzüberschreitenden Prostitutionshandels nach § 217 Abs 1 erster Fall StGB (A und B), der Verbrechen des Menschenhandels nach § 104a Abs 1 StGB (C), der Vergehen der Zuhälterei nach § 216 Abs 2 StGB (D) und des Verbrechens der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 StGB (E) schuldig erkannt.

Danach hat er in Rumänien, I***** und anderen Orten

A) mit Romica M***** im bewussten und gewollten Zusammenwirken als Mittäter (§ 12 StGB) Anfang April 2015 die rumänische Staatsangehörige Noemi‑Ildiko D***** der Prostitution in einem anderen Staat als in dem, dessen Staatsangehörigkeit sie besitzt oder in dem sie ihren gewöhnlichen Aufenthalt hatte, zugeführt, indem er in Rumänien die mittellose Frau zur Ausübung der Prostitution durch In‑Aussicht‑Stellen besserer Verdienstmöglichkeiten in Österreich anwarb, nach deren Zustimmung die Überstellung, die Modalitäten der Prostitutionsausübung im vorausbestimmten Bordell in Österreich sowie deren Unterkunft organisierte und sie schließlich von Rumänien nach Österreich verbrachte;

B) im September 2014 die rumänische Staatsangehörige Maria Mo***** der Prostitution in einem anderen Staat als in dem, dessen Staatsangehörigkeit sie besitzt oder in dem sie ihren gewöhnlichen Aufenthalt hatte, zugeführt, indem er im Wissen um die Einwirkung des abgesondert verfolgten Adrian C***** auf die Frau, diesem sein Fahrzeug für die Überstellung der Maria Mo***** von Rumänien nach Österreich zur Verfügung stellte und deren Unterkunft und Arbeitsplatz im Bordell in Österreich organisierte;

C) nachangeführte (volljährige) rumänische Staatsangehörige im Anschluss an die unter Punkt A und B dargestellten Taten, mit dem Vorsatz, dass sie sexuell und in ihrer Arbeitskraft durch Prostitutionsausübung ausgebeutet werden, unter Einsatz unlauterer Mittel, und zwar unter Ausnützung einer zuvor geschaffenen emotionalen Abhängigkeit sowie der Zwangslage, in der sich die Genannten in Österreich ohne alternative Wohn‑ und Arbeitsmöglichkeit und ohne jegliches soziales Umfeld befanden, „aufgenommen, beherbergt und befördert, indem er ihnen Quartier verschaffte, ihnen ein Bordell vermittelte, sie zu den Bordellen chauffierte und wieder abholte und dafür sorgte, dass sie dort aufgenommen werden und sich anbieten“, und zwar:

1. im September 2014 Maria Mo*****,

2. im April 2015 Noemi‑Ildiko D*****;

D) mit dem Vorsatz, sich aus deren Prostitution eine fortlaufende Einnahme zu verschaffen, mehrere rumänische Staatsangehörige zugleich ausgenützt, teils ausgebeutet und teils eingeschüchtert, indem sie sich regelmäßig Bericht über die Arbeit erstatten ließen, sie beschimpften, Gewalt androhten und zum Teil ausübten, wenn sie nicht die gewünschten und erwarteten Einnahmen erzielten, und sich nahezu den gesamten daraus erwirtschafteten Erlös übergeben ließen, und zwar

I. er und Romica M***** hinsichtlich

1. Nicoleta N***** im Zeitraum von 2009 bis 11. Mai 2015,

2. Florentina H***** im Zeitraum von Herbst 2009 bis 11. Mai 2015,

3. Ionana‑Adriana B***** im Zeitraum von Herbst 2010 bis 11. Mai 2015,

4. Laura Ecaterina Ci***** im Zeitraum von Mai 2012 bis Dezember 2014,

II. allein hinsichtlich

1. Noemi‑Ildiko D***** im Zeitraum von 10. April 2015 bis 11. Mai 2015,

2. Maria Mo***** im Zeitraum von 16. September 2014 bis 17. Dezember 2014;

E) kurz vor dem 16. September 2014 in K***** Maria Mo***** mit Gewalt und Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben zur Duldung des Beischlafs genötigt, indem er sie an den Händen erfasste und festhielt, gegen das Bett drückte, ihr die Unterbekleidung herunterriss, Hin‑ und Herwinden ihres Unterkörpers durch Entgegendrücken seines Körpers unterband, ihr mehrere Schläge ins Gesicht versetzte und ihr ankündigte, sie aus dem Fenster zu werfen, und sodann gegen ihren Willen den vaginalen Geschlechtsverkehr an ihr vollzog.

Rechtliche Beurteilung

Dagegen richtet sich die auf § 281 Abs 1 Z 34, 5, 5a, 9 lit a und 10 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten Daniel‑Sorin M*****, die ihr Ziel verfehlt.

Einen Verstoß gegen § 252 Abs 1 Z 2a StPO erblickt die Beschwerde (Z 3) darin, dass die Protokolle über die im Ermittlungsverfahren getätigten Aussagen der Zeugin Mo***** in der Hauptverhandlung „verlesen“ (vorgetragen) und die Ton- und Bildaufnahme über deren konktradiktorische Vernehmung (§ 165 StPO) vorgeführt wurden (ON 311 S 40 f, 44), obwohl der (ua zu C/1 und D/II/2 des Schuldspruchs) Mitangeklagte Romica M***** keine Gelegenheit gehabt hatte, sich an dieser Vernehmung zu beteiligen. Der behauptete Nichtigkeitsgrund liegt nicht vor, weil die betroffene Zeugin bereits bei der – in Anwesenheit der Staatsanwaltschaft, des Beschwerdeführers und seines Verteidigers durchgeführten – kontradiktorischen Vernehmung ua auf ihre Angaben vor der Polizei verwiesen und überdies erklärt hatte, in der Hauptverhandlung ihre Aussagebefreiung (§ 156 Abs 1 Z 2 StPO idF vor BGBl I 2016/26) in Anspruch zu nehmen (ON 116 S 1 ff), womit in Bezug auf den Beschwerdeführer eine berechtigte Aussageverweigerung der Zeugin vorlag. Im Verfahren gegen diesen waren somit die Voraussetzungen des § 252 Abs 1 Z 2a StPO erfüllt. Dem weiteren Einwand zuwider liegt in der zur Vermeidung von Verfahrensverzögerungen erfolgten Ausscheidung des Verfahrens gegen den Mitangeklagten Romica M***** (ua) wegen dieser Anklagepunkte (ON 311 S 40) auch keine Umgehung (§ 252 Abs 4 StPO) der Verlesungsbeschränkungen des § 252 Abs 1 StPO. Aus den Verfahrensgesetzen lässt sich nämlich kein Grund dafür ableiten, einem fairen Verfahren geschuldete Komplikationen bei der Wahrheitsfindung hinsichtlich eines Mitangeklagten bloß auf Grund objektiver Konnexität (§ 37 Abs 1 StPO) zum Vorteil eines anderen Angeklagten (hier: des Beschwerdeführers) ausschlagen zu lassen, in Bezug auf den das Hindernis (hier: die Verlesungsbeschränkung) gerade nicht besteht (vgl 14 Os 100/98; Kirchbacher, WK‑StPO § 252 Rz 81).

Dem Einwand (Z 4) zuwider wurden auch durch die Abweisung von Beweisanträgen in der Hauptverhandlung Verteidigungsrechte des Angeklagten Daniel‑Sorin M***** nicht geschmälert. Denn in seinen Anträgen auf Ladung (Ausforschung) und Vernehmung der Zeugen Adrian C*****, Maria Mo***** und Noemi D***** führte er weder ein konkretes Beweisthema noch Gründe dafür an, aus denen die Durchführung des Beweises das (solcherart gar nicht behauptete) Ergebnis erwarten lasse (§ 55 Abs 1 StPO; RIS‑Justiz RS0118444, RS0099189). Erst im Rechtsmittel nachgetragene Ergänzungen können auf Grund des Neuerungsverbots keine Berücksichtigung finden (RIS‑Justiz RS0099618).

Abgesehen davon enthielt der zunächst gestellte Antrag auf Ladung und Vernehmung des Zeugen C***** „einerseits als Tatzeuge zu B und andererseits zu E als Kontrollbeweis, zumal die Zeugin Maria Mo***** in der kontradiktorischen Einvernahme angegeben hat, dass sie dem Adi zeitnahe den Vorfall mit der Vergewaltigung geschildert hat“ (ON 311 S 37), auch keine Informationen, die für die Durchführung der Beweisaufnahme erforderlich waren (§ 55 Abs 1 zweiter Satz StPO). Dieser Antrag wurde mit Blick auf die Erklärung der Staatsanwaltschaft, der Zeuge sei nicht greifbar, unbekannten Aufenthalts und seit Mai 2015 zur Verhaftung (als Beschuldigter; vgl ON 28, ON 76 S 3) ausgeschrieben, zu Recht wegen Unmöglichkeit (§ 55 Abs 2 erster Satz dritter Fall StPO) abgewiesen (ON 311 S 38 f). Der daraufhin gestellte Antrag auf Ausforschung dieses Zeugen unter Verweis auf ein im Internet aufgefundenes behördliches Dokument aus Rumänien (ON 311 S 42 iVm Beilagen D./ und E./) wurde sodann als Erkundungsbeweis abgewiesen (ON 311 S 43). Mit dem vorgelegten rumänischen „Dokument“ aus dem Jahr 2012, das eine Person namens „Adrian Cosmin C*****“ betraf, während der per Festnahmeanordnung als Beschuldigte gesuchte Zeuge „Adrian Ovidiu C*****“ heißt (ON 28), hatte dieses Begehren von vornherein keine substantielle Basis für die Annahme eines in absehbarer Zeit ermittelbaren Aufenthalts des gesuchten Zeugen in Rumänien. Ebensowenig legte der Antragsteller dar, weshalb der ausländische Zeuge zum Erscheinen vor dem österreichischen Gericht bereit sein sollte, obwohl er in derselben Sache bereits seit Längerem zur Verhaftung als Beschuldigter ausgeschrieben ist.

Die Forderung nach der Ladung und Vernehmung der bereits erwähnten Zeugin Mo***** (ON 311 S 38) ließ gleichfalls nicht erkennen, dass die Genannte, die anlässlich ihrer kontradiktorischen Vernehmung im Ermittlungsverfahren bereits erklärt hatte, in der Hauptverhandlung (gegen den Beschwerdeführer) nicht mehr aussagen zu wollen, nunmehr hiezu bereit sein würde (RIS‑Justiz RS0117928). Ebensowenig wurden konkrete, erheblich geänderte Verhältnisse vorgebracht, die eine ausnahmsweise ergänzende Befragung der (aus Art 8 MRK) geschützten Belastungszeugin geboten erscheinen ließen (RIS‑Justiz RS0128501 [T2]).

Entgegen dem Vorbringen der Mängelrüge (Z 5 zweiter Fall) blieb die Frage, ob Maria Mo***** ihrem damaligen „Freund“ Adrian C***** von der Vergewaltigung (E) erzählte, seitens der Tatrichter bei der ausführlichen Beurteilung der Glaubwürdigkeit der Angaben dieser Zeugin (US 46–54) nicht unerörtert (US 47, 53 f).

Der formelle Nichtigkeitsgrund des § 281 Abs 1 Z 5a StPO greift seinem Wesen nach erst dann, wenn aktenkundige Beweisergebnisse vorliegen, die nach allgemein menschlicher Erfahrung gravierende Bedenken gegen die Richtigkeit der bekämpften Urteilsannahmen aufkommen lassen. Eine über die Prüfung erheblicher Bedenken hinausgehende Auseinandersetzung mit der Überzeugungskraft von Beweisergebnissen – wie sie die Berufung wegen Schuld des Einzelrichterverfahrenseinräumt – wird dadurch nicht eröffnet (RIS‑Justiz RS0119583, RS0118780). Mit Spekulationen über ein denkbares Motiv für eine Falschaussage der Zeugin und dem Hinweis auf die erst drei Monate nach dem Vorfall erfolgte Anzeigenerstattung gelingt es der Beschwerde jedenfalls nicht, beim Obersten Gerichtshof erhebliche Bedenken im aufgezeigten Sinn zu wecken. Die Kritik an den Erwägungen zur Plausibilität der Begehung der Vergewaltigung (E) zu Macht- und Demonstrationszwecken (US 46 f) erschöpft sich bloß in einer Bekämpfung der Beweiswürdigung nach Art einer Schuldberufung.

Die gesetzmäßige Ausführung eines materiell-rechtlichen Nichtigkeitsgrundes hat das Festhalten am gesamten im Urteil festgestellten Sachverhalt, dessen Vergleich mit dem darauf anzuwendenden Gesetz und die Behauptung, dass das Erstgericht bei Beurteilung dieses Sachverhalts einem Rechtsirrtum unterlegen ist, zur Voraussetzung (RIS‑Justiz RS0099810).

Indem sich die zu B auf den Begriff „Zuführen“ Bezug nehmende Rechtsrüge (Z 9 lit a) ausschließlich auf den Urteilstenor bezieht, die Urteilsannahmen zur Kooperation mit Adrian C***** in den Entscheidungsgründen(US 20–22, 42–45, 79) jedoch unberücksichtigt lässt, verfehlt sie die oben aufgezeigte Ausrichtung am Verfahrensrecht.

Ebensowenig orientiert sich der Einwand, zu C sei mangels Drogenabhängigkeit, illegalem Aufenthalt oder Obdachlosigkeit keine „Zwangslage“ iSd § 104a StGB der betroffenen Prostituierten vorgelegen, an den getroffenen Feststellungen (US 24 f, 26 f, 54–59), wonach Mo***** und D***** sich in einer emotionalen Abhängigkeit vom Beschwerdeführer und seiner „Familie“ befanden und beide weder über alternative Wohn- und Arbeitsmöglichkeiten noch – abgesehen von dieser „Familie“ – über ein soziales Umfeld in Österreich verfügten (vgl etwa 12 Os 145/14m; 11 Os 94/14d). Aus welchem Grund solche Tatumstände der rechtlichen Annahme einer Zwangslage entgegenstehen sollten, erklärt die Beschwerde nicht.

Mit dem Vorbringen, der § 104a Abs 1 StGB (C) unterstellte Unrechtsgehalt der Tat sei bei der „Ausnützung von Prostituierten“ allein von § 216 Abs 1 StGB (D/II) als „Spezialnorm“ erfasst, erschöpft sich die Subsumtionsrüge (Z 10) in einer bloßen Rechtsbehauptung, ohne darzulegen, weshalb der Tatbestand des § 104a Abs 1 StGB im Fall einer tatsächlich erfolgten Ausbeutung trotz der höheren Strafdrohung hinter § 216 Abs 2 StGB zurücktreten sollte (vgl RIS-Justiz RS0091146, RS0129807). Bleibt anzumerken, dass § 216 Abs 2 StGB auch den Vorsatz verlangt, sich eine fortlaufende Einnahme zu verschaffen, weshalb Zuhälterei nach dieser Bestimmung wiederum nicht von § 104a Abs 1 StGB konsumiert wird (vgl Ratz in WK2 Vor §§ 28–31 Rz 58; aM Hochmayr in JBl 2015, 404).

Gleichfalls nicht an der Gesamtheit der Entscheidungsgründe orientiert sich die gegen den Verfallsausspruch gerichtete Sanktionsrüge (nominell Z 10, der Sache nach Z 11 erster Fall), wenn sie davon ausgeht, das Erstgericht habe (überhaupt) keine Feststellungen dazu getroffen, wieviel Geld gerade dem Nichtigkeitswerber von den Prostituierten zukam und wieviel von ihm „nur für seine Zwecke vereinnahmt“ wurde (vgl US 25–33 [insbesondere S 28, 31 f], 59–76 [insbesondere S 76], 87).

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher bereits bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO), woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufung und die Beschwerde folgt (§§ 285i498 Abs 3 StPO).

Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 390a Abs 1 StPO.

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